Читать книгу Im Kerker der Kleopatra - N. Färusmonz - Страница 17

Tarsus

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Am Set sah die Welt schon anders aus. Die »Wilms Studios« bestehen in Wirklichkeit aus nur einem Studio. In der Filmbranche klingt der Plural besser. Jedenfalls hatte Anthony an jenem Morgen nach seiner ersten SM-Session das Gelände mit kaum verhohlener Anspannung betreten. Schnurstracks war er in sein Büro gegangen, wo er sehnsüchtig auf die Ankunft von Severine Folder wartete. Doch zunächst wurde er von Alex aufgesucht, der ihn fragte, ob er sicher sei, dass sie sich auch blicken ließe. Anthony nickte und schickte seinen Agenten weg. Er wollte niemanden sehen, solange sie nicht da war. Vor lauter Nervosität trommelten seine Finger auf dem Skript herum. Wann kam sie denn endlich? Plötzlich meldete sich die Sprechanlage auf seinem Schreibtisch; die hohe Stimme seiner Sekretärin verkündete:

»Frau Folder ist da.«

Sofort sprang Anthony aus dem Chefsessel; hechtete zum Empfang. Dort stand sie in voller Schönheit. Sie trug legere Kleidung: Bluse, Jeans, Sportschuhe. Gerade betrachtete sie Kinoplakate von seinen alten Erfolgen. Sie wirkte tatsächlich neugierig. Als sie ihn entdeckte, setzte sie ein breites Grinsen auf.

»Hallo, Anthony. Hast du gut schlafen können?«

Er steuerte auf sie zu. Dann hielt er ihr mit einigem Abstand geschäftsmäßig die Hand hin.

»Willkommen in meinem Studio, Miss Folder. Ich habe gut genächtigt, danke der Nachfrage«, antwortete er betont distanziert.

Ihr Grinsen fiel in sich zusammen. Beim Händeschütteln spürte Anthony ein Brodeln unter ihrer Haut. So viel er mittlerweile wusste, war das kein gutes Zeichen.

»Vielleicht stellen Sie mich Ihrem Team vor, Mister Wilms«, erwog – oder besser: befahl – sie unter besonderer Hervorhebung der Anrede.

»Natürlich.« Anthony bat sie mit einer Geste, ihm zu folgen.

Sie ließ sich sein Reich zeigen. Längst hatte die Nachricht von der Ankunft der Laiendarstellerin die Runde gemacht. Die Profischauspieler, Statisten, Kameramänner, Maskenbildnerinnen, Kabelträger, Tontechniker, Bühnenausstatter, Computerspezialisten und alle anderen Mitarbeiter fragten sich, wer diese ominöse Frau war, deren unerwiesenem schauspielerischem Geschick ihr Produzent den Erfolg des neuen Films und mit ihm die Zukunft des ganzen Studios in die Hände legte. Viele teilten Alex’ Vorbehalte. Manche waren einfach nur wütend, mit einer völlig Unerfahrenen arbeiten zu sollen. Womöglich hatte sie gar Starallüren. Kaum war Severine am Set eingetroffen, zog sie unzählige Blicke auf sich. Das allgemeine Misstrauen schlug sogleich in Bewunderung für ihre elegante Erscheinung um. Nur Alex gab sich unbeeindruckt. Mit eisiger Miene ging er auf sie zu und sagte ebenso frostig, er wolle sie zu ihrem Schauspiellehrer bringen.

»Miss Folder kriegt keinen Unterricht«, bestimmte Anthony. »Dafür haben wir keine Zeit. Es wird sofort gedreht.«

»Aber Anthony, sie muss doch wenigstens die Grundzüge …«, fing Alex an, wurde jedoch umgehend unterbrochen:

»Nein, nein. Jeder Tag, den sie zusätzlich hermuss, kostet mich …«

Anthony verstummte. Alex sah ihn argwöhnisch an.

»Kostet dich was?«

»Vergiss es – wir beginnen jetzt! Bitte hier entlang, Miss Folder.«

Severine stand ein wenig erheitert daneben, als ginge sie der kleine Disput zwischen Anthony und seinem Agenten nichts an. Jedoch ließ sie sich von Regisseur Anthony zu einer prächtigen Kulisse führen. Sie täuschte das Innere eines antiken Schiffes vor: das Schlafgemach der königlich ägyptischen Privatgaleere von Kleopatra VII. In der Mitte befand sich eine reich ausgestattete Tafel mit Gedeck für zwei Personen. Ein aus brennenden Schalen emporsteigender Nebelschleier sorgte für eine betörend-romantische Atmosphäre.

»Also: Kleopatras Galeere befindet sich in den Gewässern vor Kleinasien, etwa auf der Höhe des Küstenstädtchens Tarsus«, erklärte Anthony. »Sie ist gerade im Begriff, den römischen Feldherrn Marcus Antonius zu empfangen. Dieser verlangt Rechenschaft von ihr, weil sie es unterlassen hat, für ihn Partei gegen Cäsars Mörder zu ergreifen.«

Von der Seite nahm Anthony wahr, wie Severine spöttisch schmunzelte.

»Höre ich richtig«, erkundigte sie sich, »dass die Königin von einem Römer herzitiert worden ist?«

Er verstand die Anspielung sofort und erwiderte schnell:

»Ja, aber der Römer war sehr mächtig.«

»So so«, kommentierte sie belustigt.

Anthony gab ihr ein Skript.

»Miss Folder, stellen Sie sich bitte vor, Sie wären Kleopatra und hätten bereits eine Liaison mit dem ermordeten Alleinherrscher hinter sich: Julius Cäsar. Sie treffen nun auf dessen Anhänger Marcus Antonius, den baldigen Beherrscher des römischen Ostens. Ferner verfügt Antonius über einen Großteil des römischen Heeres, mit dem er Ihre eigene Armee leicht besiegen und Sie als Kriegstrophäe nach Rom schleifen kann. Wenn Sie sich mit ihm verbünden, riskieren Sie andererseits einen Konflikt mit Cäsars kränklichem, aber entschlossenem Adoptivsohn Octavian, der den Westteil des römischen Imperiums hinter sich wähnt. Allerdings ist Kleopatra schlau. Sie weiß ihre Reize für ihre Ziele einzusetzen, wie sie es schon bei Cäsar bewiesen hat. Verflixt – wo ist der Antonius-Darsteller?«

Sogleich schob sich eine breitschultrige, aber blasse Gestalt in Zenturionenkostüm in den Vordergrund.

»Sagen Sie Ihren Text!«, forderte Anthony.

Der Schauspieler erhob theatralisch die Stimme:

»Oh huldvollste Kleopatra, weshalb habt Ihr mir nicht beigestanden? Lodert nicht das Feuer der Ptolemäer für den einzig legitimen Vertreter Roms?«

»Gut«, urteilte Anthony, »und jetzt sie!«

Er zeigte auf Severine. Sie guckte auf das Skript, lupfte eine Augenbraue und begann zu sprechen:

»Erhabenster Antonius, wie könnt Ihr es wagen, das Herz einer Königin zu hinterfragen? Habe ich nicht durch meine Verbindung mit Eurem Vorgänger Julius Cäsar, dem Vater meines Cäsarion, demonstriert, dass ich im römischen Machtkampf einzig auf der Seite des Rechts stehe? Wie könnt Ihr Euch erdreisten, die Wangen einer Königin durch infame Anschuldigungen mit Tränen des Kummers zu benetzen? Seht auf mein Gesicht, und Ihr werdet erkennen, dass ich wahr rede.«

Severine hielt dem Antonius-Schauspieler zum Beweis ihrer vermeintlichen Aufregung eine Wange hin, auf der tatsächlich so etwas wie eine Träne glitzerte. Zwar war das kein Vergleich zu ihrem Tränenausbruch vor Anthony, aber dennoch wirkte die Szene verwirrend authentisch. Alle starrten die Neue fassungslos an. Sie spielte die Rolle der Kleopatra so überzeugend, als wäre sie ihr ganzes Leben lang nichts anderes gewesen als die letzte Herrscherin aus der Dynastie der Ptolemäer.

»Sie ist ein Naturtalent!«, murmelte ein Kameramann, »einfach erstaunlich!«, schwärmte ein Tontechniker, »phänomenal!«, meinte ein Beleuchtungsassistent.

Triumphierend wandte sich Anthony seinem Agenten Alex zu:

»Habe ich nicht geahnt, dass sie die beste Kleopatra ist!«

Dann wies er »Frau Folder« und den Antonius-Darsteller an weiterzuspielen.

»Bitte besudelt meinetwegen nicht Eure Schönheit mit bitteren Tränen, edle Kleopatra! Lasst uns lieber von meinen Feinden sprechen, von denen ich hoffe, dass es auch Eure Feinde sind«, sagte der falsche Antonius.

»Nein, nein!«, grätschte der Regisseur dazwischen, »mehr Emphase!«

Er zerrte den Schauspieler von Severine weg, um selbst dessen Platz einzunehmen. Anthony wiederholte die letzte Frage, freilich mit weit mehr Wehmut in der Stimme.

»Ich habe Euch doch schon berichtet, edler Marcus Antonius, dass ich stets auf Eurer Seite gewesen bin«, sprach daraufhin Severine-Kleopatra.

»Aber Eure Truppen, oh kühnste Königin, gierten nach römischem Besitz. Oder leugnet Ihr etwa, die Hand nach Zypern und Syrien ausgestreckt zu haben?«

»Wie könnte ich auch nur einen Moment daran denken, da doch jedem bekannt ist, dass der gesamte Osten Euch gehört, tapferer Antonius?«

Anthony ging demonstrativ ein paar Schritte umher, bevor er fortfuhr:

»Euer bisheriges Verhalten hat nicht gerade gezeigt, verehrte Kleopatra, dass Ihr zu mir hieltet. Was müsste ich tun, um Euch zu bewegen, mit mir in den Kampf gegen meine Feinde zu ziehen? Eure wohlwollende Neutralität, wenn sie mir denn tatsächlich gewährt sei, genügt nicht, um mich Eurer Loyalität zu vergewissern.«

»Ihr bringt mich abermals zum Weinen vor Gram, dem Wort einer Ptolemäerin nicht zu vertrauen«, ächzte Severine-Kleopatra und fiel – gemäß Drehbuch – in die Arme des ihr gegenüber weilenden Antonius.

Anthony fing Severine auf. Er wurde, ebenso wie damals der römische Feldherr, durch den Charme und den Liebreiz Kleopatras ganz verzaubert. Als er in dieser Weise dastand, mit Severine, die ihn noch am Vortag gefesselt hatte, in seinen Armen – wobei sein Filmpersonal vor Staunen über ihr Naturtalent in Regungslosigkeit verharrte – schien es ihm, als sei er selbst der antike Feldherr, der unmittelbar davor war, sich in seine Kleopatra zu verlieben. Er war auch ganz entzückt von der Tatsache, dass er stark genug war, sie zu stützen. Severine so zu sehen, scheinbar völlig hilflos und ohnmächtig, löste etwas in ihm aus. Er wusste beim besten Willen nicht, worum es sich handeln mochte. Er hatte ja bereits vor sich selbst zugegeben, in diese Frau verknallt zu sein, aber das hier war mehr. Anthony verspürte plötzlich den unbändigen Drang, sie zu beschützen, damit sie nie wieder weinen musste. Ehe seine Gedanken weiter ausufern konnten, besann er sich auf den Film, stellte Severine nach einem fassungslosen Schweigen behutsam wieder auf und lobte sie:

»Bravo! Genauso muss das aussehen. Miss Folder, Sie lernen jetzt bitte Ihre Sätze, während Sie in Kleopatra verwandelt werden. Dann fangen wir nochmal von vorne an.«

Severine ließ sich von einer Maskenbildnerin in ein Hinterzimmer führen. Nachdenklich schlurfte Alex auf Anthony zu.

»Sie braucht sich nicht zu verkleiden. Sie ist Kleopatra!«, sinnierte Alex. »Woher konntest du das wissen? Du hast sie doch erst vor ein paar Tagen in der Klinik kennengelernt.«

»Ich wusste es vom ersten Moment an, als ich sie mit meinen Augen sah«, versetzte Anthony zufrieden. »So etwas nennt man Spürsinn.«

»Oder einfach Glück«, grummelte Alex, ohne dass der Regisseur es hören konnte.

Während man am Set auf die vermeintliche Verwandlung der Severine Folder wartete, bleute Anthony dem Antonius-Darsteller ein, wie er seine Rolle zu spielen hatte. Nach einer ganzen Weile kehrte Severine zur Kulisse zurück – mit einigen äußerlichen Veränderungen: Sie trug ein edles, aber dezentes Diadem auf dem Haupt, ihr pechschwarzes Haar fiel in mehreren eng geflochtenen Zöpfen an ihren Schultern herunter. Ihre Augen zierte eine schwarze Umrandung. Um ihren Körper wand sich ein blau-gelbes Seidenkleid, um ihre Arme schmiegten sich goldene Spangen. An den Füßen trug sie aufwendig geschnürte Ledersandalen. In einer Hand hielt sie einen goldüberzogenen Stab mit langen, weiß-blauen Fransen.

»Severine, ich meine Miss Folder, Sie sehen einfach umwerfend aus!«, rief Anthony vor Bewunderung.

»Nur das da« – er zeigte auf das Symbol königlich-ägyptischer Macht in ihrer Hand, das ihn bitterlich an eine Peitsche erinnerte – »brauchen Sie für die heutige Szene nicht.«

Sie zuckte mit den Achseln, reichte den Stab einem Kabelträger, der ihn ehrfürchtig in Empfang nahm, und gesellte sich wieder zu dem falschen Antonius in der Schiffsattrappe. Sie wiederholten ihren eingeübten Text. Severine meisterte ihn ohne einen einzigen Blick ins Skript, das sie liegengelassen hatte.

Sie und der Profischauspieler gelangten erneut zu der Szene, bei der Kleopatra halb bewusstlos in den Armen des überrumpelten Römers lag.

»Edle Königin, keine Tränen, nicht wegen mir!«, stieß der falsche Antonius mit routiniert gespieltem Entsetzen aus. Sogleich baute sich Severine-Kleopatra aus eigener Kraft vor ihm auf, wandte ihm demonstrativ den Rücken zu und zürnte:

»Ihr gebt also zu, dass Ihr mir nichts vorzuwerfen habt. Das ist nur recht so. Daher wüsste ich nicht, was wir noch zu besprechen hätten. Geht!«

»Königin, meine Königin! Ich war gekommen, um von Euch Rechenschaft zu verlangen. Doch nun seht, was ich tue!«

Der falsche Antonius sank auf die Knie und griff nach einer Hand der Monarchin.

»Nie mehr werde ich Erklärungen von Euch einfordern, oh edle Kleopatra!«

Severine neigte sich dem vor ihr Knienden zu.

»Wie habt Ihr mich gerade genannt?«

»Meine Königin!«

»Wenn dem so ist, dann erhebt Euch, Marcus Antonius, tapferer Feldherr des verblichenen Cäsar!«

In diesem Moment lief ein Schauer über den Rücken des Regisseurs, dem ganz persönliche Szenen der vergangenen Tage durch den Kopf schossen.

»Meine Königin, wenn ich Euch nun frage, ob Ihr bereit seid, mit mir gegen meine Feinde zu streiten, so fasst das bitte nicht als Ermahnung auf. Erkennt es vielmehr als das Flehen Eures ergebenen Dieners, der Ägypten – nein, der Euch an seiner Seite wähnen muss, um zu obsiegen! Cäsar schenkte Euch den Cäsarion, damit Ihr auf seine Seite tretet. Was muss ich Euch schenken, damit Ihr Euch mir anschließt?«

Anthony kniff unweigerlich die Augen zu. Die historische Kleopatra hatte Marcus Antonius sogar Zwillinge geboren. Severine war dazu nicht in der Lage, was sie vor seinen eigenen Augen zutiefst betrübt hatte. Brach ihre nahezu perfekte Selbstbeherrschung jetzt ein?

Severine-Kleopatra zog ihre Hand aus derjenigen des falschen Antonius heraus. Sie antwortete mit ernster Miene:

»Ich helfe Euch, edelmütiger Antonius, aber dafür stelle ich Euch ein paar Bedingungen!«

Anscheinend hatte sich Severine noch immer vollends unter Kontrolle. Sie spielte weiterhin wie eine große Diva.

»Welche?«

»Zypern und Syrien, alte Nebenländer der ägyptischen Krone!«

Was eben noch Stein des Anstoßes gewesen war, wurde der Königin nun anstandslos gewährt:

»Beide sind hiermit Euer!«

»So sei nun der Bund zwischen uns besiegelt. Ihr dürft Euch entfernen.«

»Nein, bitte schickt mich nicht weg, meine Königin! Ich will Euch mehr geben als Land.«

»Was sollte das sein?«

»Mein Herz!«

»Mein Herz«, entgegnete Severine-Kleopatra, »wurde gemeinsam mit dem des Julius Cäsar erdolcht.«

Hier schritt Anthony ein. »Gut soweit«, sagte er. Dem Antonius-Darsteller erklärte er:

»Bedenken Sie, dass sich nun Ihr Schicksal entscheidet. Sie sind gerade dabei, Ihren Willen sowie Ihre Existenz der Kleopatra auszuliefern. Damit sind Sie und die von Ihnen Angebetete dem Untergang geweiht. Ich will, dass die Kamera diese Tragik einfängt. Überzeugen Sie mich, spielen Sie, als ginge es um Ihr eigenes Leben!«

Am Set registrierte man wohl, dass nur der Profi ermahnt wurde. Doch niemand bezweifelte, dass derartiges bei der Neuen völlig unnötig war. Nichtsdestoweniger warf Severine dem Regisseur einen verstohlenen Blick zu, der erahnen ließ, dass sie mit so viel Dramatik nicht einverstanden war. Anthony achtete indes nicht darauf.

»Cäsar, oh meine Teuerste, ist tot!«, erwiderte der falsche Antonius effektvoll. »Nichts auf dieser Welt kann Euch wieder mit ihm vereinen. Doch ich stehe hier, um seine Nachfolge in Rom anzutreten. Ich beschwöre Euch, lasst mich seine Nachfolge auch bei Euch antreten!«

Plötzlich wandte sich Severine triumphierend an die Regie:

»Wäre das nicht eine geeignete Stelle, den königlichen Stab ins Rampenlicht zu rücken?«

Sie sah auf Anthony, der ihrem Blick vergeblich auszuweichen suchte.

»Das ist im Drehbuch nicht vorgesehen«, äußerte er knapp.

»Und wer hat das Drehbuch geschrieben?«

»Ich«, musste er einräumen.

»Dann dürfte eine kleine Abweichung mit Ihrer Zustimmung wohl erst recht möglich sein, oder spricht etwas dagegen?«

Anthony kapitulierte. Er ließ Severine-Kleopatra den Stab mit den Fransen aushändigen. Sie presste ihn dem immer noch knienden Antonius-Darsteller unter das Kinn, wobei sie in wahrhaft herrschaftlicher Manier gemäß Skript sagte:

»Erhebt Euch, Antonius. Meine Heere stelle ich Euch zur Verfügung. Was meine Gefühle angeht, so wisst, dass das Herz einer Kleopatra nicht überlistet werden kann. Es empfindet nichts für Euch. Noch drängt mich einzig mein Gerechtigkeitsempfinden an Eure Seite, doch will ich Euch nicht entmutigen. Eines Tages mag mein Herz vielleicht wieder schlagen – für Euch, wie es einst für Cäsar schlug.«

»Schnitt!«, rief Anthony. »Das war’s für heute.«

Nach einem spontanen Applaus, der vor allem dem Neuzugang galt, wurden die Kameras weggeschoben und die Requisiten abmontiert. Langsam zerstreute sich das Filmteam; einzig Severine verweilte gleichsam ungerührt inmitten des sich auflösenden Sets. Sie wirkte, als wäre sie gerade aus dem hellenistischen Ägypten in die Gegenwart gefallen, freilich ohne jeden Verlust ihrer autoritären Ausstrahlung. Außer ihr verblieben nur Alex, auf den allerdings kaum jemand achtete, und Anthony bei der kahlen Kulisse. Letzterer ging auf seine Entdeckung zu. Überschwänglich gratulierte er ihr zu dem vielsprechenden ersten Drehtag.

»Dann bis morgen zur nächsten Szene«, meinte er und wollte eigentlich gerade ins Büro entfliehen.

»Morgen kann ich nicht; erst wieder heute in einer Woche.«

Anthony guckte sie mit großen Augen an.

»Ich habe im Krankenhaus zu tun.«

»Von mir aus. Wir haben noch ein paar Szenen ohne Kleopatra durchzuspielen, aber am Montag müssen wir uns hier wiedersehen.«

»Das ist möglich«, flüsterte Severine, mit Argwohn nach Alex schielend, »aber dafür sehen wir zwei uns vorher bei mir, wie wir es vereinbart haben.«

Anthonys Blick ruhte nach wie vor auf der vollkostümierten Kleopatra, war infolge ihrer Forderung aber wie versteinert. Als er sich einigermaßen fing, entgegnete er spitz:

»Für so was haben Sie also Zeit, aber nicht für den Dreh!«

Gelassen konterte sie:

»Das ist ein Termin zu später Stunde, der nicht mit meiner Dienstzeit im Hospital kollidiert. Oder wollen Sie etwa andeuten, dass ich spät abends ans Set kommen soll?«

»Nein«, seufzte er. Der Betriebsrat würde sich querstellen.

»Dann sehen wir uns morgen Abend gegen acht Uhr bei mir.«

Einen weiteren Seufzer ausstoßend, drehte sich Anthony wieder in Richtung Büro. Doch sie hielt ihn mit einer Ermahnung zurück:

»Hast du an die Liste gedacht?«

»Was? Nein!«, antwortete er verwirrt.

»An deiner Stelle würde ich mich nicht in die Nähe meines Hauses begeben, bevor du deine Einkäufe erledigt hast«, warnte sie ihn, ehe sie in die Maske ging, um das Kostüm abzulegen.

Er holte seinen zerknitterten Zettel aus der Hosentasche. Abermals warf er einen angewiderten Blick auf die »Einkaufsliste«. Unter normalen Umständen hätte er sie einfach Alex anvertraut, damit er sich darum kümmerte. Aber von der liebgewonnenen Gewohnheit rückte er diesmal sehr schnell ab. Er musste den Kram wohl selbst beschaffen, so wenig ihm der Gedanke behagte.

Wenig später parkte Anthony in einem Gewerbegebiet der Unterstadt vor einem unscheinbaren Geschäft. Er stieg aus seinem Sicherheit versprechenden Wagen. Mit einem Kloß im Hals, bewaffnet nur mit seiner Liste, drückte er gegen eine schwere, milchige Glastür. Schon stand er in einem halb abgedunkelten Raum mit allerhand Ausstellungsstücken, die ihm von seiner ersten Sitzung bei Severine zumindest in Teilen geläufig waren. Es roch nach Leder und ganz dezent nach Gummi. Er bahnte sich den Weg durch eine Regalreihe, deren Inhalt er geflissentlich zu ignorieren suchte, bis er einen Mann mittleren Alters hinter einem Tresen erreichte. Der Verkäufer fiel sofort durch sein feuerrotes, arg gelocktes Haar auf. Er musterte den Fremden von oben bis unten und fragte verwundert:

»Was kann ich für Sie tun?«

Anthony frohlockte innerlich, weil man ihn nicht erkannt hatte, was gewöhnlich das gegenteilige Gefühl in ihm auslöste. Doch das hier war keine normale Situation. Er gab sich einen Ruck und dem Verkäufer die Liste. Sein Gegenüber blickte auf das Papier. Bald gestand der Verkäufer ein:

»Wie ich sehe, sind Sie jemand, der weiß, was er will.«

Der Mann verschwand in ein Hinterzimmer. Erst nach einer Weile kam er zurück. Er breitete eine Menge Materialien auf dem Tresen aus.

»Hier ist alles, was Sie möchten. Überzeugen Sie sich nur selbst.«

»Nein, es wird schon stimmen«, hustete Anthony, konnte sich aber doch nicht ganz daran hindern, die Sachen flüchtig in Augenschein zu nehmen. Als der Verkäufer daraufhin den Preis nannte, platzte Anthony aus seiner ängstlichen Reserviertheit heraus. Der alte Sarkasmus blitzte wieder auf:

»Für meine eigene Folter soll ich auch noch teuer bezahlen? Im Mittelalter gab’s die gratis!«

»Ich bitte Sie – Qualität hat eben Ihren Preis«, verteidigte sich das Gegenüber.

Anthony atmete tief durch, dachte an seinen Film und legte ein Bündel Geldscheine auf den Tresen. Der Verkäufer packte die Sachen in ein Paket. Er überreichte es Anthony mit der üblichen Formel »Beehren Sie uns bald wieder«.

Anthony verkniff sich ein »Hoffentlich nicht!« und eilte nach draußen, das Paket wie Unrat von sich haltend.

Steil ging es bergauf in den engen Serpentinen oberhalb der Stadt, die Anthony im milden Schein der Abendsonne hinauffuhr. Wie immer war er froh, die Unterstadt verlassen zu können, besonders da er sich an jenem Tag sehr weit in sie vorgewagt hatte. Ausnahmsweise steuerte er nicht sofort seine Villa an, sondern machte zur Verarbeitung der jüngsten Eindrücke einen Abstecher zum höchsten Bergrücken über Bel Air. Nicht nur bietet sich dem Betrachter hier ein atemberaubendes Panorama, von hier aus sind auch die prunkvollsten Schlösser von Los Angeles zu bewundern, gegen die sogar Anthonys Villa bescheiden wirkte. Sie befinden sich in dem hermetisch abgeriegelten, streng bewachten Refugium für Superreiche, dessen Name »Beverly Park« jedem Außenstehenden Respekt und Neid gleichermaßen einflößte. Er fuhr so dicht wie nur irgend möglich an dem Grenzgitter der mondänen Anlage vorbei. Schon fing er sich den misstrauischen Blick eines bewaffneten Wächters vor dem Nordtor ein. Eines Tages wollte Anthony auch zu dieser exklusiven Welt gehören. Dafür arbeitete er; dafür war er, wie er meinte, bereits sehr weit gegangen. Er sah in den Rückspiegel und erspähte das Paket auf der Rückbank. Ihn fröstelte.

Vor den eigenen, ebenfalls alles andere als bescheidenen Wänden angelangt, trug er das Paket nicht ohne Anspannung ins Haus. Er platzierte es auf seinem schweren Wohnzimmertisch. Sich selbst ließ er in ein Sofa fallen. Elektrisiert sah er auf seinen Einkauf. Im Laden hatte er ihn so wenig wie möglich beachtet. Trotzdem wusste er, was die Schachtel enthielt. Nun packte ihn die Neugier. Morgen sollte sie weit mehr gestillt werden, als ihm lieb war. Nach einer Weile öffneten seine Finger die Lasche und griffen in den Karton hinein. Zuerst ertastete er weiche Seile aus Baumwolle. Wären sie keine Fesselwerkzeuge, könnten sie als Utensilien für ein Heilbad durchgehen. Kaum zu glauben, dass etwas, was sich so geschmeidig anfühlte, zum Quälen benutzt werden sollte. Aber er hatte ihre wahre Bestimmung schon einmal erlebt. Was seine Fingerkuppen dann aufspürten, war weit härter, weshalb er die Hände eilig herauszog und das Paket bis zum Abend des nächsten Tages nicht mehr anrührte.

Im Kerker der Kleopatra

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