Читать книгу Hexenherz. Eisiger Zorn - Monika Loerchner - Страница 14

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Kapitel 5

„Keine Bewegung und keinen Mucks, Süße“, knurrt eine männliche Stimme. „Sonst wirst du dich bald vor deinen Ahnen wiederfinden.“

Trotz der heiklen Situation muss ich beinahe laut lachen: Es erscheint mir einfach zu abstrus, Befehle von einem Mann befolgen zu sollen! Im Ernst: Warum sollte ich?

„Das, was ich dir da an den Kopf halte, ist eine Feuerwaffe, die dir ein ordentliches Loch in den Schädel pusten kann. Eine Handfeuerwaffe, um präziser zu sein“, fährt der Mann fort, „eine Sidana, falls du davon schon mal was gehört hast.“

Habe ich, in der Tat. Eine Sidana, ein chinesischer „Totmacher“. Hinterlader, fünf Schuss. Man bringt es nicht zur Gardenzweiten, ohne sich intensiv mit den technischen Errungenschaften der Feindesländer auseinandergesetzt zu haben. Dennoch erstaunt es mich, ausgerechnet diese Waffe an den Kopf gehalten zu bekommen; meist verfügen Rebellen über ausgemusterte und mehr oder weniger kaputte Armeewaffen aus dem arabischen oder westafrikanischen Raum – wenn überhaupt. Eine Waffe aus China habe ich bislang nur auf Bildern zu Gesicht bekommen. Wie sind die Rebellen da dran gekommen? Gegen meinen Willen bin ich beeindruckt.

„Und jetzt schön vorsichtig die Hände auf den Rücken“, weist mich der Mann weiter an. Alles in mir sträubt sich, dem Befehl zu folgen. Waffe hin oder her: Was denkt der eigentlich, wer er ist?

Ein Mann mit einer Feuerwaffe, so lautet wohl die einfache Antwort. Also tue ich, was er von mir verlangt.

Der Mann ist nicht allein. Ungläubig starre ich die Frau an, die soeben Mojserce hochzieht und ihm dann die Hände auf den Rücken fesselt. Eine Frau! Ihr Verrat wiegt doppelt so schwer wie der des Mannes, ach was, dreifach!

Außerstande mich mit Magie zu wehren, bleiben mir leider nicht viele Möglichkeiten. Der Junge ist definitiv ein Unsicherheitsfaktor. Stumm verfluche ich das Kind: Warum hat er sich denn auch unbedingt an mich klammern müssen? Wäre ich allein, würde ich es auf einen Fluchtversuch ankommen lassen. Feuerwaffen stellen hässliche Dinge mit den Menschen und besonders mit deren Köpfen an, doch was ist die Alternative? Abwarten. Ist wahrscheinlich das Klügste, zumal ich nicht weiß, aus wie vielen Verrätern diese Rebellentruppe besteht. Kann sein, dass sie nur zu zweit sind, dann wäre es ein Kinderspiel. Ebenso gut ist es möglich, dass die beiden die Vorhut einer größeren Gruppe sind. Innerlich seufzend sehe ich ein, das Spiel eine Weile mitspielen zu müssen, bis ich die Lage besser einschätzen kann und sich eine bessere Möglichkeit zur Flucht ergibt. Mojserce werde ich dabei wahrscheinlich zurücklassen müssen, aber da er nur ein Kind und noch dazu ein unwichtiger Junge ist, wird es ihm bei den Rebellen wohl nicht allzu schlecht ergehen.

Kaum habe ich meine Hände hinter dem Rücken zusammengelegt, kniet sich der Mann hinter mir nieder, legt die Sidana zur Seite und schickt sich an, meine Hände mit einem groben Seil zu fesseln. Idiot. Könnte ich die Lage besser abschätzen, wäre jetzt der perfekte Zeitpunkt zur Flucht: Da sich der Kopf des Mannes direkt hinter meinem befindet, könnte ich ihm so richtig schön meinen Hinterkopf gegen die Stirn rammen. Er würde das Gleichgewicht verlieren und umfallen. Derweil würde ich herumwirbeln und mich auf ihn werfen, während ich mir gleichzeitig die Waffe greifen und damit auf die Rebellin zielen würde.

So aber lasse ich es über mich ergehen, gefesselt zu werden. Von einem Mann! Es kostet mich all meine Kraft, mich nicht dagegen zu wehren, alles in mir schreit, diesem dreisten Mistkerl ein paar Maulschellen zu verpassen. Manchen Männern muss man mit Gewalt zeigen, wo ihr Platz ist, und grimmig schwöre ich, mich eines Tages bei diesem Rebellen gebührend zu revanchieren. Und bei der Rebellin, die dabei zugesehen hat, wie ein Mann sich erdreistet, eine Frau zu bedrohen.

Als der Kerl fertig ist, zerrt er mich grob auf die Beine.

„Los, Schätzchen!“, zischt er mir von hinten ins Ohr. „Und versuch keine Dummheiten!“

Dann schiebt er mich vorwärts. Ich sehe, wie Mojserce dieselbe Behandlung widerfährt, allerdings ist es hier die Verräterin mittleren Alters, die ihn bedroht. Auch hat sie keine Feuerwaffe, sondern lediglich ein Messer. Sie scheint ebenso schlecht gelaunt zu sein wie ihr Begleiter.

„Sind das alle?“, ruft sie ihrem Kampfgenossen zu.

Der Mann hält mir die Sidana unter die Nase.

„Wie sieht’s aus, Schätzchen, verstecken sich hier irgendwo noch mehr von deiner Sorte?“

Ich schüttele langsam den Kopf und schaffe es nur mit Mühe, ein Lachen zu unterdrücken: Das Ding, das er mir da ins Gesicht hält, ist eine Fälschung, noch dazu eine ziemlich schlechte. Allerdings werde ich mich hüten, ihm auf die Nase zu binden, dass ich eine echte Waffe von einer falschen unterscheiden kann. Stattdessen sollte ich mir langsam mal etwas einfallen lassen: Verrate ich, dass ich eine ranghohe Frau der Garde bin, wird mir gewiss nichts Gutes widerfahren. Im besten Fall werden die Rebellen versuchen, mich gegen einen der ihren einzutauschen. Da stellt sich dann natürlich die Frage, ob mich die Goldene Frau überhaupt würde wiederhaben wollen. Oder aber ich wandere direkt ins Gefängnis, gelte ich doch dank Alexandra und Lynn als Verräterin. Ich gebe es nicht gerne zu, doch durch meine Flucht muss ich doppelt schuldig erscheinen, wer kauft mir denn jetzt noch ab, dass ich der Goldenen Frau treu ergeben bin? Das sind alles keine guten Optionen. Aber was ist die Alternative?

Fieberhaft versuche ich, meine Gedanken zu ordnen. Wem würden die Rebellen nichts antun, wen zufriedenlassen? Als eine der ihren kann ich mich nicht ausgeben, da hätte ich keine Chance. Dafür sind die Aufständler vielleicht untereinander zu gut bekannt: Keine von uns kann wissen, wie gut sie wirklich vernetzt sind, welche geheimen Zeichen es gibt, welche Parolen und dergleichen. Das Risiko, mich zu verraten, ist einfach zu groß. Mein Blick fällt auf Mojserce. Der Junge zittert wie Espenlaub. Sein Blick wandert immer wieder zwischen der Frau mit dem Messer, der vermeintlichen Feuerwaffe und mir hin und her; dass er sich nicht auch noch in die Hose macht, ist aber auch alles!

Ich muss an Ada denken: Wie hat sie es nur geschafft, sich mit ihrem wehleidigen Mann und diesem kleinen Angsthasen durch das Feindesland zu uns durchzuschlagen? Eine wahrhaft mutige Frau, die nun bei uns entsprechend dafür belohnt werden wird. Überhaupt sieht sie aus, als werde sie es nach Erweckung ihrer Magie weit bringen. Sie besitzt zweifellos den nötigen Schneid und hätte gut daran getan, ihrem Kind, Junge hin oder her, etwas davon abzugeben. Das bringt mich auf eine Idee: Was, wenn ich mich ebenso als Flüchtling ausgebe?

Aber nein, schelte ich mich, das hieße ja, ich würde von den Frauen meine Magie wecken lassen wollen. Und das würde mich auch ohne Magie zu einer potentiellen Feindin machen.

Außerdem ist das alles viel zu abstrus, viel zu weit hergeholt. Wenn die Rebellen auch nur ein Fünkchen Erfahrung mit Verhören besitzen, werden sie erst meine Geschichte auseinandernehmen – und dann mich. Nein, ich muss möglichst nah an der Wahrheit bleiben. Nah genug zumindest, um mich nicht in Lügen zu verfangen. Außerdem muss ich, ob ich will oder nicht, den Jungen mit einbeziehen. Was die ganze Sache deutlich schwieriger macht. Hätte ich meine Magie, könnte ich locker vorspielen, der Kurze sei mein Sohn und am besten auch noch stumm, indem ich ihm den Mund gelähmt hätte. So jedoch verbindet uns nicht einmal eine gemeinsame Sprache. Da besondere Nähe vorzutäuschen, dürfte schwer fallen.

Die Rebellin unterbricht meine Gedanken.

„Gero, lass uns jetzt weg hier!“, zischt sie dem Mann zu und schaut sich nervös um. „Wir können sie auch später noch befragen!“

Ich verstehe ihre Nervosität: Der Platz, an dem wir übernachtet haben, ist von dichtem Buschwerk umgeben. Ideal, um sich an jemanden anzuschleichen.

„Na schön.“ Der Mann mustert stirnrunzelnd unsere Sachen. Viel ist es nicht, aber mein Mantel, der noch auf dem Boden liegt, ist von sichtbar guter Qualität. Daneben liegen noch Reste unseres Abendessens. Die Rebellin folgt dem Blick ihres Gefährten. Dann zerrt sie Mojserce mit sich und hebt im Vorübergehen mit einer Hand den Mantel auf. Die Pilze lässt sie mit bedauerndem Blick liegen. Ich grinse innerlich; das ist der Nachteil, wenn man seinen Gefangenen die Hände auf den Rücken bindet: Sie können nichts für einen tragen.

Als der Blick der Verräterin auf mich fällt, wird ihr forscher Blick selbstgefällig. Nur mit Mühe unterdrücke ich meine Gefühle und starre zu Boden. Die Rebellin mag ja meinen, alle Trümpfe in der Hand zu halten, tatsächlich ist es anders herum: Meine Chancen stehen nicht schlecht, dass sie und die anderen weiblichen Mitglieder ihrer Gruppe – sofern es weitere gibt – sich geweigert haben, ihre Magie wecken zu lassen. Schlimmstenfalls sind sie, die so dumm waren, von der stärksten Waffe, die die Große Göttin ihnen geschenkt hat, keinen Gebrauch zu machen, mehr noch, sie abzulehnen, im Umgang mit ihrer Magie völlig ungeübt. Sie verlassen sich zudem viel zu sehr auf ihre Waffen, was angesichts des Zustandes ihres Waffenarsenals keine gute Idee ist: Sollte ich feststellen, dass die beiden Verräter mit ihrem Kartoffelmesser und der nachgemachten Sidana allein sind, werde ich sie schneller getötet haben, als mich der Mann noch einmal „Schätzchen“ nennen kann.

Und selbst wenn es sich um eine große Gruppe von Aufständischen handelt, liegen alle Vorteile bei mir: Ich muss nur am Leben bleiben. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie mich umbringen, sinkt mit jeder Minute. Und wenn sie mich heute leben lassen, werde ich höchstwahrscheinlich auch noch in drei Tagen am Leben sein, wenn sich meine Magie erneuert hat. Bis dahin muss ich nur die Füße stillhalten. Und dann sind sie dran. Gegen mich haben sie nicht den geringsten Hauch einer Chance, nicht einmal, wenn sie echte Feuerwaffen besitzen: Ich bin eine der besten Kämpferinnen, die die Garde je gesehen hat. Sogar Alexandra hätte es nicht gewagt, sich mit mir anzulegen, wenn ich meine Magie gehabt hätte. Nichts von alledem wäre dann passiert. Aber gut, so ist es jetzt nun mal. Und dank der Rebellin, die meine sofortige Befragung mit ihrer Sorge verhindert hat, habe ich nun genügend Zeit, mir eine plausible Geschichte einfallen zu lassen. So dicht wie möglich an der Wahrheit, dass ich sie auch rückwärts aufsagen kann. Glaubwürdig und plausibel, doch auch nicht zu einfach. Erneut verkneife ich mir ein Grinsen, denn es hätte den Argwohn meiner Entführer geweckt. Es ist aber auch eine wahrhaft herrliche Ironie, dass mir ausgerechnet eine Feindin der Goldenen Frau zur Flucht verhelfen wird.

„Also, ihr habt’s gehört!“, bellt die Rebellin. „Klappe halten und los!“

Dabei geht sie allerdings bei weitem nicht so ruppig mit Mojserce um, wie man es anhand ihres Tones hätte annehmen sollen. Noch ein Schwachpunkt: Sie hat Kindern gegenüber Hemmungen! Wieder ein klarer Punkt für mich. Ich habe schon oft mit frühreifen Mädchen in Mojserces Alter zu tun gehabt, die mir ohne mit der Wimper zu zucken die Haut von den Knochen gebrannt hätten. Kinder sind mitnichten harmlos. Und ich bin es erst recht nicht.

Unter anderen Umständen würde ich den Spaziergang durch den Wald genießen: Die Luft ist frisch und klar und um uns herum raschelt und huscht unzähliges Leben. Die Sonne geht weiter auf und wirft ein magisch anmutendes Licht über die Welt. Leider habe ich aber auch eine ziemlich volle Blase und Mojserce starrt die ganze Zeit vor sich auf den Boden, so dass ich ihm nicht das kleinste Zeichen zukommen lassen kann. Hoffentlich ist der Kleine so schlau, den Mund zu halten!

Als wir nach etwa dreißig Minuten das provisorische Lager der Rebellen erreichen, staune ich nicht schlecht: Die haben anscheinend irgendwie Militärwissen erlangt, denn die kleine Zeltstadt ist genau so aufgebaut und strukturiert, wie es unsere Lager sind: Anstelle eines großen Feuers in der Mitte, das nichts weiter tut, als die Aufmerksamkeit der Feinde auf das Lager zu lenken und die dort sitzenden Wachen nachtblind zu machen, sind unter Überbauten aus Holz mehrere kleine Feuer im Lager verteilt. Einige sind bereits gelöscht worden, in anderen glimmt noch Glut und über einem stecken kleine Spieße mit Fleisch. Allein der Anblick lässt mir das Wasser im Mund zusammenlaufen, mein grimmiger Begleiter allerdings fährt förmlich aus der Haut.

„Spinnt ihr?“, zischt er, kaum dass wir in Hörweite seiner Leute gelangt sind. „Habt ihr alle den Verstand verloren?“

Ein junger Mann um die achtzehn tritt vor und verschränkt die Arme.

„Wir haben Hunger, Gero! Und das Stück Wildschwein will ich sehen, dass du nicht haben willst!“

„Wir sind hier unweit der Frauengarden! Und stelle dir mal vor: Sogar die Hexenweiber können gebratenes Fleisch riechen, meinst du nicht?“

Hexenweiber? Ich runzele die Stirn. Das kommt alles mit auf die Liste. Wenn die Zeit reif ist, werde ich es Gero mit Freuden heimzahlen. Er wird nicht der Erste sein, der Bekanntschaft mit einer Eisverbrennung macht.

Der junge Mann indes wirkt verunsichert.

„Meinst du wirklich?“

„Ja!“, faucht die Rebellin, die Mojserce eskortiert hat. Sie lässt den Jungen los und beginnt, die Feuerstelle auszutreten. Dass sie dabei auch die Fleischspieße in den Dreck stampft, scheint sie nicht weiter zu stören. Drei weitere Rebellen, die hinzugekommen sind, schnappen nach Luft.

„Ey, was soll der Mist? Kein Fleisch überm Feuer, ich hab’s ja kapiert, aber musst du deshalb gleich das ganze Frühstück versauen?“, mault der junge Mann.

Mit wenigen langen Schritten ist die Rebellin bei ihm und verpasst ihm eine Ohrfeige, die ihn zu Boden wirft. Es kostet mich alle Disziplin, die ich habe, um nicht laut loszuprusten. So ein Dummkopf! Würde einer unserer Gardeanwärterinnen ein derartiger Fehler unterlaufen, würde sie das zehn Nachtwachen kosten. Und würde es jemals eine wagen, so mit ihrer Vorgesetzten zu reden, könnte sie die Nachtwachen dazu auf der Spitze eines Baumes verbringen!

Der junge Mann reibt sich das Kinn. Anders, als ich erwartet habe, hält er den Kopf nicht schamhaft gesenkt. Vielmehr starrt er die Rebellin zornig an. Für das Blitzen in seinen Augen würde ich ihm gleich noch eine Ohrfeige verpassen, doch die Verräterin ignoriert ihn stattdessen und wendet sich an die anderen drei, einen Mann um die 40 und zwei Rebellinnen zwischen 20 und 30. Die Jüngere hat langes, rabenschwarzes Haar und ist von auffallender Schönheit.

„Ist Adrian schon zurück?“

Alle drei schütteln den Kopf.

Dann tritt die schöne Rebellin vor und hilft zu meinem großen Erstaunen dem frechen Kerl auf die Beine.

„Du solltest nicht so streng mit ihm sein, Glenna“, sagt sie mit erstaunlich sanfter Stimme. „Wir alle machen Fehler!“

„Fehler wie diese, liebe Mirja, könnten uns eines Tages den Kopf kosten“, zischt die Angesprochene.

Zweifellos zu Recht. Doch Mirja gibt noch nicht auf.

„Er ist dein Sohn!“

Glenna schnaubt. „Das macht die Sache nicht besser!“

Besagter Sohn indes zeigt zumindest ein Mindestmaß an Intelligenz, indem er sich in einem Zelt verkriecht.

Mirja zuckt mit den Schultern.

„Wenn du meinst. Und wen habt ihr da mitgebracht?“

Gero stößt mich vorwärts, so dass ich stolpere und fast hinfalle.

„Wissen wir noch nicht, sie lagerten unweit der großmoldawischen Reichsgrenze“, erklärt er.

Mirja legt den Kopf schief und mustert mich.

„Schafft sie in Adrians Zelt“, befiehlt sie, „der Junge kommt mit mir. Wir befragen sie getrennt. Mal schauen, ob sie beide dasselbe sagen!“

Ich fluche lautlos, ich habe diese Rebellin glatt unterschätzt, mich von ihrem attraktiven Äußeren blenden lassen! Diesen Fehler werde ich kein zweites Mal machen. Ich räuspere mich.

„Mojserce spricht kein Deutsch“, lasse ich vernehmen.

Gero, der mich zum ersten Mal sprechen hört, dreht sich überrascht zu mir um.

„Wer hat dir erlaubt, den Mund aufzumachen?“, höhnt er. „Du hast hier gar nichts zu sagen, hörst du? Hier sind wir …“

„Lass sie ausreden!“, fällt ihm Glenna ins Wort. Dann sieht sie mich herausfordernd an. „Der Junge spricht kein Deutsch, sagst du?“

Ich schüttele gespielt bedauernd den Kopf. „Nur Slawisch.“

Innerlich halte ich den Atem an: Wenn ich Pech habe und einer hier – so nah der Grenze nicht mal unwahrscheinlich – Slawisch oder einen Dialekt des Großen Moldawischen Reichs spricht, bin ich geliefert! Zweifellos wird der Rotzbengel in den Verrätern seine Rettung sehen und mich verraten.

Schnell spreche ich weiter: „Ich verstehe ihn nicht und er versteht uns alle nicht, bis auf ein paar Brocken vielleicht.“

„Ach ja?“ Glenna baut sich breitbeinig vor mir auf und schaut mir direkt in die Augen. Ich kann ihre Zweifel förmlich riechen.

„Und wie verständigt ihr euch dann?“

„Gar nicht. Mit Händen und Füßen. Na ja“, ich wackele übertrieben mit den Schultern, um auf meine Fesseln hinzuweisen, „mit den Händen derzeit weniger.“

Die Rebellin scheint meinen Humor nicht zu teilen, ihre Augen verengen sich zu Schlitzen.

Ich bemühe mich, flach zu atmen und möglichst wenig zu blinzeln. Mit offenen Augen begegne ich dem Blick der Verräterin. Ich erkenne eine ehemalige Straßenkämpferin, wenn ich sie sehe: Einfallsreich, brutal, gewieft. Menschen ihres Schlages bilden sich nur allzu oft zu viel auf ihr sogenanntes Bauchgefühl ein. Gut für mich, schlecht für sie. Meine Körperhaltung drückt genau das richtige Maß an Demut und vager Sorge, gepaart mit dem Selbstvertrauen einer Unschuldigen, aus.

Ich schaue sie mit einem Hauch Empörung an.

„Der Kleine ist mein Neffe. Ich konnte nicht länger mit ansehen, wie ihn die Leute unseres Dorfes behandelten, vor allem die Frauen und Großmütter. Ich will ihn über die Grenze bringen, zur Familie seines Vaters.“

Die Lüge kommt mir glatt über die Lippen. Ich habe schließlich genug Zeit gehabt, sie mir auszudenken. Dank der Verräterin, die gerade vor mir steht und der ich mitten ins Gesicht lüge. Die Ironie gefällt mir.

„Ist seine Mutter eine Hexe? Bist du eine?“, verlangt Glenna zu wissen.

Ich schüttele den Kopf.

„Wir alle haben die Erweckung verweigert“, sage ich und senke den Kopf. „Erst, weil es unsere Eltern nicht wollten, später dann aus eigenem Entschluss.“

Ich schaue den Rebellen reihum trotzig ins Gesicht.

„Das haben sie uns im Dorf jeden Tag spüren lassen, vor allem, als Ma und Pa tot waren. Ada, meine Schwester, hat es schließlich nicht mehr ausgehalten. Ist weggelaufen, rüber in den Osten. Hat einen von da geheiratet und so, und sie hat den Jungen bekommen, aber dann ist der Mann gestorben. Also ist sie wieder hierher gekommen, wo sie noch Familie hat. Tja und dann …“, ich zucke ein paar Mal mit den Schultern, „dann hat es ihr eines Tages gereicht. Hat es nicht ertragen, wieder von den Leuten wie Abschaum behandelt zu werden. Vor allem, wie sie ihren Jungen behandelt haben, hat ihr nicht gefallen. Sie wollte so nicht leben. Hat viel auf Ma und Pa geschimpft und hat gemeint, dass die ihr ganzes Leben verpfuscht hätten. Dabei haben sie uns hinterher die Wahl gelassen, doch keine von uns wollte mehr eine Hexe sein. Na ja, auf jeden Fall hat es Ada nicht mehr bei uns ausgehalten. Wo auch jeder wusste, dass sie sich da drüben von ihrem Mann hat herumkommandieren lassen. Also ist sie wieder weggegangen. Wollte woandershin, wo man sie nicht kennt. Sich als Flüchtling ausgeben. Ihre Magie erwecken lassen und irgendwo neu anfangen. Ihn“, ich deute auf Mojserce, „wollte sie bei ihrem Neuanfang nicht dabeihaben. Hat ihn einfach dagelassen. Und die Leute im Dorf haben dann alles an ihm ausgelassen. Das konnte ich nicht mehr mit ansehen.“

Ich deute mit dem Kopf vage Richtung Osten.

„Ada hat mal erzählt, ihr Mann hätte eine recht große Sippschaft dort drüben. Und dahin sind wir jetzt unterwegs. Na ja, waren wir, meine ich.“

Gero ist während meiner Schilderung näher getreten.

„So“, knurrt er, „der Junge ist also drüben aufgewachsen, ja?“

Ich nicke.

„Und hat in all der Zeit kein bisschen Deutsch von seiner Mutter gelernt?“

Ich zucke mit den Schultern. „Anscheinend nicht. Keine Ahnung. Vielleicht ist er auch einfach nur mundfaul?“

Glenna, die zweifellos an ihren eigenen, missratenen Sohn denkt, lacht auf.

„Oh ja, das wäre nichts Neues in dem Alter!“

Gero ist noch nicht zufrieden. „Er ist also dein Neffe, ja?“

Ich nicke erneut.

„Komm mal runter, Gero“, schimpft Glenna gutmütig.

„Du hast doch gesehen, was für Sorgen sie sich auf dem Weg hierher um den Jungen gemacht hat. Hat ihn ständig im Blick gehabt. Wer würde sich schon so um ein Kind kümmern, wenn nicht eine nahe Verwandte?“

Dann fokussiert sie mich erneut.

„Der Teil zumindest stimmt. Was ist mit dem Rest? Und wer sagt uns, dass du keine verdammte Hexe bist?“

Ich will gerade zu einer Antwort ansetzen, als in meinem Rücken eine laute, charismatische Stimme erklingt.

„Soso, wir haben also Gäste.“

Der Unbekannte scheint sich aus irgendeinem Grund über unsere Anwesenheit zu amüsieren.

Gero versetzt mir einen Stoß.

„Dreh dich gefälligst um, wenn Adrian mit dir spricht!“

Ich tue, wie mir geheißen wurde. Allerdings nicht, ohne Gero wütend anzufunkeln.

„Löst ihr die Fesseln.“

Jetzt kann ich sehen, wer gerufen hat. Er ist so groß wie die meisten Männer, die ich kenne, hat jedoch erstaunlich breite Schultern. Sein Körper ist nicht gerade schlank, aber voller Muskeln, er wäre in einem Bergwerk oder einem Hafen zweifellos von großem Nutzen. Sein Haar ist dunkelbraun. Aus irgendeinem Grund denke ich, dass seine Augen grün sind und goldene Funken darin tanzen. Unwillig über mich selbst schüttele ich den Kopf. Was interessieren mich die Augen eines Verräters?

In dem Moment spüre ich, dass jemand – Gero oder Glenna – tatsächlich meine Fesseln löst. Mit einem Keuchen nehme ich die Hände nach vorne, massiere mir abwechselnd die Handgelenke und versuche, wieder Leben in meine Arme zu schütteln; sie waren mir zwar nicht lange, aber in einem ganz blöden Winkel auf den Rücken gefesselt gewesen. Nun sind sie steif wie Bretter, jeder einzelne Muskel tut weh und ich habe das Gefühl, man hätte mir beide Schultergelenke ausgekugelt.

Der Mann, den Gero Adrian genannt hat, lächelt mich schief an. Dann hebt er eine Armbrust, zielt auf mein Herz und drückt ab.

Hexenherz. Eisiger Zorn

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