Читать книгу Im Kerker der Kleopatra - N. Färusmonz - Страница 10

Kleopatra

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Die fremde Stimme gehörte offenbar einer Frau. Nach wie vor wurde Anthony von tiefster Dunkelheit umhüllt.

»Wa… was ist los, wo bin ich?«, stammelte er.

Er fühlte ein Ziehen an der rechten Hand. Mit der Linken strich er über die ominöse Stelle und ertastete einen Schlauch, der in seinen Handrücken führte.

»Bleiben Sie von der Kanüle! Sie befinden sich im Hollywood Community Hospital. Seien Sie froh, dass Sie noch leben! Ich bin Miss Severine Folder, Ihre Stationsärztin. Spüren Sie Ihre Beine?«

Er war im Krankenhaus? Zaghaft spannte er die Oberschenkel an.

»Ich spüre sie«, bezeugte er voller Erleichterung – bevor ihm wie aus dem Nichts etwas durch den ohnehin schmerzgeplagten Kopf schoss.

»Die Pressekonferenz!«, schrie er, schrak hoch und ließ sich vor Schwäche sofort wieder fallen.

»Ganz ruhig! Sie müssen unbedingt ruhig liegenbleiben«, mahnte ihn die Ärztin. »Sie haben mehr Glück als Verstand.«

»Was erlauben Sie sich!«, stieß Anthony gekränkt aus. Er konnte mit Kritik nicht umgehen, besonders wenn er sie im Dunklen hinnehmen musste.

»Die Wahrheit«, entgegnete das Frauenzimmer.

Ihr gestrenger Tonfall ließ ihn automatisch respektvoller sprechen:

»Bitte, ich habe einen wichtigen Termin. Wie spät ist es?«

»Es ist 11 Uhr 55, gleich erhalten Sie eine neue Infusion, anschließend eine gedünstete Suppe. Sie müssen wieder zu Kräften kommen.«

»11 Uhr 55!«, wiederholte er entsetzt. »Vor über zwei Stunden hätte ich auf der Pressekonferenz sein müssen. Hoffentlich hat Alex mich würdig vertreten.«

»Sind Sie sicher, dass Ihr Termin heute Morgen gewesen ist?«, hörte er sie spötteln.

»Natürlich bin ich sicher – sofern Sie mir die korrekte Zeit genannt haben!«, polterte er vor Wut.

Plötzlich fühlte er etwas Warmes auf seiner Brust, das ihn zurück in die Matratze drückte. Er musste sich in der Aufregung erneut aufgebäumt haben.

»Huch! Na so etwas!«, rief die Ärztin verwundert.

»Was denn?«, fragte Anthony gewohnt ungeduldig.

Nach längerem Zögern antwortete sie:

»Kaum habe ich Sie mit der Hand berührt, weil Sie Anstalten machten, sich wieder aufzurichten, schon sinken Sie nieder; trotz Ihrem Unwillen! Würden Sie mir das erklären?«

Jetzt platzte Anthony endgültig der Kragen. Auch wenn das Hämmern in seinem Kopf beim Schimpfen heftiger wurde, ließ er seinem angestauten Zorn freien Lauf:

»Nur zum Mitschreiben: Ich habe einen extrem wichtigen Termin versäumt, liege plötzlich mit verbundenen Augen im Krankenhaus, und Sie verlangen von mir eine Erklärung! Vielleicht befreien Sie mich endlich von der Augenbinde.«

Nach dem Ausbruch atmete er tief durch. Das hatte gutgetan, obwohl er sich zum Abreagieren die falsche Person ausgesucht hatte. Das sollte er rasch merken. Miss Folder erläuterte in aller Seelenruhe:

»Sie wurden gestern Morgen mit einem schweren Schädelbasisbruch bei uns eingeliefert, nachdem Sie frontal in einen Laster gerast sind. Der Lastwagenfahrer erlitt in Gegensatz zu Ihnen nur ein paar Blessuren. Ihr Glück, ansonsten hätten Sie bald mit einem wenig aussichtsreichen Prozess zu kämpfen. In einer Notoperation haben meine Kollegen und ich Sie oder das, was von Ihnen übrig war, wieder zusammengeflickt. Es hätte sein können, dass Sie für den Rest Ihres Lebens ans Bett gefesselt wären. Sie tragen keine Augenbinde, sondern einen Kopfverband. Den behalten Sie solange an, wie ich es für gut erachte.«

Jetzt erst verinnerlichte Anthony den außergewöhnlichen Klang ihrer Stimme. Sie war fest, streng und doch irgendwie seidig weich, beinahe schwerelos. Etwas anderes interessierte ihn indes weit mehr.

»Gestern!«, ächzte er. »Ich war seit gestern bewusstlos?«

»Ja«, sagte die Ärztin leicht triumphierend.

Den Brocken, den sie ihm zu schlucken gab, hatte er noch lange nicht verdaut:

»Ich wurde notoperiert?«

»Allerdings. Ihr außerordentlich dicker Schädel hat Sie zumindest dieses Mal gerettet, Herr Wilms.«

Er lächelte gequält.

»Sie wissen, wer ich bin?«

»Ich habe alle Ihre Filme gesehen.«

»Viele sind es ja nicht.«

Er hörte sie mit ihrer verwirrend schönen Stimme kichern. Trotzdem wurde er wieder ernst:

»Sie waren bei der OP dabei?«

»Ja. Ich habe Sie mit vier Stichen genäht.«

»Oh nein!«

»Oh doch! Wie geht es Ihrem Kopf?«

»Er« – Anthony hob bereits die Hand, nahm sie aber sofort wieder runter, da er sich besser nicht an die Stirn fasste – »tut ziemlich weh.«

»Einen Moment!«

Er hörte ihre Absätze auf dem Fußboden quietschen, gefolgt von eiligem Stöckeln.

»Nein, warten Sie, ich habe noch Fragen«, rief er, aber sie war bereits verschwunden.

Anthony hasste die Warterei: eine weitere seiner Schwächen, die ihm den Umgang mit Menschen nicht gerade erleichterte. Er tastete sich nach Verletzungen ab. Außer den brennenden Kopfschmerzen stellte er lediglich einige Schürfwunden fest. Doch was war das? Er bemerkte eine Röhre an seinem besten Stück. Er verfolgte sie mit den Fingern bis unter die Bettkante, wo sie in einem blechernen Gefäß endete. Man hatte ihm einen Katheter aufgenötigt. Was für eine widerliche Entwürdigung! Zugegeben, wenn er seit gestern im Bett lag, war es nur verständlich, dass zu einer solch impertinent inkontinenten Maßnahme gegriffen wurde. Nichtsdestoweniger fühlte er sich zutiefst gedemütigt, so sehr, dass er das erneute Stöckeln von Absätzen gar nicht beachtete.

»Öffnen Sie den Mund«, befahl die Ärztin.

»Wieso?«, erwiderte Anthony verblüfft.

Da registrierte er, wie sich sein Bett surrend hob.

»Ich bringe Ihnen ein in Wasser gelöstes Aspirin. Also: Mund auf!«

»Ich kann das selbst«, entgegnete er trotzig und streckte die rechte Hand aus, die sofort höllisch zu stechen begann.

»Au! Verdammt!«, schrie er.

Er riss den Arm herum, wodurch sich das Stechen nur verschlimmerte. Da packten fünf lange Finger sein Handgelenk und zwangen seinen Arm zur Ruhe. Das Stechen ließ sogleich nach.

»Sie hängen an einer Kanüle – schon vergessen?«, herrschte ihn die Ärztin an.

Ihr Tonfall klang dabei derart wild und roh, dass er vor Schreck erstarrte. So viel stand außer Zweifel: Ab jetzt täte er, was sie sagte. Ihre Hand fühlte sich, das musste er insgeheim anerkennen, sehr angenehm an. Er spürte das Blut in ihren Adern zirkulieren, von denen eine wohlige Wärme ausströmte, die sich auf seinen verkrampften Körper übertrug. Er konnte nicht anders, als sich zu entspannen.

»Machen Sie endlich den Mund auf!«

Wie erniedrigend! Noch nicht einmal ohne Hilfe trinken konnte er. Aber es war ratsam, keine Mätzchen mehr zu veranstalten. Also ließ er sich von Stationsärztin Folder die bittere Medizin verabreichen.

»Austrinken!«, drängte sie ihn.

Als nichts mehr nachkam, führte sie den Becher wieder von seinen Lippen. »Bald geht es Ihnen besser.«

Er fühlte ihren Griff unverändert um sein Handgelenk.

»Sie sind mir weiterhin eine Antwort schuldig, Herr Wilms.«

»Welche, werte Miss Folder?«, erkundigte er sich höflich.

Je artiger er sich gab, desto eher wäre er die Tyrannin wohl wieder los. Also versuchte er sich an der Freundlichkeit.

»Ich meine das mit dem Ins-Bett-Drücken. Auch jetzt, während ich Sie am Arm halte, kann ich keinen Widerstand von Ihnen ermitteln. Dabei hätte ich darauf gewettet, dass Sie sich sträuben, selbst wenn man nur Gutes für Sie will.«

»Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«

»Hm«, machte die Ärztin nachdenklich. »Vielleicht könnte ein Test für Klarheit sorgen.«

»Ein Test?!«

»Keine Bange«, versicherte das irritierende Weibsstück, »es wird nicht weh tun. Ich bitte Sie nur, Ihren Arm aufrecht zu halten, solange ich dagegen drücke.«

»Sie wollen Armendrücken mit mir spielen?«, entfuhr es ihm entsetzt und verwundert zugleich.

Sofort bereute er seinen neuerlichen Ausrutscher:

»Herr Wilms, ich spaße nicht! Ich will wissen, ob Ihnen etwas fehlt. Tun Sie, was ich von Ihnen verlange – oder ich verhänge eine Quarantäne über Sie, dass Sie die nächsten Monate nicht mehr hier rauskommen.«

»Ver…zeihung«, brachte er mühselig hervor.

Von ihrer Hand, die weiterhin seine eigene festhielt, spürte er eine Vibration ausgehen.

»Entschuldigung angenommen«, sprach die Ärztin wieder ruhig, beinahe sanft. »Können wir?«

»Ja.«

Er merkte, wie ihre Hand seinen rechten Arm nach unten drückte.

»Halten Sie dagegen!«, wurde er aufgefordert.

Er zog seine Muskeln an und leistete dem Druck Widerstand. Es konnte doch nicht sein, dass ihn die nächstbeste Frau beim Armdrücken besiegte! Tatsächlich gelang es ihm, das Absinken seines Arms zu stoppen. Puh! Wahrscheinlich war er einfach nur durch den Unfall geschwächt.

»Sehr gut«, lobte sie ihn, »jetzt erhöhe ich den Druck etwas. Halten Sie weiter dagegen!«

Wie? Was sollte das denn heißen?! Sie hatte gar nicht richtig gedrückt? Schon begann seine Hand wieder zu sinken – gnadenlos. Sein verletzter Stolz ließ ihn sich tapfer dagegenstemmen. Aber Anthony konnte nicht verhindern, dass seine Rechte neben seinem Kopf landete.

»Sehr seltsam«, murmelte die Ärztin. Ungläubig beharrte sie: »Haben Sie wirklich dagegengehalten?«

»Ja doch!«, erwiderte Anthony erneut gereizt.

Sie ließ sein Handgelenk los, das sogleich auskühlte. Wieder stöckelten ihre Absätze über den Boden, diesmal noch viel schneller als eben, fast panisch. Dass sie mit solchem Schuhwerk in der Klinik überhaupt antanzen durfte! Wenige Sekunden später raunte ein Stimmengewirr auf ihn zu.

»Das ist nicht normal. Zwar hatte er einen Unfall, aber er ist völlig kraftlos. Das dürfte so nicht sein. Ob wir etwas übersehen haben?«, rätselte Miss Folder.

»Wir werden es rausfinden«, beschwichtigte sie eine tiefe Stimme – offenbar von einem Mann – mit leichtem Akzent, womöglich Griechisch oder Persisch.

Gleich darauf hörte Anthony die Stationsärztin ganz in seiner Nähe:

»Herr Wilms, ich möchte Ihnen Chefarzt Padroupolos Partenes sowie Ihre Pflegerin Claire Fields vorstellen.«

»Sehr erfreut«, begrüßte er die zwei mit beißendem Sarkasmus – vermutlich hatte letztere ihm den Katheter verpasst. »Sie werden wohl verstehen, dass ich Ihnen nicht die Hand reichen, geschweige denn Sie in Augenschein nehmen kann.«

»Schon gut«, meinte die Männerstämme, also der Chefarzt. »Herr Wilms, haben Sie vielleicht Glasknochen?«

»Nein. Was soll das sein?«

Die zwei Ärzte stießen jeweils einen Stoßseufzer aus.

»Glasknochen sind eine Krankheit, bei der die Knochen sehr zerbrechlich sind«, erklärte Miss Folder.

»Wenn er welche hätte, läge er jetzt im Leichenschauhaus«, grummelte die Männerstimme vor sich hin, um sofort förmlich zu werden: »In Ihrer Familie gibt es auch keine Fälle?«

»Nein«, zischte Anthony genervt über das mysteriöse Gerede. »Außerdem sind meine Verwandten alle tot.«

»Nicht aufregen«, piepste eine dritte Stimme; anscheinend die Krankenschwester. »Ich bringe Ihnen eine neue Bettpfanne«, verkündete sie und tippelte von dannen.

Oh wie entwürdigend!

»Kollegin, was halten Sie davon?«, fragte Partenes.

»Ein gewöhnlicher Muskelschwund ist das nicht«, sinnierte die Stationsärztin.

»Das denke ich auch«, bestätigte Partenes. »Herr Wilms! Ich wage es kaum auszusprechen, aber Sie haben eine sehr spezielle und höchst seltene Form von Muskelschwäche. Sie verfügen nicht annähernd über die Stärke eines Erwachsenen. Ist Ihnen das jemals aufgefallen?«

»Dann habe ich also deswegen meinen Kampf gegen Vitali verloren!«, ätzte Anthony.

»Herr Wilms!«, knurrte Miss Folder. Unweigerlich zuckte er am ganzen Leib zusammen.

»Ich war nie eine Sportskanone«, antwortete er schnell. »Zudem habe ich einen Beruf gewählt, bei dem Muskelkraft keine Rolle spielt.«

»Aber im Freundeskreis oder im Alltag, etwa beim Einkaufstütentragen – nichts?«, hakte sie eindringlich nach.

Er überlegte.

»Nichts. Ich habe keine Freunde« – was hätten die auch mit seiner bizarren Situation zu tun haben sollen? – »ich verbringe die meiste Zeit in meinem Filmstudio oder zu Hause am Schreibtisch. Schwere Einkaufstüten schleppe ich nicht. Mein Essen lasse ich mir meistens bringen. Und bevor Sie nach Umzugskisten fragen: Ich lebe seit über einem Jahrzehnt in derselben Villa in Bel Air.«

»Interessant«, kommentierte Miss Folder.

Zwar war er unvermindert blind, aber er konnte sich vorstellen, wie der von seiner Situation faszinierte Chefarzt nachdenklich den Kopf schüttelte.

»Herr Wilms, mit Ihrer geschätzten Erlaubnis würden wir gerne ein paar Tests mit Ihnen durchführen, wenn Sie wieder fit sind«, sprach Partenes.

»Na super!«, stöhnte Anthony.

»Es ist nur zu Ihrer Sicherheit«, fügte der Arzt hastig hinzu. Überzeugend klang er nicht gerade.

»Von mir aus!«, ergab sich Anthony schließlich. »Die Pressekonferenz habe ich ohnehin versäumt. Da kann ich mir noch ein paar Tage ›Extraurlaub‹ im Krankenhaus gönnen. Ich würde es übrigens sehr begrüßen, wenn Sie mich möglichst bald von meinem Verband sowie von Ihrer Stationstyrannin befreien!«

Er registrierte, wie Partenes nach Luft schnappte.

»Schon gut, ich regle das«, sagte Miss Folder. »Er liegt in meinem Zuständigkeitsbereich!«

»Wie Sie meinen. Halten Sie mich bitte auf dem Laufenden. Herr Wilms, ich empfehle mich.«

Das abermalige Quietschen von Absätzen verriet Anthony, dass der Chefarzt aus dem Zimmer ging. Oh, oh … Weil die Pflegerin anscheinend noch nicht mit seiner Pfanne zurück war, blieb er mit der gestrengen Stationsärztin alleine, die er in einem unvorsichtigen Moment beleidigt hatte. Er konnte geradezu hören, wie sie ihre Fingernägel in die geballten Fäuste grub. Langsamen Schrittes näherte sie sich seinem Bett, an dessen unterem Ende eine dumpfe Erschütterung zu vernehmen war. Offenbar hatte sie ihre Hände auf der Bettstange abgestützt. Wahrscheinlich stierte sie ihn böse an. Wie er seit neuestem wusste, war er ein Schwächling; zudem blind und noch von dem Unfall gezeichnet. Als wäre das nicht genug, hing er am Tropf. Er konnte sich eines gewissen Angstgefühls nicht erwehren. Doch sie schwieg. Dabei wäre es ihm gerade jetzt lieber gewesen, wenn sie etwas verlauten ließe, damit er wusste, was in ihr vorging. Würde sie ihm weitere Medikamente aufzwingen? Zugegeben, seit der Schmerztablette ging es ihm ein wenig besser. Aber wer weiß, was ihm die Stationsärztin noch alles verabreichen könnte. Das furchtbare Schweigen von ihr! Damit spannte sie ihn regelrecht auf die Folter. Es war nicht zum Aushalten.

»Verzeihung!«, hauchte er.

»Sie entschuldigen sich ja schon wieder!«, fauchte sie.

Die Wut war deutlich aus ihrer Stimme herauszuhören. Es schwang aber auch eine schwer zu fassende Befriedigung darin mit. Wieder spürte er das untere Bettende beben. Sie musste das Gestell losgelassen haben. Sie stöckelte auf sein Kopfende zu.

»Tun Sie mir nichts!«, rief er wie der letzte Trottel.

Zu gerne hätte er ihr Gesicht gesehen. Vermutlich grinste sie diabolisch. Musste er auch ausgerechnet an dieses Frauenzimmer geraten! Mit einer Tonlage, süß wie Honig, fragte sie:

»Aber wovor fürchten Sie sich denn? Glauben Sie wirklich, ich würde ungezogenen Unfallpatienten mit Promi-Allüren etwas zuleide tun? Patienten, denen die Augen verbunden sind, die praktisch hilflos sind und die mich eine Stationstyrannin nennen? Ein völlig abwegiger Gedanke!«

Sie kicherte hämisch. Wusste er’s doch: Sie war eine Sadistin! Plötzlich fing das Bett erneut zu surren an. Langsam senkte sich sein Kopf. Er weilte wieder in bequemer Liegeposition.

»Danke, das tut gut«, murmelte er und versuchte, es wie ein Friedensangebot klingen zu lassen.

»Gern geschehen«, erwiderte die Ärztin in perfekter Unschuldsmanier.

»Sie wären bestimmt eine erstklassige Schauspielerin«, erkannte Anthony an.

Jetzt wurde ihre Stimme wieder schneidend:

»Herr Wilms, ich rate Ihnen, Ihren Sarkasmus schleunigst einzumotten. Ich werde Ihnen keine Gelegenheit zu einer dritten Entschuldigung lassen. Hoffentlich habe ich mich verständlich ausgedrückt!«

»Ja«, antwortete er kleinlaut.

»Ja, was?«, bohrte sie.

Er war verwirrt: »Das verstehe ich nicht.«

Miss Folder schien selbst verlegen zu sein.

»Nichts«, entgegnete sie knapp. Nach einem Räuspern äußerte sie einen Akkord höher:

»Ich sehe Sie morgen wieder. Sollten Sie etwas benötigen, drücken Sie auf den Knopf direkt links neben Ihrem Kopfkissen. Erholen Sie sich gut.«

»Vielen Dank und bis morgen«, sprach er bewusst freundlich.

Er hörte eine Türe leise zugehen. Er war allein, zum ersten Mal seit seinem Erwachen.

Die in seinem nach wie vor schmerzenden Kopf wild umherschwirrenden Gedanken musste er erst einmal sortieren.

– Er hatte den womöglich wichtigsten Termin seiner Karriere verpennt.

– Er war in einen LKW gerast und konnte von Glück reden, weder tot noch querschnittsgelähmt zu sein.

– Unabhängig davon litt er an einer seltenen Krankheit, die ihn wehrlos machte – und das in Kalifornien, dem Land der Muskelprotze!

– Zu allem Überfluss lag er unter der Fuchtel eines wahren Stationsdrachens, der ihn, den großen Frauenverächter Anthony Wilms, das Fürchten lehrte.

Besonders im letzten Punkt verharrte sein Grübeln. Seit der Scheidung von vor zehn Jahren hatte er mit der weiblichen Welt komplett abgeschlossen. Seine Ex-Frau hatte alles Mögliche von ihm gewollt: Zuneigung, neue Schuhe, Kinder, Aufmerksamkeit und so weiter. Er hieß doch nicht Krösus; schließlich musste er ein alles andere als gutgehendes Studio am Leben halten! Völlig grundlos hatte sie ihn eines Tages verlassen, ohne Abschiedsworte. Lediglich einen kargen Brief hinterließ sie auf seinem Schreibtisch, über eines seiner Drehbücher. Wenigstens verlief die Scheidung unkompliziert. Zwar stand seiner Ex die halbe Villa zu, aber sie wollte nichts von ihm, gar nichts. Bloß ihren ureigenen Hausrat nahm sie mit. Von da an lebte Anthony – wie er selbst meinte – glücklich und weiberfrei in seiner Villa. Er konnte sich ganz seiner Arbeit widmen.

Jenes Miststück von einer Stationsärztin war die erste Frau, mit der er seit damals mehrere Sätze am Stück gewechselt hatte. Dabei kannte er noch nicht einmal ihr Aussehen. Vielleicht hätte er in den vergangenen Jahren doch die eine oder andere Frau näher studieren sollen; prüfen sollen, ob sich das andere Geschlecht inzwischen verändert hatte, emanzipierter geworden war. Waren alle Frauen so herrisch wie Miss Folder? Aber eines musste er doch einräumen: Zweimal hatte sie ihn berührt, zuerst ganz kurz auf seinem Hemd und dann sehr lange direkt am Arm. In beiden Fällen hatte er eine ebenso angenehm wie rätselhaft flammende Wärme verspürt. Ihrer Stimme und ihren Händen nach zu urteilen war Miss Folder höchstens ein halbes Jahrzehnt jünger als er, also etwa Anfang Dreißig – und bestimmend war sie, tyrannisch eben. Nun gut, wenn er seine Ruhe vor ihr haben wollte, musste er – so sehr ihm das auch widerstrebte – seinen Sarkasmus im Zaum halten.

Hoffentlich kam Alex bald vorbei. Er konnte ihn nicht anrufen, musste aber unbedingt erfahren, was er der Presse gesagt hatte. Vermutlich hatte er die Konferenz selbst abgehalten, ganz ohne ihn. Wie zu seiner Schmach bestellt, hörte er das Auffliegen der Zimmertüre, eiliges Trippeln und die piepsige Stimme der Krankenschwester.

»Ich wechsel Ihren Infusionsbeutel. Außerdem bringe ich Ihnen eine neue Bettpfanne. Die alte braucht die Ärztin für die Urinprobe.«

»Richten Sie ihr aus, dass ich sie hasse«, presste er durch die Zähne.

»Ist das Ihr Ernst? Also an Ihrer Stelle würde ich sie nicht reizen.«

Anthony seufzte. »Sie haben recht. Bestellen Sie ihr stattdessen meine besten Grüße, wenn Sie Miss Folder heute noch sehen.«

»Das werde ich«, trällerte die Pflegerin, während sie in seiner Nähe herumwuselte. »So, alles erledigt!«

Leiser werdendes Trippeln verriet ihm, dass er endlich wieder allein war. Sogleich forderte seine Erschöpfung ihren Tribut. Der Schlaf erlöste ihn vorübergehend von einem viel zu realen Albtraum.

Als er wieder erwachte, war es vor seinen Augen unverändert dunkel. Sein Kopf brummte noch ein bisschen, ansonsten ging es ihm deutlich besser. Wie spät mochte es wohl sein? War bereits ein neuer Tag angebrochen? Seine Gliedmaßen fühlten sich weniger schwer an. Er konnte sich sogar strecken, bis … Verdammt, die Kanüle!

»Aua! Dieses dämliche Ding!«, zeterte er.

Stöckelschuhe auf dem Fußboden.

»Haben wir gut geschlafen?«, fragte Miss Folder kühl.

Waren denn nirgends andere Patienten, um die sie sich kümmern musste?

»Ob Sie gut geschlafen haben, weiß ich nicht. Ich jedenfalls bin frisch und ausgeruht. Sie können mich entlassen.«

Er biss sich auf die Zunge. Sein Zynismus war wieder einmal schneller als sein Verstand. Sie kicherte nur herablassend. Das war ja noch mal gutgegangen – dachte er.

»Ich nehme Ihnen die Kanüle ab. Da Sie wieder munter sind, benötigen Sie keine Infusion mehr. Halten Sie still!«

Da war er wieder, ihr tyrannischer Ton. Doch dann spürte er abermals ihre Hand auf der eigenen, diesmal war es sein Handrücken. Erneut war da diese seltsam mehrdeutige Wärme. Miss Folder löste ein Pflaster und zog ihm mit einem kräftigen Ruck den Schlauch aus der Vene. Sie ließ seine Hand los.

»Auaaa!«, protestierte er. »Ging das nicht etwas sanfter?«

»Doch«, gab sie unumwunden zu, »aber Sie sind doch ein großer, starker Mann, nicht wahr, der keinen Schmerz kennt.«

Genüsslich betonte sie das provozierende »stark«. Er rieb sich den Handrücken.

»Außerdem«, ergänzte die herrische Ärztin verschwörerisch, »haben Sie gestern gesagt, dass Sie mich hassen.«

Er merkte, wie ihm die Kinnlade herunterfiel.

»Das Fräulein Fields hat mir lediglich Ihre Grüße ausgerichtet. Dafür herzlichen Dank. Aber leider hat die Gute gestern beim Wechseln Ihrer Bettpfanne vergessen, die Türe zu schließen. Sie müssen wissen, dass ich sehr gute Ohren habe.«

Anthony schluckte. Miss Folder lachte.

»Keine Angst, ich tue Ihnen nichts – wenn Sie brav sind. Ganz im Gegenteil bin ich hier, weil ich eine gute Nachricht für Sie habe.«

»Ach ja?«, krächzte er hauchdünn.

Der Schreck, den sie ihm bereitet hatte, schien sie zu amüsieren. Elende Sadistin!

»Ich befreie Sie jetzt von dem Verband.«

»Oh!«

Surrend ließ sie sein Bett hochfahren. Danach befahl sie ihm, den Kopf ruhig zu halten. Erneut spürte er ihre Haut auf der seinen. Mit zwei Fingern streifte sie ihn an der Wange, ehe sie den Verband erreichte. Von allen drei Berührungspunkten strömte ihre mysteriöse Wärme in sein Gesicht. Tat sie das mit Absicht? Jedenfalls fühlte es sich himmlisch an. Nein, das durfte nicht sein! Er riss den Kopf zurück, was ungeheuer schmerzte.

»Was ist passiert? Habe ich Ihnen weh getan?!«, rief Miss Folder entsetzt.

Wenn die wüsste …!

»Nein, nein. Es lag an mir; ich habe eine Berührungsphobie«, erklärte er schnell.

Das war durchaus zutreffend. Eiskalte Zyniker leisten sich keine Gefühle und lassen sich folglich auch nicht gerne anfassen. Wenn er ehrlich gewesen wäre, hätte er allerdings hinzufügen müssen: »Ich bin zurückgeschreckt, weil mir Ihre Berührung gefallen hat.« Aber um nichts in der Welt wäre ihm ein derartiges Geständnis über die Lippen gehuscht.

Wieder hörte er ihr finsteres Kichern:

»Berührungsängste?«

»Ja!«, blaffte er.

Mist, einmal mehr war ihm die Fassung verlorengegangen. Zum Glück hatte er an nur einer Kanüle gehangen – indes war da noch der vermaledeite Katheter.

»Ich werde mir die größte Mühe geben, Ihnen den Verband möglichst schonend zu lösen«, sagte die Ärztin verwirrend sanft. »In Ordnung?«

»Ja«, hauchte Anthony wie betäubt.

Um ein Haar wäre ihm etwas ganz anderes rausgerutscht, aber jetzt hatte er sich unter Kontrolle. Er würde sich doch wohl nicht verlieben; erst recht nicht in eine Frau, die er bisher gar nicht gesehen hatte! Ganz vorsichtig legten sich ihre samtenen Finger auf den Verband. Die aus ihnen strömende Wärme drang durch die Mullbinden zu seinem Kopf durch und vertrieb die restlichen Schmerzen. Das konnte, das durfte einfach nicht wahr sein! Was machte sie mit ihm? Wenn sie eine Schamanin war, hätte sie ihm gleich die Hände auflegen sollen, anstatt ihn mit bitterer Medizin zu quälen. Geschmeidig glitten ihre Finger um seinen Schädel, jeden überflüssigen Kontakt sorgsam meidend. Dabei hätte sich Anthony nun so sehr gewünscht, dass sie ihn wieder anfasste; denn sobald er ihre Wärme nicht mehr spürte, meldeten sich die Kopfschmerzen zurück. Schicht für Schicht wickelte sie den Verband ab. Mit jeder entfernten Lage drang immer mehr Licht in seine Augen. Es war hell, viel zu hell. Unweigerlich kniff er die Lider zu.

»Es ist vollbracht«, verkündete Miss Folder stolz. »Öffnen Sie die Augen!«

Vorsichtig blinzelte er. Unbändige Neugier ließ ihn die Lider dem stechenden Lichteinfall zum Trotz auftun. Zunächst konnte er nur Umrisse erkennen, die sich aber bald ausfüllten. Die vor seinem Angesicht flimmernden Schemen gewannen sehr schnell an Konturen; diese wiederum an Farben. Er traute nicht dem, was sein Blickfeld ihm da bot. Er sah direkt in das Antlitz der letzten Königin von Ober- und Unterägypten, der legendären Herrscherin Kleopatra!

Im Kerker der Kleopatra

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