Читать книгу Hexenherz. Eisiger Zorn - Monika Loerchner - Страница 7

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Kapitel 2

Kurz vor meinem siebzehnten Geburtstag ging ich zusammen mit Mamu zu der Vierteljahresversammlung unserer Stadt.

„Zieh dich ordentlich an, mein Kind!“, sagte meine Muttersmutter. „Du bist jetzt schließlich eine Frau und somit voll stimmberechtigt!“

Ich gehorchte ihr gerne, denn ich war schon sehr gespannt darauf, wie die Versammlung ablaufen würde. Auch durchströmte mich ein seltsames Gefühl der Macht: Stimmt, ich war eine Frau. Und hatte somit mehr Einfluss auf die Entwicklung unserer Stadt, als Mamu neben mir, die als Großmutter ja nur noch eine halbe Stimme hatte.

Tatsächlich war die Versammlung mehr als langweilig: Wir waren alle im großen Saal der Festhalle zusammengekommen. Und obschon es eigentlich nur um Frauenbelange ging, waren viele Männer erschienen, um Berichte abzuliefern, Rechenschaft über ihre Arbeit abzulegen oder auch das eine oder andere Anliegen vorzutragen. Frau Schwarz und Frau Bohne, ihre Stellvertreterin, verlasen unsere Leistungen der vergangenen Monate sowie den Rang, den uns die Goldene Frau für dieses Jahr verliehen hatte. Wir standen ganz gut da, nicht zuletzt dank der wertvollen Mineralien und Kunstwerke, die wir Jahr für Jahr in alle Teile des Reiches sandten, und hatten uns im Vergleich zum Vorjahr um drei Plätze verbessern können. Man sah Frau Schwarz an, dass ihr das nicht reichte. Ihre Zeit als Frau lief bald ab und zweifelsohne hatte sie sich immer mehr erhofft, als ihr ganzes magisches Leben lang Obere einer Kleinstadt zu bleiben. Mein Mitgefühl hielt sich in Grenzen: Nummer 2.840 von 7.020 war zwar nicht besonders gut, aber eben auch nicht schlecht.

Nach einer gefühlten Ewigkeit wurde es endlich interessant. Zuerst trat Gerold vor, der Sprecher der Männer im Ort. Er war ein etwa 60-jähriger Mann, der bei seiner Frau, Großmutter Henrichs, lebte und wie die meisten Männer hier einen leicht gebückten Gang hatte, denn unsere Männer sind überwiegend Minenarbeiter.

„Wir bitten untertänigst um die Hilfe und Unterstützung mehrerer Frauen bei der Arbeit in den Stollen“, begann er zögerlich.

Frau Schwarz blickte ungnädig auf ihn herab. „Was verstehst du unter ‚mehrere Frauen‘, Gerold?“

Der Mann druckste herum. „Vier, vielleicht fünf, Frau Schwarz.“

Sie hob die Augenbrauen.

„Es ist nur“, stotterte er weiter, „weil wir immer tiefer graben müssen, um noch Erz zu finden. Wenn wir Maschinen hätten, nur ein paar ganz einfache! Es heißt, in der Türkei gäbe es …“

„Das will ich nicht gehört haben!“, schnitt ihm die Stadtobere das Wort ab. „Maschinen! Noch dazu von unseren Feinden?!“

Gerold senkte beschämt den Blick. „Es ist nur … wir werden die Liefermenge so nicht weiter beibehalten können …“

Frau Schwarz kniff die Augen zusammen. „Schweig, Gerold! Eine strengere Stadtobere, als ich es zu deinem Glück bin, würde dir das als Hochverrat anrechnen, ist dir das eigentlich klar?“

Der Mann erbleichte und trat hastig einen Schritt zurück.

Unter den Frauen indes erhob sich aufgeregtes Gemurmel. Viele Frauen schimpften, gründete sich doch unser Wohlstand zu einem nicht unerheblichen Teil auf die Förderung der Metalle und Erze! Andererseits war die Arbeit in den Minen für eine Frau fast schon eine Schande, war sie doch eintönig und brauchte zudem nur wenig Magie.

Schließlich wurde abgestimmt und den Minen für ein paar Monate zwei Frauen zugesprochen. Dabei hoffte natürlich jede Frau, dass es nicht sie treffen würde.

„Welch eine Verschwendung!“, raunte Mamu mir zu. „Frauen für diese Arbeit einzusetzen, pff.“

Frau Schwarz kündigte an, am Ende der Versammlung zu entscheiden, welche Frauen ihre Magie demnächst in den Minen einsetzen mussten. Dann ging es weiter mit der alljährlichen Besprechung der Heiltrankzubereitung.

Ich musste ein wenig weggedöst sein, das Ganze war so unsagbar langweilig …

Ich schreckte auf, als jemand mit lautem Gepolter die Flügeltüren der Versammlungshalle aufstieß. Fünf Kriegerinnen der Abwehrgarde betraten den Raum. Sie alle waren muskulös und in Uniformen aus fest gewobenem und magisch verstärktem Stoff gekleidet. Zusätzlich trugen drei von ihnen diverse Waffen, was sie als Frauen kennzeichnete, die nicht über eine ganz so mächtige Magie verfügten. Umso gefährlicher wirkten ihre waffenlosen Schwestern.

Nachdem sich der erste Schreck gelegt hatte, wurde es unnatürlich still. Selbst ich wusste, dass etwas Schlimmes passiert sein musste.

Die Anführerin, eine Frau Anfang dreißig mit grimmigem Gesichtsausdruck, trat nach vorne, nickte Frau Schwarz zu und drehte sich dann zu uns um. Im Raum herrschte Totenstille.

„Wiebke Meikenewa von Silbach, Obere der Westgarde“, sagte sie knapp. „Wir kommen mit schlechten Nachrichten.“

Die Spannung im Saal nahm spürbar zu. Meine Muttersmutter ergriff meine Hand und drückte sie so fest, dass ich beinahe aufgeschrien hätte. Frau Meikenewa sah, wie es schien, jedem Einzelnen ins Gesicht und räusperte sich. Dann hob sie den Blick zur Decke.

„Vor vier Tagen sind fünfzehn Schülerinnen des Fraueninternats Klarasgrund bei einem Ausflug entführt worden.“

Die Menschen um mich herum schnappten entsetzt nach Luft. Dann durchbrach ein Schrei das Gemurmel: Alle wandten ihre Köpfe zu der Frau, die aufgesprungen war. Es war Frau Weinert, die Mutter von Amelie. Frau Meikenewa schloss kurz die Augen. Sie verzog das Gesicht und einen Moment lang dachte ich, sie würde anfangen zu weinen. Doch bereits wenige Sekunden später hatte sie sich wieder im Griff, ihr Gesicht eine starre Maske.

„Die Mädchen wurden von einer der Rebellengruppen um Matthias Schulte entführt und gefangengenommen. Unter ihnen auch die 17-jährige Amelie Weinert. Sie lebt.“ Die Frau schüttelte leicht den Kopf. „Sie wurde zusammen mit den anderen in Sichtweite eines Dorfes … freigelassen.“

Erst jetzt merkte ich, dass ich die Luft angehalten hatte. Erleichtert stieß ich sie wieder aus. Amelie lebte! Sofort blitzten unzählige Kindheitserinnerungen in mir auf: Wie wir miteinander gespielt hatten, sonnendurchflutete Tage am Fluss. Das gemeinsame Warten auf das Erwachen unserer Magie. Amelies Ungeduld. Ihre Wutausbrüche. Wunderbar kaltes Erdbeereis und nackte Füße, die von der Mauer baumelten. Sie war entführt worden. Aber es ging ihr gut!

„Amelie befindet sich derzeit im Frauenkrankenhaus in der Hauptstadt“, fuhr Frau Meikenewa fort. „Sie wird dort bestens versorgt. Ihr Zustand und der der anderen Frauen ist … sie …“ Die Frau schluckte hörbar. „… sind auf dem Weg der Erholung.“

Der Blick der Gardenoberen legte sich sanft auf Frau Weinert, die noch immer als Einzige von uns stand.

„Wir sind hier, um Sie abzuholen. Wir werden Sie sofort zu Ihrer Tochter bringen! Amelies Schwester auch, wenn Sie wollen.“

Frau Weinert nickte benommen. Zwei andere Frauen nahmen sie am Arm und führten sie dann vorsichtig aus dem Saal. Hätten sie die Frau nicht festgehalten, wäre sie zusammengebrochen. Auf ein Zeichen der Gardenoberen ging ihnen eine Gardistin hinterher.

Hunderte Blicke verfolgten Amelies Mutter, bis sich die Tür hinter ihr und ihren Begleiterinnen wieder geschlossen hatte. Dann herrschte wieder Stille. Mir brannten hunderte Fragen auf der Zunge: Wer war dieser Matthias Schulte? Warum entführten er und seine Leute unschuldige Frauen? Nur um sie dann ein paar Tage später wieder freizulassen? Was hatten sie mit den jungen Frauen angestellt? Und noch viel wichtiger: Warum schien außer mir keiner erleichtert zu sein, dass es Amelie und den anderen gut ging? Ich wandte mich zu Mamu um, bereit, ihr all diese Fragen zu stellen. Sie kniff nur die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. Sie war aschfahl im Gesicht. Auch einige der anderen Frauen waren bleich, andere zornesrot. Immer wieder Kopfschütteln und geballte Fäuste. Stimmen wurden laut, mehrere Frauen standen auf und riefen Frau Meikenewa Fragen zu. Wütend, zornig. Die Stimmung heizte sich auf. Nur einige wenige Frauen saßen mit gesenktem Kopf da, als könnten sie es noch immer nicht glauben. Die Gardenobere wechselte einen Blick mit der Kriegerin, die neben ihr stand.

Dann trat sie vor. „Frauen, beruhigt euch!“

Die sonst so sanftmütige Frau Bechthold schrie: „Ruhig sollen wir bleiben? Fünfzehn junge Frauen und wir sollen ruhig bleiben?“ Andere Frauen stimmten ein, ebenso die Großmütter.

„Was tut die Goldene Frau dagegen?“

„Was soll jetzt aus den Mädchen werden?“

„Wann hat das endlich ein Ende?“

„Warum hat die Garde sie nicht beschützt?“

Wut, Zorn und Hass durchströmten die Menge. Und inmitten all dieses Lärms und Getöses saß ich und verstand gar nichts mehr. Ich hatte den Namen Matthias Schulte zwar schon ab und an gehört, doch immer, wenn die Frauen mich sahen, waren die Gespräche über diesen Mann sofort verstummt.

„Mamu“, fragte ich leise. „Was ist denn hier los? Ich verstehe das alles nicht. Was haben die Männer denn mit den Frauen gemacht? Es scheint ihnen doch gut zu gehen, also warum regen sich alle so auf?“

Meine Muttersmutter wandte sich mir zu. Erst jetzt sah ich, dass ihr Gesicht tränenüberströmt war. „Es sind keine Frauen mehr“, flüsterte sie.

Ich schluckte. „Ich verstehe nicht …?“

Großmutter Mamu ballte die Hände zu Fäusten und sah mir direkt in die Augen. Ich zuckte zurück, als ich den Hass und die Kälte darin sah. „Deine Freundin Amelie und all die anderen …“ Unwillig wischte sie sich mit noch zu Fäusten geballten Händen die Tränen weg. „Sie sind keine Frauen mehr.“

Ich schüttelte den Kopf. „Wie kann das sein? Ich verstehe das nicht.“

Die Frau neben Großmutter Mamu lachte bitter. „Das soll heißen, Schätzchen, dass keine Frau, die einmal in die Fänge von Matthias Schulte und seiner Bagage geraten ist, noch eine Frau ist. Denn das ist es, was sie mit denen machen, die sie in die Finger bekommen!“

„Sie meinen …?“

„Hysterektomie. So nennt man das, was sie machen: Sie entführen Frauen und sorgen dafür, dass sie nie wieder Magie ausüben können. Sie setzen eine verbotene Technik aus anderen Ländern ein, schneiden ihnen die Gebärmutter raus und lassen die Frauen dann wieder frei. Deswegen nennt man sie auch die Großmüttermacher.“

Ich war verwirrt. In meinen Ohren rauschte es. Vor meinen Augen erschien ein Bild von Amelie. Amelie, die es nicht hatte erwarten können, endlich zur Frau zu werden. Amelie, die voller Stolz strahlte, als ihre Magie endlich erwacht war. Amelie, wie sie ihr Können ausprobierte. Wie sie mir von ihrer Zukunft vorschwärmte. Sogar Kinder hatte sie eines Tages haben wollen!

Das alles war jetzt vorbei. Siebzehn Jahre alt und schon Großmutter. Ausgeschabt und ausgeräumt, wie ein Schwein beim Schlachter.

Sie würde mir nie wieder in einem Wutanfall die Ohren versengen können.

Amelie.

Flüssiges Eis durchströmte meinen Körper, floss durch jede einzelne Blutbahn, erreichte mein Herz.

Etwas in mir zerbrach.

Hexenherz. Eisiger Zorn

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