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Von der Columbia University in New York angenommen zu werden, war das Belebendste, was Harry je passiert war. Er arbeitete jeden Tag hart daran, aus dieser Chance das Beste zu machen, um seiner Vergangenheit zu entfliehen, seiner bereits ziemlich erheblichen Sammlung von Geheimnissen – sowohl dem, das sein Vater versucht hatte zu bewahren, als auch seinen eigenen, erheblich weniger edel begründeten.

Er engagierte sich für Hillel und führte die antisemitische Bewegung an. Seine Moderationen für den Studentensender brachten ihm eine begeisterte Zuhörerschaft, die seinen Stil mit dem bissigen Humor eines Ernie Kovacs verglichen.

Nach dem Abschluß arbeitete Harry als Produktionsassistent beim Fernsehen. Abends nahm er dann die U-Bahn zum Snickers. Er beobachtete die Stammgäste, fügte diese Beobachtungen mit seinen Rundfunkerfahrungen und seinen ganz persönlichen Lektionen in Selbstkontrolle und Gruppendynamik zusammen und wurde Alleinunterhalter.

Allmählich verdiente er damit das erste Geld. Er hatte Gastauftritte bei Mike Douglas und Merv Griffin und in einer Sondersendung mit Dinah Shore. Das Publikum liebte Harry; er war nicht bösartig, er blieb sauber und er hatte eine mitreißende Art, Bruchstücke des Alltags herauszupicken und ihnen jenen komischen Extradreh zu verleihen, der alle Tränen lachen ließ.

Eines Abends war er im Improv und probierte dort neues Material aus. Nach seinem erfolgreichen Auftritt kam ein anderer Künstler, ein cleverer, im Aufstieg begriffener Komiker namens Ronald Brale, auf ihn zu und schlug vor, sie sollten noch ins Copacabana gehen. Im Tiefparterre unter dem berühmten Club gab es eine private Bar mit freien Getränken und kaltem Büfett für die großen Künstler, die vorbeikamen. Harry und Ronald unterhielten sich mit Steve Lawrence und Robert Goulet, dann mit Myron Cohen.

Schließlich leerte sich der Raum, und die beiden gossen sich einen letzten Cognac ein.

Ronald stellte gerade die Flasche wieder zurück, als Boomer Picard, der Geschäftsführer, hereinkam. »Was macht ihr beiden Verlierer denn hier?«

»Wir trinken Cognac«, erwiderte Ronald.

»Werdet nicht auch noch unverschämt!« Boomer gab Ronald einen Stoß. »Ich hab euch nicht reinkommen sehen, sonst hätte ich das verhindert. Diese Bar hier ist nicht für Amateure. Macht, daß ihr rauskommt. Und bezahlt gefälligst für das, war ihr getrunken habt.«

Ronald schubste zurück. »Leck mich.«

Harry beobachtete, wie die beiden kämpften. Ronald war tapfer, aber Boomer war erheblich schwerer, und jeder wußte, daß er früher einmal Boxer gewesen war. Aber Ronald ließ sich nie etwas gefallen, nicht auf der Bühne und nicht im Alltag.

Wieder schubsten sie einander, und Boomer stürzte, stieß mit dem Kopf gegen die schmiedeeiserne Fußleiste der Bar.

Es gab ein unangenehmes Geräusch. Nach einem Augenblick der Erstarrung knieten sich Ronald und Harry hin, dann standen sie wieder auf.

Boomer war tot.

Harry kam hervorragend mit der Polizei zurecht. Einige Cops wußten, wer er war, und wollten ein Autogramm. Sie waren durchaus bereit, seine Aussage zu akzeptieren, daß Boomer über eine lockere Teppichkante gestolpert und sofort tot gewesen war.

Harry hatte Ronald gedeckt, ohne nachzudenken. Später, als er bequem im Sessel in seiner Wohnung saß, fand er die Erklärung für sein Verhalten.

Er brauchte es, daß jemand wie Ronald ihm etwas schuldig war. Er brauchte Protektion. Einige seiner alten Bedürfnisse aus der Zeit in Craig Head kehrten zurück. Er schwor sich, er würde dagegen ankämpfen, aber das hatte er schon zuvor getan, und war dennoch hilflos gewesen, wenn die Begierde ihn übermannte. Es half ihm nicht immer, irgendwelche Obdachlosen zu verprügeln. Und hier in New York waren die Polizisten nicht so bemüht, alles unter den Teppich zu kehren wie damals in Craig Head.

Ronald war klug und zuverlässig und geldgierig. Er fügte anderen gern Schmerz zu, das hatte Harry an seiner Körpersprache gesehen, an seinem beschleunigten Atem.

Harry wußte noch nicht, wofür er Ronald einmal brauchen würde, und sein besseres Selbst fürchtete sich davor, diese Bekanntschaft überhaupt ausnutzen zu müssen. Aber ein Star zu werden war für Harry wichtiger als alles andere, und er war auf dem Weg. Und wenn er sich die Bedingungen sachlich betrachtete, mußte er zugeben, daß er bei diesem Aufstieg früher oder später Protektion brauchen würde.

Die nächsten Jahre waren wunderbar. Harry wurde von der Paul-Wundring-Agentur angenommen; er konnte es sich leisten, Auftritte abzulehnen; er wurde in der Öffentlichkeit wiedererkannt.

Er unterhielt ein aktives und gesundes Sexualleben. Es gelang ihm, seine Phantasien Phantasien bleiben zu lassen. Brale wurde nicht gebraucht, aber Harry bezahlte ihn regelmäßig, angeblich für neues Material, aber man wußte ja nie. Wer eine Reiseversicherung abschließt, glaubt auch nie, sie jemals nutzen zu müssen.

Hin und wieder mußte sich Harry aus eigener Kraft schützen. Eine Fernsehshow wechselte den Produzenten, und die Nachfolgerin hatte ihre eigenen Favoriten und wollte Harry nicht übernehmen; sie rief ihn nicht zurück, wollte nicht mal mit ihm essen gehen. Also ließ Harry eine erfundene Geschichte durchsickern, sie sei heroinabhängig und lesbisch. Ein freier Mitarbeiter von GQ hatte einen boshaften Artikel über Harry geschrieben; Harry schnüffelte herum, fand heraus, daß der Journalist mit Kokain dealte, um seine überzogenen Rechnungen zu bezahlen, und zeigte ihn an. Er stellte auch sicher, daß die Polizei genug Beweise fand, um den Mann längere Zeit einzulochen.

Aber er mußte mit diesen Dingen aufhören. Er liebte das Showgeschäft zu sehr, um sich mit dessen schmutzigerer Seite beflecken zu wollen. Und es wurde einfach zu gefährlich. Das Risiko war nicht mehr zu rechtfertigen. Er würde Brale benutzen, falls er wieder in Schwierigkeiten kommen würde.

Harry war außer sich vor Freude, als er seine erste tägliche Fernsehshow bekam, in der alle Berühmtheiten auf lässigen Barhockern saßen und von ihm interviewt wurden. Es war ein bescheidener Erfolg, gewann ihm weitere Bewunderer. Gutaussehend, umgänglich und einnehmend, konnte Harry jedem ein Lächeln entlocken, aber seine größte Stärke lag darin, auch die säuerlichsten Gäste dazu zu bringen, sich selbst witzig zu finden. Er siebte und hakte nach, bis er herausgefunden hatte, was ihnen gefiel, dann nutzte er das, baute es auf, spielte auf diese Seite seiner Gäste direkt an. All das brauchte nur Minuten, und die Gäste hatten hinterher das Gefühl, wunderbar gewesen zu sein. Sie konnten es kaum erwarten, wiederzukommen.

Schließlich setzte jedoch ein anderer Sender eine beliebte Serie gegen ihn ein, Harrys Einschaltquoten ließen nach, seine Sendung wurde abgesetzt. Inzwischen besaß Harry ein Penthouse und verkroch sich darin, versuchte, das überwältigende Gefühl des Versagens abzuschütteln. Er bestellte sogar die Lebensmittel per Telefon.

Seine Schwester Monica, frisch geschieden, war gerade nach Vermont zurückgezogen und kam mit ihren beiden Kindern, dem achtjährigen Adam und der zehnjährigen Debbie, für zwei Wochen zu Besuch nach New York. Sie erklärte leicht beschämt, sie werde den Namen ihres Exmannes, Wool, behalten. Sie hatte Schuldgefühle, daß sie nicht Harrys Beispiel gefolgt war und den Namen ihres Vaters wieder angenommen hatte.

Harry schluckte seine Mißstimmung herunter und spielte die Rolle des erfolgreichen Fernsehstars, wie es von ihm erwartet wurde; er führte seine Verwandten in den Studios herum. Alle dort grüßten ihn mit Küßchen und Handschlag, und er wurde mehrmals um Autogramme gebeten. Das half, sein Versagensgefühl ein wenig zu lindern. Er spürte langsam wieder Aufwind.

Es dauerte nicht lange, bis Paul Wundring Harry mit dem Vorschlag einer Comedy-Serie anrief. Die Tatsache, daß der Leiter der Agentur ihm diesen Vorschlag persönlich unterbreitete, sagte Harry mehr als deutlich, von welcher Bedeutung dieses Projekt war.

Sie drehten einen Pilotfilm für Scott, in dem Harry die Titelrolle spielte, einen liebenswerten schlaffen Kleinstadtanwalt. Es gelang ihm, die Dialoge zu seinem Vorteil zu verändern, sie komischer zu machen, ohne die Autoren zu verärgern – was eigentlich für unmöglich gehalten wurde. In Harrys Interpretation verlor die Hauptfigur ein wenig von ihrer Tölpelhaftigkeit, gewann Bauernschläue hinzu, war weniger albern als einfach gesellig und lustig. Harrys gutes Aussehen und sein attraktives Lächeln setzten einen guten Kontrapunkt zu Scotts Naivität. Adrienne Grunwald war als Scotts Frau die perfekte Besetzung. Ihre vergnügt-sarkastischen Kommentare hoben die Figur des Anwalts nur noch mehr hervor.

Harry zahlte Ronald Brale weiterhin »Honorare« für »Material« – obwohl Ronald längst nicht mehr im Alleinunterhalter-Geschäft arbeitete; und beide verstanden, um was es ging, obwohl es nie zur Sprache kam.

Hin und wieder, als seine Karriere steil nach oben verlief, überlegte Harry, ob er sich nicht von diesem Mann trennen sollte. Aber nun war er sehr froh, es nicht getan zu haben.

Sheila Dannenbring hatte die wunderschönsten Augen, die Harry je gesehen hatte, und das sagte er ihr auch.

»Mein einziger guter Zug«, sagte sie und goß ihm Champagner nach.

»Aber nein!« Harry nahm ihre freie Hand und drehte sie so, daß ihre langen, schlanken Finger anmutig auf seinem Handgelenk lagen. »Sie haben wunderschöne Hände, und ... Ich kenne Sie nicht gut genug, um das fortzusetzen.«

Beide lachten.

»Danke, daß ich mich trauen konnte, Sie um ein Autogramm zu bitten«, meinte Sheila. »Wir dürfen eigentlich die Erster-Klasse-Passagiere nicht mit so etwas belästigen, aber ich konnte ›Scott‹ einfach nicht widerstehen.«

Die Serie war noch in der ersten Staffel und bereits von CBS übernommen worden, aber Harry war noch nicht an die Ehrfurcht gewöhnt, die Fernsehstars entgegengebracht wurde. Er wurde rot, begann zu stottern, grinste und meinte schließlich: »Ich Ihnen auch nicht.«

Harry und Sheila heirateten sieben Monate später, und nach einem knappen Jahr bekamen sie einen Sohn. Sheila wollte ihn Robert nennen, aber Harry bestand auf Joshua, aus Loyalität gegenüber seiner Abstammung.

Die Ehe verlief nicht ohne Spannungen. Nach anfänglichem Erfolg war das Schicksal der Serie für zwei Jahre relativ ungewiß, und obwohl sich nie einer der wichtigen Leute am Telefon verleugnen ließ, war die ständige Unsicherheit doch eine schwere Bürde. Manchmal spürte Harry, wie seine Magensäure ihn auffraß. Wenn es ihm derart elend ging, konnte es sein, daß er seine Stimmungen unangemessen auslebte. Und der kleinste Ärger zu Hause konnte so etwas auslösen.

Er haßte sich selbst dafür, daß diese Seite ans Tageslicht trat, und versuchte, es zu verhindern. Wenn er sich versucht fühlte, Sheila zu schlagen oder mit Gegenständen um sich zu werfen, zog er sich die Shorts an und joggte im Central Park. Hin und wieder verschaffte er sich Erleichterung, indem er jemanden zusammenschlug.

Josh war zwei, als Harrys bis dahin unfehlbares Sicherheitssystem zum erstenmal Sheila gegenüber versagte. Er hatte gerade einen weiteren Absturz in den Zuschauerzahlen hinnehmen müssen, und ihm war übel vor Sorge. An diesem Abend stellte Sheila den Fernseher zu laut, und das letzte, was Harry brauchte, war zu erleben, wie andere einen Job erledigten, den er vielleicht nicht mehr lange haben würde.

Er brach Sheilas Arm an vier Stellen.

Selbstverständlich war das das Ende der Ehe, und Harry war wütend auf sich selbst. Aber er würde seinen Sohn nie hergeben, und er würde sein Image als Scott nicht verletzen lassen. Er mußte aufräumen.

Er brachte Josh zu Brale und drohte Sheila, daß dem Jungen etwas zustoßen würde, wenn sie mit ihrem Privatleben an die Öffentlichkeit ginge oder versuchte, das Sorgerecht für Josh zu bekommen. Sheila hatte keine Ahnung, daß er nur so tat als ob. Er konnte sie überzeugen, sein Leben und das seines Sohnes für immer zu verlassen.

Harry war entschlossen, ein guter Vater zu sein. Josh würde sich nie fragen müssen, wo er war.

Dieses Versprechen hielt er. Er unterhielt Josh mit denselben Geschichten, die er als Junge gehört hatte, über die vergangene Mischpoke und ihr Federkissen-Geschäft, aber er flüsterte nicht, wie sein Vater es getan hatte; er trompetete es laut heraus.

Scott konnte sich im Sendeplan halten. Die Serie kletterte in die Top Ten und erhielt regelmäßig Emmys. William Paley bedachte Harry und Adrienne mit Geschenken aus solidem Gold und nannte sie »die Diamanten von CBS«.

Scott war Harrys Leben, ebenso wie Josh. Harry gestaltete seinen Stundenplan so, daß er dem Jungen reichlich Aufmerksamkeit zuwenden konnte. Er schrieb Josh in einer Hebräischschule ein und lernte zusammen mit ihm.

Über seine eigene Kindheit sprach er nicht viel. Er wich Fragen aus und log, wenn es sein mußte. Er erfand eine Kindheit in Atlanta, für den Fall, daß er Einzelheiten erzählen mußte. Ein Praktikum, das er in seiner Collegezeit dort abgeleistet hatte und das ihn vom Botenjungen zum Produktionsassistenten geführt hatte, gab der Promotion-Abteilung von CBS genug zu Kauen, wenn sie eine Heimat für Scott brauchten.

Wenn Josh nach seiner Mutter fragte, erklärte Harry betrübt, wie krank sie sei, krank im Kopf, zu krank, als daß man ihr ihr Kind je anvertrauen könnte ... Sie war schon vor Jahren verschwunden, und niemand wußte wohin.

Dann kam jener schreckliche Sonntag im Februar 1985, als Adrienne Grunwalds weißer Corvette im Nieselregen auf dem Ventura Freeway ins Schleudern geriet und von einem Müllwagen aufgeschlitzt wurde. Adrienne war sofort tot. Ihr Airedale Sherman blieb unverletzt.

William Paley überbrachte Harry persönlich die Nachricht von der Einstellung der Serie; nicht, daß das überraschend gekommen wäre. Harry wußte, man konnte dem amerikanischen Publikum eine künstliche Familie verkaufen, aber nicht die Wiederauferstehung eines derart betrauerten Familienmitglieds, und das war Adrienne ganz bestimmt. Harry selbst hatte echte Tränen geweint, Sherman auf dem Schoß, als er bei einer Gedächtnissendung zu Ehren Adriennes seine Lieblingsszenen und Anekdoten von der Produktion erzählte.

An diesem Abend ging Harry zu den Docks am West Side Highway. Er suchte sich sein Ziel, einen taumelnden Süchtigen mit schmutzigem Bart, und wollte gerade zuschlagen – die Wut durchströmte bereits seinen ganzen Körper –, als der Mann sich plötzlich zur Seite duckte, um sich eine Zigarette anzuzünden. Die Körpersprache änderte sich schlagartig. Harry wich tiefer in den Schatten zurück und beobachtete entsetzt, wie der Mann sich geschickt die Zigarette anzündete und dann wieder in seine Rolle zurücksackte, als er aus dem Versteck kam.

Ein Polizist. Ein Lockvogel.

Waren sie hinter ihm her? Nein. In New York kümmerte sich niemand darum, wenn Penner zusammengeschlagen wurden, sie prügelten sich ununterbrochen untereinander. Der Cop wartete vermutlich auf irgendwelche Jugendbanden, die dazu übergegangen waren, Obdachlose anzuzünden.

Aber Harry war entsetzt, erschrocken, wütend. Beinahe wäre er in die Falle gegangen.

Schnell verließ er die Gegend und ging zur Bowery. Am Ende einer Gasse fand er einen ausgemergelten alten Knaben, der nichts anderes sein konnte als er selbst. Harry begann mit dem Gesicht, schlug dem Kerl die wenigen verbliebenen Zähne aus. Er dachte daran, wie wunderbar es gewesen war, Scott zu sein, als er auf die Zehen des Mannes einschlug und wild vor sich hinkeuchte.

Es gab eine Reihe von Gastauftritten in den morgendlichen und spätabendlichen Talkshows, und dann nichts mehr. Als Harry eines Morgens mit Josh frühstückte, dachte er daran, wie sehr die Behandlung, die ihm in der Unterhaltungswelt zuteil wurde, derjenigen ähnelte, die man als trauernder Hinterbliebener erlebte: Zuerst wirbelten alle um einen herum, dann kehrten alle zu ihren Einkaufslisten zurück und vergaßen einen.

Aber er hatte sich angestrengt, und Paul zog an den richtigen Strängen, und Harrys langwährende Liebesaffäre mit der Unterhaltungsindustrie war noch in ihrer Blüte. Die Leute liebten ihn; nicht nur die Zuschauer, sondern auch die Regisseure und Produzenten und die anderen Schauspieler. Sein Ruf als jemand, mit dem man gut zusammenarbeiten konnte, der anderen half, sich besser darzustellen, war so stark wie eh und je.

Er bekam diverse Nebenrollen in Kassenschlagern. Er trat im Fernsehen auf. Er sprang für Johnny ein.

Es hatte schon seit Jahren Gerüchte gegeben, daß Carson sich zurückziehen wolle. Einige neue Namen wurden ins Spiel gebracht. David Letterman, Jay Leno und Harry Kravitz.

»Auf einer Wahrscheinlichkeitsskala von zehn«, sagte Paul Wundring eines Tages im Dezember 1990, als sie unter den Fichtenzweigen saßen, die das La Cirque dekorierten, »erreichst du schätzungsweise acht Punkte. Letterman hat neun, und Leno sechs. So sagt man jedenfalls.«

Harrys Herz brannte. Er versuchte, ruhig weiterzuessen, aber Paul durchschaute ihn.

Er packte Harrys Handgelenk. »Das ist unglaublich, oder? Du schleppst dich weiter, durch dick und dünn, und beinahe, beinahe ... und dann passiert’s. Der Durchbruch. Du bist ganz oben.«

Harry sah Paul in die Augen. Er war überwältigt. »Ich hoffe ... o Gott ...«

Die Gerüchte gingen weiter. Nichts war entschieden. Harry kam nach Hause und fand Josh am Telefon, am falschen Telefon, an seinem Geschäftsanschluß.

Harry war entsetzt. Was, wenn Paul versucht hatte, ihn zu erreichen?

Er begann zu brüllen. Josh durfte diesen Anschluß nicht benutzen, das wußte er doch.

Während Josh noch um eine Entschuldigung rang, klingelte das Telefon. Paul. Harry wußte, das war der Anruf. Harry würde der größte Star der Welt werden, er hatte es die ganze Zeit gewußt, und nun würde er es erfahren. Nichts konnte ihn halten, nicht Letterman, nicht Leno, nicht einmal Carson selbst oder ein besetztes Telefon.

Aber Paul rief nur an, um zu fragen, ob Harry ein gutes koscheres Restaurant kannte.

Harry beendete das Gespräch und legte auf. Josh entschuldigte sich weiter. Harry hörte nicht, was er sagte, nur das Summen, dieses nervtötende insektenhafte Summen von Geräuschen, die seine Aufmerksamkeit forderten, während sein Blut rauschte.

Wann würde dieses Warten, diese Spannung, je aufhören? Es trieb ihn in den Wahnsinn. Und Paul, wie konnte Paul so unsensibel sein, wenn er doch wußte, daß Harry wartete?

Paul hätte ihn nicht belästigen dürfen. Josh hätte ihn nicht belästigen dürfen.

Harrys Wut wurde größer, und auch das Summen wurde lauter, und plötzlich wußte er, was man mit störenden Insekten machte. Man drückte sie an die Wand.

Auf Liebe und Tod

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