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In den Sitzen waren Risse, und das Auto stank nach altem Rauch. Josh hoffte, daß das alles war, daß es nicht auch noch gefährliche Abgase gab. Er hatte von Kohlenmonoxid gelesen, daß es eindringen und einen bewußtlos machen konnte, bevor man es merkte.

Wenn das passierte, könnte Caron die Kontrolle über den Wagen verlieren, und sie hätten einen Unfall.

Aber da er selbst in diesem Fall auch bewußtlos sein würde, würde er es nicht merken.

Eine Sekunde lang erschien die Vorstellung reizvoll.

Das erschreckte ihn. Er setzte sich gerader hin, öffnete das Fenster ein wenig weiter und hielt sein Gesicht in die warme Luft.

Seine Augen taten weh vom Weinen, und es fühlte sich an, als hätte er etwas anderes als Blut in den Adern, etwas Schweres, das ihn behinderte und dafür sorgte, daß sein Hirn nicht so funktionierte wie üblich. Er hatte das Gefühl zu denken wie die Großmutter seines Freundes Nicholas, die bei Nicholas’ Eltern wohnte und immer wieder vergaß, daß sie Töpfe auf dem Herd hatte, selbst wenn schon dunkler Rauch im Zimmer stand.

Es war so schwer, sich an diesen Tag zu erinnern.

Nicht mal unbedingt an den ganzen Tag; nur an die letzten paar Stunden.

Er war früh wach geworden, immer noch aufgeregt vom Vorabend. Er hatte sich angezogen und Nicholas auf dem Baseballplatz im Carl Schurz Park getroffen. Sie hatten trainiert, bis es zu heiß wurde, hatten sich dann die Füße im Fluß gekühlt und sich – nach dem Gewitter des Vortags – an der Sonne gefreut, bis ein Parkwächter dem ein Ende gemacht hatte.

Sie waren zu Nicholas nach Hause gegangen, hatten Brote gegessen und Apfelsaft getrunken und Schach gespielt.

Josh konnte sich noch gut erinnern, wie er ein Spiel beendet, auf die Uhr geschaut und entschieden hatte, daß er nicht mehr genug Zeit für ein weiteres Spiel hatte. Er hatte Nicholas geholfen, die Figuren zurück in die Schachtel zu tun. Er sah noch genau vor sich, wie er sich von der Mutter und der Großmutter seines Freundes verabschiedet hatte und später mit dem Portier des Hauses, in dem sie wohnten, gewitzelt hatte – mit seinem Kumpel Schlomo, der immer einen neuen schmutzigen Witz wußte, und jedesmal mußte Josh ihm versprechen, daß er seinem Vater nichts sagen würde.

Er war mit dem Lift nach oben gefahren, hatte geklingelt, und da niemand aufgemacht hatte, hatte er die Tür mit seinem eigenen Schlüssel aufgeschlossen.

Und Geräusche gehört ...

Seine Kopfhaut hatte gekribbelt, daran erinnerte er sich noch, als er den Geräuschen quer durch die Wohnung gefolgt war, zu Dads und Carons Zimmer. Der Fernseher? Er wußte, daß das nicht der Fall war. Aber er hatte es sich so sehr gewünscht.

Blut an der Wand. Geschrei. Dad halb angezogen, auf- und abzuckend, um sich schlagend. Caron hatte einen erstickten Schrei von sich gegeben, wie jemand in einem Alptraum, wenn man nicht lauter schreien kann. Sie hatte etwas über dem Gesicht gehabt.

Von dem Augenblick an, als Josh das Blut gesehen hatte, hatte er eigentlich nur noch wegrennen wollen. Aber das konnte er nicht, denn dann hatte Caron die Hand hochgerissen und lauter geschrien, und sein Vater hatte sich umgedreht und ihn gesehen.

An diesen Augenblick erinnerte er sich gut. Ein erstarrtes Bild. Dad mit Blut am Mund, die Hose offen, Schwanz draußen. Caron, die sich wand, um sich von den Laken und ihrer Kleidung zu befreien, und die immer noch nicht wußte, daß Josh da war.

Danach wurde es wieder trüb, raste schnell weiter und doch unendlich langsam.

Josh hatte sich umgedreht, war in die Küche gegangen, hatte sich dort hingesetzt und die Arme schützend über dem Kopf verschränkt. Sein Herz hatte laut und schnell geklopft, sein Magen gebrannt. Er hatte geschluchzt wie ein kleines Kind.

Er erinnerte sich an die kalte Tischplatte an seiner Nase, die den Schmerz zurückgebracht hatte, von damals, als sie gebrochen war. Damals hatte sich seine Nase so riesig angefühlt wie ein Auto. Der Schmerz war schlimmer gewesen als alles, was er je zuvor gespürt hatte, die Explosion direkt an der Spitze des Knochens eine so schreckliche Erinnerung, daß er die Stelle danach nie wieder hatte berühren können, ohne ein Echo davon zu spüren.

Seine Nase ...

Er hätte es Caron nie sagen dürfen.

Sie wären jetzt nicht hier, wenn er das nicht getan hätte.

Wieder begann er zu weinen.

Selbst um elf Uhr abends war die Autobahn nach New Jersey immer noch ziemlich voll. Kleinbusse mit Familien und alte Autos wie das von Caron, mit Gepäck und Fahrrädern auf dem Dachgepäckträger.

Vielleicht hätte sie das auch tun sollen, zur Tarnung.

Josh döste, nachdem er sich in den Schlaf geweint hatte, und sein Kopf stieß immer wieder gegen Carons Schulter. Caron war gefährlich erschöpft; immer wieder drohten ihre Augen zuzufallen.

Sie stellte das Radio lauter und suchte nach einem Musiksender, der sie wachhalten würde. Aber es war ein reines Mittelwellenradio, und alles, was sie empfangen konnte, waren ein örtlicher Bibelsender und WCBS, die New Yorker Nachrichtenstation.

Also hörte sie sich die Sportergebnisse und Wetterberichte und Politiker und Katastrophenberichte an.

Kurz hinter Camden bemerkte sie, daß es im Sender unruhig geworden war. Es gab Hintergrundgeräusche, Papier raschelte, die Stimme des Ansagers klang aufgeregt.

»Eine Sondermeldung«, verkündete er. »Harry Kravitz hat für heute abend um elf Uhr dreißig eine nationale Pressekonferenz angekündigt, die also in acht Minuten beginnen wird. Sender Achtundachtzig wird die Konferenz live übertragen.«

»Eine sehr ernste Situation, wie wir erfahren haben«, erklärte seine Kollegin. »Ein Familienmitglied behauptet offenbar, Harry habe es tätlich angegriffen. Haben wir noch weitere Informationen, Marvin?«

»Noch nicht«, erwiderte Marvin. »Ich wiederhole, der Sender achtundachtzig wird um elf Uhr dreißig eine landesweite Pressekonferenz übertragen, für die Harry Kravitz eine Erklärung wegen angeblicher Gewalttätigkeit in seiner Familie angekündigt hat. Harry Kravitz war der Star von Scott, einer beliebten Comedyserie, in der er einen Kleinstadtanwalt spielte. Harry ist seitdem einer der bekanntesten Film- und Fernsehstars der Welt.«

Säure brannte sich durch Carons Brust. Ihr Fuß auf dem Gaspedal zitterte. Sie überlegte, ob sie irgenwo anhalten, die acht Minuten warten und sich die Lügen ihres Mannes anhören sollte, worin sie auch bestehen mochten, aber die Gefahr hielt sie davon ab.

Sie trat fester aufs Gas, um das Zittern zu bremsen, beschleunigte, ließ sich wieder zurückfallen. Es wäre tragisch, jetzt von der Polizei angehalten zu werden.

Dann war es halb zwölf, und Harrys Stimme ertönte. Josh wurde sofort wach.

»Meine Freunde da draußen«, sagte Harry, »ich brauche Ihre Hilfe. Meine Frau und mein Sohn sind verschwunden.«

Er schluckte Tränen herunter, räusperte sich.

»Am frühen Abend tauchte meine Frau, Dr. Caron Alvarez, auf einem Polizeirevier hier in New York auf. Sie war verletzt und verwirrt. Sie behauptete, ich ... ich hätte sie ... angegriffen.«

Bei den letzten Worten brach Harrys Stimme. Caron spürte, wie in ihrer Kehle verzweifelte Tränen aufstiegen.

Er war wirklich gut.

Sie griff nach Joshs Hand und drückte sie, lenkte mit der Linken.

»Sie behauptete außerdem, sie hätte meinen Sohn zu seinem eigenen Schutz aus meinem Haus entführt. Ich habe dieser Pressekonferenz heute abend zugestimmt, um Ihnen die ganze Sache erklären und Sie alle um Ihre Hilfe bitten zu können.

Meine Frau ... meine Frau hat sich geschnitten, als ich versuchte, ihr ein Skalpell wegzunehmen. Sie hatte versucht, sich damit umzubringen.« Er schwieg einen Augenblick, räusperte sich wieder. »Zuvor habe ich schon gesagt, daß Caron verwirrt war. Dieser Zustand ist krankheitsbedingt. Caron ... sie ... sie ...« Man hörte, wie eine Hand über das Mikrophon gelegt wurde, dann weiteres Schnüffeln. Dann fuhr Harry mit angespannter Stimme fort: »Meine Frau leidet an einem Hirntumor.«

Er schloß mit der flehentlichen Bitte, die Zuhörer mögen ihm helfen, seine geliebte Frau und seinen Sohn zu finden.

»Viele von Ihnen kennen meine wunderbare Caron noch von ihrer wohltätigen Arbeit nach den Verwüstungen durch den Hurrikan Andrew. Mein Sohn ist dreizehn Jahre alt. Sie können ihre Fotos jetzt auf dem Bildschirm sehen.

Ich habe mich mit allen Mitteln dagegen gewehrt, daß das FBI diese Angelegenheit als Entführung behandelt. Meine Frau ist für ihre Handlungen nicht verantwortlich. Einer der besten New Yorker Neurologen hat ein Gutachten erstellt, sie ist krank und keine Kriminelle. Statt dessen appelliere ich an Sie. Bitte, halten Sie nach den beiden Ausschau. Helfen Sie mir, meine Familie wiederzubekommen – für die kostbaren letzten Monate, die Caron mit uns zusammen haben wird. Und Josh, wenn du das hier hören kannst: Ich liebe dich, mein Sohn. Ich schwöre, ich werde dich finden.«

Caron mußte an die Seite fahren und anhalten. Sie stellte den Motor ab und taumelte aus dem Auto.

»Caron?« fragte Josh. »Bist du krank?«

»Nein. Ich brauche nur ein bißchen frische Luft.« Dann wurde ihr erst klar, was er meinte, und sie stieg wieder ein. »Ich habe keinen Hirntumor. Ich bin nicht krank. Das hat dein Dad erfunden.«

Sie hörten die Insekten am Straßenrand und die vorbeifahrenden Autos.

»Ich weiß nicht, warum«, fuhr Caron fort. »Aber ich kann es mir denken. Er mußte seine Erklärung abgeben, bevor die Leute mehr darüber erfahren, was wirklich passiert ist.«

»Angriff als die beste Verteidigung«, meinte Josh.

»Genau.«

»Und was wirst du machen? Wirst du ihm widersprechen?«

Caron drehte sich in dem dunklen Auto zu Josh um. »Wir werden ihm beide widersprechen müssen.«

Auf Liebe und Tod

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