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Marcus Antonius

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Launisch, wie das Schicksal ist, befand sich am Beginn der in die große Begegnung mündenden Ereignisse eine kleine Batterie, deren Energie zur Neige gegangen war. Die unmittelbare Folge des an sich alltäglichen Vorfalls war das Versagen eines Weckers. Dieses Malheur bewirkte wiederum, dass der Bewohner eines recht prachtvollen Anwesens länger schlief, als ihm lieb sein konnte. Die fünf Minuten zwischen jähem Aufwachen und hastigem Anlassen eines protzigen Wagens sind schnell erzählt: ein paar Flüche nebst einer geradezu panischen Hektik, die nur Zeit für die allernötigsten Hygienemaßnahmen ließ. Zum besseren Verständnis sei erwähnt, dass der Hausherr einer der vielen Filmproduzenten der eingangs beschriebenen Luxusgegend war. Das besagte Exemplar hatte allerdings noch nicht den gierig anvisierten Gipfel seiner Karriere erreicht, der er sein ganzes Leben verschrieb; er war außerdem Regisseur und Drehbuchautor. Freunde besaß er keine. Wozu auch? Ihn beschäftigten andere Sorgen. Er sehnte sich nach Anerkennung unter seinen Kollegen, fantasierte von einem Oscar. Seine bisherigen Filme boten zur Realisierung dieses Traums noch keine Gelegenheit, wenngleich er mit seinen frühen Werken vielversprechend debütiert hatte.

Nach langer Suche meinte er nun, endlich ein Thema gefunden zu haben, aus dem er einen Oscar gießen würde: das uralte Drama um den römischen Feldherrn Marcus Antonius und die letzte Königin von Ägypten aus der griechischen Dynastie der Ptolemäer: Kleopatra VII. Es ist bekanntermaßen nicht so, als ob das Thema noch nicht auf die Leinwand gebracht worden wäre. Der vom Erfolg besessene Regisseur musste sich die Frage gefallen lassen, was sein Film erzählen konnte, was nicht schon der Streifen mit Elizabeth Taylor so eindrucksvoll inszeniert hatte. Zudem ist der Stoff von keinem Geringeren als William Shakespeare für die Weltliteratur verarbeitet worden. Den Spott seiner Standesgenossen bekam er sofort zu spüren, kaum dass erste Gerüchte über seine ägyptischen Pläne durchsickerten. Jedoch war er der felsenfesten Überzeugung, mit einer Fokussierung nicht auf die legendäre Königin, sondern auf den tragischen Römer ein Novum darzubieten. Vom »Drehbuch« her beinhaltet die Geschichte unbestritten alles, was großes Kino ausmacht: unglückliche Liebe, einen zu allen Schandtaten bereiten Feind sowie eine atemberaubende Kulisse. Genau danach hatte der ehrgeizige Regisseur gesucht. Dass es sich um eine wahre Begebenheit handelt, war ihm völlig gleichgültig. Weil er trotz seiner emotionalen Eiseskälte glaubte, sie dank seines kreativen Geschicks gefühlvoll erzählen zu können, musste er über eine mehr als gehörige Portion Zynismus verfügen – was er beileibe tat.

Das Gelächter der Kollegen war nicht sein einziges Problem. Wegen der langjährigen Erfolglosigkeit haftete seinem Namen etwas Anrüchiges an, als wäre er ein sicherer Karrierekiller. Nur mit Mühe war es dem Regisseur gelungen, eine halbwegs akzeptable Besetzung für den Film anzuwerben. Vor allem die Rolle der Kleopatra bereitete ihm Schwierigkeiten. Er verlangte gar nicht erst nach dem Format einer Taylor. Doch mit solchen Hindernissen wie jenen, die er zuletzt überwinden musste, eine nicht nur ansehnliche, sondern auch halbwegs fähige Schauspielerin aufzutreiben, hatte er nicht gerechnet. Hollywood wimmelt natürlich von jungen Frauen mit Leinwandträumen, aber die wenigsten eigneten sich für seine anspruchsvolle Kleopatra-Interpretation. Also wählte er schließlich das geringste Übel, bar jeder Hoffnung, eine wirklich passende Besetzung zu finden.

Wie bereits angedeutet, drohte der Aufbruch in das große Filmprojekt durch die Schwäche einer simplen Weckerbatterie vereitelt zu werden, da sie ihren Besitzer daran hinderte, rechtzeitig zu der von ihm anberaumten Pressekonferenz zu erscheinen. In einem spektakulären Auftritt wollte er der Öffentlichkeit seine Rückkehr in die Kinowelt verkünden. Dem Fehlstart versuchte er mit allen Mitteln zu entgehen. Indes blieb ihm selbst bei Höchstgeschwindigkeit nicht ausreichend Zeit, den eigens gemieteten Konferenzsaal in Hollywood schnell genug zu erreichen. Erst einmal galt es, die engen Serpentinen von Bel Air hinabzufahren. Die sonnenverwöhnten Palmen, die luxuriösen Privathäuser, welche so aussahen, als wären sie einem Werbeprospekt entsprungen, der spektakuläre Blick auf die Unterstadt – an all dem, was seine Sinne gewöhnlich berauschte, rauschte er nun achtlos vorbei. Gerade bretterte er durch den die südliche Grenze von Bel Air markierenden Bogen auf den Sunset Boulevard, als Blaulicht hinter seiner edlen Karosse aufheulte. Äußerst genervt fuhr er an die Seite. Zeternd schlug er auf das Lenkrad ein. Der Wutausbruch brachte ihm nichts weiter ein als schmerzende Handkanten. Ungeduldig wartete er auf den Ordnungshüter. Als dieser »endlich« neben der Autotür erschien, forderte er den Verkehrssünder mit einem kurzen, wenngleich energischen Klopfen auf, die Scheibe herunterzukurbeln.

»Sie sind zu schnell gefahren und haben am Steuer telefoniert«, erklärte ein breitschultriger Polizeibeamter mit einer übergroßen Sonnenbrille.

»Ich weiß«, blaffte der gestresste Regisseur und Produzent.

Über den Brillenrand hob der Ordnungshüter eine Augenbraue. An seinen verwarzten Nasenflügeln zuckte es. »Aussteigen!«

Grummelnd beugte sich der Filmemacher der Anweisung. Er musste seine Papiere vorzeigen, in die sich der Polizist mit quälender Ausgiebigkeit vertiefte. »Anthony Wilms? Der Anthony Wilms von den Wilms Studios?«

»Was dachten Sie denn«, ätzte der so Benannte, »der Anthony Wilms von den Disney Studios?«

»Ihr Benehmen gefällt mir nicht«, warnte ihn der Polizist.

»Oh, bitte vielmals um Verzeihung, dass ich Dringenderes zu tun habe, als mit Ihnen müßig auf der Straße zu plaudern!«, zürnte Anthony.

»Wir können uns auch auf der Wache weiterunterhalten!«

»Wir können es auch bleiben lassen. Stellen Sie mir den Strafzettel aus und lassen Sie mich weiterfahren!«

»Das haben Sie nicht zu bestimmen.«

Anthony musste eine Leibesvisitation, gefolgt von einem albernen Alkoholtest, über sich ergehen lassen. Getrunken hatte er vor der wichtigen Pressekonferenz nun wirklich nicht. Anschließend wurde er belehrt, sollte er nochmals bei einem solchen Fahrverhalten erwischt werden – von seinem mangelnden Respekt vor einem Staatsbeamten ganz zu schweigen –, drohe ihm ein horrendes Bußgeld oder das Gefängnis.

»Nein danke, da spende ich Vater Staat lieber ein Almosen«, stichelte der vor Wut zitternde Regisseur.

Der breitschultrige Ordnungshüter zog die Mundwinkel noch weiter nach unten, als sie ohnedem schon waren, da ertönte ein Notruf aus seinem Funksprecher.

»Sie haben gerade noch einmal Glück gehabt«, murrte der Beamte, ehe er in den Streifenwagen stieg.

Kaum war Anthony unbehelligt, griff er beim Anlassen des Motors erneut zum Mobiltelefon.

In Hollywood klingelte ein nachtschwarzes Handy. Ein vor mehreren Mikros sitzender, adrett frisierter Mann in dunklem Anzug nahm das Gespräch entgegen. Die Augen starr auf die gelangweilten Journalisten gerichtet, wechselte der Mann ein paar Worte mit Anthony und strahlte bei jeder Silbe mehr über das Gesicht. Der Name dieses Sadisten lautet Alex Augustenburg. Auch er war vom Ehrgeiz zerfressen. Seine Ururgroßeltern flohen einst aus dem verarmten Böhmen in die Neue Welt. Sie fanden sich schließlich in Nebraska wieder. Sehr schnell mussten sie sich wundern, wie sich die Bilder trotz aller Unterschiede gleichen können. Doch mit Ausdauer und viel harter Arbeit schafften sie es, von den Erträgen ihrer Farm zu leben, die von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Der Nachfahre jener Einwanderer versicherte nach einem kurzen Telefonat mit seinem Chef der spärlich vertretenen Presse, dass es nicht mehr lange bis zu dessen Eintreffen dauern könne. Eigenmächtig fügte er hinzu, ihm könnten bereits Fragen gestellt werden.

Derweil setzte Anthony seine aussichtlose Aufholjagd fort, bis sie abermals ausgebremst wurde, diesmal nicht durch die Begegnung mit einem Beamten, sondern mit einem frontal auf ihn zubrausenden Lastwagen. Bei einem spektakulären Überholmanöver hatte Anthony ihn nicht rechtzeitig kommen sehen.

Seine nächste Erinnerung bestand aus nichts anderem als Finsternis und Stille. Zunächst musste sein Hirn beides überhaupt erst registrieren. Nur langsam geriet sein Bewusstsein wieder in Wallung. Wo war er? Warum war alles so schwarz? Woher stammte diese klinische Ruhe, die alle paar Sekunden lediglich von einem nervösen Piepen unterbrochen wurde? Wie in Zeitlupe, noch halb in Trance wurde er sich der brennenden Schmerzen in seinem Schädel gewahr. Ganz langsam begriff er, dass er nicht mehr am Steuer saß, sondern vermutlich in einem Bett lag. Er fasste sich an den Kopf und stöhnte:

»Es brummt so fürchterlich.«

»Nicht bewegen!«, sagte plötzlich jemand.

Im Kerker der Kleopatra

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