Читать книгу Im Kerker der Kleopatra - N. Färusmonz - Страница 14

Ein Schock

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Plötzlich riss Anthony die Augen auf. Benommen starrte er in die Dunkelheit. Was war das nur für ein merkwürdiger Traum gewesen! Sein Nachthemd war schweißgebadet. Wie spät mochte es sein? Er schaltete den Fernseher ein, um den Videotext zu konsultieren: 5 Uhr 27. Heute war also der Tag der Entscheidung. Wie würde Severine sich entschließen? Ahnte sie eigentlich, wie sehr er sein Glück an ihr Ja oder Nein koppelte? Diese Frau übte von Beginn an eine seltsame Macht über ihn aus. Jetzt tat sie es mehr denn je. Und doch hatte sie am Vortag so zerbrechlich gewirkt. Sie hatte von Zwängen gesprochen, die es ihr nicht erlaubten, sein Angebot anzunehmen. Was konnte sie derart einengen? 5 Uhr 28. Am besten wäre wohl, wenn er sich umdrehte und versuchte, die restliche Zeit bis zum Frühstück zu schlafen. Das gelang ihm eher schlecht als recht. Unruhig wälzte er sich auf der Matratze, bis es endlich Frühstückszeit wurde. In sein Zimmer trat aber nicht Severine, sondern Miss Fields. Sie brachte ihm ein Tablett mit Ei und Speck.

»Guten Morgen!«, sagte sie frostig.

Das bizarre Bild seiner Fesselung hatte sie anscheinend noch nicht verwunden.

»Gleich möchte der Chefarzt mit Ihnen reden. Danach werden Sie offiziell entlassen.«

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, legte die Krankenschwester das Tablett auf Anthonys Nachttisch ab, bevor sie schnell in Richtung Ausgang marschierte.

»Wissen Sie vielleicht, ob Miss Folder mich sehen will?«, fragte er freiheraus.

Die Pflegerin zuckte. Sie blieb stehen.

»Ach ja!«, rief sie, tippte sich an die Stirn und hielt Anthony so etwas wie einen Zettel hin. »Das soll ich Ihnen geben.«

Dann verschwand sie. Mit diesem Patienten wollte sie so wenig wie möglich zu tun haben. Anthony hielt verblüfft ein Kärtchen aus edlem Papier in den Fingern. Mit goldenen Buchstaben stand dort Severines Privatadresse aufgedruckt. Was sollte das denn nun? Er kannte ihre Adresse doch. Nachdenklich drehte er das Kärtchen auf die Rückseite. Er staunte, als er etwas Handgeschriebenes entdeckte:

Die Sache ist komplizierter, als du glaubst. Am besten kommst du mich heute Abend gegen acht Uhr zu Hause besuchen.

Severine

Anthony geriet ins Grübeln. Noch komplizierter? Und wie sollte er die Spannung den ganzen Tag lang ertragen? Er musste es jetzt wissen: Spielte sie die Kleopatra oder nicht? Allmählich wünschte er sich beinahe, sie hätte gestern ihre Absage bestätigt. Das wäre nicht so schwer zu verkraften gewesen wie die stechende Ungewissheit, in der er nun steckte. Da war sie wieder: Severine, die Sadistin. Aber aufgrund ihres jüngsten Gesprächs war er sich diesmal nicht ganz sicher, ob sie ihn mit Absicht quälte.

Das Frühstück lenkte Anthony ein wenig ab. Es war ziemlich üppig. Gewiss hatte er es nicht ohne Genehmigung der wachhabenden Stationsärztin erhalten. Wollte sie ihn damit besänftigen, ihn auf ihr endgültiges Nein vorbereiten? Kaum hatte er zu Ende gegessen, tauchte der Chefarzt vor seinem Bett auf. Bei der Erinnerung an ihre letzten beiden Begegnungen schoss Anthony sofort die Schamesröte ins Gesicht. Doch Partenes wirkte völlig geschäftig:

»Ihre Tests bei Kollegin Folder haben ergeben, dass Sie nur über ein Drittel der Ihrem Alter entsprechenden Muskelkraft verfügen. Daran können wir zurzeit nichts ändern.«

»Das müssen Sie auch nicht«, versicherte der Patient, »bisher habe ich ganz gut mit meiner Schwäche gelebt.«

»Aber jetzt, da sie Bescheid wissen, möchte ich Ihnen dringend raten, besser Acht auf sich zu geben«, insistierte Partenes.

Anthony verdrehte die Augen. »Wer sind Sie, meine Mami?«

Partenes rümpfte die Nase.

»Ist Miss Folder in der Nähe?«, wollte Anthony erneut erfahren.

Plötzlich veränderte sich Partenes’ gesamte Mimik. Offenbar wider seinen Willen musste er grinsen.

»Frau Folder hat heute Morgen erklärt, dass sie den ganzen Tag arbeitet und von niemandem gestört werden möchte.«

»Sadistin!«, zischte Anthony.

Der Chefarzt räusperte sich und ging.

Da Anthonys Kleidung den Unfall im Gegensatz zu ihm nicht überlebt hatte, musste er sich welche aus dem Krankenhaus leihen. Tatsächlich kehrte wenig später Miss Fields zurück und legte Wäsche auf einen Stuhl: ein nachtschwarzes Oberteil mit einer ebenso schwarzen Jeans.

»Miss Folder meinte, Sie können das brauchen«, äußerte die Pflegerin tonlos, nahm sein leeres Tablett und verabschiedete sich mit einem knappen »Leben Sie wohl«.

Erleichtert, wenn auch verwirrt, stieg Anthony aus dem Bett, welches er viel zu lange hatte hüten müssen – wenn er nicht gerade auf dem Laufband schwitzte. Zudem war er froh, dass sein Training sowie die Kraftproben vorbei waren. Er schlüpfte in die Klamotten, steckte Severines Kärtchen ein und verließ auf dem schnellsten Wege die Klinik.

Was sollte er mit der wiedergewonnenen Freiheit als erstes anstellen? Bis zum Abend dauerte es noch. Sein geliebtes Auto war ein Haufen Schrott. Anthony hasste es, nicht am Steuer zu sitzen. Nicht selbst fahren zu können konfrontierte ihn stets mit einem Gefühl der Ohnmacht. Doch bis zum nächsten Wagenhändler musste er sich wohl oder übel bringen lassen. Außerdem hatte er gerade dringendere Sorgen als sein geschundenes Ego. Ins Studio wollte er nicht, ehe er Severines Antwort kannte. Sollte Alex doch im Dreieck springen. Anthony hielt sich nicht lange im Autohaus auf. Er kaufte den nächsten einigermaßen repräsentativen Schlitten. Wenn auch sein Studio dem Bankrott bedrohlich nahe kam, er persönlich hatte noch reichliche Rücklagen. Nichtsdestoweniger war er wild entschlossen, für das Überleben seiner Filmschmiede zu kämpfen – mit Severine. Also steuerte er nach kurzem Aufenthalt in seiner Villa gleich eine Wäscherei an. Zwar besaß Anthony durchaus eine eigene Waschmaschine. Der Gebrauch dieses veralteten Geräts war ihm zur Behandlung von derart edlen Klamotten wie den schwarzen aber zu heikel. Als Geste des guten Willens wollte er Severine die geliehenen Kleider so schnell wie möglich zurückgeben. Er rechnete nicht ernsthaft damit, sie dadurch erweichen zu können, wollte aber nichts unversucht lassen.

Anthony konnte nicht umhin, sich erneut über die Macht zu wundern, die jene seltsame Frau über ihn ausübte: plötzlich war er sich nicht zu fein, höchstselbst eine fremde, komplizierte Waschmaschine zu bedienen. Was tut man nicht alles für die Karriere!

Am späten Nachmittag traf er in der Fountain Avenue ein. Er war entsetzt; konnte zunächst nicht glauben, wirklich vor der richtigen Adresse zu parken. Zwar befand sich Severines Bungalow mitten in Hollywood, aber das nähere Umfeld war nicht gerade einladend. Hier gab es keine Villen, nur herabgewirtschaftete Läden, hässliche Mehrstockbauten und windschiefe Hütten. Den wenigen Palmen wurde der Himmel von dicken Stromkabeln streitig gemacht. Severine hatte gesagt, ihr mangele es nicht am Geld. Weshalb wohnte sie dann in einer solchen Gegend? Der einzige Vorzug war wohl die Nähe zu ihrem Arbeitsplatz. Anthony hingegen nahm lieber einen längeren Weg zum Studio in Kauf, als unter solchen Umständen zu hausen. Anstatt weiter über Severines Wohnmotive zu mutmaßen, stieg er aus dem Wagen. Mit pochendem Herzen trat vor ihre Haustür, obgleich er von Partenes wusste, dass sie noch nicht da war. Es gab zwei Klingeln, eine mit der Aufschrift »Severine Folder« und eine andere mit drei nichtssagenden Buchstaben. Lebte sie etwa nicht allein? Sie hatte doch davon gesprochen, dass sie solo sei. Mit jedem neuen Detail über diese Frau wurde sie ihm rätselhafter. Jedenfalls bestand kein Zweifel daran, dass sie hier lebte.

Drinnen schien alles dunkel zu sein; niemand war daheim. Anthony stieg in den Wagen zurück. Er konnte nur warten, Stunde um Stunde. Quälend langsam dämmerte der Abend. Mit jeder Minute wuchs seine Anspannung. Nun vermochte er noch nicht einmal ruhig zu sitzen. Es war stockdunkel, als ein schwarzer Fiat direkt vor ihrem Haus ankam. Tatsächlich war es Severine, die ausstieg. Sofort riss Anthony seine Wagentür auf. Er rannte auf sie zu.

»Endlich!«, rief er.

Sie schaute erstaunt hoch. »Du schon hier? Es ist gerade erst halb. Ich muss mich umziehen.«

»Du kannst auch im Ärztekittel mit mir sprechen; immerhin habe ich dich oft genug darin gesehen«, entgegnete er.

Sie schüttelte den Kopf.

»Komm erst mal mit rein«, murmelte sie und schloss ihre Wohnung auf.

Er folgte ihr. Der Bungalow war eng. Direkt neben dem schmalen Eingangsflur lag eine schwarz-weiß gekachelte Küche. Ihr gegenüber befand sich ein kleines Wohnzimmer mit einem einladenden Sofa. Weiter hinten war eine einsame Tür zu sehen; vielleicht führte sie in den Schlafbereich. Das musste Anthony zugeben: Im Einrichten verstand sich Severine. Ihr Heim war weit gemütlicher, als die Fassade vermuten ließ.

Am Ende der Diele zwischen Küche und Wohnzimmer führte eine geschwungene Treppe abwärts, offenbar in einen Keller.

»Setz dich doch!«, lud Severine ihn ein. Sie deutete auf einen Küchenstuhl. »Möchtest du etwas trinken?«

»Hast du was anderes als Orangensaft?«, scherzte er. »Danke übrigens für die Wäsche. Sie ist gereinigt und gebügelt.«

»Gern geschehen. Es hätte mich übrigens gefreut, wenn du die Klamotten anbehalten hättest. Sie sind ein Geschenk – wenn du sie denn möchtest.«

»Oh!«, machte er verlegen, »natürlich möchte ich sie, vielen Dank.«

Nach einer beklemmenden Funkstille fragte Severine: »Wie wäre es mit Tee?«

»Klingt gut.«

Am liebsten wäre Anthony sofort mit seinem Anliegen vorgeprescht, anstatt Severine beim Wasseraufsetzen zuzugucken. Aber er kannte sie inzwischen gut genug, um sich in Geduld zu üben, selbst wenn es ihm äußerst schwerfiel. Sie hatte ihm den Rücken gekehrt und wuselte an der Anrichte umher. Ihn beschlich das Gefühl, dass ihr das Gespräch ebenfalls nicht leichtfiel. Schließlich schenkte sie ihnen beiden von dem Tee ein, woraufhin sie gegenüber Platz nahm.

»Wie hast du letzte Nacht geschlafen?«, erkundigte sie sich.

»Frag besser nicht«, murrte er.

Severine sah zur Seite. Sie schien tatsächlich nervös zu sein. Ihr Grübeln, was sie jetzt tun sollte, war kaum zu verkennen. Ganz vorsichtig tastete sich Anthony vor:

»Hast du dir schon ein paar Gedanken machen können?«

Jetzt sah sie ihm direkt in die Augen, was seine Aufmerksamkeit wie gewohnt absorbierte. Diesmal indes verriet ihr Blick offenes Zögern und eine gewisse Ratlosigkeit, sogar eine Spur Angst.

»Das habe ich … und bin zu einem Ergebnis gelangt«, verkündete sie zaghaft.

Er konnte nicht mehr an sich halten: »Dann sag es mir, bitte!«

Sie stockte, sprach dann jedoch: »Ich bin mir nicht sicher, ob du einwilligen wirst.«

»Ich werde in alles einwilligen, wenn du nur deine Zustimmung zu der Rolle gibst«, erwiderte er sofort. »Bitte, sag es mir! Mach dir um meinen Gemütszustand keine Sorgen, nur sag es mir endlich!«

Severine schluckte. Ganz langsam rückte sie mit der Sprache raus:

»Ich spiele deine Kleopatra, sofern du gewisse Bedingungen erfüllst.«

»Was auch immer du …«

Mit einem Handzeichen brachte sie ihn zum Schweigen.

»Dein Film würde mir kostbare Zeit rauben, Zeit, die ich eigentlich für meine Arbeit im Hospital benötige – und noch für andere Dinge. Was ersteres angeht, so habe ich mit Partenes alles geregelt. Wenn auch widerstrebend, hat er sein Einverständnis erteilt, dass ich die nächsten Monate nur halben Dienst leiste. Was das andere angeht, so möchte ich mit dir jetzt ganz direkt darüber reden.«

Anthony frohlockte. Sie hatte mit ihrem Chef gesprochen! Offenbar war sie wirklich bereit, in seinem Film mitzuspielen.

»Wie schmeckt dein Tee?«

»Gut«, versicherte er schnell.

Aus Höflichkeit warf er einen flüchtigen Blick auf seine Tasse. Erst jetzt entdeckte er an dem Schildchen, dass sie ihm Beruhigungstee kredenzt hatte.

»Du musst wissen, dass ich noch einen zweiten Beruf habe«, berichtete sie. »Er bereitet mir Freude, indem er mir hilft, über die anstrengenden Tage im Krankenhaus hinwegzukommen. Aber er ist mehr als das. Er ist mein Lebensinhalt. Solange ich in deinem Film mitspiele, will ich ihn ruhen lassen – nein, nicht ruhen lassen, sondern auf eine Person konzentrieren: auf dich.«

Hier hielt sie inne. Sie ließ ihre Worte auf Anthony wirken. Der verstand anscheinend überhaupt nichts. Sie seufzte.

»Es ist schwer zu beschreiben. Deswegen wollte ich mich umziehen, bevor wir uns hier treffen.«

»Severine«, flüsterte Anthony, »sag mir doch einfach, was los ist! Ich verspreche dir, nicht schreiend davonzulaufen, schon gar nicht vor dir.«

Sie grinste finster. »Sei dir da mal nicht so sicher!«

Dann ließ sie äußerste Konzentration erkennen, während sie erläuterte:

»Mein zweiter Beruf ist eine Dienstleistung, für die meine Kunden viel Geld bezahlen. Doch von dir würde ich keinen Cent nehmen. Seit ich dich zum ersten Mal sah, mit verbundenen Augen und doch so ungehobelt, habe ich mir nichts sehnlicher gewünscht, als dir meine … äh … Dienstleistung zuteil werden zu lassen. Genau das ist mein Angebot: Wenn du mir zu Diensten bist, spiele ich in deinem Film mit.«

»Das ist alles?«, entfuhr es ihm ungläubig.

»Du weißt noch nicht, worauf du dich einlässt«, gab sie zu bedenken.

»Dann sag’s mir!«

Wieder begannen Severines Augen mysteriös zu lodern. Automatisch schrumpfte Anthony ein Stück. Sie erhob sich und ging zum Treppenabsatz.

»Du musst mir absolutes Stillschweigen versprechen.«

»Ich verspreche es, aber jetzt kläre mich bitte auf.«

»Warte hier.«

Anthony blieb verdattert in der Küche. Severine konnte es vielleicht spannend machen! Er nippte an seinem Tee. Wenigstens schmeckte er nicht nach versauerten Früchten. Für wenige Sekunden schweiften seine Gedanken ab: Heißt es »versauert« oder »versaut«? Sie war immer noch nicht zurück. Wann kam sie denn endlich? Er ließ den Blick umherwandern. Ihre Küche war zwar einladend, aber in bestimmter Hinsicht schmucklos: keine Fotos, nichts, was auf irgendetwas Intimes schließen ließe. Ihre schleierhaften Worte geisterten durch seinen Kopf. Wie er nun feststellen musste, war er durch die Vorstellung von Severine als seiner Hauptdarstellerin zu sehr abgelenkt worden, um einen kuriosen Widerspruch in ihren Ausführungen zu registrieren: Sie bot ihm eine Dienstleistung an, aber er war es, der ihr zu Diensten sein sollte. Was hatte das zu bedeuten?

»Ich bin soweit!«, rief sie plötzlich. »Bist du es auch?«

Anthony widmete ihr augenblicklich seine volle Aufmerksamkeit. Vor Schreck entglitt ihm die Tasse Tee, der sich über den Küchentisch und den Fußboden ergoss. Erst als er etwas von dem glühend heißen Wasser auf einem Bein brennen spürte, sprang er auf. Trotz der leichten Verbrühung blieb sein Blick von Severine gefangen. Sie hatte sich komplett umgezogen. In schwarzes Leder gehüllt stand sie vor ihm: Um ihre gesamten Unterschenkel schmiegten sich zwei hochgeschnürte Stiefel. Die Oberschenkel waren hingegen frei. Von der Hüfte bis zum Dekolleté steckte sie in einem Korsett, das von zahlreichen Riemen zusammengehalten wurde. Ferner trug sie bis zu den Ellbogen reichende Handschuhe aus glänzendem Leder. In der Rechten hielt sie eine mehrstriemige Peitsche.

Wie angewurzelt sah Anthony auf das, was er nicht fassen konnte. Die Ärztin hatte sich in eine Domina verwandelt. Mit einem Schlag wurde ihm manches klar: Ihr Befehlston, das faszinierende Spiel ihrer Augen, ihre seltsamen Anspielungen, seine Fesselung ans Bett. Kaum hatte er etwas Unverständliches losgestammelt, hielt sie ihm die Peitsche gegen den Mund und schrie:

»Schweig still! Du willst etwas von mir. Dafür will ich von dir, dass du jetzt mit mir in den Keller gehst.«

Mit der Geißel zeigte sie auf die verstohlene Treppe im Flur. Anthony wich zurück, riss die Haustür auf und knallte sie hinter sich zu.

Er stolperte ein paar Meter weit über den Bürgersteig, ehe er zusammensackte. Sein Herz raste. Trotz der kühlen Nacht schwitzte er. Das durfte doch alles nicht wahr sein! Mit Sadomasochismus hatte er nie das Geringste zu tun gehabt. Dennoch meinte er zu wissen, worum es sich dabei handelte. Das Thema erfreute sich unter seinen Kollegen reger Beliebtheit, was es ihm nicht eben sympathischer machte. Sollten die anderen ihre Zeit sowie ihr Geld mit dem kruden Zeug um Hingabe und Auslieferung verschwenden. Aber er, er hätte sich niemals träumen lassen, jemals in diese bizarre Welt hineingezogen zu werden. Sein Blick fiel auf seinen neuen Wagen an der gegenüberliegenden Straßenseite. Er konnte nun einsteigen und das unheimliche Tal verlassen, was gleichzeitig den Ruin seines Filmstudios bedeutete, wenn die ursprüngliche Kleopatra-Besetzung nur halb so untalentiert war, wie er befürchtete. Oder er konnte wieder in den Bungalow gehen und sich dem Ungewissen aussetzen; einer Ungewissheit, für die er filmisch reichlich belohnt werden würde, daran hatte er keinen Zweifel. Er brauchte nicht weiter zu überlegen: Wenn er Erfolg haben wollte, musste er den Schritt tun. Das Pochen in seiner Brust hatte sich ein wenig beruhigt. Also raffte er seinen gesamten Mut zusammen, taumelte auf den Bungalow zu und klingelte. Sogleich öffnete ihm die Domina die Tür. Eilig zog sie ihn in ihr Reich.

»Schön, dass du entschieden hast zu bleiben. Nächstes Mal benutzt du die untere Klingel. Verstanden?«

»Ja«, stammelte Anthony.

»Ja, Herrin!«, sagte Severine streng. »Wiederhol das!«

»Ja, Herrin!«, äußerte er mühselig.

Die Domina grinste bis über beide Ohren.

»So gefällst du mir. Sind wir im Geschäft?«

»Ich fürchte«, stotterte er, »dass ich es immer noch nicht ganz kapiert habe.«

Severine kicherte verwegen – sie war auf einmal wie ausgewechselt – und erklärte: »Für jeden Tag in deinem Filmstudio verlange ich einen Abend von dir in meinem Domina-Studio. Studio gegen Studio. So einfach ist das. Wenn du willst, dass ich morgen komme, wirst du jetzt mit mir in den Keller gehen müssen.«

Er sah sie regungslos an. Sie wies ihm abermals mit der Peitsche die ins Untergeschoss führenden Stufen. Doch er konnte sich nicht rühren. Er war zu einer Salzsäule erstarrt.

Sie scharwenzelte um ihn herum. Dabei berührte sie ihn hin und wieder mit einer lederumhüllten Fingerspitze, mal an einem Arm, dann an seinem Rücken, schließlich am Oberschenkel. Zwar verzehrte sich Anthony nach ihren Berührungen, aber auf solche Begleitumstände war er nicht vorbereitet. Sie trat ganz nah an ihn heran und raunte in sein Ohr:

»Am liebsten würde ich dich dadurch beruhigen, dass ich sagen könnte, ich beiße nicht. Aber das wäre gelogen. Dennoch verspreche ich dir, dich später wohlbehalten freizulassen. Jetzt folge mir.«

»Nicht dass ich mich auskennen würde«, piepste Anthony, »aber soweit mir geläufig ist, müssten wir vorher über meine Grenzen sprechen – nicht wahr? Über das, was ich auf keinen Fall mit mir machen lasse.«

»Oho, da ist jemand im Bilde« – urplötzlich spürte er ihren Atem an seinem anderen Ohr – »was das betrifft, kannst du völlig unbekümmert sein: Als deine Ärztin weiß ich sehr genau, wieviel du verträgst. Über mehr brauchen wir nicht zu diskutieren. Ich dulde keine Extrawünsche.«

Ihm zog sich der Magen zu. Von Wünschen konnte nun wirklich keine Rede sein. Ein Zugeständnis erhielt er doch: »Sollte ich dich gleich überfordern, so lautet das Wort zum Abbruch bei mir ›Gnade‹.«

Anthony war nicht sicher, ob er dadurch in irgendeiner Weise erleichtert war. Jedenfalls löste er sich aus seiner Schockstarre und ließ sich in den Keller führen. Wortlos folgte er der Domina die Stufen hinab.

Unten angelangt betraten sie einen Raum mit mehreren lederüberzogenen Pritschen, stählernen Käfigen sowie einer Reihe bizarrer Werkzeuge an den Wänden. Bei genauerem Hinsehen entlarvten sie sich als Seile, Gurte, Handschellen und andere Instrumente, die er nicht zu definieren vermochte. Ganze Sortimente verschiedener Ketten, dicker und dünner, glänzender und matter, hingen von der Zimmerdecke herab. Er befand sich nicht in einem Keller, sondern eher in einem Kerker. Die Sadistin grinste unentwegt in diebischer Manier. Er begriff nicht; sie verdeutlichte: »Auch für mich ist es in gewisser Hinsicht eine Premiere. Ich hatte noch nie mit jemandem zu tun, der mir nicht nur im Spiel, sondern tatsächlich ausgeliefert ist. Ich spreche von deiner Muskelschwäche.« Ihre Augen blitzten erneut auf. »Du bist mir vollkommen ausgeliefert – jetzt erst recht!«

Anthony schluckte. Da schenkte sie ihm einen besänftigenden Blick. Mit einem Zeigefinger berührte sie ihn kaum merklich an der linken Wange.

»Hab keine Furcht, du wirst es überleben.«

»Wie gütig!«, krächzte er.

Sie schmunzelte.

»Ich gehe jetzt in ein Nebenzimmer. Wenn ich wiederkehre, will ich, dass du nackt auf dem Boden kniest, die Hände auf dem Rücken verschränkt. Ein bisschen kennst du’s ja bereits.«

»Nackt?«

»Ganz nackt. Deine Sachen kannst du da drüben auf den Stuhl legen. Bis gleich!«

Mit diesen Worten verabschiedete sie sich vorübergehend von ihm, damit er sich auf die Sitzung vorbereitete. Anthony befand sich mitten in einer neuen Welt, mit der er noch nichts anzufangen wusste.

Im Kerker der Kleopatra

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