Читать книгу Hexenherz. Eisiger Zorn - Monika Loerchner - Страница 16

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Kapitel 6

Schmerz.

„Mist.“

Mehr Schmerz.

„Mist, Mist, Mist!“

Dunkelheit, die langsam weicht. Orientierung: Ich bin in einem Zelt. Auf mir liegt eine dünne Decke, unter mir ertaste ich ein paar Felle. Immer noch Schmerz, aber jetzt wieder Bewusstsein, das die Zähne zusammenbeißt.

„So ein verdammter Mist“, fluche ich ein letztes Mal und richte mich auf. Keine gute Idee: Sofort schießt mir der Schmerz in sämtliche Gliedmaße, meine ganze Brust fühlt sich an, als würde ein wild gewordenes Pferd auf mir herumtrampeln.

Dennoch setze ich mich auf. Nehme im Augenwinkel eine Bewegung wahr: Mojserce. Offenbar hat er darauf gewartet, dass ich aufwache. Jetzt kauert er sich neben mich, viel zu eng, und mustert mich aus großen, tränenfeuchten Augen.

„Schon gut, ich lebe ja noch“, knurre ich.

Er strahlt mich an, seine Unterlippe zittert verdächtig. Ach du meine Güte, der Kleine wird doch nicht etwa losheulen!

Ich rutsche noch ein Stück weiter hoch, sodass ich besser sitzen kann und strecke meinen rechten Arm aus. Und bereue es im selben Moment: Der Schmerz in meiner Brust flammt auf, als wäre aus dem einen Pferd eine ganze Herde geworden. Irgendwie schaffe ich es trotzdem, den Jungen an mich heranzuziehen.

„Alles gut, Mojserce“, keuche ich und wuschele ihm ungeschickt über den Kopf. „Ich werd schon wieder!“

Plötzlich wird es in dem Zelt deutlich dunkler: Eine Gestalt verdeckt den Eingang und somit auch die Sonnenstrahlen. Die Umrisse erscheinen mir vage vertraut.

„Ja, du wirst schon wieder!“, höre ich einen Mann mit amüsiertem Unterton sagen. Es ist Adrian.

Ich verziehe das Gesicht. Ich kann nun wirklich nichts Amüsantes an meiner Lage feststellen. Der Rebell kommt auf mich zu und mein Mund wird trocken.

„Wasser?“, krächze ich.

„Ist schon da“, erklärt er und lässt sich vor mir nieder.

Eine große, leicht behaarte Hand hält mir einen Becher Wasser hin und während ich gierig trinke, erkenne ich in dem Schatten nach und nach die Gesichtszüge des Rebellen, der befohlen hat, meine Fesseln zu lösen. Ich trinke den Becher in einem Zug leer. Dann werfe ich ihn achtlos gegen die Zeltwand.

„Was zu allen sieben Finsterhexen hast du mit mir gemacht?“, verlange ich zu wissen.

Wieder dieses Grinsen. „Schau doch nach!“

„Haha.“

Ich werde mir jetzt hier ganz gewiss nicht vor diesem unverschämten Kerl den Verband abnehmen, den jemand um meine Brust gewickelt hat. Der Gedanke lässt mich kurz stocken: Ob Adrian mich nackt gesehen hat? Egal, wen kümmert’s.

„Was hast du mit mir gemacht?“, verlange ich noch einmal zu wissen. Dann verziehe ich das Gesicht: Schimpfen macht die Sache nicht besser.

Der Verräter dagegen scheint von meiner Lage weiterhin erheitert zu sein.

„Es war ein Korken, keine Sorge!“

„Ein Korken?“ Was redet er für einen Blödsinn?

Adrian seufzt theatralisch. „Der Pfeil. In der Armbrust. War verkorkt. Jetzt verstanden? Und wie heißt du eigentlich?“

„Helena. Verkorkt?“, frage ich verwirrt. Wovon zum Geier redet der da?

„Ja, verkorkt. Kannst du aufstehen, Helena?“

Adrian hält mir eine Hand hin. Ich ignoriere sie und rappele mich mühsam auf. Unterdrücke ein Stöhnen. Als ich vor Adrian stehe, hält er mir etwas hin.

„Na los, nimm schon“, sagt er und wieder höre ich das Lachen in seiner Stimme.

„Was ist das?“

„Ein Andenken.“

Als ich den Pfeil entgegennehme, kehrt auch meine Erinnerung zurück.

„Du hast auf mich geschossen“, keuche ich. „Du wolltest mich umbringen!“

„Aber nein, sagte ich doch schon!“ In den grünen Augen des Rebellen tanzen goldene Funken. „Der Pfeil war verkorkt!“

Tatsächlich: Die Spitze ist mit einem dicken Stück Kork unschädlich gemacht worden. Oder besser gesagt: etwas unschädlicher. Der wunden Stelle auf meiner Brust nach zu urteilen, wäre ich jetzt ohne dieses lächerliche Stück Eichenkork tot. Seltsam, was kleine, scheinbar unbedeutende Dinge für eine Wirkung haben können. Etwas ratlos drehe ich den Pfeil in meinen Händen hin und her. Am liebsten würde ich ihn dem Rebellen in den Rachen stopfen, doch das wäre angesichts meiner Lage mehr als unklug. Mojserce sagt etwas, dem Klang nach eine Frage.

„Du willst wissen, warum ich das getan habe, stimmt’s?“, sagt Adrian an den Jungen gerichtet.

„Nun, ich muss dich leider enttäuschen: Mein Slawisch ist noch schlechter als das deiner Tante!“

Trotz der Schmerzen verspüre ich einen Triumph: Sie haben mir meine Geschichte tatsächlich abgekauft! Nur was sollte das mit dem Pfeil?

„Vielleicht kann ich Helena erklären warum, das zumindest bin ich ihr schuldig“, fährt Adrian fort, als hätte er meine Gedanken gelesen. „Ganz einfach: Ich wollte testen, ob du eine Gardistin bist!“

Nur mit Mühe und Not kann ich meine Gesichtszüge unter Kontrolle halten.

„Eine Gardistin?“, echoe ich, um Zeit zu gewinnen. „Wie kommst du denn darauf?“

Adrian zuckt mit den Schultern. „Es wäre nicht das erste Mal, dass die Hexen versuchen, uns eine Spionin unterzujubeln. Warum auch nicht“, er lacht, „wir machen ja das selbe mit ihnen. Daher mein kleiner Test. Nimm’s mir nicht übel, Helena, ich musste Gewissheit haben.“

Bei Adrians Worten läuft es mir eiskalt den Rücken herunter. Schlagartig wird mir klar, dass mir nur zwei große Zufälle das Leben gerettet haben. Erstens, dass ich derzeit meine Tage der Erneuerung habe. Doch selbst die hätten natürlich nicht verhindert, dass ich angesichts des auf mich zufliegenden, scheinbar todbringenden Pfeils jene typische Abwehrbewegung gemacht hätte, die mich als Hexenkriegerin verraten hätte: Anstatt wie eine Zivilistin, ein Mann oder Kind die Arme schützend vor mein Gesicht zu halten und mich gleichzeitig zu ducken oder zu versuchen, zur Seite auszuweichen, hätte ich die Arme ausgestreckt, um dem Pfeil meine Magie entgegenzuschleudern. Erneuernde Tage hin oder her, das ist ein antrainierter Reflex, den eine ausgebildete Gardistin kaum und vor allem nicht ohne Vorwarnung unterdrücken kann. Es sei denn, ihr wären über einen längeren Zeitraum die Arme so ungünstig auf den Rücken gefesselt gewesen, dass sie beinahe bewegungsunfähig geworden waren. In diesem Fall hätte die Gardistin zwar die typische Abwehrbewegung versucht, wäre aber an der Steifheit ihrer Arme gescheitert. In diesem Fall hätte ihr das das Leben gerettet.

Zum ersten Mal, seit mich Alexandra des Verrats beschuldigt hat, spüre ich wieder Hoffnung in mir. So viele Zufälle: Für mich steht zweifellos fest, dass die Große Göttin über mich wacht. Vielleicht hat es ja sogar einen Sinn, dass ich hier gelandet bin? Die Rebellen glauben mir meine Geschichte und solange der Junge den Mund hält, wird das auch so bleiben. Wenn ich richtig geschätzt habe, dürfte diese Rebellengruppe aus mindestens 15 Menschen bestehen. Wenn ich es schaffe, sie in die Nähe einer Patrouille zu lotsen … würde ich samt und sonders mit ihnen verhaftet werden. Nein, das ist kein guter Plan, nächster Versuch!

Wenn ich es schaffen würde, zu fliehen und die ganze Bande persönlich der nächsten Garde auszuliefern … Wenn ich sie sogar vorher irgendwie kampfunfähig gemacht hätte, so dass niemand meine Absicht anzweifeln könnte, würde ich meinen Fehler sicher wieder gutgemacht haben! Und zurück nach Hause dürfen, zu Nihan und meinen anderen Schwestern. Gut, vielleicht würde man mich trotzdem degradieren. Ich würde selbst Alexandra, diese falsche Schlange, über mir ertragen, Hauptsache, ich darf wieder der Goldenen Frau dienen!

Nur noch drei Tage. Bis dahin muss ich mir einen guten Plan überlegt haben. Und vor allem dafür sorgen, dass die Verräter nicht von einer Patrouille gefasst werden. Wie es aussehen würde, würde man mich zusammen mit den Rebellen verhaften, kann ich mir lebhaft ausmalen, nein danke!

Ich lächle Adrian an.

„Da wir das nun endgültig geklärt haben … können wir eine Weile bei euch bleiben?“

Nun da die Rebellen keine Grund mehr haben, uns zu misstrauen, führt uns Adrian im Lager herum. Wie ich mir schon gedacht habe, ist er der Anführer. Ein Teil seiner Gruppe ist derzeit unterwegs: Die einen, um den Weg auszukundschaften, die anderen, um Wild zu jagen. Die Rebellen bereiten sich akkurat auf den Winter vor und sind derzeit laut Adrian vollauf damit beschäftigt, Vorräte anzulegen. Bei der Vorstellung, dass ich herausbekomme, wo sie überwintern werden, wird mir ganz warm ums Herz: Sicherlich trifft sich einiges an Verrätern in dem Winterlager, sichere Orte, an denen es sich überwintern lässt, sind bestimmt rar gesät; mit dieser Information könnte ich nicht nur meinen Ruf wiederherstellen, sondern durchaus auch in der Liga der Frauen aufsteigen.

Da wir nun als Gäste geduldet sind, müssen Mojserce und ich unseren Teil der Arbeit tun. Ich habe nichts dagegen, im Gegenteil: Untätigkeit liegt mir nicht. Vielmehr muss ich Acht geben, bei bestimmten Tätigkeiten keinen allzu großen Eifer an den Tag zu legen. Meiner Geschichte nach komme ich aus der Nähe eines kleinen Dorfes und habe zusammen mit meiner Familie aus Erweckungsverweigerern Landwirtschaft betrieben. Da ist es eher wahrscheinlich, mit Nutztieren wie Kühen, Schweinen, Hühnern, Ziegen und Schafen, als mit Luxustieren wie Pferden und ihrem Zaumzeug zu tun gehabt zu haben.

Überhaupt wundert es mich, dass diese Rebellen Pferde besitzen; die meisten Verräter sind zu Fuß unterwegs, was ihre Verfolgung im offenen Land erleichtert, doch hier im Waldgebiet um Einiges erschwert.

Am meisten aber verblüfft mich, wie selbstverständlich sich die Rebellinnen Adrians Herrschaft beugen und wie überzeugt sie davon sind, dass Männer mit ihnen auf einer Stufe stehen. Ich habe bislang keine einzige Rebellin mit Sicherheit als Frau identifizieren können; das ganze Lager scheint absolut magiefrei zu sein und niedere Arbeiten werden von allen verrichtet.

Ich weiß, ich muss mich zurückhalten. Diese Leute glauben mit so einer unerschütterlichen Gewissheit an die Gleichheit der Menschen, dass es mir weh tut. Das Irre dabei ist: Keiner leugnet die Macht der Frauen, Kinder zur Welt bringen zu können! Keiner leugnet, dass jede Frau der Magie fähig ist, so sie denn erweckt worden ist. Trotzdem beharren alle mit ihrem geradezu bizarren Verhalten darauf, einander ebenbürtig zu sein. Wo uns die Natur, die Große Göttin selbst, doch so eindeutig, so für jeden absolut offensichtlich dem männlichen Geschlecht vorzieht!

Bereits am Ende unseres ersten Tages im Rebellenlager bin ich froh über den riesigen tiefblauen Fleck, der meine Brust unter dem Verband verunziert: Wann immer ich angesichts einer Frau, die Männerarbeit verrichtet, oder bei irgendwelchen Unterhaltungen über eine Gleichstellung der Geschlechter das Gesicht verziehe, muss ich nur auf meine Verletzung deuten und schon ernte ich mitfühlendes Nicken. Offenbar bin ich nicht die Einzige, die in den Genuss von Adrians Korkpfeiltaktik gekommen ist. Und mein schmerzverzerrtes Gesicht ist dabei nicht mal gespielt: Schon jetzt graut es mir, morgen früh aufzustehen. Wie ich aus Erfahrung weiß, ist der Schmerz einer solchen Verletzung nach einer Nacht, in der die wehe Stelle ruhig lag, am schlimmsten. Unbewusst nimmt der Körper im Schlaf eine Schonhaltung ein, die evolutionstechnisch einmal sinnvoll gewesen sein mag, heute aber einfach nur lästig ist und zusätzlich zu den Wundschmerzen oft noch zu einem verrenkten Rücken und schmerzenden Gliedmaßen führt. Das Schlimmste ist, dass ich Adrian, einem Mann, auch noch widerwillig Respekt zollen muss: Obschon er rund 30 Meter von mir entfernt gestanden und mit einer alten Welwer-4-Armbrust auf mich gezielt hat, hat er mich genau auf Herzhöhe getroffen: ohne das Verkorken der Pfeilspitze wäre ich jetzt tot.

Besonders der junge Corey, Glennas Sohn, kratzt an meinen Nerven. Abends sitze ich zusammen mit Mojserce inmitten des Lagers, esse einen Brei aus Kastanien, Bucheckern, Wild und Preiselbeeren und höre zu, wie er mit leuchtenden Augen erzählt, wie das Mädchen seiner Träume aussehen soll: Wunderschön soll sie sein und am besten ohne erweckte Magie. Mit wäre allerdings auch nicht so schlimm, da würde er großzügig drüber hinwegsehen. Wenn sie ihm mit ihrer Magie lästige Arbeit abnehmen und ihm reichlich Kinder schenken würde. Nach außen hin ruhig und vollauf mit meinem Essen beschäftigt, mustere ich die Runde. Sogar Glenna lächelt ihren Sohn mit einer Mischung aus Zärtlichkeit, Nachsicht und Sorge an. Ich fasse es nicht, wollen die denn, dass wir wieder in die Zeit vor der Großen Offenbarung der Hexen zurückfallen? Als die Männer uns unterdrückten und jegliche Macht für sich beanspruchten? Wie kann ein weiblicher Mensch – und sei es eine nicht-erweckte Rebellin – hier ruhig sitzen und einfach zuhören?

Jetzt erzählt Corey, dass er Kinder zu gebären wichtiger findet als Magie. Die Kriegerfrau in mir knurrt. Noch drei Tage.

Hexenherz. Eisiger Zorn

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