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Samstag, 14. Mai 1994

Die Sonne schien durch das Oberlicht in der Küche und fiel auf eine Schüssel mit gehacktem, violettem Basilikum. Der Duft war eine Spur würziger als der des grünen Basilikums und sollte mit vollem Recht einem Salat aus Tomaten, Mais und gelbem Paprika als Krönung dienen. Christine sog den Duft ein und dachte über das passende Dressing nach. Reisweinessig war zu süß, Balsamico zu schwer. Wenn es nach ihr ginge, würde Balsamico aus ihrer Küche sowieso verbannt werden. Er wurde viel zu häufig benutzt, genau wie sonnengetrocknete Tomaten. Sean wollte aber, dass sie ihn in bestimmten Reduktionen verwendete. Sie diskutierten immer wieder von neuem darüber.

Es machte ihr Spaß, sich mit Sean zu streiten. Er wog jedes ihrer Worte sorgfältig ab, bevor er ihr antwortete. Dann strich er sich seine wunderbaren Haare zurück, schaute ihr direkt in die Augen und äußerte behutsam und voller Respekt seine Meinung. Sein Blick brachte sie jedes Mal um den Verstand. Es war mehr als bloßer Augenkontakt, das war Augensex.

Es wäre herrlich gewesen, einen Schritt weiterzugehen. Sie hatten den Tanz schon begonnen. Sie wusste gar nicht genau, wie sie den nächsten Schritt gerne gehabt hätte, oder wann er stattfinden sollte. Aber die Dinge würden sowieso ihren Lauf nehmen, wann und wie sie wollten.

Diese Phase war für sie immer das Schönste an einer neuen Beziehung. Die Andeutungen und Fragen, die sich hinter der Maske des Geplänkels verbargen, die prickelnden Überraschungen, die jeder neue Schritt in sich barg … sie genoss all das.

Sean stand neben den Spülbecken und blickte stirnrunzelnd auf einen Eimer mit Jakobsmuscheln. Die heutige Meeresfrüchtelieferung stammte von einem neuen Händler, New Rochelle Docks. Ihr Angebot hatte knapp unter dem der Gebrüder McManus gelegen.

»Ich weiß nicht so recht. Riechen Sie mal«, sagte er. »Verdammt. Hat denn keines dieser Arschlöcher eine Ahnung, was frisch bedeutet?«

Christine beugte sich zu dem Eimer hinunter. »Sie haben Recht. An der Grenze. Die fasse ich nicht an.«

»Scheiße.« Er schnappte sich das schnurlose Telefon aus der Wandhalterung.

Christine befestigte den Deckel auf dem Eimer. »Wieso habt ihr New Yorker bloß solche Probleme mit den Meeresfrüchten? In Boston gab es das nicht.«

»Benny? Hier ist Sean Fell aus dem Bobby’s. Die Jakobsmuscheln sind nicht frisch. Sie haben mir zwanzig Pfund für heute Abend verkauft, aber sie sind nicht mehr gut.«

Er fluchte leise über die Reaktion. »Nein, Sie haben mir keineswegs die Tiefseemuscheln empfohlen. Sie haben mir versichert, dass die Muscheln aus der Bucht einwandfrei sind!«

Einen Augenblick später fluchte er wieder und legte auf. »Vollidiot. Ist nicht mal in der Lage zuzugeben, dass er Mist gebaut hat.«

Christine presste den Saft einer halben Limone in eine Schale mit Olivenöl. »Wir dürfen unser Angebot an Meeresfrüchten aber nicht reduzieren. Das essen die Leute am liebsten.«

»Ich weiß.«

»Wie wäre es, wenn wir es über diesen Massachusetts-Kontakt versuchen, den Ihr Bruder erwähnt hat? Marblehead Fish.«

Sean sah zu, wie sie das Dressing verrührte. »Wofür ist das?«

»Für den Basilikumsalat. Limone, Öl, ein bisschen Soja und rote Zwiebeln. Und bitte ersparen Sie mir die Balsamico-Diskussion.«

Sean lächelte. »Okay. Wieso sollte ich Fisch aus Massachusetts hierher transportieren lassen?«

»Fragen Sie Jim«, antwortete Christine. »Aus seinem Mund hat es sehr vernünftig geklungen.« Als Sean ihr keine Antwort gab, blickte sie von dem Dressing auf. »Sie lächeln ja gar nicht mehr.«

»Ich bin mir nicht sicher, ob ich Jim wirklich hier einbinden sollte. Und ich weiß auch gar nicht, ob er das überhaupt will.«

»Wieso?«

»Lange Geschichte. Er möchte immer, dass ich ihm helfe, und dann doch wieder nicht.«

Christine leckte Salatsoße vom Schneebesen. Die Sonne warf die Schatten ihrer Wimpern auf ihre Wangen. »Er ist von diesem Marblehead vollkommen begeistert. Genauso wie von der Vorstellung, Ihnen helfen zu können. Vielleicht ist das ja eine Chance für Sie beide.«

Der folgende Sonntag war ein regnerischer Tag mit abwechselnd warmen Schauern und Nebel. Es war ein Tag, an dem die Menschen schon frühzeitig entschieden, den Abend zu Hause zu verbringen. Aber das Geschäft im Bobby’s kletterte auf Rekordhöhen.

»Ein Wahnsinn, unglaublich«, sagte Mark Wolf bereits zum vierten Mal. »Wer hätte je gedacht, dass wir über vierhundert Essen servieren können und dazu noch jede Menge Reservierungswünsche ablehnen müssen?«

Sie saßen in Seans Büro im ersten Stock. Es war kurz nach Geschäftsschluss. Die Regentropfen auf den Fenstern wurden im Schein der Parkplatzbeleuchtung zu Kristallen.

Eine dünne Nebelschwade wehte herein. Es roch nach der alten Weide direkt vor dem Fenster, die ihre Zweige über die Autos breitete. Zweimal pro Woche kam Nancy Fell mit einer Gartenschere und trimmte sie.

»Nun ja«, meinte Sean, »dieser Radiobericht hat uns sehr geholfen. Die Mund-zu-Mund-Propaganda läuft. Und mit unserem Fisch müssen wir uns mittlerweile auch nicht mehr verstecken. Dank Jim.«

Er sah seinen Bruder mit einem leisen Lächeln auf dieses Lob reagieren, und mit einem Mal dachte er, dass er über jemand anderen so nicht gesprochen hätte. Ganz der Fürsorgliche, wie immer.

Sean startete seine geländegängige Limousine und ließ die Scheiben herunter. Trotz der Tropfen, die von der Weide fielen, wollte er die nächtliche Brise in sein Auto lassen, wo es intensiv nach dem Frischduftspray roch, das in der Autowaschanlage versprüht wurde.

Christine beugte sich in ihr Auto und wischte die Windschutzscheibe von innen mit einer Serviette ab.

»Schalten Sie doch die Klimaanlage ein«, sagte er.

»Die ist kaputt.«

»Ach so … hier.« Er fasste hinter seinen Sitz und reichte ihr eine Rolle mit Papiertüchern.

Als sie fertig war, gab sie sie ihm zurück. Er legte sie wieder nach hinten. Dabei landete ein Tropfen von einem Weidenblatt direkt unterhalb seines Auges. Christine wischte ihn mit einer impulsiven Handbewegung ab.

Die Berührung ließ sie beide zusammenzucken. Christine hielt den Atem an. Wenn sie sich auf die Zehenspitzen stellte, dann waren ihre Lippen auf gleicher Höhe mit seinen. Wundervolle Lippen, weich und einladend, egal, was sie machten – ob sie sich grinsend verzogen, sich zu einer Erklärung schürzten oder sich zum Probieren einer Soße öffneten.

Sie stellte sich auf Zehenspitzen und drückte ihre darauf.

Sie spürte seine plötzliche Überraschung, ein winziges Zögern, und schon setzte die Enttäuschung ein. Aber eine Sekunde später lag seine Hand in ihren Haaren und zog sie näher zu sich. Er schmeckte nach Salz und Wein. In der feuchten, stillen Nacht konnte sie seinen beschleunigten Atem ebenso hören wie ihren eigenen. Mit federleichter Zunge leckte er ihr über die Unterlippe. Sie öffnete den Mund und lud ihn noch tiefer in sich ein.

Ein Windstoß ließ eine luftige Tropfenkaskade auf Christines Kopf landen. Behutsam wischte Sean sie zur Seite. Er küsste sie noch einmal, umfing ihre Lippen mit seinen.

Draußen auf der Straße fuhr ein Auto vorbei. Das Licht seiner Scheinwerfer streifte ihre Gesichter. Christine trat einen Schritt zurück.

»Gute Nacht«, flüsterte sie.

»Wunderbare Nacht«, flüsterte er zurück.

Ohne jede Schuld

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