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Ein Kniefall

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Diesmal träumte Anthony nicht vom Nil-Land. Er war sofort in einen tiefen, seligen Schlaf gefallen. Das nächste, was er vernahm, war das Geräusch einer schwungvoll aufgerissenen Türe. Pflegerin Fields knipste die Deckenlampe an und polterte in sein Zimmer. Sofort erspähte sie die unter dem Bettlaken heraushängenden Gurte.

»Wer hat Sie denn fixiert?«, wollte sie entsetzt wissen. »Was ist passiert?«

Anthony hatte kaum Zeit zum Wachwerden und Erinnern. Wie er es mittlerweile gewohnt war, antwortete er anstandslos auf die ihm gestellten Fragen:

»Severine, ich meine Miss Folder, hat mich festgebunden, weil ich gestern Nacht im Haus herumgeschlichen bin.«

»Die Ärztin?!«

Miss Fields riss das Laken weg. Verdattert sah sie auf die Fesseln.

»Um Himmels Willen!«, rief sie. Ihr Gesicht wurde kreidebleich. »So hart dürfen wir niemanden fixieren. Sind Sie sicher, dass die Ärztin das getan hat?«

»Ja, aber …«, begann Anthony, doch die Krankenschwester stürmte bereits aus seinem Zimmer.

Diesmal würde es wohl Severine sein, die Ärger kriegte. Es dauerte nicht lange, und Miss Fields tauchte erneut an seinem Bett auf, mit Partenes und Severine.

»Sehen Sie selbst!«, tönte die Pflegerin außer sich.

Partenes taxierte Anthony von oben bis unten. Er sah die Augen des Chefarztes andeutungsweise in der Weise auflodern wie am vorigen Abend diejenigen von Severine. Partenes räusperte sich:

»Danke, Miss Fields. Sie können gehen. Ich regle das mit Kollegin Folder und Herrn Wilms.«

»Aber, ich muss doch …«, beharrte die Pflegerin, wurde indes von ihrem Vorgesetzten jäh unterbrochen:

»Danke, Miss Fields!«

Sie zog einen Schmollmund und stampfte in den Flur.

»Nun zu Ihnen, Miss Folder«, sprach Partenes streng. »Würden Sie mir verraten, was Sie sich dabei gedacht haben?«

Severine schien zu schrumpfen. Verlegenheit passte überhaupt nicht zu ihr, beinahe genauso wenig wie Tränen.

»Also … ich … äh …«, stotterte sie.

»Ich höre!«

Anthony wollte nicht, dass sie Ärger bekam. Also mischte er sich kurzerhand ein, immerhin ging es um ihn.

»Miss Folder hat mich gestern Abend im Personalbüro ertappt«, gab er zu.

Partenes drehte sich verwundert um.

»Sie waren im Büro? Was haben Sie da zu suchen gehabt?«

»Ich habe verbotenerweise die Akte von …«

»Herr Wilms hat sich in der Tür geirrt«, grätschte Severine dazwischen.

»Ach!«, machte Partenes ungläubig.

»Er wollte spät abends fernsehen, fand aber kein Programmheft. Er hielt das Büro fälschlicherweise für den Zeitungsraum. Dort bin ich zufällig auf ihn gestoßen«, erzählte sie weiter.

Partenes senkte die Augenbrauen.

»Und wie kam es zu der Fixierung, und dann ausgerechnet zu dieser Fixierung, Miss Folder?«

Sie sah verlegen zu Boden.

»Ich habe sie darum gebeten«, behauptete Anthony.

Severine und ihr Chef guckten ihn verblüfft an.

»Ach so?«, rief Partenes. Plötzlich klang er ganz anders, eher neugierig als vorwurfsvoll.

»Miss Folder meinte, dass es schon spät sei und ich ins Bett müsse. Daraufhin gestand ich ihr, dass ich Einschlafprobleme habe, weil ich … schlafwandle! Deswegen habe ich sie gefragt, ob es kein Mittel dagegen gebe. Sie sagte, dass zurzeit nichts vorrätig sei. Die einzige Alternative war also die Fixierung. Daher habe ich Frau Folder gebeten, mich zu meiner Sicherheit und um meines ruhigen Schlafes willen ans Bett zu binden. Auch bat ich sie, das möglichst eng zu tun. Sie sträubte sich dagegen. Doch ich habe sie solange angefleht, bis sie schließlich zustimmte. Und ich habe außerordentlich gut geschlafen. Vielen Dank, Miss Folder!«

Partenes fiel die Kinnlade herunter. Er sah abwechselnd auf Anthony und auf Severine, aber zunehmend auf Severine. Sein Blick war missbilligend. Bei ihm wirkte die Magie ihrer Augen anscheinend nicht. Wie war das möglich? Anthony gewann indes den Eindruck, als müsse sich der Chefarzt bei allem Ärger fast gewaltsam ein Schmunzeln verkneifen.

»Also«, krächzte Partenes nach einer Weile, »werte Kollegin Folder, Sie haben großes Glück, dass es noch Patienten gibt, die zugeben, dass sie sich freiwillig fesseln lassen. Aber sollte ich Sie noch einmal bei derartigen Praktiken im Krankenhaus ertappen, werde ich Sie melden müssen.«

Severine errötete über das gesamte Gesicht. »Verstanden, Herr Partenes.«

»Dann binden Sie Ihren Patienten mal los. Nicht dass ausgerechnet heute das Ordnungsamt vorbeischaut!«

Der Chefarzt warf Anthony einen letzten verwunderten Blick zu. Unter heftigem Kopfschütteln schritt er aus dem Zimmer. Jetzt war Anthony wieder mit Severine allein.

»Was hat er denn?«, erkundigte er sich verdutzt.

Sie lächelte müde.

»Deine Geschichte hat mehrere Haken: Zum Beispiel gibt es keine Medikamente gegen Schlafwandeln, jedenfalls nicht solche, die man einfach wie Aspirin einnehmen könnte.«

»Oh! Und jetzt?«, fragte Anthony erschrocken.

Ihr Lächeln wurde strahlend. »Partenes hat nach deiner Schilderung eine sehr klare Vorstellung von dem, was hier gestern tatsächlich oder angeblich passiert ist. Sie dürfte zwar nicht in allen Einzelheiten zutreffen, aber sie ist ohne Zweifel wahrer als dein Märchen.«

Jetzt verstand Anthony überhaupt nichts mehr. Doch Severine trat an sein Kopfende und funkelte ihn dankbar an.

»Du hast mir trotzdem sehr geholfen. Das war wirklich nett von dir. Du hättest es nicht tun müssen.«

»Ich wollte nicht, dass du einen Eintrag in deine makellose Personalakte erhältst«, meinte er verlegen.

»Du bist ja richtig liebenswürdig, wenn du gefesselt bist«, urteilte sie. Mit dem Rücken eines Zeigefingers strich sie über seine Wange.

Anthony musste tief Luft holen. Er brauchte sich nichts mehr vorzumachen. Er war in diese Frau verliebt. Aber welcher Mann wäre das wohl nicht? Vermutlich gab es auch viele, die sich ohne jedes Zögern von ihr hätten ans Bett binden lassen. Sie trat näher an ihn heran. An sämtlichen Poren brach Anthony in Schweiß aus. Oh, welche Schmach! Welche Schande! Er, der große Zyniker und Frauenverächter Anthony Wilms wurde von einem zutiefst schwärmerischen Gefühl dahingerafft – einem Gefühl, das er bei nächster Gelegenheit in die Wüste schicken würde, wenn er erst wieder die Kontrolle über sich erlangt hatte.

»Hast du wirklich gut geschlafen?«, vergewisserte sie sich.

»Mir geht es geradezu hervorragend. Ich kann mich nicht erinnern, jemals so fest geschlafen zu haben«, versicherte er.

»Fein, dann wollen wir den neuen Tag beginnen. Du hast heute wieder ein volles Programm. Leider bin ich anderweitig auf der Station beschäftigt. Aber ich habe einen Trainer für dich aufgetrieben. Am Abend erscheine ich zur nächsten Kraftübung.«

Er wusste nicht, ob er sich über die Aussicht, nicht den ganzen Tagen unter Severines Obhut zu stehen, freuen sollte oder nicht. Dann kam ihm plötzlich ein völlig anderer Gedanke.

»Sag mal, würdest du dir denn das mit der Rolle in meinem Film noch mal überlegen, weil ich so lieb zu dir war?«

»Das brauche ich nicht. Meine Antwort lautet nein«, erwiderte sie sanft, aber unnachgiebig.

Er seufzte. »Kriege ich denn wenigstens eine kleine Erleichterung für mein Fitnessprogramm?«

»Nein.«

Auch diese Antwort war so sanft wie eindeutig. Viel zu schnell verschwand ihr Zeigefinger von seinem Gesicht. Sie zog einen Schlüssel aus ihrem Kittel und löste zuerst den Bolzen über dem Knoten auf seinem Bauch, dann die anderen. Binnen weniger Sekunden war Anthony frei. Er setzte sich.

»Woran denkst du?«, wollte sie erfahren, nachdem er sich ausgiebig geräkelt hatte.

Er musste schmunzeln. »An den Palast der Kleopatra.«

Severine verzog das Gesicht, ganz so, als ob sie über seine Aussage enttäuscht wäre.

»Wir sehen uns in der Mittagspause«, unterrichtete sie ihn spitz und verließ schnellen Schrittes sein Zimmer.

Anthony schaute ihr erstaunt nach. Er konnte sich einfach keinen Reim auf diese seltsame Frau machen. Warum sträubte sie sich nur gegen die Hauptrolle in seinem Film? An mangelndem Selbstbewusstsein konnte es bei ihr nicht liegen.

Der Anthony zugeteilte Trainer war ein energiegeladener Gnom, der ihn in der krankenhauseigenen Turnhalle nicht minder scheuchte als Severine – nur dass es bei ihm überhaupt keinen Spaß bereitete. Spätestens beim Schwitzen auf dem Laufband musste Anthony innerlich zugeben, ihren lasziven Befehlston zu vermissen. Er badete förmlich in Schweiß, doch der Zwerg starrte unerbittlich auf seine Stoppuhr. Munter drückte er Knöpfe an dem Laufband, woraufhin sich die zu bewältigende Geschwindigkeit erhöhte. Irgendwann lief Anthony, ohne darüber nachzudenken. Sein Hirn schaltete einfach auf Durchzug und ließ seine schmerzenden Beine den Rest erledigen. Kurz vor Mittag stand plötzlich Alex vor ihm. Sein Agent bedachte den Gnom mit einem derart grimmigen Blick, dass er Anthony tatsächlich eine Pause gewährte und sich – nur für ein paar Minuten, wie er ihn warnte – zurückzog.

»Danke«, keuchte Anthony. »Wieder einmal rettest du mich aus einer heiklen Situation.«

Während sich sein Chef mit einem Frotteetuch den Schweiß aus dem Gesicht rieb, musterte Alex ihn mit Argwohn.

»Würdest du mir vielleicht erklären, was du hier treibst?«, fragte er missmutig.

»Ich soll mich in Form bringen, damit sie meine Muskelschwäche besser analysieren können«, sagte Anthony, immer noch außer Atem.

Alex erwiderte mit gedämpfter Stimme:

»Ich habe mit dem Arzt gesprochen. Ein paar Tage Training reichen nicht aus, um deine Muskelschwäche auch nur ansatzweise zu kurieren. Dazu bedürfte es viel gravierenderer Methoden. Was deine Genesung nach dem Autounfall betrifft, meinte er, könntest du schon heute entlassen werden. Also was tust du noch hier, Anthony? Die Arbeit im Studio steht still. Die Zeit rinnt dahin. Wir sind pleite, wenn wir nicht in diesem Jahr einen Erfolg verbuchen, einen großen Erfolg.«

Anthony stöhnte.

»Das ist mir alles bewusst«, bezeugte er, »aber bisher ist es mir noch nicht gelungen, Sev… – Miss Folder zu überreden.«

»Allmählich habe ich den Verdacht, du hast einen Narren an der Folder gefressen. Nur deswegen bist du noch hier!«

»Was? Nein!«, empörte sich Anthony.

Sein Gegenüber wirkte nicht überzeugt.

»Ich versichere dir, dass da nichts läuft. Ich gebe zu, dass sie scharf ist … sehr scharf, aber ich habe mich im Griff.« Er reckte eine Faust in die Luft, als wollte er ein politisches Manifest abgeben. »Ich bin wieder Herr meiner selbst. Ich bin immun gegen Gefühle, besonders wenn sie mich bei der Arbeit stören. Miss Folder wird mich nicht noch einmal in Verlegenheit bringen. Ich bin ein glücklicher Einzelgänger, frei und ungebunden. Dabei wird es auch bleiben!«

Alex ließ seinen Chef zu Ende proklamieren, bevor er zur Sache kam:

»Wieviel Geld hast du ihr versprochen?«

»Noch gar keins. Sie weicht meinem Angebot aus. Sogar die Aussicht auf Ruhm lässt sie kalt.«

Alex legte die Stirn in Falten.

»Dann wäre vielleicht ein geordneter Rückzug ratsam. Ich habe der bisherigen Kleopatra-Darstellerin noch nicht gekündigt. Wir können also da weitermachen, wo …«

Zornig warf Anthony sein Handtuch auf das Laufgerät. »Ich habe dir den ausdrücklichen Auftrag erteilt, sie zu entlassen. Seit wann werden meine Anweisungen nicht mehr befolgt? Ich bin der Herr über das Studio. Besonders von dir als meinem verlässlichsten Mitarbeiter verlange ich Gefolgschaft. Du enttäuschst mich sehr!«

Alex’ Zögern verriet eine gewisse Unsicherheit, ob er seiner Entrüstung oder dem Willen seines Vorgesetzten nachgeben sollte. Anthony war indes zu wütend, als dass er sich Gedanken über das illoyale Verhalten seines Agenten gemacht hätte. Nach einiger Überlegung entschied sich Alex für die zweite Option. Ruhig wandte er ein:

»Ich kann sie immer noch feuern. Aber was ist, wenn du deine Miss Folder nicht überreden kannst?«

»Ich will sie oder keine!«

Die Sporttreibenden im Raum sahen bereits zu Anthony herüber.

»Kannst du sie nicht überzeugen?«, flüsterte er.

»Wenn sie weder Geld noch Ruhm will, weiß ich nicht, was da noch auszurichten wäre.«

»Bitte, dir muss etwas einfallen. Wenn du nicht weiterweißt, bin ich am Ende«, flehte Anthony nahezu.

»Am Ende bist du noch lange nicht«, verkündete plötzlich Severine.

Wie aus dem Nichts war sie aufgetaucht und hatte sich zwischen Alex und ihn geschoben.

»Worüber zerbrechen sich die Herren die Köpfe?«, wollte sie mit schneidender Stimme wissen, blickte aber in erster Linie auf Anthony.

Alex betrachtete die eigenwillige Fremde mit grimmiger Miene. »Es wäre gut, wenn du das geklärt hast, bevor das Studio bankrott geht«, zischte er.

»Wer ist der Kerl überhaupt?«, fragte Severine, während Alex verschwand.

»Mein bester Mann«, erwiderte Anthony.

»Irgendetwas an ihm gefällt mir nicht«, murrte sie.

»Oh, entschuldige, dass ich mich mit Leuten umgebe, die Euer Gnaden nicht genehm sind«, rief Anthony; »dabei weigern sich Hochdieselbe nach wie vor, mein Angebot in Erwägung zu ziehen.«

Ganz langsam stolzierte sie auf ihn zu. Er wich zurück, fand sich aber sogleich mit dem Rücken zur Wand wieder. Severine stemmte ihre Arme links und rechts neben Anthony gegen das Mauerwerk und lächelte verschwörerisch. Erneut trat ihm Schweiß auf die Stirn; er hatte jedoch eine ganz andere Ursache und war auch von völlig verschiedener Natur als derjenige beim Hetzen über das Laufgerät. Dass Anthony einmal mehr von ihren Augen in den Bann gezogen wurde, bedarf wohl keiner ausführlichen Erläuterung mehr.

»Anthony, vergiss niemals, dass du mit mir nicht reden kannst wie mit einem deiner Untergebenen«, raunte sie.

»V… verstanden.«

Sie ließ einen Arm sinken, so dass er an ihr vorbeigehen konnte. Doch er zögerte. Er wurde von dieser Frau magisch angezogen. Aber das konnte, das durfte nicht wahr sein. Da kehrte sein Trainer zurück.

»Pause vorbei!«, tat er kund.

Severine wirkte wie Anthony nicht gerade glücklich über das jähe Erscheinen des Gnoms. Seufzend ließ sie auch den zweiten Arm sinken. »Wir unterhalten uns heute Abend bei deiner Kraftprobe weiter.«

Dann überließ sie ihn seinen Übungen. Noch im Laufen schaute Anthony ihr lange hinterher. Was heckte sie wohl diesmal für ihn aus?

Abends lag Anthony abermals völlig erschöpft im Bett. Alex’ Worte hallten lange in seinem Gedächtnis nach: Er hätte schon aus der Klinik entlassen werden können, wenn Severine ihn nicht zurückhielte. Gleichzeitig verstrich wertvolle Zeit für die Dreharbeiten, während sich Severine standhaft weigerte, seine Kleopatra zu werden. Wie hatte eine Frau in kürzester Zeit so viel Macht über ihn erlangen können? Anthony verstand die Welt nicht mehr. Jedenfalls wollte er endlich die längst überfälligen Verhandlungen mit ihr führen, sobald sie für die nächste Kraftübung zu ihm kam. Wie üblich ließ sie auf sich warten. Er war schon fast über den Fernsehnachrichten eingeschlafen, als sie in sein Zimmer trat.

»Hatte noch zu tun«, sagte sie.

Von einem Arm baumelten ihr bunte Bänder hinab. Anthony schwante Schlimmes.

»Nein, nicht schon wieder!«, maulte er.

Mit einem gütigen Lächeln setzte sie sich auf einen Stuhl direkt neben seinem Bett und bat ihn, sich aufzurichten.

»Keine Bange, heute wirst du nicht gefesselt. Auch wenn ich durchaus nichts dagegen hätte, hast du ja miterlebt, wie Partenes es mir verboten hat.«

»Allerdings!«, zischte Anthony.

Sie entwirrte die Bänder auf ihrem Schoß. Derweil erklärte sie:

»Das sind Gymnastikbänder mit unterschiedlicher Dehnstärke. Die grünen leisten den geringsten Widerstand, die gelben einen mittleren und die roten den höchsten. Wir beginnen mit den grünen. Streck mir deine Unterarme entgegen.«

Er tat, wie befohlen, woraufhin ihm Severine wie beim Spinnen ein grünes Band um die halb ausgebreiteten Arme legte. Anschließend legte sie sich in gleicher Weise ein grünes Band um.

»Jetzt mache mir alles nach«, befahl sie und spreizte ihre Gliedmaßen ein Stück.

»Tu ich nicht immer, was du willst?«, grummelte Anthony und weitete seine Arme ganz ohne Schwierigkeiten.

Vorerst ging sie nicht auf seine Spitze ein. Sie konstatierte lediglich:

»Das klappt also. Dann erhöhen wir gleich den Druck.«

Jetzt hielt sie ihre Hände so weit auseinander, dass ihr das Band gerade nicht auf die Ellbogen rutschte. Er tat es ihr mühelos gleich, war geistig indes abwesend.

»Würdest du mir vielleicht eine Frage beantworten?«, fing er vorsichtig an.

»Das kommt darauf an, welche.«

»Weißt du nicht, dass ich trotz der Rückschläge in den letzten Jahren ein bekannter Regisseur bin? Hast du eine Ahnung davon, was es heißt, die Hauptrolle in einem meiner Filme spielen zu dürfen? Hast du eine Vorstellung davon, wie reich du werden kannst?«

Auf Severines Lippen stahl sich ein dünnes Lächeln.

»Das sind gleich mehrere Fragen. Zunächst einmal habe ich dir schon versichert, darüber im Bilde zu sein, wer du bist. Ferner dachte ich, alles zum Thema Filmrolle geäußert zu haben.«

»Hast du nicht«, widersprach Anthony heftig, »du sagst immer nur nein, ohne mich auch nur anzuhören. Gib mir doch wenigstens die Chance, dir meinen Vorschlag zu unterbreiten.«

Sie schien kurz zu überlegen. »Also gut, aber zuerst wechseln wir die Bänder.«

Severine ersetzte ihr grünes Band durch ein gelbes, ehe sie die Arme weit spreizte. Er machte es ihr problemlos nach. Vielleicht war er ja doch nicht so ein Schwächling. Diese Hoffnung verlieh ihm Mut.

»Ich biete dir ein Viertel der Gesamteinnahmen, wenn du mitspielst.«

Severine grinste müde.

»Die Hälfte!«, korrigierte er sich.

Sie seufzte: »Es geht mir nicht um Geld. Ich habe genug davon.«

»Dann denk an den Ruhm. Ich bin überzeugt, dass dir die Rolle der Kleopatra ausgezeichnet stehen wird!«

Betrübt ließ sie die Arme sinken. Sie streifte das gelbe Band ab. Ihr Blick wanderte zum Fenster; er verlor sich in der Ferne.

»Ich finde es wirklich süß, wie du dich um mich bemühst, Anthony, aber ich kann nicht. Ich führe mein Leben in aller Stille und will – darf daran nichts ändern.«

Er spürte, wie etwas in ihm zu toben begann. Es war keine Wut, sondern die schiere Verzweiflung.

»Los, wir machen weiter!«, hauchte sie, wandte sich wieder ihrem Gegenüber zu und legte sich ein rotes Band um die Arme, was Anthony sogleich nachahmte.

»Gut auseinanderziehen!«, befahl sie.

Auch diesmal meisterte er die Aufgabe ohne Anstrengung.

»Schön, schön!«, murmelte Severine. Dann beschäftigte sie sich offenbar mit einem Gedanken, der sie wieder etwas lebhafter werden ließ:

»Am Rande habe ich mitbekommen, wie dein Angestellter meinen Chef Partenes über dich ausgefragt hat. Normalerweise dürfen wir außer an Verwandte keine Informationen über Patienten preisgeben. Doch der Typ war ziemlich hartnäckig. Er hat Partenes so lange genervt, bis er ihm anvertraute, was er wissen wollte.«

Anthonys Miene verfinsterte sich. »Alex eröffnete mir, dass ich längst draußen sein könnte, wenn du mich nicht hier festhalten würdest.«

»Du bist ein freier Mann. Du brauchst nur aus diesem Zimmer zu gehen …«

»… wenn du mich nicht gerade festbindest …«

»… was ich nicht mehr tun werde. Mache dir und mir nichts vor. Du bist noch hier, weil du hier sein willst

»Ja!«, brach es aus Anthony heraus. »Ich will, dass du endlich zustimmst. Vorher gehe ich nicht weg! Sollte ich vor deiner Einwilligung vom Sicherheitsdienst rausgeschmissen werden, werde ich dein Haus belagern. Schließlich weiß ich, wo du wohnst.«

»Willst du mir etwa drohen?«

»Nein. Ich will, dass du ja sagst!«

Severine legte sich ein zweites rotes Band um die Arme und zog es weit auseinander. Diesmal kam Anthony nicht ganz ohne Mühe mit. Aber er schaffte es trotzdem.

»Wir haben deine Grenze bald erreicht«, prophezeite sie.

»Noch lange nicht!«, konterte er wild entschlossen. »Sag ja. Bitte! Es ist ganz einfach: ›Ja‹.«

»Ich kann nicht!«

»Wieso nicht?«

Anstatt zu antworten, legte sich Severine ein drittes rotes Band an. Sie dehnte es gnadenlos in die Länge. Jetzt konnte Anthony nicht mehr mithalten. Mit drei roten Bändern vermochte er seine Arme nur so weit zu öffnen, wie jene locker um sie herumlagen.

»Laut Partenes kann mein Training die Muskelschwäche kaum beeinflussen. Du willst also auch, dass ich noch hierbleibe – warum, wenn du nicht ja sagen willst? Was hast du von meiner Anwesenheit?«, beharrte Anthony.

Plötzlich wurden Severines Augen feucht. Er war völlig entsetzt. Er hatte diese seltsame Frau nun schon einmal weinend und einmal verlegen gesehen. Beides passte überhaupt nicht zu ihrer selbstbewussten Erscheinung. Während sie die Arme sinken ließ, bahnten sich bereits ihre nächsten Tränen an. Aber was hatte sie ausgelöst? Auf keinen Fall wollte Anthony, dass sie wieder weinte. Hastig durchforstete er sein Hirn nach einer Idee, wie er ihre Tränen aufhalten konnte. Dann tat er das, was ihm gerade noch rechtzeitig einfiel. Er rutschte von der Bettkante und kniete sich vor Severine nieder.

»Bitte«, flehte er, »bitte, du würdest mich überglücklich machen – und dich ebenso! Was auch immer dich zurückhält, es ist Unsinn. Du brauchst keine Furcht vor der Leinwand zu haben. Ich werde dich gegen sämtliche Kritiker und Neider beschützen. Vor allem von letzteren wirst du reichlich haben. Du wirst selbst Elizabeth Taylor in den Schatten stellen. Da bin ich absolut sicher. Nur, bitte, gib deinen Widerstand auf! Sei meine Kleopatra!«

Sie zeigte sich derart überrascht und gerührt von Anthonys unverhofftem Kniefall, dass ihre Tränen tatsächlich nicht über den Saum ihrer Augen herauskamen. Ihre langen Finger fuhren durch sein Haar.

»Ich habe keine Angst. Doch ich will mir dein Angebot überlegen. Lass mir eine Nacht Zeit. Dann gebe ich dir Bescheid.«

»Bitte sag ja«, wiederholte er und griff nach der Hand in Severines Schoß. Kaum hatte er sie berührt, ließ er sie erschrocken los.

»Tut mir leid! Du magst es nicht, wenn man dich berührt. Tut mir wirklich …«

»Schon gut«, entgegnete sie. »Nimm ruhig meine Hand. Halte sie fest. Das gibt mir ein wenig Kraft.«

Anthony war völlig überrascht. Er gab ihr Kraft? Gegen wen oder was? Hatte sie etwa doch Angst? Besaß sie Feinde? Sie legte ihre Rechte in Anthonys Hände, mit denen er sie zunächst noch zögerlich, dann entschieden umfasste. Severine wirkte zerbrechlich. Wie konnte das sein?

»Was ist eigentlich aus deiner Berührungsphobie geworden?«, holte sie ihn aus seinen Gedanken.

Jetzt konnte er sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. »Es geht eigentlich weniger um Berührungen, die ich nicht möchte, als um gewisse Positionen, die vorher geklärt sein müssen.«

»Verstehe«, kicherte sie; »der Zyniker, der keine Gefühle zulässt.«

»So ist es«, pflichtete Anthony bei. »Aber woran liegt es bei dir? Alles in allem scheinst du keine Zynikerin zu sein.«

»Das bin ich in der Tat nicht. Vielleicht wirst du es eines Tages erfahren …« Plötzlich unterbrach sie sich selbst. »Es ist schon spät. Morgen früh wirst du entlassen. Gute Nacht.«

Severine zog ihre Hand weg, nahm ihm die Bänder ab und erhob sich. Er kniete weiterhin vor dem Stuhl, auf dem sie gesessen hatte.

»Überleg es dir – für mich, ja?«

»Bis Morgen früh, Anthony«, raunte sie und verschwand.

Da ihm die Knie schmerzten, ging er ins Bett zurück. Er fiel in einen extrem unruhigen Schlaf. In seinen Träumen flackerten abwechselnd Kleopatra, Severine und ganz verschiedene Bänder vor ihm auf. Am Ende verwickelte sich das seltsame Panorama zu einem immensen Knäuel. Im Hintergrund stand Alex und forderte ihn auf, den Wirrwarr zu zerschneiden. Nun bemerkte Anthony ein Schwert in seinen Händen. Entsetzt ließ er es fallen. Um keinen Preis wollte er Severine verletzen.

Im Kerker der Kleopatra

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