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Otohime und der Drache

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Als Prinzessin Otohime den Thronsaal betrat, bemerkte sie sofort, dass etwas nicht in Ordnung war. Statt ihres Vater Ryujin, dem König des Meeres, ringelte sich ein riesiger Drache um den Korallenthron. Natürlich kannte Otohime die Drachengestalt ihres Vaters, doch wunderte sie sich, sie hier zu sehen.

»Otosama. Mein Vater«, begrüßte sie ihn und verbeugte sich tief. Das Monstrum sah sie unverwandt an. Seine groben Schuppen rieben an einer Verzierung des Throns und feiner Korallenstaub bildete eine glitzernde Wolke im Wasser.

Im Augenwinkel sah die Prinzessin Kurage, den treuen Berater ihres Vaters, auf sich zukommen. Er verbeugte sich. »Otohime … Prinzessin Toyotama, welch eine Freude, Euch zu sehen.«

Die Prinzessin lächelte. »Kurage-sensei.«

»Erweist mir die Ehre und begleitet mich für einen Moment. Ich möchte gerne mit Euch sprechen.«

Otohime nickte, verbeugte sich nochmals vor dem Drachen, der sie mit seinen tellergroßen Augen anglotzte, und folgte Kurage.

Als sie durch den Palast gingen, verbeugten sich vor den beiden immer wieder ehrfurchtsvoll Soldaten und Bedienstete. Viele kannte Otohime schon seit ihrer Kindheit und begrüßte sie mit Namen. Wenn die schöne Tochter ihres Königs zu Besuch war, wurden meist ausgelassene Feste veranstaltet, die mehrere Wochen dauern konnten. Aber diesmal schien alles anders zu sein. Gerne hätte sich die Prinzessin mit ihren alten Bekannten unterhalten, doch ihr Führer schien in Eile zu sein.

Sie erreichten einen kleinen Raum. Kurage ließ der Prinzessin den Vortritt und verschloss die Tür hinter den beiden.

»Prinzessin Toyotama, ich bin untröstlich, dass Euch kein gebührender Empfang zuteil wurde. Aber, Ihr habt ja selbst gesehen …«

»Mein Vater – was ist mit ihm?«

»Wir wissen es nicht. Er war an der Oberfläche und kam sehr erzürnt zurück. Er nahm seine Drachengestalt an und hat sich seitdem nicht wieder zurückverwandelt. Wir haben die besten Ärzte und Weisen gerufen, doch keiner konnte sich einen Reim darauf machen.«

»Besteht Gefahr?«

»Es gibt Weise, die glauben, er könne verlernen, seine andere Gestalt anzunehmen.«

»Dann bliebe er für immer ein Drache?«

»Wir wissen es nicht, aber es steht zu befürchten.«

»Was kann ich für ihn tun?«

»Prinzessin, ich hoffte, dass Ihr das fragen würdet. Wir sind ratlos, aber einige der Weisen glauben zu wissen, wer eine Antwort haben könnte.«

»Ich muss ihn finden. Wo ist er?«

»Es ist … Izanami. Und wo sie ist, wisst Ihr.«

»Im Yomi, dem Reich der Schatten«, sagte Otohime tonlos.

Kurage nickte. »Wenn jemand die Antwort kennt, dann sie. Aber niemand kann dorthin gelangen und zurückkehren.«

»Ihr vergesst, wen ihr vor euch habt, Diener«, entgegnete Otohime kalt und blickte ihn hochmütig an.

»Prinzessin, ich vergesse keinen Moment, wer Ihr seid, leuchtendes Juwel des Meeres, geliebte Tochter und größter Stolz des Drachenkönigs, meines ehrwürdigen Gebieters. Aber diese Aufgabe ist zu groß. Das könnt Ihr nicht wagen – nicht allein. Es muss eine andere Möglichkeit geben …«

»Überlasst das nur mir.« Schwungvoll drehte sich die Prinzessin um und verließ den Raum. Mit wehendem rotem Umhang schritt sie so eilig durch den Palast, dass die Diener alle Mühe hatten, die großen, zweiflügligen Tore für sie zu öffnen.

Kurage hatte sie nicht mehr so wütend gesehen seit … ja, seit sie als Kind einmal nicht an einem großen Fest teilnehmen durfte, weil ihr Vater sie ins Bett schicken wollte. Er lächelte beim Gedanken an das trotzige Mädchen. Eigentlich hatte sich Otohime gar nicht sehr verändert. Vielleicht war das ja auch gut so.

Wenig später entfernte sich eine Schildkröte mit kräftigen Zügen vom rot und weiß leuchtenden Palast des Königs Ryujin und tauchte ein in die Dunkelheit der Tiefe.

Kurage stand vor dem Schloss und sagte laut: »Viel Glück, Prinzessin.« Als hätte sie es gehört, wandte die Schildkröte den Kopf und sah ihn aus uralten, jungen Augen an. Kurage verbeugte sich tief und fragte sich, ob er Otohime jemals wieder sähe.


Die Prinzessin der Lilien

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