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Mittwoch, 27. April 1994

Es war der erste wirklich warme Tag im Frühling. Sean hoffte, dass er ein Vorbote des zukünftigen Glücks war. Nicht, dass er bisher einen Grund zur Beschwerde gehabt hätte.

Er stand auf dem Bürgersteig und betrachtete die Vorderfront des Restaurants. Die Hand hatte er über die Augen gelegt, um noch einmal das Bobby’s-Schild zu bewundern. Grüne und gelbe Neonröhren, so wie er es gewollt hatte. Seine Mutter hatte befürchtet, es könnte billig wirken, aber es sah großartig aus. Sie waren ja nicht in irgendeinem Vergnügungsviertel. Ein steifer Vorort wie Rye konnte durchaus ein wenig Neon vertragen. Er schrie geradezu danach.

Er ging wieder nach innen. Auf den mit blassgelben Tischtüchern bedeckten Tischen standen kleine Vasen mit mangofarbenen Rosen. Sie hatten ein Vermögen gekostet, aber sie waren es wert. Er hätte auch Freesien nehmen können. Die hätten sehr hübsch ausgesehen und sich sehr viel länger gehalten, aber er wusste, dass es vor allem auf die Details ankam, wenn man ein Ambiente schaffen wollte, das die Menschen verzauberte.

Der Tresen am hinteren Ende des Raumes war aus terrakottafarbenem Granit. Dort würden die Kellner die Gerichte abholen. Dahinter wurde die Küche sichtbar, nicht die ganze natürlich, aber gerade so viel, dass eine Stimmung wie auf einer Party irgendwo auf einem Landgut entstand, umgeben von verführerischen Gerichten und Gerüchen. Sean hatte im Verlauf seiner vorbereitenden Recherchen viele Restaurants mit offenen Küchen gesehen, mit zu offenen Küchen. Verschmutzte Pfannen und Tomatensamen waren kein appetitlicher Anblick. Im Bobby ’s waren nur einige wenige Gasflammen sichtbar, dazu Schüsseln voller klein gehackter Kräuter und Krüge mit Olivenöl. Die Spülen und Arbeitsflächen verbargen sich hinter einer Wand aus aufgehängten Töpfen und Zwiebelgirlanden.

Christine Silvi, die Küchenchefin, kam aus der Küche und hielt ihm eine geöffnete Auster unter die Nase.

»Schlecht«, sagte er. »Verdammt. Wie viele?«

»Zu viele. Ich habe Stichproben gemacht«, antwortete Christine. »Die ganze Lieferung muss zurückgeschickt werden. Wollen Sie McManus einen Anschiss verpassen oder soll ich?«

»Das mache ich selber, später. Zunächst müssen wir uns eine Alternative überlegen.«

Sie gingen zum Empfangstresen. Sean griff nach dem Blatt, auf dem die Spezialitäten für den Abend notiert waren, und hielt es so, dass sie beide darauf schauen konnten.

»Drei kalte Vorspeisen«, sagte Christine. »Wenn wir die Florentinischen Austern und Schalotten-Pastetchen als Hors d’œuvre einfach weglassen, ist die Speisekarte unausgewogen. Aber die Idee mit den Florentinern hat mir eigentlich sowieso nie gefallen. Wenn Gott gewollt hätte, dass Austern mit Beilagen serviert werden, dann hätte er sie gleich mit Spinat geschaffen.«

Christine lächelte. Dabei zogen sich ihre Mundwinkel nach oben wie bei einer Kürbisleuchte an Halloween. Dieses Lächeln war ihm schon während des Bewerbungsgesprächs aufgefallen. Er hatte sie extra nach New York einfliegen lassen, nachdem er sich im Wildfire in Boston von ihren Kochkünsten überzeugt hatte.

Sean lächelte zurück. »Ich fange lieber gar nicht erst an, mich mit Ihnen darüber zu streiten.«

»Lassen Sie’s. Eine Kombination aus weiblicher und Chefkoch-Logik. Dafür bezahlen Sie mich.«

Sean dachte eine Minute lang nach und sagte dann: »Wir drucken die Karte mit den Abend-Spezialitäten neu, ohne die Austern. Im Bobby’s geht es ums Essen, nicht um die kulinarische Ausgewogenheit der Speisekarte. Wir sollten unsere Energie lieber in die vorgesehenen Gerichte stecken, als uns jetzt abzustrampeln, um noch ein warmes Entrée aus dem Hut zu zaubern.«

»Sie sind der Chef.«

Sie ging zurück in die Küche und Sean sah ihr nach. Ihr schmaler, schlanker Körper sah in dem wadenlangen Seidenrock, den sie unter der Schürze trug, wunderbar aus. Ihre respektlose Art gefiel ihm genauso gut wie ihr sarkastischer Humor. Vom ersten Gespräch an hatte er die besondere Chemie zwischen ihnen gespürt, und er nahm an, dass es ihr genauso gegangen war. Aber jetzt hatte er erst einmal ein Restaurant zu eröffnen…

Die offizielle Eröffnung des Bobby’s sollte am Sonnabend stattfinden. Er hatte beschlossen, inoffiziell heute zu beginnen. Den Druck ein wenig herausnehmen, ein paar Tage Zeit, um die letzten Startschwierigkeiten aus dem Weg zu räumen. So hatte er sich mit Christine auf eine mehrtägige Generalprobe geeinigt.

Das Vorstadtpublikum konnte sehr kritisch, wählerisch und streng sein. Auf lange Sicht hatte Sean vor, ein zweites Restaurant in einer Großstadt zu eröffnen. Dort war es zwar leichter, die Kunden zufrieden zu stellen, aber wenn es jemandem nicht so gut gefiel, dann blieb er einfach weg. Die Leute hier in Westchester machten es einem zwar schwerer, aber weil die Auswahl längst nicht so groß war, gaben sie einem in der Regel eine zweite Chance.

Er hatte für den Abend einen Anzug ausgesucht. Er trug niemals einen Smoking, das wirkte nur albern. Als Besitzer und Gastgeber musste man repräsentieren, und das war es wohl, wozu einige den Smoking benötigten. Sein Anzug war dunkelbraun, fast schon schwarz, das Hemd kaffeefarben. Die Krawatte enthielt beide Brauntöne sowie einen Hauch olivgrün. Er wusste das, weil man ihm gesagt hatte, dass die Schattierung das Grün seiner Augen intensivierte. So etwas wäre ihm niemals selbst aufgefallen.

Er blickte auf die Wanduhr im Empfangsbereich. Sie gehörte zu seinen liebsten Anschaffungen – eine Antiquität aus einem indischen Eisenbahnwaggon. Das, was er als pures Glück betrachtete, bezeichneten andere als ein überaus geschicktes Händchen bei Aktiengeschäften, und das hatte ihm die Anschaffung dieser und vieler anderer Kostbarkeiten ermöglicht. Sein Haus war, genau wie das seiner Eltern, mit Schätzen aus aller Herren Länder gefüllt.

Falls also Gott und die Gemeinschaft der Esser nichts dagegen einzuwenden hatten, dann war das Bobby’s nur das erste einer ganzen Reihe von Restaurants, die die durchaus substanziellen Investitionen aus seinem Privatvermögen rechtfertigen würden. Es war immer schon sein Wunsch gewesen, Restaurantbesitzer zu sein. Er liebte es, eine schöne Umgebung zu gestalten, in der jedes Detail stimmte. Er genoss die Rolle des Gastgebers, als würde er jeden Abend eine elegante Privatparty geben. Er liebte es, die Wünsche der Menschen zu erfüllen. Und wenn sie wählerisch waren, dann bedeutete das nur, dass ihr Standard sich auf gleicher Höhe mit seinem eigenen befand.

Siebzehn Uhr fünfundvierzig. Um sechs würden die ersten Leute kommen.

»Köpfe hoch«, sagte einer der Kellner. Sean blickte hinüber und sah Menschen vor der Tür. Jetzt ging es los – sein Abend, sein Restaurant, sein Traum.

»Es war spektakulär. Alles«, sagte Nancy Fell.

Sean schüttelte den Kopf. »Nicht alles.«

Sie saßen an einem Sechsertisch – Sean, seine Eltern, sein Bruder, Christine. Die Tische waren abgeräumt und für Mittwoch gedeckt. Der leere Stuhl gehörte Mark Wolf, der oben in seinem Büro saß und rechnete.

Christine nippte an ihrem Sambuca. »Die meisten Entres waren gut. Die Schweinefleischterrine war der Renner. Aber die Krabben haben keinen guten Eindruck gemacht. Ich hätte sie zurückziehen sollen.«

»Die Krabben fand ich auch nicht gut«, sagte Sean. »Sie waren weniger pfefferig zubereitet, als ich es mir vorgestellt hatte. Und außerdem glaube ich, sie hätten auch frischer sein können. Diese gottverdammten McManus-Brüder. Ich muss mich nach einem anderen Meeresfrüchtehändler umsehen.«

Bruce Fell tätschelte Seans Hand. »Könnten wir uns mal dem Positiven zuwenden? Ich habe noch nie im Leben einen besseren Lammrücken gegessen. Was war in der Soße, Christine?«

»Das war eine Weißweinreduktion mit grünen Pfefferkörnern und Crème fraiche. Meine eigene Kreation. Schön, dass sie Ihnen geschmeckt hat.«

»Crème fraiche?«, fragte Nancy. »Ich hätte geschworen, dass das saure Sahne war.«

Christine nickte. »Man hat tatsächlich den Eindruck. Aber die Geschmacksnote ist etwas östlicher. Ich überlege, ob ich gehackte Minze hinzufügen soll. Fast hätte ich das heute schon gemacht, aber dann hat mir im letzten Augenblick der Mut gefehlt.«

Jim füllte ihr Glas mit Sambuca. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie vor etwas zurückschrecken.«

Sie lachte. »Danke. Ich fasse das als Kompliment auf.«

Mark Wolf kam die Treppe herunter. »Nicht schlecht«, sagte er. »Alles andere als schlecht. Hier, seht selbst.« Er ließ die bedruckten Blätter herumgehen.

Bruce sagte: »Es ist mir zwar peinlich, aber ich habe keine Ahnung, was das bedeuten soll.«

Jim beugte sich zu ihm hinüber und zeigte auf verschiedene Stellen. »Das hier sind sämtliche Betriebskosten, umgerechnet auf einen Abend. Das hier ist die Anzahl der Essen. In dieser Spalte stehen die Getränke, und die Einnahmen ganz rechts. Also ist das da unten der Gewinn von heute. Das, was ›unter dem Strich‹ herausgekommen ist.«

»Fast sechstausend«, sagte Nancy. »Ausgezeichnet.«

Christine und Sean schüttelten den Kopf. »Das ist gut«, sagte Sean, »hat aber noch keinerlei Aussagekraft. Es wird Monate dauern, bis wir wirklich wissen, wo wir stehen.«

Christine ergänzte: »Nun ja, bis zur ersten grundsätzlichen Kritik dauert es nicht mehr so lange. Und davor habe ich wirklich Angst. Mit den Krabben muss ich wieder ganz von vorne anfangen. Und vielleicht etliche Vorspeisen von der Karte nehmen. Schließlich will ich nicht, dass man mich einer zu ambitionierten Speisekarte bezichtigt.«

Nancy lachte. »Jetzt hört euch die beiden an. Ich möchte euch an Bruces Worte erinnern: Denkt positiv. Auf den Nägeln kauen könnt ihr noch lange genug. Jetzt freut euch doch an dem, was ihr heute Abend geschaffen habt. Ein wunderbares Essen in eleganter Atmosphäre. Fast zweihundert zufriedene Gäste. Alles wird gut.«

Ohne jede Schuld

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