Читать книгу Auf Liebe und Tod - Molly Katz - Страница 11
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Оглавление»Sie brauchen sich uns nicht vorzustellen, Dr. Alvarez«, sagte der WCBS-Ansager. »Sie sind eine der bekanntesten Ärztinnen des Landes.«
Caron schloß die Augen. »Danke.«
»Wir danken Ihnen, daß Sie uns angerufen haben. Sind Sie bereit? Wir gehen auf Aufnahme.«
Caron packte den Hörer des Münzfernsprechers fester, damit er ihr nicht aus der schwitzenden Hand rutschte. »Ich habe gerade den Aufruf meines Mannes auf Ihrem Sender gehört. Ich habe keinen Hirntumor. Ich habe überhaupt keine körperlichen Probleme außer denen, die dadurch verursacht wurden, daß mein Mann mich heute abend angegriffen hat.« Caron hielt inne, schluckte, atmete zitternd tief ein und fuhr fort. »Harry Kravitz hat mich geschlagen und vergewaltigt. Er hat mich an Mund, Ohren und Armen gebissen. Er hat mich an so vielen Stellen getreten und geschlagen, daß ich sie nur noch anhand der Schwellungen und Prellungen aufzählen kann. Er hat mein vaginales und anales Gewebe durch ... durch gewaltsames Eindringen verletzt.«
Caron biß die Zähne zusammen, damit sie nicht mehr klapperten. Wie schon zuvor auf dem Revier brauchte sie ihre gesamte Selbstbeherrschung, um ihre Geschichte so sachlich erzählen zu können.
»Während dies geschah, kam mein Stiefsohn ins Zimmer, sonst wäre ich jetzt vielleicht tot. Harry hat gesagt, er werde mich umbringen. Er wird mich umbringen. Jemand hat mich bereits mit einem Messer angegriffen.«
Caron dachte daran zu erläutern, daß Harrys angebliche Botschaft an Josh »Ich werde dich finden« eigentlich als Drohung gegen sie selbst gemeint war, aber als sie das noch einmal durchspielte, bemerkte sie, daß sich das nur nach Verfolgungswahn anhören würde.
Sie wußte, was Harry hatte sagen wollen. Aber keiner der Hörer würde das begreifen, und ihre Zweifel würden sich danach auch auf alles andere ausdehnen, was Caron gesagt hatte.
Der Ansager fragte: »Jemand hat Sie mit einem Messer angegriffen? Wer?«
»Ich kannte den Mann nicht. Aber ich weiß, daß Harry ihn geschickt hat.«
Nach kurzem Zögern fragte der Ansager: »Ist Mr. Kravitz jemals zuvor gewalttätig geworden?«
»Nein. Er wurde mitunter laut und wütend, und es hat einige sogenannte Unfälle gegeben...«
»Was ist dieser Auseinandersetzung vorausgegangen?«
Auseinandersetzung? Nein. Aber Caron war nur zu bereit zu antworten. »Mein Stiefsohn machte sich Sorgen, weil Harrys Laune in der letzten Zeit immer schlechter geworden war. Er hatte Angst, daß Harry ihm weh tun würde. Als ich Josh fragte, ob so etwas schon jemals zuvor geschehen sei, fand ich heraus, daß Harry ... vor drei Jahren Joshs Nase gebrochen hat, indem er ihn mit dem Kopf gegen eine Wand stieß. Angeblich hatte der Junge sich den Bruch bei einem Sturz zugezogen, und ich selbst war ... war die Ärztin, die den Bruch gerichtet hat.«
»Damals haben Sie Harry kennengelernt?«
»Ja.«
»Sie behaupten also, daß Ihr Mann lügt?«
»Er lügt.« Caron holte tief Luft und versuchte verzweifelt, sich die Tränen zu verbeißen. »Ich ... Ich habe Harry geliebt. Wir haben einander geliebt. Das dachte ich wenigstens. Er war der wunderbarste ...
Das alles ist nicht meine Schuld. Ich habe keinen Hirntumor, und ich erfinde all diese Anschuldigungen nicht, weil ich ... weil ich krank bin. Ich habe Harry auf das angesprochen, was Josh mir erzählt hat, und er hat sich auf mich gestürzt. Aber es geht nicht nur um mich. Es geht auch um meinen Sohn. Josh wird es Ihnen selbst sagen. Einen Augenblick bitte.«
Mit feuchter Hand reichte Caron das Telefon an Josh weiter. Sie hörte zu, während er erklärte, was er gesehen hatte. Er stotterte hin und wieder, aber er berichtete alles genauestens, ohne etwas dramatisch auszumalen. Er erklärte, wie verwirrend das alles für ihn sei. Das Blut erwähnte er nicht.
Caron versuchte sich vorzustellen, wie Josh auf einen neutralen Zuhörer wirken mochte. War er überzeugend? Oder würden die Leute denken, sie hätte das mit ihm eingeübt?
Sie liebten Harry. Sie sahen jede seiner Sendungen, machten Witze über Harry in ihrem Schlafzimmer. Auf der Straße grüßten sie ihn mit entzücktem Lächeln. Viele nannten ihn immer noch Scott.
Sie wußten wenig von Caron, sie kannten nur diese kubanische Ärztin, Harrys Frau, ein Gesicht in Zeitschriften wie People.
Jetzt erzählte Josh von seiner Nase, und seine Stimme war fester, seine Angst deutlicher.
»Ich hab es nie jemandem erzählt«, sagte Josh ins Telefon. »Mein Dad hat mich darum gebeten. Er hat geweint. Er sagte, er würde mir nie wieder weh tun, und das hat er auch nicht. Aber so, wie er sich die letzte Zeit benommen hat ... Immer hat er geschrien und manchmal Sachen umgeworfen...«
Der Ansager hatte ihn offenbar gefragt, ob Harry etwas nach Menschen geworfen habe.
»Nein«, sagte Josh, »nur auf den Boden oder an die Wand.« Er lauschte der nächste Frage, dann sagte er: »Ja, mein Dad fehlt mir. Ich wünschte...« Seine Stimme brach, und er schluchzte leise.
Einen Augenblick später wischte er sich die Augen und sagte zu Caron: »Er will wissen, wo wir sind.«
Caron nahm den Hörer. »Das kann ich Ihnen nicht sagen.« Sie rang nach Worten, wollte sagen, daß ihrer beider Leben davon abhing, daß Harry sie nicht fand, aber die Phrasen aus billigen Filmen, die ihr einfielen, waren schlimmer als Schweigen.
Sie legte auf.
»Das war ziemlich unheimlich«, sagte Josh, nachdem er wieder ins Auto gestiegen war und die Knie am Armaturenbrett abgestützt hatte. »Was, wenn uns jemand am Telefon gesehen hat, der in diesem Augenblick gerade Radio hörte?«
»Es war keine Direktübertragung. Sie haben einen Bandmitschnitt gemacht.« Caron schaltete das Radio ein. Einen Augenblick später konnte sie sich selbst hören, und dann Josh.
»Wie Plastik«, stöhnte Josh, als es vorüber war. »Es klingt so unwirklich. Als wären wir diejenigen, die alles nur erfunden haben.«
Caron erinnerte sich an ein Poster im Frauenhaus, auf dem ein Mann und eine Frau jeweils ihre Version der Ereignisse erzählt hatten. Die Frau hatte hysterisch ausgesehen, der Mann ruhig. Und darunter hatte gestanden: »Er lügt besser, als sie die Wahrheit sagen kann.«
Caron bemerkte, daß die Moderatoren immer noch über sie sprachen, und stellte den Ton wieder lauter.
»Wir haben jetzt Dr. Edwin Nusser aus Boca Raton in Florida am Telefon. Dr. Nusser hat darum gebeten, eine Erklärung über die Harry-Kravitz-Geschichte abgeben zu dürfen. Bitte, Doktor.«
»Ich habe nach dem Hurrikan Andrew mit Dr. Alvarez zusammen hier in Florida gearbeitet. Dr. Alvarez ist eine Heldin, und Hunderttausende wissen das. Wenn sie sagt, daß körperlich alles mit ihr in Ordnung ist, dann stimmt das auch. Wenn sie sagt, man hat sie angegriffen, dann ist das die Wahrheit. Die Integrität von Dr. Alvarez steht außer Frage. Ich möchte gern der erste sein, der ihr öffentlich alle Hilfe anbietet, die sie brauchen kann, und ich bitte sie innig, sich bei mir zu melden.« Er gab eine Nummer an.
Caron nahm einen Stift aus der Handtasche und schrieb die Nummer mit.
»Wirst du ihn anrufen?« fragte Josh.
»Ja. Aber er kann nichts für uns tun.«
Josh meinte: »Vielleicht werden sich noch mehr Leute auf unsere Seite stellen.«
»Darauf solltest du lieber nicht hoffen. Ich bin bei vielen Ärzten nicht sonderlich beliebt. Und deinen Dad liebt die ganze Welt. Erwarte nicht, daß die Leute wirklich glauben, daß Harry Kravitz sein Kind und seine Frau schlägt.«
Josh packte Carons Handgelenk. »Wieso versuchen wir dann, irgendwem was zu erklären? Wieso dieser Anruf beim Sender? Wozu war das gut?«
»Wir mußten auf das antworten, was dein Dad gesagt hat, weil wir es uns nicht leisten können, nicht zu antworten. Aber wir dürfen nicht viel erwarten.« Caron beschleunigte und hörte ein dumpfes Rasseln im Buick. »Danke, daß du mir beigestanden hast. Das war unsere einzige Chance.«
»Ich hab dir geholfen?«
»Auf jeden Fall. Ansonsten hätte mein Wort gegen das deines Vaters gestanden.«
»Alle lieben Dad. Das war immer schon so.«
»Nicht immer. Das kann nicht sein. Er muß auch anderen weh getan haben. Man wird nicht plötzlich so spät im Leben gewalttätig. Wieso hat er sich von deiner Mutter getrennt?«
»Du weißt doch. Sie ist verrückt. Sie hat mich nie auch nur sehen wollen.«
Caron warf ihm einen kurzen Blick zu, dann konzentrierte sie sich wieder auf die Straße. »Und wenn das gar nicht wahr wäre?«
Josh überlegte einen Augenblick lang. »Du meinst, sie ist vielleicht gar nicht verrückt und Dad hat nur gelogen? Aber wieso hat sie dann einen Zweijährigen weggeschickt? Wieso hat sie nie Kontakt mit mir aufgenommen?«
»Das weiß ich nicht. Aber wenn dein Vater das so wollte, dann hat er sicher dafür gesorgt.«
»Glaubst du, das könnte er?«
»Er könnte alles.«
Josh ließ sich zurücksinken. Er rieb sich den Kopf, als hätte er Kopfschmerzen. Tränen liefen ihm über die Wangen. Caron tätschelte seine Schulter.
»Wenn er alles kann«, schluchzte Josh, »dann kann er uns auch finden.«