Читать книгу Im Kerker der Kleopatra - N. Färusmonz - Страница 11

Kraftproben

Оглавление

Mit einem Mal hatte er die Kopfschmerzen vergessen. Was ihn zuerst überwältigte, waren Miss Folders kastanienbraune Glutaugen, die seine Rückkehr ins Licht begrüßten. Ihr lodernder Blick bohrte sich in seinen eigenen, der vollkommen gebannt wurde. Verboten lange Wimpern zierten ihre geheimnisvoll funkelnden Augen wie der prächtigste Bilderrahmen das schönste aller Gemälde. Ein einziges Aufschlagen dieser sinnlichen Waffe würde genügen, um selbst den keuschesten Stoiker in ärgste Wallungen zu versetzen. Als wäre das nicht bereits zuviel des Guten, thronten zwei akkurat gebürstete Brauen über ihren Augen. Anthony stockte der Atem. Das musste der Blick der Kleopatra gewesen sein, mit dem sie sich zuerst den mächtigen Julius Cäsar und dann den ehrgeizigen Marcus Antonius untertan gemacht hatte.

»Sieht doch gut aus«, sagte Miss Folder zum Dahinschmelzen weich.

Wenn ihr Mienenspiel auch rätselhaft blieb, verriet es wenigstens Freude, ihn von nächster Nähe zu betrachten. Sie richtete sich hoch und ließ ihn somit aufschauen. Jetzt erst konnte er sie in Gänze mustern. Fassungslos schweifte sein Blick an Miss Folders eleganter Figur herab. In voller Pracht stand sie an seinem Bett. Ihr Gesicht ist anmutig, wenngleich markant, weder zu schmal noch zu breit. Ihre Nase ist groß und scheint doch grazil. Ihre Lippen sind voll und doch dezent: Ein natürliches Rot macht jede Schminke überflüssig. Ihre Haut ist einen Tick zu blass, was in eigentümlicher Weise mit ihren blutroten Lippen sowie ihren pechschwarzen Haaren kontrastiert. Diese sind leicht gewellt und reichen ihr bis fast zu den Hüften. Ihre langen Beine taten ein Übriges, um Anthony die selbstgewählte Isolation verwünschen zu lassen.

Severine Folder als schön zu bezeichnen, wäre eine fahrlässige Untertreibung. Erstens ist sie mehr als schön. Sie ist elegant, souverän, respekteinflößend, lasziv, alles auf einmal. Zweitens umhüllt sie eine verwirrend verführerische Aura, die exakt jene rätselhaft mehrdeutige Wärme widerspiegelt, die von jeder ihrer Berührungen ausgeht. Sie ist schlank und doch sportlich; kurvig, aber nicht aufdringlich. Ihre Hände sind genauso knisternd erotisch wie ihr Mund. Obgleich Miss Folders Hände die relative Blässe ihres Gesichts teilen und daher eigentlich auf Kühle hinweisen, begriff er jetzt, weshalb ihre Berührungen längst verschüttete Gefühlsregungen in ihm hervorkitzelten. Alles an dieser faszinierenden Person harmoniert in wundersamer Widersprüchlichkeit zu einem einzigen Gesamtkunstwerk. Sie trug einen weißen Kittel, eine knallenge weiße Hose und rote Stiefeletten. Unabhängig davon, dass er sich nicht an ihr sattsehen konnte, wollte er es gar nicht. Ihr betäubender Blick hatte seine Aufmerksamkeit nur soweit freigegeben, als er sich von ihren Augen hatte lösen können, nicht aber von ihrer Gestalt. Schon blind war sein Geist von ihr gefangen genommen worden. Jetzt waren sein Geist und noch so manches andere an ihm gleichsam von ihr versklavt worden.

Da sein Mund inzwischen staubtrocken war, vermutete Anthony, dass er schon geraume Zeit offenstand. Wie lange war es her, dass ihn ihr betörender Blick völlig unvorbereitet getroffen hatte? Eine Minute? Eine Stunde? Eine halbe Ewigkeit? Jedenfalls weilte sie noch immer vor seinem Bett und ließ sich von ihm begutachten. Ganz langsam formte sie ihre ultralasziven Lippen zu einem Lächeln.

»Ihre Naht ist prächtig verheilt«, urteilte sie.

»Was … für eine Naht?«, hauchte er mit brüchiger Stimme.

Ihr Lächeln wurde breiter. Sein Herz war kurz vor dem Kollaps.

»Am Kopf natürlich. Aber, sagen Sie mal, Sie sehen so aus, als könnten Sie noch eine Tablette vertragen. Sie wirken ein bisschen … neben der Spur.«

Was er vertragen konnte, war weit mehr als das: ihre Hände auf seiner Brust, seinen eigenen Händen, seinem Gesicht, gerne auch woanders … Aber nein, nein, nein, das konnte doch nicht wahr sein! Verzweifelt rief sich Anthony im Geiste zur Ordnung: Frauen waren nichts für ihn, Wesen vom anderen Stern, vor allem dieses Geschöpf, das sich einen Spaß daraus machte, ihn komplett durcheinander zu bringen. An die Arbeit denken!

In einem mentalen Gewaltakt löste er sich von ihrer fesselnden Aura. Das war weit schmerzhafter als das plötzlich wiederkehrende Pochen in seinem Kopf. Er verspürte Bedauern – ein für ihn eher untypisches Gefühl – wegen seiner bisherigen Grobheit gegenüber Miss Folder, vermochte aber nichts Zusammenhängendes von sich zu geben. Immer wieder stammelte er:

»Kleopatra … Sie … Kleopatra!«

Stirnrunzeln verriet ihr Rätseln, ob es dem Patienten vielleicht doch noch nicht so gut ging, wie sie der Anschein zunächst hatte annehmen lassen.

»Möchten Sie etwas für die Nerven?«, erkundigte sie sich.

»Nein!«, antwortete der Produzent bestimmt. »Ich will Sie.«

Sichtlich irritiert erwiderte Miss Folder:

»Wie darf ich das verstehen?«

»Ich will Sie in der Rolle der Kleopatra für meinen Film«, präzisierte er.

Sie lachte laut. Schnell wurde sie wieder ernst, als sie sich in eine Krankenakte vertiefte, die sie aus ihrem Kittel holte. Mit zusammengezogenen Augenbrauen studierte sie die Papiere. Bedächtig legte sie einen Finger auf das oberste Blatt. Er starrte sie bestürzt an. Hatte diese seltsame Frau überhaupt begriffen, welches Angebot er ihr soeben unterbreitet hatte? Endlich wandte sie sich von den Papieren ab und sah ihm direkt in die Augen. Nein, nicht schon wieder! Abermals lief Anthony Gefahr, in eine andere Sphäre zu entschweben. Deswegen klammerte sich sein Geist an den unbändigen Willen, sie für seinen Film zu gewinnen.

»Herr Partenes und ich haben uns darauf verständigt, dass Sie morgen mit dem Training beginnen.«

Ihre Worte drangen wie durch eine dicke Mauer zu ihm durch.

»Training?«, fragte er verblüfft.

»Besser gesagt: die Kraftproben, mit denen wir Ihre Muskelschwäche untersuchen werden. Doch dazu müssen Sie in Form sein. Daher zunächst das Training: ein paar Stunden auf dem Laufband, außerdem Schwimmen.«

In ihren Pupillen loderte etwas auf, ohne dass er auch nur die leiseste Ahnung hatte, worum es sich dabei handeln mochte.

»Allerdings muss ich Ihnen zunächst ein paar Fragen stellen, falls Sie nichts dagegen haben.«

Als ließe sie ihm eine Wahl!

»Also«, setzte sie erneut an, in der Tat nicht auf seine Antwort wartend, »Alter, Gewicht und Maße haben wir Ihren Personalien entnommen. Auch Ihre Blutwerte sind uns bekannt. Das können wir zwei also überspringen. Haben Sie Angehörige?«

»Nein, ich erwähnte doch schon, dass ich keine Familie habe.«

Noch ehe er den Satz vollendet hatte, bedauerte er den Tonfall. Warum konnte er seine launische Ungeduld nicht für sich behalten? Das war nun schon das dritte Mal. Diesmal würde sie ihm seine Taktlosigkeit gewiss nicht durchgehen lassen. Sie tat es tatsächlich nicht. Langsam steckte sie die Krankenakte wieder in den Kittel. Ihre Hände positionierte sie wie am Vortag auf der unteren Bettstange. Die Milde war aus ihrem Blick verschwunden und wich vollständig dem … Bedrohlichen. Gleichzeitig sah sie in dieser Pose unglaublich scharf aus. Dennoch grub sich sein Körper unweigerlich unter die Bettdecke.

»Es gibt zwei Möglichkeiten«, äußerte sie vollkommen ruhig; »entweder beantworten Sie meine Fragen in dem gebotenen Respekt, oder ich gelange auf andere Art an die nötigen Informationen.«

Trotz seiner Benommenheit hob Anthony den Handschuh auf:

»Und wie, Gnädigste, gedenken Sie das anzustellen?«

Sie lächelte finster.

»Das wollen Sie gar nicht wissen. Normalerweise gehe ich schonend mit meinen Patienten um. Sie hingegen sind seit Ihrem Erwachen derart arrogant, zynisch und respektlos, dass ich gerne bereit bin, eine Ausnahme zu machen.«

Ihr Blick verdüsterte sich weiter. Sein Mut bröckelte, während er von ihrem Zorn erregt wurde, noch mehr, als wenn sie die Sanfte mimte. Doch er konnte nicht einschätzen, wie ernst sie es meinte, und dachte nicht daran, ihre Androhung zu testen. Also gab er abermals nach:

»Bitte fragen Sie.«

Sie ließ sein Bett wieder los. Ihr Blick klarte sich auf, wenngleich eine Spur Enttäuschung darin zu lesen war. Jedenfalls zückte sie ihre Liste, um zur nächsten Frage überzugehen:

»Konsumieren Sie Drogen?«

Vor Empörung bäumte sich Anthony auf, sackte aber sofort wieder in sein Kissen zurück. Er antwortete beherrscht:

»Nein.«

»Trinken Sie mehr als ein Glas Wein oder Bier pro Tag?«

»Nein.«

»Gehen Sie außergewöhnlichen Freizeitbeschäftigungen nach wie etwa Fallschirmspringen oder Segelfliegen?«

»Nein.«

»Haben Sie Schwierigkeiten beim Autofahren?«

»Nein.«

Sie schmunzelte. »Andernfalls wären Sie wohl kaum hier.«

Er biss sich auf die Zunge und würgte einen garstigen Kommentar hinunter. Bei der nächsten Frage setzte sie ein besonders verschwörerisches Grinsen auf.

»Macht sich Ihre Muskelschwäche beim Geschlechtsverkehr bemerkbar?«

Anthony presste die Zähne gegeneinander. Jetzt bloß keine sarkastische Bemerkung! Bloß nicht ausrasten!

»Bisher hat sich niemand beschwert. Wenn Sie ganz sichergehen wollen, müssen Sie bei den betreffenden Damen selbst nachfragen …« Dann passierte es doch: »Falls Sie meine Antwort nicht befriedigt, machen Sie doch die Probe aufs Exempel!«

Vor Schreck hielt er sich beide Hände gegen den Mund. Miss Folder ließ ihren Block zu Boden fallen. Ihre Augen wechselten von höflich-distanziert zu gereizt-undefinierbar. Er vermochte ihren Ausdruck nicht zu deuten. Was hatte sie nun vor? So viel konnte er erkennen: Ssie sah aus, als wollte sie ihn übers Knie legen. Jetzt erst erinnerte er sich daran, dass sie dazu durchaus fähig war. Was hatte er sich bloß gedacht? Ihre Pupillen sprühten regelrecht Funken. Ihre Nasenflügel bebten. Ihre Lippen zuckten um die Wette.

»Anthony, bist du da?«

Plötzlich weilte Alex im Raum. Alex! Er war seine Rettung. Er trug einen seiner üblichen dunklen Geschäftsanzüge. Verwirrt trat er hinter Miss Folder.

»Soll ich vielleicht später wiederkehren?«, vergewisserte er sich.

»Nein, nein. Die Ärztin hat mir gerade nur ein paar Fragen gestellt. Wir waren doch fertig, oder?«, preschte Anthony vor.

»Für den Moment«, zischte sie. »Ich lasse Sie mit Ihrem Besuch allein. In einer Stunde bin ich wieder hier.«

Sie nahm die Krankenakte und ging an Alex vorbei, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen. Da entging ihm etwas, trotz oder gerade wegen ihrer Wut. Krachend schlug sie die Zimmertüre zu.

Alex’ drahtige Gestalt beschrieb ein einziges Fragezeichen. »Was war denn das?«

»Das war Severine Folder«, erwiderte Anthony mit einem müden Lächeln. »Sie ist etwas speziell. Sie spielt gerne Armdrücken.«

»Das habe ich gehört!«, tönte es von draußen.

Anthony zuckte erneut zusammen.

Alex schüttelte den Kopf. »Wie geht’s sonst?«

»Halten wir uns damit jetzt nicht auf«, entgegnete Anthony ungeduldig. »Ich muss mit dir reden. Warum bist du nicht früher gekommen?«

Sein Agent schien zu zögern. Im Grunde war Alex Augustenburg weit mehr als sein Agent, er war das kommerzielle Hirn seiner Firma. Auf ihn und seinen Geschäftssinn konnte er sich uneingeschränkt verlassen. Wer weiß, wo er jetzt wäre, wenn er ihn nicht hätte …

Ausweichend erklärte Alex:

»Bei der Pressekonferenz lief alles glatt. Zunächst habe ich deine Abwesenheit entschuldigt, habe die Handlung des Films skizziert und bin dann auf Nachfragen eingegangen.«

Anthony wusste nicht recht, ob er erleichtert oder ernüchtert sein sollte. Es lief glatt – ohne ihn?

»Wie viele Journalisten waren da?«

»Ein knappes Dutzend.«

Er fuhr hoch. »Mehr nicht?!«

»Ich habe sie nicht gezählt, aber auf keinen Fall waren es mehr als elf.«

Anthony schloss die Augen.

»Was wollten sie denn wissen?«, murmelte er niedergeschlagen.

»Das meiste Interesse weckte die Besetzung«, berichtete sein Agent.

Die Besetzung! Sofort fielen Anthony die Schwierigkeiten bei diesem heiklen Thema ins Gedächtnis zurück. Doch da mogelte sich ein anderer Gedanke zwischen die Nebelschwaden an Kummer in seinem Kopf und sorgte für frischen Wind. Er öffnete die Lider. Vor sich sah er seinen nicht gerade auskunftsfreudigen Angestellten.

»Das habe ich noch gar nicht erwähnt«, begann Anthony wie ausgewechselt. »Ich habe hier eine wahre Entdeckung gemacht!«

»So?«, rief Alex mit skeptischer Neugierde.

»Allerdings. Ich habe die perfekte Kleopatra gefunden.«

Alex’ Gesichtszüge verfinsterten sich. Er legte die Stirn in Falten und senkte die Augenbrauen.

»Wir haben doch schon eine Besetzung für die Kleopatra«, wandte er ein.

»Vergiss sie!«

»Wir haben bereits mit dem Drehen angefangen«, beharrte Alex.

»Dann drehen wir eben nochmal. Wir standen eh erst am Anfang«, konterte Anthony schon wieder gereizt.

Alex wirkte sehr angespannt. Er hob zu einem neuen Widerspruch an. Das war eigentlich nicht seine Art.

»Dadurch verlieren wir nur Zeit und Geld – Geld, das wir nicht haben, wie du weißt.«

»Wir werden es wieder reinholen, wenn der Film Premiere feiert. Glaub mir, mit der neuen Kleopatra kann er nur Erfolg haben. Mit meiner Entdeckung wird mein Studio mehr Geld scheffeln als ohne sie.«

Sein Agent knetete sich die Augenlider, verschnaufte kurz und fragte endlich:

»Wer ist es? Kenne ich sie?«

Anthony grunzte amüsiert. »Ein wenig: meine Ärztin.«

Alex starrte ihn perplex an.

»Machst du dich über mich lustig?«, wollte er nicht ohne mahnenden Unterton wissen.

»Ganz und gar nicht«, versicherte Anthony. »Ich will sie – sie oder keine.«

In beschränktem Maße konnte Alex seinen Vorgesetzten ja verstehen. Dieses Weibsbild, das eben an ihm vorbeigerauscht war, besaß in der Tat eine majestätische Ausstrahlung. Rein äußerlich wäre sie gewiss eine gelungene Besetzung. »Sie ist doch gar keine Schauspielerin«, gab er trotzdem zu bedenken.

»Na und? Dann soll sie Unterricht bekommen. Ich habe aber das Gefühl, dass sie keine Probleme mit dem Schauspielen haben wird. Sie ist so was von … undurchsichtig. Gekonnt verbirgt sie ihre Gefühlsregungen wie hinter einer Wand aus Stahl.«

»Gut, gut. Du bist der Chef«, seufzte Alex. »Hast du denn deiner Entdeckung bereits von ihrem Glück erzählt?«

»Habe ich«, antwortete Anthony melancholisch; »aber sie gibt sich unnahbar.«

»Das kann ich mir vorstellen«, argwöhnte Alex. »Was hat sie gesagt?«

»Sie hat … im Grunde noch gar nichts dazu gesagt. Ich vermute, sie hält mein Angebot für einen Scherz.« Anthony schüttelte sich. Nein, nicht in dieser wichtigen Frage – und schon gar nicht bei ihr. »Aber ich werde sie so lange bearbeiten, bis sie zustimmt. Deswegen muss ich noch eine Weile hierbleiben. Da werde ich sie oft genug sehen.«

»Bist du sicher? Sie wirkte eben ziemlich … äh … eigensinnig«, meinte Alex.

»Das ist sie. Aber ich werde nicht nachgeben. Wie du weißt, habe ich einen ausgesprochenen Dickschädel.« Mehr zu sich selbst als zu seinem Agenten fügte Anthony hinzu: »einen Dickschädel, den sie selbst operiert hat.«

Alex rieb sich nachdenklich das Kinn. »Du bleibst noch hier?«

»Ja«, bestätigte Anthony. Er rümpfte die Nase. »Sie meinen etwas festgestellt zu haben und wollen mich ein paar Tests unterziehen.«

Sein Agent zeigte sich verdutzt.

»Sie glauben, ich wäre ein Schwächling. Mit meinen Muskeln soll etwas nicht stimmen.«

Alex riss die Augen auf.

»Sollen sie glauben, was sie wollen. Hauptsache, ich kriege die tyrannische Folder dazu, in meinem Film mitzuspielen«, knurrte Anthony. »Ich erteile dir hiermit den Auftrag, sämtliche Aktivitäten am Set bis zu meiner Rückkehr und dem Eintreffen von Miss Folder einzufrieren. Stelle der bisherigen Kleopatra-Darstellerin einen Scheck aus. Lasse dich auf keine Diskussionen mit ihr ein. Verstanden?«

Alex nickte langsam.

»Gut, das wäre dann alles.«

Wortlos verließ sein Agent das Zimmer. Damit wäre diese Sache geklärt. Jetzt musste nur noch die widerspenstige Folder überzeugt werden, egal wie.

Wenig später brachte ihm die Pflegerin eine Plastikschale mit Essen. Zum ersten Mal seit seinem Unfall würde er feste Nahrung zu sich nehmen.

»Mit besten Empfehlungen von der Ärztin«, sagte Miss Fields, während sie die dampfende Schale auf einem Beistelltisch ablegte. Anthony wagte einen Blick in die Schale und wandte ihn sogleich ab.

»Was ist denn das?«, empörte er sich.

»Tofuwürfel mit gedünsteten Sprossen. Ferner soll ich Ihnen von der Ärztin ausrichten, dass das erst der Anfang ist.«

Er schauderte. Auf was für ein Duell hatte er sich da nur eingelassen? Die Pflegerin reichte ihm Einwegbesteck. Sie fragte, ob sie sonst noch etwas für ihn tun könne. Ja, sie konnte ihrer Vorgesetzten mitteilen, sie möge ihre Krallen einfahren. Aber das würde die Lage nur weiter verkomplizieren.

»Nein«, hauchte er resigniert.

Die Krankenschwester aber ließ ihn noch nicht in Ruhe. »Ich wechsel mal Ihre Bettpfanne.«

Anthony verdrehte die Augen. Wie entwürdigend! Er lag nun schon seit Tagen mit grüner Krankenhauskleidung und einem Katheter im Bett und hatte dasselbe seither nicht verlassen. Bei der Vorstellung, dass die Fields ihn nach dem Unfall umgezogen sowie ins Bett gehievt hatte, wurde ihm flau im Magen. Doch lieber sie als … Diese Eventualität verbannte er rasch aus seinen Gedankengängen. Miss Fields hatte eine strohblonde Frettchen-Frisur, wirkte quirlig und war von mittlerer Statur; kein Vergleich zu seiner undurchschaubaren, verwirrend sinnlichen, aber äußerst kratzbürstigen Stationsärztin.

»So, jetzt können Sie wieder Ihre Notdurft verrichten«, tat Miss Fields in ihrem hohen Stimmchen kund, während sie unter seinem Bett hervorkroch.

»Da bin ich aber wahrhaft erleichtert!«, giftete Anthony.

Die Pflegerin wünschte ihm einen »Guten Appetit!« und ließ ihn allein.

Zwar plagte Anthony ein ziemlicher Kohldampf, aber solchen Öko-Fraß würde er nicht schlucken. Die Folder wagte ein Spiel mit ihm? Gut, da machte er mit. Für ein Kräftemessen brachte er indes die bei weitem schlechteren Voraussetzungen mit. Doch davon ließ er sich dem gesunden Menschenverstand zum Trotz nicht einschüchtern. Die erste Bewährungsprobe blühte ihm bereits in Kürze. Denn die Ärztin hatte gesagt, sie würde bald wiederkehren. Zudem hatte er gerade gehört, dass sie mit ihm noch nicht fertig sei. Seine Antwort auf die zuletzt gestellte Frage war ziemlich ungeschickt gewesen. Sogar er sah das ein. Vielleicht würde sie ja Milde walten lassen, wenn er sich reumütig gab. Er starrte an die Zimmerdecke. Die Tofuwürfel auf seinem Nachttisch kühlten langsam aus. Er sähe gerne fern; er wollte sehen, was die Konkurrenz machte, aber das ging nicht. Die Fernbedienung lag auf dem unter der Decke festgeschraubten Apparat. Miss Folder ließ immer noch auf sich warten. Dabei hätte sie längst hier sein müssen. Als Ärztin hatte sie gewiss genug anderes zu tun, als ihn wegen seinem ungebührlichen Betragen zu bestrafen. Wenn er die nächste Begegnung mit ihr nur schon hinter sich wähnen könnte! Er wurde das Gefühl nicht los, dass sie ihn absichtlich schmoren ließ. Seine Erwägung, den Reumütigen vorzutäuschen, verwandelte sich bereits in Kampfeslust. Das Hinauszögern der großen Abrechnung quälte ihn förmlich, wodurch seine Wut heraufbeschworen wurde.

Er wollte sich durch die Warterei nicht entmutigen lassen. Also kam er auf die Idee, einfach aufzustehen und nach der Fernbedienung zu greifen. Hoffentlich war der verdammte Katheter lang genug. Er zog das Bettlaken beiseite und hob ganz vorsichtig die Beine. Er setzte sich aufrecht. Mit nackten Zehen berührte er den Boden. Ihm wurde schwindelig. Aber es war auszuhalten. Seine Kopfschmerzen waren zerstoben. Er drückte die Arme in die Matratze und stemmte sich hoch. Zum ersten Mal seit dem Unfall stand er auf eigenen Füßen. Schwankend tat er die ersten Schritte. Nur wenige Meter trennten ihn von dem Fernseher. Ganz langsam kam er ihm näher. Sein Arm streckte bereits die Hand nach der Fernbedienung aus. Da verlor er das Gleichgewicht, ihm entglitten die Füße – er flog direkt in die Arme von Severine Folder.

Plötzlich weilte sie mitten in seinem Zimmer und schützte ihn vor dem Fall. Die Berührung mit ihr war erneut außergewöhnlich. Ihre Arme hatten sich unter die seinen geklemmt; sie presste ihren gesamten Oberkörper gegen ihn. Wieder hatten sich ihre Finger um seine Handgelenke geschlossen: um beide gleichzeitig. Jetzt war der Kontakt so intensiv, dass es ihm schien, als würde ihre merkwürdige Wärme nicht nur pulsieren, sondern geradezu brodeln. Er hätte Stunden lang so dastehen können. Dabei war ihm durchaus klar, dass sie ihn nicht einfach stützte, sondern ihn regelrecht festhielt – und dass sie nach wie vor sauer auf ihn war. Verwirrender konnte diese verführerische Mischung verschiedenster Impressionen gar nicht sein. Zu allem Überfluss war er abermals der unmittelbaren Nähe ihrer Augen ausgesetzt, die ihn gefährlich lodernd anfunkelten. Weiter vermochte er ihren Ausdruck nicht zu interpretieren. Vielleicht verriet ihre – ebenfalls verwirrend nahe – Mundpartie etwas von ihrem Gemütszustand. Sie hatte die Lippen zu einem waagerechten Strich geformt. Verhieß das Gutes oder Schlechtes?

»Ich helfe Ihnen ins Bett«, sagte sie ausdruckslos.

Nachdem sie ihn etwas sicherer auf die Füße gestellt hatte, ließ sie ihn an einem Arm los und legte ihre freigewordene Hand auf seinen Rücken. Der kam jetzt also auch in den Genuss ihrer Berührung, wenn auch nur durch ein Nachthemd hindurch. Aber das genügte bereits, um in Ekstase zu geraten. Nur mit größter Mühe gelang es Anthony, sich nichts anmerken zu lassen. Ganz langsam führte Miss Folder ihn zur Bettkante, wo er sich fallenlassen konnte.

»Hinlegen!«, befahl sie in ihrem charakteristisch autoritären Ton.

Er streckte die Gliedmaßen, woraufhin sie ihm das Betttuch überlegte.

»Was hatten Sie außerhalb des Betts zu suchen?«, wollte sie wissen. Wie Peitschenhiebe schlugen die Worte nun aus ihrem Mund.

»Ich habe fernsehen wollen«, brachte er kleinlaut hervor. Seine eigene Wut war wie verraucht.

»Dafür riskieren Sie einen Sturz?!«

»Äh … Ich habe mich überschätzt.«

»Allerdings!«, fauchte sie.

Jetzt fiel ihr Blick auf sein unangerührtes Essen, dann wieder auf ihn. Eines war sicher: einen schlechteren Zeitpunkt konnte es für seine Bitte gar nicht geben, sie möge die Kleopatra spielen.

»Was ist das?«, fragte sie mit langem Zeigefinger. Sie deutete auf die Tofuwürfel.

»Aber das ist Ihnen doch bekannt. Sie haben mir das Zeug bringen lassen«, antwortete er schon wieder übermütig.

»Wieso haben Sie dann nichts gegessen?«

Er sah Miss Folder erstaunt an.

»Wenn ich Ihnen etwas verabreichen lasse, haben Sie das zu nehmen, egal ob es sich um Medikamente oder um Speisen handelt. Ist das klar?«

»Ja«, antwortete er automatisch.

»Dann essen Sie jetzt! Gestern haben Sie Ihre Suppe bereits nicht angerührt.«

Sie legte ihm Schale und Besteck auf den Bauch. Sein Kopfende ließ sie per Knopfdruck hochfahren. Anthony verzog beim Anblick der kalten Tofuwürfel mit gedünsteten Keimlingen das Gesicht, griff aber ohne Widerrede zum Plastikbesteck. Er sezierte einen der ekelerregenden Würfel. Tatsächlich führte er sich ein Stück in den Mund. Igitt!

»Gut kauen«, mahnte Miss Folder.

Auch das noch. Er zerkaute das ohnehin weiche Gewebe auf seiner Zunge, ehe er es in den Rachen zwängte.

»Das nächste Stück!«

Jetzt genügte es aber! Anthony ließ das Besteck fallen und stierte die Ärztin böse an. Zu seiner Überraschung hob sie freudig die Mundwinkel, als hätte sie nur auf die Regung eines Widerstands gewartet. Sie lächelte honigsüß, obwohl ihre Augen undurchdringlich blieben.

»Wir haben die ganze Nacht Zeit, wenn’s sein muss. Ich habe Dienstschluss. Daher kann ich Ihnen meine ungeteilte Aufmerksamkeit widmen. Aber bei einem können Sie ganz sichergehen: Bis spätestens morgen früh befinden sich Tofu und Sprossen in ihrem Magen. Die Art der Nahrungsaufnahme liegt hingegen ganz bei Ihnen.«

Auweia! Sie opferte ihre Freizeit, nur um ihn zu foltern, und er war ihr so ausgeliefert, wie man es nur sein konnte.

»Kann ich nicht etwas anderes zu essen bekommen?«

»Natürlich«, sagte sie mit einem engelsgleichen Lächeln.

Geht doch! Schon wollte er die Schale Ekelfutter auf den Nachttisch zurücklegen.

»Was tun Sie da?«, fragte sie plötzlich, immer noch mit dem himmlischen Lächeln auf den Lippen.

»Aber ich dachte … ich bekäme …«, stammelte Anthony.

»Ich habe nicht behauptet, dass Sie etwas anderes kriegen, sondern nur, dass das theoretisch möglich ist«, erklärte Miss Folder in aller Gemütsruhe.

»Theoretisch?«, echote er fassungslos.

»Theoretisch«, bekräftigte sie. »Essen Sie jetzt auf!«

Da war er wieder, sein bebender Zorn. Er fuhr Anthony durch sämtliche Adern. Demonstrativ legte er die Schale weg und starrte der sadistischen Ärztin herausfordernd in die Augen, so schwierig sich das auch gestaltete.

»Ich nehme ein großes Kotelett, dazu überbackene Kartoffeln und geröstete Zwiebeln. Als Getränk ein kühles Weißbier. Das wäre dann alles.«

Ihr Lächeln wurde immer breiter – und bedrohlicher. Sie trat einen Schritt auf ihn zu, beugte sich vor und hypnotisierte ihn mit ihrem Funken sprühenden Blick.

»Herr Wilms, wissen Sie, was Zwangsernährung ist? Wenn nicht, würde ich es Ihnen gerne zeigen.«

Sie hatte sich so nahe vorgebeugt, dass einzelne Strähnen ihres schwarzen Haares auf sein Gesicht fielen. Ihr Haar war sehr dicht, zudem ausgesprochen dick. Eine Strähne kitzelte seine Wange. Die betroffene Stelle fühlte sich an, als erhielte sie gerade einen leichten Stromstoß. Er hegte überhaupt keinen Zweifel an dem Ernst ihrer Drohung.

»I… ich ziehe es vor, mir die Tofuwürfel selbst einzuführen«, krächzte er.

Sie erhob sich wieder. Ihr Lächeln verflüchtigte sich.

»Zu schade«, seufzte sie.

Während er also – gut kauend – den Ökofraß herunterwürgte, zückte die Ärztin seine Krankenakte.

»Ich bin hier, um Ihnen Ihre Bestrafung mitzuteilen«, verkündete sie.

Ihm blieb der Bissen im Halse stecken. Bestrafung? War das hier nicht schon Strafe genug? Er war doch kein Gefangener, den man einfach so herumkommandieren konnte!

»Sie wissen schon – wegen Ihres flegelhaften Betragens. Schlucken nicht vergessen!«

Er trieb den Bissen gewaltsam in seinen Darm.

»Und … die Fragen auf Ihrer Liste?«, erkundigte er sich.

»Alles Wesentliche haben Sie beantwortet. Das ist für Sie.«

Miss Folder hielt ihm ein Blatt Papier unter die Nase. Mechanisch nahm er das Blatt entgegen. Er betrachtete es mit Bestürzung.

»Was soll das sein?«

Sie zuckte unschuldig die Achseln. »Ich habe Ihr Sportprogramm um ein paar kleine Ergänzungen bereichert.«

Kleine Ergänzungen? Gymnastik, Gewichtheben, hundert Meter Freistil schwimmen und vieles mehr. Sechs Stunden täglich.

»Ich strebe keine Olympiamedaille an!«, protestierte er.

»Ihr Training beginnt morgen früh«, sprach sie wieder gereizt. »Da liegen noch Sprossen auf Ihrem Teller!«

Anthony schäumte vor Wut. Die konnte sich ihre Sprossen sonstwo …

»Haben Sie etwas gesagt?«

»Nein!«, erwiderte er schnell und stopfte sich die letzten Sojasprossen zwischen die Backen.

»Ich dachte schon, ich hätte mich verhört«, warnte ihn die Stationsärztin. »Dabei habe ich doch so gute Ohren!«

Sie nahm ihm den leeren Teller ab. Das Bettgestell fuhr sie wieder in Liegeposition.

»Ich lasse Sie für heute in Ruhe. Morgen früh sehen wir uns zum Training.«

Es war doch klar, dass sie es sich nicht entgehen ließ, ihn persönlich leiden zu sehen. Womöglich würde sie ihm selbst die Anweisungen geben. Bloß das nicht! Dabei hatte er sich doch als Produzent und Regisseur daran gewöhnt, andere zu dirigieren.

»Ach«, rief die Folterkönigin plötzlich, als sie schon fast aus dem Zimmer getreten war, »sollte ich Sie nochmals unerlaubterweise außerhalb Ihres Betts vorfinden, werde ich Sie fixieren. Verstanden?«

»Sie werden mich ganz gewiss nicht fixieren, niemals!«, schleuderte er ihr entgegen.

Dabei hatte sie das auf ihre ganz eigene Weise schon mehrmals getan. Er wusste nur zu gut darum. Sie kam wieder auf ihn zu. Sie schloss ihre Finger um die untere Bettstange und zog die ganze Konstruktion mit einem Ruck an sich heran. Stark war sie auch noch, nicht nur im Vergleich zu ihm! Doch war zum Einlenken war er zu wütend:

»Sie servieren mir irgendeinen Fraß und verschreiben mir das Fitnessprogramm eines Leistungssportlers. Wozu das alles? Nur um sich für mein zugegebenermaßen nicht ganz untadeliges Verhalten an mir zu rächen. Aber versetzen Sie sich bitte in meine Lage: Ich habe gestern einen enorm wichtigen Termin verpasst. Zum Glück konnte mein Agent für mich einspringen. Ohne ihn wüsste ich nicht, was ich jetzt tun sollte. Außerdem habe ich es ernst gemeint, als ich Ihnen sagte, dass ich Sie für die Hauptrolle haben will. Aber Sie stellen sich taub – bei Ihren ach so guten Ohren.«

»Herr Wilms, ich habe schon ganz andere Hollywoodgrößen behandelt; am Ende waren sie alle handzahm«, zischte Miss Folder nicht minder aufgebracht. »Legen Sie sich nicht mit mir an. Das ist meine letzte Warnung! Ich meine es auch ernst. Keineswegs will ich mich an Ihnen rächen. Sie vertragen noch keine kalorienlastige Kost. Sie hatten einen schweren Unfall. Was Sie brauchen, ist körperliche Ertüchtigung, die wir Ihnen in unserem Hospital bieten können – und werden. Nebenher machen wir die Tests. Wenn Sie sich konzilianter verhalten sollten, werde ich schauen, was ich tun kann, um die Tests etwas weniger monoton zu gestalten. Ihr Angebot ehrt mich wirklich. Aber ich bin niemand, den man einfach haben kann. Außerhalb der Klinik lasse ich mich von niemandem irgendwohin zitieren. Davon abgesehen bin ich nicht im Geringsten interessiert. Gute Nacht!«

Wie beim letzten Mal warf sie die Tür hinter sich zu. Anthony blieb mit heruntergefallener Kinnlade zurück. »Schon ganz andere Hollywoodgrößen«. Wie verletzend das klang! »Meine letzte Warnung«. Daran zweifelte er nicht. »Ich lasse mich von niemandem irgendwohin zitieren«. Ihn erwartete noch ein schweres Stück Arbeit. Er musste gegen seinen Zynismus ankämpfen und die störrische Folder gütlich überreden. Wenn es nicht anders ging, musste er sie gar anflehen, seine Kleopatra zu werden. Von allen weiblichen Wesen, von denen sich die meisten um eine Hauptrolle in einer Hollywood-Produktion im Schlamm prügeln würden, musste er ausgerechnet an die Kratzbürste in Person geraten. – Dann waren da noch ihre geheimnisvoll sinnlichen Berührungen, die ihm beinahe den Verstand raubten.

Im Kerker der Kleopatra

Подняться наверх