Читать книгу Auf Liebe und Tod - Molly Katz - Страница 8
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ОглавлениеEs gab keine Stelle an Carons Körper, die nicht weh tat. Der Arm, den sie um Joshs Schultern gelegt hatte, schmerzte über die gesamte Länge, und ihre Finger waren aufgeschürft von dem Versuch, sich zu verteidigen. Ihre Vagina und ihr Rektum brannten. Blut tropfte von ihrer Unterlippe, wo Harry sie gebissen hatte.
Hinter einem Gitter direkt hinter der Doppeltür zum elften Revier saß eine elfenhaft blonde Polizistin an einer Tastatur. Sie blickte auf und sah Caron, sah Joshs erschrockenes, verschmiertes Gesicht, dann schaute sie wieder die blutende Caron an.
»Was kann ich –«
»Ich bin verprügelt und sexuell mißbraucht worden«, erklärte Caron. Sie schluckte und hätte sich beinahe übergeben, weil sie immer noch Spuren von Harrys Gewalt schmeckte. »Von meinem Mann.«
»Der Junge auch?«
»Nein. Aber ich konnte ihn nicht dort lassen.« Die Tränen, gegen die Caron ankämpfte, brannten in ihren Augen; die kühle Reaktion der Polizistin hätte fast dazu geführt, daß sie endgültig die Beherrschung verloren hätte. Aber Caron mußte unbedingt ruhig bleiben, um glaubwürdig zu sein. Sie war so gut wie ohnmächtig gegenüber Harrys Position in der Unterhaltungswelt. Er war ein nationales Symbol. Wenn sie einen hysterischen Eindruck machte, würde sie nicht die geringste Chance haben.
»Wir müssen weg von hier, weg von meinem Mann«, sagte sie mit leiser, aber entschlossener Stimme. »Er wird mich umbringen, wenn er mich findet. ›Ich bringe dich um.‹ Das hat er gesagt.«
Wie betäubt beantwortete Caron alle Fragen, lieferte ihnen Sätze, die sie in ihre Maschinerie einfütterten. Die Gleichgültigkeit der Polizisten verschwand schnell, nachdem sie Harrys Namen genannt hatte. Gerüchte machten die Runde. Keiner wollte es so recht glauben. Harry Kravitz? Sie hatten schon viel gesehen, aber so etwas noch nicht.
Caron spürte die Blicke vieler Augenpaare, während sie nach Worten rang, um zu beschreiben, was Harry getan hatte. Die Ermittler, die mit ihr sprachen, ein Mann und eine Frau, konnten nicht verbergen, wie verstört sie waren.
»Sie behaupten also, Mr. Kravitz habe eine Jekyll-Hyde-Persönlichkeit?« sagte der Mann.
»Ja.«
»Und er ist Ihnen gegenüber nie zuvor gewalttätig geworden, beim Sex oder bei anderen Gelegenheiten?«
»Nein. Nie.« Caron wischte sich über den Mund, was die Lippe wieder zum Bluten brachte.
Die Frau reichte ihr ein Tuch. »Möchten Sie ins Bad?« fragte sie freundlich, und Caron nickte und ging hinaus.
Sobald sie verschwunden war, beugte sich die Frau zu ihrem Partner. »Ich hab mir früher diese Kravitz-Show jede Woche angesehen. Scott. Er hat einen Anwalt gespielt, ein Landei. Echt witzig. Machte einen wirklich netten Eindruck. Und er sieht phantastisch aus.«
»Die Serie läuft nicht mehr, oder?«
»Nur Wiederholungen. Sie lief sieben oder acht Jahre.«
»Hab ich nicht gerade erst gelesen, daß er eine Talkshow am Abend bekommen soll?«
Die Frau nickte. »Ich hab ein paar seiner Filme gesehen. Und erst vor kurzem war er bei Jay Leno. Es war umwerfend.« Sie hielt inne. »Und er schlägt seine Frau und will sie umbringen. Ein Arschloch wie so viele andere.« Sie schüttelte den Kopf. Sie zuckte die Achseln: Auch das noch.
Die Polizistin am Schalter grüßte eine Kriminalpolizistin, die ihr Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte und ein Sommerkleid trug. »Rate mal, wen wir hier haben«, sagte sie.
»Donald Trump?«
»Besser. Mrs. Harry Kravitz.«
Die Ermittlerin blickte überrascht auf. »Was hat sie angestellt?«
»Sie ist hierher geflüchtet. Körperverletzung und Vergewaltigung. Ihr Ehemann.«
»Ihr Mann? Er soll das gewesen sein?«
»Behauptet sie jedenfalls. Ich glaube es erst, wenn er gesteht.«
»Genau. Aber wenn sie ihn loswerden will, übernehme ich ihn gern.«
»Nicht, wenn ich ihn vor dir erwische.«
Die Ermittler wollten noch mehr wissen, aber Caron hatte zu viel Angst, auf dem Revier zu bleiben. Polizeirevier hin oder her – es war ein öffentlicher Ort, und wenn sie Harry verhafteten, würden sie ihn hierher bringen. Es waren schon Menschen auf Polizeirevieren und in Gerichten ermordet worden. Menschen, die eigentlich hätten geschützt werden müssen. Harry konnte sie auch hier umbringen.
Die offizielle Anzeige, die ärztliche Untersuchung und Behandlung würden warten müssen. Sie konnte einfach nicht hierbleiben.
Ein Polizist brachte Caron und Josh in ein Hotel an der Lexington Avenue. Das Auto war ein Zivilfahrzeug, ein anonymer, verbeulter alter Buick, und dieser Polizist war kräftig genug, auch ein Nashorn abzuschrecken, aber Caron legte sich flach auf den Rücksitz und brachte Josh dazu, dasselbe zu tun. Das Hotel war nur eine Station auf ihrem Weg; Frauen aus einem Frauenhaus würden sie hier abholen. Der Standort des Frauenhauses wurde geheimgehalten.
Dort würde sie auch die ärztliche Behandlung erhalten, denn sie hatte sich geweigert, sich ins Krankenhaus bringen zu lassen. Auch Krankenhäuser waren zu öffentlich und zu unsicher. Lieber würde sie die Schmerzen noch ein wenig länger ertragen, als sich und Josh in Gefahr zu bringen. Erst wenn sie ein gewisses Maß an Sicherheit für sie beide erreicht hatte, würde sie anfangen können, sich um anderes zu kümmern, nachdenken, wen sie anrufen könnte, wer ihr glauben würde. Ganz sicher war Julie Gerstein darunter. Vielleicht Barbara Wrenn oder andere, die sie aus dem College kannte ...
Caron merkte, daß sie die Hände über die Tagesdecke aus Chenille rieb. Das tat zwar weh, aber die Baumwollrippen unter ihren Händen waren wie kaltes Wasser im Gesicht.
Sie stand auf und stellte sich vor den Spiegel des Frisiertischs. Sie beugte sich vor und betrachtete ihr Spiegelbild, als hätte sie einen fremden Menschen vor sich. Abstand finden.
Sie konnte sich nicht mehr genau erinnern, wohin Harry sie überall geschlagen hatte. Die Schläge dröhnten immer noch in ihr, aber sie mußte sich auf jeden Teil ihres Körpers konzentrieren, um ihn mit dem Spiegelbild in Verbindung zu bringen und den Schaden einschätzen zu können.
Sie strengte sich an, fachlich zu denken. Es half, die widerwärtigen, ekelerregenden Erinnerungen an sein Eindringen zu verdrängen. Die aktuelle Angst und die vor der Zukunft. Ich bringe dich um.
Der Blick ihrer dunklen Augen war starr, aber klar, und sie hatte keine blauen Flecke im Gesicht. Wimperntusche, die sie heute morgen, vor tausend Jahren, aufgetragen hatte, zog Spuren über ihre Wangen. Eine Bißwunde mit schwärzlich geronnenem Blut hätte sie fast zusammenzucken lassen. Ihr Haar, von dem Harry immer gesagte hatte, es habe die Farbe von Honig, war verfilzt von Tränen und Schleim; es fühlte sich starr an, wenn sie die Locken berührte, die ihr bis über die Schultern fielen. Einer der kurzen Ärmel ihres T-Shirts war halb abgerissen, als Harry daran gezerrt hatte, um ihr das Shirt vom Leib zu reißen. Schließlich hatte er es einfach nur hochgeschoben. Sie erinnerte sich an den erstickenden Stoff über Nase und Mund. Als sie danach gegriffen hatte, um ihn wegzureißen, um wieder atmen zu können, hatte sie die schwarze Leggings loslassen müssen, an die sie sich verzweifelt geklammert hatte, und Harry hatte sie heruntergerissen ...
Der brennende Schmerz dort unten flackerte wieder auf, als sie sich erinnerte, wie er gestoßen und gekratzt hatte.
Dann änderte sich das Bild vor Carons geistigem Auge, als hätte jemand die Kanäle umgeschaltet. Sie sah, wie es vor jenem schrecklichen Tag gewesen war, ihr wunderbares Leben mit ihrem Mann und ihrem Kind. Sie sah den hinreißend aussehenden Harry, wie er stolz neben ihr stand und ihren Rücken streichelte, während sie zusahen, wie Josh auf dem Spielfeld einen guten Schlag plazierte. Sie dachte daran, wie beschützend Harry sie im Arm gehalten hatte, als sie sich durch die Menge begeisterter weiblicher Fans drängten, wie er den Frauen zulächelte, freundliche Worte sagte, aber seine Liebe hatte nur ihr gehört. Sie sah sich und Josh, wie sie vor lauter Lachen die Couch zum Umkippen brachten, als sie sich zu dritt einen von Harrys Filmen ansahen und Harry Witze über sich und die anderen Schauspieler riß, einen nach dem anderen ...
Josh kam aus dem Bad. Caron konnte ihn im Spiegel sehen. Seine Miene war jetzt starr, er hatte einen Schock. Anders als zuvor, als er hereingeplatzt war und sie und Harry kämpfend vorgefunden hatte, entsetzt die wild schlagenden Arme, die tretenden Beine, das Grunzen und die unterdrückten Schreie nicht hatte mißverstehen können.
»Ich hätte es dir nicht sagen dürfen«, meinte er nun wieder, zum fünften oder sechsten Mal.
Die East End Avenue lag im weichen Zwielicht, die Fenster der eleganten Häuser spiegelten das Kupferrot eines weiteren großartigen Sonnenuntergangs. Harry sah einen Augenblick lang zu, dann ging er ans andere Ende der Wohnung. Er öffnete die Schiebetür, trat hinaus auf die Terrasse und ließ den flüssigen rosafarbenen Glanz des East River die Tränen hervorbringen, die er bisher nicht hatte weinen können.
Er weinte lange Zeit.
Am Ende wurde ihm alles zu viel – der Kuß der sommerlichen Brise, die er und Caron so oft genossen hatten ... das große Bett hinter ihm, immer noch zerwühlt, von Blutspuren befleckt.
Er rieb sich mit dem Taschentuch das Gesicht trocken. Er würde noch verrückt werden, wenn er nicht nach draußen kam. Er hatte sich noch nie so sehr gehaßt.
Ein Ungeheuer. Er war ein Ungeheuer.
Er sah sich seine Hände auf dem Terrassengeländer an. An zwei Fingern waren Kratzer, in einer Handfläche ein Fingernagelabdruck. Normalerweise gelang es ihm, ohne solche Spuren davonzukommen.
Aber normalerweise konnten die anderen sich auch kaum wehren. Caron ... Caron war mutig und stark, und sie hatte um ihr Leben gekämpft. Er hätte schlimmere Schäden davontragen können. Aber er war geübt darin, anderen Schaden zuzufügen, ohne daß seine Hände verletzt wurden.
Dieser Gedanke führte zu noch mehr Tränen.
Diesmal war es nicht einfach irgendein menschlicher Sandsack. Es war deine eigene Frau. Deine liebevolle, wohlduftende, wunderbare Frau.
Harry sah seine Tränen auf seine Hände fallen. Er stieß ein Winseln aus. Jetzt konnte er fühlen, welchen Schmerz er Caron bereitet hatte, innen und außen, all die Spuren seiner anatomischen Waffen.
Er würde hinunter zum Fluß gehen, versuchen, das Elend und den Schrecken dessen, was er getan hatte, loszuwerden. Nachdenken, was er nun tun sollte. Wie er Caron und Josh finden könnte, um alles wieder gut zu machen.
Er würde es ihr erklären können, das wußte er. Nicht nur er – alle, die ihnen nahestanden, würden helfen. Sie hatte bereits Paul und Tomas von irgendwo angerufen, und sowohl der Agent als auch der Anwalt hatten sich sofort bei Harry gemeldet, um ihrer Sorge Ausdruck zu verleihen und zu erklären, daß sie auf seiner Seite standen. Tomas hatte Fragen gestellt, sich Notizen gemacht.
Sie hatten Carons Version der Ereignisse nicht akzeptiert – und so ungerecht dies war, so mußte es sein. Er hatte etwas Schreckliches getan, etwas, wofür es keine Entschuldigung gab, aber es war nicht so, daß ihm je zuvor mit Caron eine solche Entgleisung passiert wäre.
Er hatte sich vor zwei Jahren geschworen, daß er nie wieder einen Menschen verletzen würde, den er liebte – und diesen Schwur hatte er gehalten. Die rasende Wut, die in ihm aufflackerte, wenn sich ihm etwas oder jemand in den Weg stellte, hatte er von Freunden und seiner Familie ablenken können – eine Fähigkeit, die er seit seinem zwanzigsten Lebensjahr kultiviert hatte. Er hatte gelernt, Ersatz zu suchen. Und in den grünen Dickichten New Yorks gab es dazu genügend Gelegenheiten. Genug Fleisch und Blut, das nicht Harrys eigenes war, das eigentlich niemandem gehörte.
Eine böse Sucht. Aber auch ein lebenswichtiges Bedürfnis, das erfüllt werden mußte.
Jetzt würde er seine gesamten Reserven an Zurückhaltung brauchen, dieses Bedürfnis wieder in jene Richtung abzulenken, weg von Caron. Er hatte ihr nie zuvor weh getan. Er würde sein Versprechen einhalten, wie auch das gegenüber Josh.
Es gab niemanden, der ihn nicht dabei unterstützen würde, seine Ehe wieder aufzubauen. Caron hatte nur noch in Kuba Verwandte, hatte keine Freunde in New York, die nicht in erster Linie seine Freunde waren.
Er würde sie wieder nach Hause bringen. Ihr zeigen, wie entschlossen er war, einen neuen Anfang zu versuchen. Caron würde außer sich sein, aber er würde sie anflehen, seine Entschuldigung und sein Versprechen anzunehmen.
Er hatte die Wohnungstür schon geöffnet und schaltete gerade die Alarmanlage ein, als sein Telefon klingelte – der Geschäftsanschluß, nicht der private, den Caron benutzen würde. Er ließ den Anrufbeantworter anspringen, griff aber nach dem Hörer, als der Anrufer sich als Polizist vorstellte.
»Mr. Kravitz?«
»Ja?«
»Ich rufe wegen Ihrer Frau an. Wissen Sie, wo sie ist?«
Harry packte den Hörer fester. »Nein.«
»Sie ist im Hotel Norwich. Achtzigste und Lex. Ich habe sie gerade vom Revier aus hingefahren. Sie beide hatten offenbar einen kleinen Streit.«
»Na ja, es war ein wenig –«
»Das war keine Frage. Sie brauchen mir Ihre Privatangelegenheiten nicht zu erzählen. Aber wissen Sie ... Ich bin ein Fan – als Scott noch lief, habe ich nie eine Folge verpaßt ... Sie sollten neue Folgen drehen, es ist erheblich besser als der Mist, der zur Zeit läuft. Und ich möchte nicht, daß diese Geschichte an die große Glocke gehängt wird. Ihre Frau war ganz außer sich, der Kleine weinte. Warum fahren Sie nicht rüber und bringen alles wieder in Ordnung? Ich darf gar nicht dran denken, was daraus wird, wenn die Journalisten so was in die Fänge kriegen.«