Читать книгу Hexenherz. Eisiger Zorn - Monika Loerchner - Страница 18

Оглавление

Kapitel 7

„Wie ist das eigentlich“, will ich am nächsten Tag von Mirja wissen. Sie hat mich gebeten, gemeinsam mit ihr auf die Jagd zu gehen. Kein guter Zeitpunkt, um zu plaudern, doch irgendwoher muss ich ja Informationen beziehen.

„Ist keine hier eine Frau oder …?“

Mirja schaut mich finster an. „Weißt du … wir unterscheiden nicht in Frauen, Fräulein und Großmütter, wie es die Hexen tun! Frauen gab es schon lange, bevor die Hexen der Welt verkündeten, jede Frau könne zaubern. Und was ist mit all den Frauen in Ländern, in denen Magie verboten ist?“

Mirjas Schritte werden schneller.

„Sollen das alles Mädchen oder Großmütter sein? Oder jene, die sich wie du aktiv dagegen entschieden haben, ihre Magie wecken zu lassen? Wir sind, was wir sind, und wir haben ein Geschlecht! Man braucht auch nicht erweckt worden zu sein, um Kindern das Leben zu schenken. Also warum sollten wir uns nicht als Frauen bezeichnen dürfen?“

Erschrocken reiße ich die Augen auf. Natürlich weiß ich, dass es Menschen gibt, die dieser abstrusen Ansicht sind, ich habe freilich nur noch nie solch einem Menschen gegenübergestanden.

Ich bin froh, dass wir uns fortbewegen. Es fällt mir nicht immer leicht, in meiner Rolle zu bleiben. Im Gehen fällt mein Schweigen allerdings weniger auf, als wenn wir diese Diskussion im Sitzen oder sogar in der Gruppe geführt hätten.

„Weißt du“, sage ich zögerlich, „so meinte ich das gar nicht. Klar, du hast recht, was es mit der Bezeichnung ‚Frau‘ auf sich hat. Sage ich ja gar nichts gegen. Ich habe da nur nie drüber nachgedacht, verstehst du?“

Mirja nickt. „Du kennst es nicht anders, oder?“

Ich schüttele den Kopf. „Bei uns im Dorf haben sie meine Schwester und mich immer nur ‚die Fräuleins‘ genannt. Wenn sie und ich nicht grade mit Schimpfnamen bedacht wurden. Aber Frau sein, Hexe sein, über Magie verfügen … Das war für mich immer eins.“

Ich zucke scheinbar gleichgültig mit den Schultern.

„Ist doch im Grunde auch egal, oder? Wie einer heißt oder wie wer wen anderes nennt. Ich bin ich und jeder ist, wie und was er ist und Punkt.“

Schelmisch grinse ich Mirja an, bleibe stehen und ziehe den Apfel, den mir Adrian als Wegzehrung gegeben hat, aus meiner Hosentasche.

„Ich meine, ich muss ja nicht wissen, dass dieses Ding hier ‚Apfel‘ heißt, um ihn essen zu können, nicht wahr?“

Dann beiße ich mit einem herzhaften Krachen hinein. Mirja ist ebenfalls stehengeblieben. Sie mustert mich verblüfft – und bricht in Gelächter aus.

„Mensch, Helena, du bist mir eine!“

Dann wird sie wieder ernst.

„Aber ich habe dir deine Frage noch nicht beantwortet. Wir sind 27, 15 davon sind erwachsene Frauen. Im Sinne weiblichen Geschlechts“, fügt sie schnell hinzu, als sie sieht, wie ich das Gesicht verziehe.

„Dann … lass mich nachdenken … acht von uns sind streng genommen Hexen. Frauen. Hexenfrauen, alles klar? Zwei davon, eine ist Frenja, die sehr mächtig ist, haben sogar früher einmal in der Hauptstadt gearbeitet, bevor sie zu uns gestoßen sind.“

„Frenja?“, frage ich zwischen zwei Bissen. „Kenne ich die?“

„Nein“, antwortet Mirja. „Sie ist grade woanders unterwegs. Dann hätten wir da noch Glenna, Era, Nibu, Simone und Annika, die über Magie verfügen. Nicht besonders viel, aber immerhin. Vanessa und Frikka haben zwar Magie, wenden sie jedoch nie an. Auch nicht in Notfällen, die haben der Magie gänzlich abgeschworen. Olga, Augusta, Mala, Franziska, Olivia und Stephanie sind Unerweckte.“

„Hm.“ Ich tue so, als würden mich diese Einzelheiten nicht sonderlich interessieren. „Und bei welcher Gruppe bist du?“

„Ich bin gar nichts von alledem“, sagt sie und verzieht das Gesicht. „Du musst wissen, dass mich eine sehr mächtige Hexe zur Welt brachte, was haben sie meine Ankunft gefeiert! Doch dann“, Mirja zückt ein Messer und beginnt wütend an ihrem Apfel herumzuschnitzen, „stellte sich heraus, dass ich ein Fräulein bin. Nichts zu machen, meine sehr verehrten Damen, keine Chance: In diesem Mädchen hier schlummert nicht der geringste Tropfen Magie, der reinste Krüppel, eine Missgeburt! Davon gejagt haben sie mich, meine eigene Familie, kannst du dir das vorstellen?“

Mirja stößt die Worte mit einer Wut hervor, die ich gut nachvollziehen kann. Ich habe damals auch einige Zeit in der vagen Angst gelebt, keine große Magie zu haben, und das als Tochter einer sehr mächtigen Hexe. Gar keine Magie zu haben, hätte für meine Familie und mich einen sehr schweren Schlag bedeutet. Es braucht auch nicht viel Fantasie, um mir auszumalen, wie man mich dann im Dorf behandelt hätte …

„Aber bei der Großen Göttin“, Mirja zieht die Klinge aus dem Apfel, fixiert kurz einen Baum und wirft das Messer dann mit einer Wucht, die ich ihr gar nicht zugetraut habe, „ich habe andere Talente!“

Sekunden später fällt ein Eichhörnchen vom Baum, danach sein Kopf, von Mirjas Klinge sauber abgetrennt.

Gegen meinen Willen bin ich beeindruckt. Zwar bin ich ganz fit im körperlichen Kampf, doch so gut bin ich mit dem Messer bei weitem nicht. Ein Eichhörnchen würde ich nicht mal mit Pfeil und Bogen treffen. Aber was soll’s? Dafür kann ich mit meinem Eis einem Tier auf 300 m Entfernung ein Auge einfrieren!

Mirja hebt das Eichhörnchen auf und steckt es in einen Ledersack, kickt den Kopf in ein Gebüsch. Die Klinge wischt sie sorgfältig im Gras sauber und steckt sie sich wieder in den Gürtel.

„Nicht schlecht für den Anfang“, erklärt sie. „Aber viel zu wenig, um schon umzudrehen. Wie sieht es aus: Was jagst du am liebsten?“

Bilde ich es mir nur ein, oder ist das eine Testfrage? Ich versuche, möglichst unbesonnen zu wirken.

„Ich bin nie groß auf die Jagd gegangen“, erkläre ich und zucke mit den Schultern. „Hab nur ein paar Mal mit Pas Bogen Jagd auf Füchse, Marder und Raubvögel gemacht, um die Viecher zu verscheuchen. Im Frühjahr mussten meine Schwester und ich Wache halten, wegen der Kälber. Und auch immer wenn neue Ferkel geboren waren.“

Mirja nickt. „Hier im Wald machen uns auch Füchse und Wiesel Kummer. Und Luchse. Wegen der nahen Garden können wir nicht immer Feuer brennen lassen. Auch tagsüber muss man höllisch aufpassen, erst neulich hat mir ein Marder ein Rebhuhn weggeschnappt, das ich nur kurz zur Seite gelegt hatte.“

Sie verzieht das Gesicht. „Wenigstens lassen uns die Bären und Wölfe in Ruhe, so lange es nicht allzu kalt ist.“

Ich nicke. Es scheint, die Rebellen kämpfen mit den gleichen Problemen wie wir. Nur, dass wir unsere Lager stets von ein paar Frauen magisch überwachen lassen. Wehe der Gardistin, die dabei nachlässig wird! Einmal war tatsächlich ein Bär in unser Lager eingedrungen: Der Winter hatte zu früh eingesetzt und alles in ihm verlangte danach, noch möglichst schnell möglichst viel zu fressen. Normalerweise haben Bären zu viel Angst vor größeren Menschenansammlungen. Doch in diesem einen Jahr hatte ihn der zu frühe Schnee in Panik versetzt. So zeigte sich schnell, dass nicht nur eine, sondern gleich drei Gardistinnen bei der kraftaufwendigen Wache geschludert hatten. Eine davon bezahlte ihre Nachlässigkeit mit ihrem Leben.

„Wölfe und Bären halten sich von Dörfern fern“, sage ich, ganz in meiner Rolle bleibend. „Nur die kleineren Raubtiere machen uns Kummer. Und natürlich die Raubvögel.“

Mirja nickt. „Wo ich herkomme, wird immer im Spätfrühling eine Woche lang Jagd auf Falken, Adler, Krähen, Raben und ihre Nester gemacht, weil die sich sonst zu viele Küken und Kaninchen holen. Nach der Jagd haben wir dann immer zusammen ein großes Fest gefeiert: Die Männer errichteten aus den Vogelnestern einen großen Haufen für das Feuer, darauf brieten sie dann die Vögel. Manche haben aus den Eiern Kuchen, Pasteten und andere Leckereien gebacken und wir Kinder haben den Großmüttern geholfen, Tische und Bänke auf den Dorfplatz zu tragen. Alle kamen zusammen, es wurde viel gegessen und getrunken und gelacht.“

Mirja seufzt wehmütig. „Jeden Frühling frage ich mich, ob sie das Vogelfest immer noch feiern.“

Nachdem mir Mirja einige Tricks gezeigt hat, stellt sich heraus, dass ich mit Pfeil und Bogen doch nicht so ungeschickt bin, wie ich bisher gedacht habe. Nicht meine bevorzugte nichtmagische Waffe, aber besser als nichts. Ich schaffe es nach einigen Fehlversuchen sogar, einen Kuckuck zu erlegen. Mirja erwischt eine Hirschkuh in Flanke und Hals. Wir stellen das verletzte Tier und Mirja befreit es mit einem festen Schnitt durch die Kehle von seinem Leid. Dann machen wir uns daran, die Hirschkuh auszuweiden. Danach schleppen wir den Kadaver und das Fleisch, das wir nicht mehr tragen können, tief in ein Gebüsch.

„Die Aasfresser finden das Tier auch so“, erklärt Mirja und schaut sich nervös um. „Wir können es nicht riskieren, Spuren zu hinterlassen. Irgendwas ist hier, irgendwas liegt in der Luft …“

Ich schaue mich um, kann jedoch nichts entdecken. Nicht das kleinste, verdächtige Geräusch, nicht das leiseste Rascheln.

Plötzlich legt Mirja warnend den Zeigefinger an die Lippen, zieht mich rückwärts in ein Gebüsch und bedeutet mir, mich zu ducken. Dort hocken wir dann eine gefühlte Ewigkeit. Meine Hälfte des Hirschkuhfleisches, das ich in einem Lederbeutel über der Schulter trage, scheint mit jeder Minute schwerer zu werden. Ob ich es wagen kann, meine Last vorsichtig abzusetzen? Eine fragende Geste zu der Rebellin, ein Kopfschütteln als Antwort, na prima.

Langsam habe ich die Nase voll: Mein Rücken tut weh, meine Brust brennt wie Feuer und ich habe das Gefühl, dass mir gleich die Knie durchbrechen.

„Was ist denn?“, zische ich schließlich.

Mirja schleudert mir einen wütenden Blick entgegen und legt mir einen Zeigefinger auf die Lippen. Sie sieht aus, als ob sie mir viel lieber eine scheuern würde. Na, mit dem Wunsch sind wir schon zu zweit!

Ohne das leiseste Geräusch zu machen, holt Mirja Pfeil und Bogen hervor. Mit einer fließenden Bewegung legt sie den Pfeil auf und visiert ein für mich nicht sichtbares Ziel an. Etwa zehn Meter vor uns teilt sich ein Gebüsch und zwei Frauen treten heraus. Selbst aus dieser Entfernung kann ich anhand der Muster auf ihren Mänteln erkennen, dass es sich um eine Vorhut der Nordgarde handelt.

Mirjas Pfeil zielt nun geradewegs auf die beiden Frauen. Ich halte den Atem an. Was soll ich tun? Wenn ich um Hilfe rufe, laufe ich Gefahr, von der Rebellin die Kehle durchgeschnitten zu bekommen. Ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass sie mir ohne meine Magie im Nahkampf überlegen ist. Und dass sie mit dem Messer schnell und tödlich ist, hat sie mir schon eindrucksvoll bewiesen. Genauso wenig kann ich allerdings zulassen, dass eine der Frauen aus dem feigen Hinterhalt erschossen wird. Auch wenn sie zu einer anderen Garde gehören, sind sie doch meine Schwestern!

Ich mache eine leichte Handbewegung. Widerwillig wendet mir Mirja den Blick zu. Ihre Miene drückt Missbilligung und die Frage „Was ist denn?“ aus. Ich schüttele leicht den Kopf, verziehe das Gesicht, hebe und senke leicht die Schultern.

Mirjas Blick geht wieder geradeaus zu den beiden Gardistinnen. Ihre Haltung ist angespannt. Mit dem Pfeil verfolgt sie jede noch so leichte Bewegung der Frauen. Gesprächsfetzen dringen zu uns hinüber, die wir allerdings aufgrund der zu großen Entfernung nicht verstehen. Die Gardistinnen suchen gewissenhaft den Boden ab.

Mit angehaltenem Atem warte ich, ob eine der Frauen ihre Magie benutzt. Alles Leben im Umkreis aufzuspüren, ist für eine durchschnittlich begabte Frau kein Thema. Das Problem besteht eher darin, die schier unendliche Flut an Lebewesen, die es in einem Wald gibt, nach Menschen abzusuchen. Eine Aufgabe, die Zeit und vor allem eine Menge Kraft und Konzentration kostet. Ich selbst habe mir schon lange nicht mehr die Mühe gemacht, sondern mich lieber auf mein Talent als Spurensucherin verlassen. Die Frauen scheinen ähnlich zu denken. Gut so. Denn wenn ich Mirjas angespannte Miene richtig deute, wird das meinen Schwestern das Leben retten.

Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie es Mirja schafft, so lange Pfeil und Bogen hochzuhalten. Schließlich verschwinden die Gardistinnen wieder in die Richtung, aus der sie gekommen sind. Nach einer Ewigkeit, gegen die mir die vorherige Warterei wie nichts erscheint, bedeutet mir Mirja aufzustehen. Mit steifen Knien, schmerzendem Rücken und brennender Brust tue ich mein Bestes, hinter ihr her zu schleichen. Das Tempo, das sie dabei vorgibt, flößt mir erneut Respekt ein: Wenn sie will, kann sich die Rebellin im Wald ebenso schnell wie lautlos bewegen. Um keinen Verdacht zu wecken, bewege ich mich einen Hauch ungeschickter und lauter. Als wir das Lager erreichen, sind wir außer Atem.

„Was ist los?“, will Adrian wissen, der uns entgegenkommt.

„Hexen, zwei“, bringt Mirja keuchend hervor. „Ein Spähtrupp, drei Kilometer südlich von hier. Glück, dass sie uns nicht gesehen haben. War knapp.“

Adrian überlegt nur Sekunden, dann dreht er sich zu den übrigen Rebellen um. „Wir brechen auf, sofort! Glenna, du hinterlässt die Zeichen für die anderen, wir gehen nach Nordosten. Alle anderen wissen, was sie zu tun haben!“

Mit diesen Worten lässt er uns einfach stehen und geht mit raschen Schritten zu seinem Zelt. Mirja dagegen dreht sich um, holt aus und verpasst mir eine Maulschelle, dass mir die Ohren klingeln.

„Tu das nie wieder!“, zischt sie. Dann stapft sie mit wütenden Schritten davon.

Fassungslos stehe ich da und halte mir die linke Wange. Mirja hat wirklich ganz schön viel Kraft im Arm! Am liebsten würde ich ihr einen Eisblitz nachjagen; da das im Moment ja leider nicht geht, tue ich das Nächstbeste.

„Was guckst du denn so blöd?“, herrsche ich einen jungen Mann an, der in der Nähe steht. Schnell senkt er den Blick und macht sich an seinem Zelt zu schaffen. Auch die anderen, die die Szene beobachtet haben, haben plötzlich wieder ganz fürchterlich viel zu tun.

„Helena!“ Mojserce kommt auf mich zugelaufen.

Kurz sieht es so aus, als wolle er mir um den Hals fallen. Dann scheint er sich jedoch eines Besseren zu besinnen und verlangsamt seinen Schritt.

„Helena“, sagt er noch einmal, als er vor mir steht.

„Schon gut, alles in Ordnung“, brumme ich, „ich war doch nur ein paar Stunden weg!“

Der Junge starrt aus tränenfeuchten Augen zu mir herauf.

„Na schön“, seufze ich genervt. Ich kann förmlich spüren, wie die Blicke der anderen auf mir kleben.

Ich unterdrücke zu Gunsten der Glaubwürdigkeit meiner Identität ein weiteres Seufzen und lege meine Arme um Mojserce. Ziehe ihn ganz dicht an mich heran und drücke ihn. Der Kleine vergräbt seinen Kopf in meinem Bauch und beginnt zu schluchzen.

„Es ging ihm nicht gut ohne dich!“

Wegen Mojserces Schluchzen habe ich Adrian nicht kommen hören.

„Er hat dich wirklich sehr vermisst!“

Etwas hilflos tätschele ich den Kopf des Jungen. Das tränennasse Gesicht an meinem Bauch erzeugt eine seltsame Wärme, die mich an warme Sommertage und das Lachen meines Bruders erinnert. Schließlich verstummt Mojserces Schluchzen. Dennoch spüre ich, wie sich seine kleinen Schultern noch immer im Takt seines Kummers heben und senken. Adrians Miene, mit der er mich mustert, gefällt mir gar nicht.

„Er war hier doch in Sicherheit, oder? Das Wild erlegt sich schließlich nicht von allein!“, fauche ich.

Adrian hebt abwehrend die Hände, grinst aber dabei.

„Schon gut, komm mal wieder runter! Niemand macht dir Vorwürfe, im Gegenteil. Ich wollte dich lediglich darauf hinweisen, dass der Kleine dich vermisst hat, das ist alles.“

Der Rebellenführer beugt sich vor und wuschelt Mojserce ebenfalls übers Haar.

„Sei ein bisschen netter, der Kleine hat viel durchgemacht und hält sich tapfer. Du kannst stolz auf ihn sein!“

Ich muss mich sehr beherrschen, nicht verächtlich zu schnauben. Was hat der Junge denn schon groß durchgemacht? Gut, er ist von seinen Eltern getrennt worden – na und? Immerhin hat sich Nadia, kurz nachdem wir losgeritten waren, erbarmt und ihm alles erklärt, wie sie mir gesagt hat, also weiß er, dass sie noch leben, ist selbst gesund und unversehrt. Er befindet sich in der Obhut einer ganzen Schar von Erwachsenen, wird mit Essen und Kleidung versorgt und beschützt! Doch da ich nun einmal vorgebe, Mojserces Tante zu sein, ringe ich mir ein Lächeln ab.

„Adrian hat recht, Mojserce, du machst das ganz großartig hier!“

Der Junge löst sich ein Stück von mir und schaut aus tränennassen Augen zu mir auf. Schnieft irgendetwas.

„Schon gut!“

Ich wische ihm mit einem Zipfel meines Mantels die Tränen ab. Die rotzige Nase kann er sich gefälligst mit seinen eigenen Sachen abwischen!

„Und jetzt lauf los“, bedeute ich ihm, „und mach dich nützlich.“

„Er ist ein guter Junge“, sagt Adrian mit Blick auf Mojserce, der sich wieder an mich klammert. „Keiner, der sich vor der Arbeit drückt oder nur Unsinn anstellt.“

Etwas hilflos zucke ich mit den Schultern. „Mir fehlt da ehrlich gesagt der Vergleich. Ich hab’s nicht so mit Kindern. Auf unserem Hof gab es vor Mojserce keine.“

„Und du hast anscheinend vergessen, wie es ist, selbst ein Kind zu sein“, fügt Adrian belustigt hinzu.

„Oh ja, das habe ich in der Tat – und du und deinesgleichen seid Schuld daran! Ihr habt mir meine Freundin genommen, ihr habt mir die Unschuld und meine sorglose Kindheit geraubt!“ Das spreche ich natürlich nicht laut aus. Stattdessen zucke ich mit den Schultern. „Wir müssen alle mal erwachsen werden.“

Adrian grinst. „Sieh an, eine wahre Philosophin unter uns!“

Ich muss gegen meinen Willen lachen.

„Und du, wie sieht es mit dir aus? Hast du Kinder?“

Aus irgendeinem Grund halte ich die Luft an.

„Nein.“ Adrians Lächeln verschwindet. „Was könnte ich einem Kind derzeit schon bieten?“

Er deutet auf das Lager, das vor unseren Augen zu verschwinden scheint, so effizient sind die Rebellen beim Abbau. „Dies ist nicht der richtige Ort, um Kinder großzuziehen. Nicht das richtige Leben. Welcher Frau sollte ich zumuten, unsere Kinder zwischen zwei Notlagern zu gebären und dabei bitteschön nicht so laut zu schreien, dass womöglich noch eine Garde auf uns aufmerksam wird? Säuglinge lassen sich mit einem Leben auf der Flucht nicht vereinbaren, Helena.“

Sein nun in die Ferne gerichteter Blick hat etwas Bedauerndes an sich. „Vielleicht eines Tages …“

Wir schweigen einen Moment. Aus irgendeinem Grund hat seine Antwort meine Laune deutlich gehoben.

Ich deute mit dem Kopf auf Mirja, die gerade vollbepackt aus einem Zelt kommt. „Und was hat die für ein Problem?“

„Du meinst die Ohrfeige?“

Ich nicke, Adrian lacht.

„Ich kann mir schon denken, was da los war.“

„Ach ja?“

Der Rebellenführer grinst.

„Komm schon, raus mit der Sprache“, dränge ich. „Ich hätte die Sache gerne geklärt, bevor wir aufbrechen!“

„Na schön“, sagt Adrian. „Ich würde mal schätzen, du bist ihr bei was in die Quere gekommen, kann das sein? Mirja ist ganz schön eigen und ganz zweifellos“, er lacht kurz auf, „hält sie sich gerne für den Chef von jedermann hier. Fällt dir dazu etwas ein?“

Zwecklos zu leugnen, was passiert ist, es würde ja doch herauskommen. Dafür bietet sich mir eine Gelegenheit, meine Glaubwürdigkeit weiter auszubauen und Vertrauen zu gewinnen. Also senke ich gespielt beschämt den Kopf und drücke den Jungen fest an mich.

„Na ja“, murmele ich, „da war schon was …“

„Und was?“

„Na ja, als wir diese beiden Fr- Hexen gesehen haben.“ Kurze Pause. Ich tue so, als würde mir das Eingeständnis schwerfallen. „Weißt du … Da gab es diesen einen Moment, in dem ich dachte, Mirja würde die beiden töten. Einfach so aus dem Hinterhalt. Da habe ich … ihr zu verstehen gegeben, dass sie das nicht tun soll. Das ist auch schon alles.“

Jetzt bin ich gespannt: Wie wird der Anführer der Rebellen auf mein Geständnis reagieren? Wird es ihn misstrauisch machen?

Adrians Blick ist forsch.

„Der Junge soll beim Abbauen helfen.“

„Na los“, ich löse Mojserces Arme von mir und gebe ihm einen Stups. „Lauf zu, ich komme gleich nach.“

Der Junge schaut von mir zu dem Rebellenführer, nickt dann und läuft los.

Dann wende ich mich wieder an Adrian, der mit finsterem Blick und mit vor der Brust verschränkten Armen vor mir steht.

„Helena …“, beginnt er und scheint seine Worte sorgfältig abzuwägen. „Wenn du hier bleiben willst, dann muss dir eines klar sein: Wir sind Rebellen!“

„Ich weiß!“

„Nein! Das weißt du nicht!“

Ich ziehe die Augenbrauen hoch. „Na, wie das Sommerfest einer Truppe Ehrendekorierter mit anschließendem Feuerwerk zu Ehren der Goldenen Frau sieht mir das hier nicht grade aus.“

Ich hatte jetzt eigentlich erwartet, dass Adrian grinst, aber seine Miene bleibt verschlossen.

„Helena, genau das meine ich: Du scheinst die Sache nicht besonders ernst zu nehmen! Ich nehme dir das nicht mal übel. Gut, du hast es als Unerweckte in deinem Dorf sicherlich nicht leicht gehabt“, er hebt die Hand, um einen Zwischenruf von mir zu unterbinden, „und der Junge auch nicht, niemand streitet das ab. Wir leben hier am Abgrund, Helena, irgendwo im Niemandsland zwischen Leben und Tod.“

Adrian deutet auf das Lager und die leise und emsig umherschwirrenden Menschen.

„Sie alle, wir alle, wissen, dass wir jederzeit sterben können. Jederzeit kann eine Garde über uns herfallen. Und was denkst du, was die dann mit uns machen werden, hm?“

Ich nicke stumm. Es auszusprechen ist nicht nötig. „Und wir würden uns wehren, da kannst du Gift drauf nehmen! Uns droht ständig der Tod, wenn nicht gar Gefangenschaft und Folter. Denkst du, wir wüssten das nicht? Nur weil wir abends lachend zusammensitzen, heißt das nicht, dass uns das nicht ständig bewusst wäre. Wir haben uns für dieses Leben entschieden und haben beschlossen, es zu genießen. Aber wir verleugnen auch nicht die Realität. So sieht es nun mal aus, Helena, ob es dir passt oder nicht. Denk nach, du wirst schon oft Hexen in Aktion gesehen haben. Und in der Garde sind die besten von ihnen. Wenn euch die Hexen entdeckt hätten, was meinst du, wie lange sie gebraucht hätten, um euch zu töten oder unser Versteck aus euch herauszufoltern? Eine Stunde? Oder nur eine Minute?“

Trotz Adrians Erregung bleibt seine Stimme leise.

„Im Fall des Falles hättet ihr nur diesen einzigen, winzigen Hauch einer Chance gehabt, und der wäre gewesen, wenn Mirja einen Pfeil abgeschossen hätte, der so unerwartet gekommen wäre, dass die Hexen ihn nicht hätten aufhalten können. Wir können uns den Luxus nicht leisten, erst Fragen zu stellen und dann zu schießen. Wir verfügen nicht über ihre Waffen, begreif das bitte, und somit sind sie uns um ein Hundertfaches überlegen.“

In meinem Kopf arbeitet es. Adrian hat recht: Wir sind diesen Verrätern um ein Hundertfaches, wenn nicht gar um ein Tausendfaches überlegen. Wie also bei allen sieben Finsterhexen konnten es die Rebellen immer und immer wieder schaffen, uns zu entkommen?

Ich ändere die Frage leicht ab und stelle sie laut: „Wie könnt ihr dann immer wieder den Fr- Hexen entkommen, und noch dazu Anschläge verüben, wie macht ihr das?“

Adrians Augen blitzen und dieses Mal liegt Grausamkeit in seinem Lächeln. „Das, Helena, wirst du schon sehr bald erfahren.“

Hexenherz. Eisiger Zorn

Подняться наверх