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Unerwartete Entdeckung

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Auch wenn ich für den ASV Hofstetten hin und wieder im Tor aushalf, sah ich mich doch weiter als Stürmerin, und als solche schaffte ich es schließlich mit 14 Jahren in die Bayern-Auswahl. Als der Länderpokal in Duisburg anstand, ein Turnier, bei dem alljährlich die Juniorinnenauswahlen der einzelnen Bundesländer um den nationalen Titel spielen, war ich als Stürmerin nominiert. Dann aber verletzte sich unsere Torhüterin an der Hand, und da wir nur sie als Torfrau dabeihatten, standen wir in Duisburg plötzlich vor einem Problem. Keine aus der Mannschaft wollte freiwillig ins Tor, wir setzten uns abwartend nach dem Training in einer großen Runde auf den Rasen und plötzlich bestimmte der Trainer mich als diejenige, die beim Länderpokal das Tor hüten muss. Er wusste wahrscheinlich von meinem Trainer zu Hause, dass das für mich nichts Neues wäre. Große Lust hatte ich keine, aber ich merkte, dass ich meine Sache ganz ordentlich machte.

Als wir zum Abschluss des Turniers gemeinsam beim Essen saßen, verkündete unser Auswahltrainer stolz, dass einige von uns vom DFB für die U16-Nationalmannschaft gesichtet worden waren. Auch mein Name war dabei und ich freute mich zunächst total. Dann allerdings kam heraus, dass ich nicht als Feldspielerin, sondern als Torhüterin eingeladen war. Ich wusste überhaupt nicht, was ich davon halten sollte, und fand es im ersten Moment nicht so toll. Aber meine Güte: Ich würde da hinfahren und schauen, wie es so ist. Einige Wochen später fand ich mich bei einem U16-Lehrgang in Clairefontaine bei Paris wieder, im nationalen Leistungszentrum des französischen Fußballverbands, wo wir zu einem Freundschaftsspiel gegen die französische U 16 antreten sollten. Und ich stand gleich mal im Tor.

Dabei wusste ich ja noch nicht einmal, wie man sich als Torhüterin richtig verhält, wie man etwa beim Freistoß eine ordentliche Mauer stellt, wie man nach dem Ball hechtet oder seine Abwehr sortiert. Auch ein Paar Torwarthandschuhe hatte ich erst einmal vom DFB bekommen müssen. Mein erstes Torwarttraining hatte ich dann mit Auswahltrainerin Tina Theune, die damals noch Tina Theune-Meyer hieß, und das lief sehr lustig. Tina war nicht lange davor am Knie operiert worden und konnte mir nicht vormachen, wie sie die Übungen ausgeführt haben wollte. Ich wusste null Komma null, was man als Torhüterin zu tun hat, und so dauerte es eine Weile, bis das Ganze in Gang kam. Aber natürlich war Tina nicht unvorbereitet gewesen auf mich. Sie hatte sich vorher bei meinem Bayern-Auswahl-Trainer schlaugemacht, wie ich so ticke und was ich so kann.

Mein Glück war, dass es damals nicht viele junge Torhüterinnen gab in Deutschland. Und ich war von all denen zunächst schlicht die sportlichste. Tina hatte also beim Länderpokal gesehen, dass ich als Stürmerin nur eine von vielen sein würde, als Torhüterin aber vermutete sie bei mir ein Potenzial, das ich selbst nicht mal ahnte. Sie sah, dass ich fit und beweglich war, was wahrscheinlich durch die verschiedenen Sportarten kam, die ich als Kind jahrelang betrieben hatte. Dazu hatte ich schon eine ganz gute Körpergröße und da dachte sie sich wohl: »Na, versuchen wir mal, die zur Torhüterin umzufunktionieren.« Fortan stand ich zwischen den Pfosten.

Um besser und auch professioneller zu werden, wechselte ich zur Folgesaison mit 16 Jahren zum 1. FC Nürnberg, der damals mit seinen Frauen in der 2. Bundesliga spielte. Damit kam ich jetzt in einer höheren Spielklasse zum Einsatz, aber auch der Zeitaufwand erhöhte sich: Ich besuchte damals in Gemünden die staatliche Realschule und wohnte noch zu Hause. Viermal die Woche pendelte ich jetzt mit dem Zug nach Nürnberg. Von Gemünden musste ich dafür nach Würzburg fahren, von dort mit dem Zug eine Stunde nach Nürnberg und vom Bahnhof dort noch einmal 20 Minuten mit dem Bus bis zum Trainingsgelände. Und das nach der Schule. Und am Abend wieder zurück. Es war anstrengend, aber ich wollte weiterkommen und hatte Ehrgeiz entwickelt. Mein Ziel war die Bundesliga, und dafür, das wusste ich, musste ich Opfer bringen.

Die Spielzeit beim 1. FC Nürnberg war allerdings nicht wirklich schön. Die Mannschaft war echt nett, aber sportlich entwickelte ich mich nicht weiter. Ich fühlte mich nicht wohl, was vor allem mit der zeitaufwendigen Anfahrt zusammenhing. Zwei Stunden hin, zwei Stunden zurück, dazwischen Training und am nächsten Tag wieder in die Schule – der durchgetaktete Rhythmus war heftig und ich hatte keine Zeit mehr für irgendetwas anderes im Leben. Meist war ich erst um elf oder halb zwölf am Abend zu Hause.

Meine Schulnoten waren in der Zeit kurioserweise besser als vorher: Die viele Zeit, die ich im Zug saß, nutzte ich zum Lernen. Ich meine, ich war nie eine Granate in der Schule, aber es hat zum Glück immer gereicht, um in die nächste Klassenstufe zu kommen. Wenn mich etwas interessiert hat, habe ich mich gerne damit beschäftigt, das war aber nur bei wenigen Fächern der Fall, entsprechend war mein Lerneifer auf das Nötigste beschränkt. Ich fand Schule damals überflüssig. Erdkunde und Englisch mochte ich gerne, grundsätzlich alles, wovon ich dachte, dass es mir später im Leben einmal etwas nutzen könnte. Der Rest interessierte mich nicht. Sitzen geblieben aber bin ich nie, das wollte ich auch nicht, dazu habe ich dann doch genug getan.

Meine Eltern hätten sich sicher gewünscht, dass ich in der Schule etwas mehr Eifer gezeigt hätte, und sie waren schon dahinter, dass ich meine Hausaufgaben mache. Solange aber nie die Gefahr bestand, dass ich ein Jahr wiederholen muss, haben sie mich gewähren lassen. So war das immer und so ist es noch heute: Solange meine Eltern das Gefühl hatten, dass ich mein Leben im Griff habe, ließen sie mich meinen Weg selbst bestimmen. Natürlich habe ich mal über die Stränge geschlagen, aber ich habe nie etwas ausgefressen oder ernsthafte Probleme bekommen. Ich hatte auch nie das Bedürfnis, etwas nachholen oder Regeln brechen zu müssen: Ich hatte ja meine Freiheiten.

Beim 1. FC Nürnberg verlief die Saison für mich sehr oberflächlich, was auch dem Umstand geschuldet war, dass ich gar nicht die Zeit hatte, mich richtig auf die Mannschaft einzulassen und etwas mit den Spielerinnen zu unternehmen. Wenn ich nach der zweistündigen Zugfahrt am Trainingsgelände ankam, musste ich mich sofort umziehen und auf den Platz. Nach dem Training ging es in die Dusche und danach sofort wieder die gut zwei Stunden zurück nach Gemünden. Ich war also da, aber so richtig auch wieder nicht. So können keine Freundschaften entstehen und so machte es mir auch keinen Spaß.

Ein Gutes aber hatte die Zeit beim 1. FC Nürnberg: Ich lernte Katrin Stauber kennen und landete so letztlich bei Wacker München. Staubi kam aus Regensburg und wohnte genauso wie ich noch zu Hause, sie wusste also, wie nervig die Pendelei ist. Sie spielte wie ich nicht nur beim Club, sondern auch in der Bayern-Auswahl, und als wir einmal einen Lehrgang in der Sportschule in Oberhaching südlich von München hatten, heckten wir einen genialen Plan aus.

Auf dem Rückweg nach Nürnberg überlegten wir im Zug, dass wir doch gemeinsam nach München ziehen könnten. Das wäre ein Spaß! Keine Pendelei mehr, endlich auf eigenen Beinen, wir könnten dort das Fachabitur machen und an der TU München ein Studium beginnen, um Sportlehrerinnen zu werden. Wir waren zwei Mädels aus der Kleinstadt und wollten die große weite Welt erkunden und irgendwie hat es uns auf dieser Zugfahrt gepackt.

Aus unserer verrückten Idee entwickelte sich eine fixe Vorstellung: Wir beide verstanden uns super, und wenn wir zu zweit sind, dachten wir uns, würden unsere Eltern uns vielleicht eher weglassen. Als wir am Hauptbahnhof in Nürnberg ankamen, stand unser Entschluss fest: Wir würden nach München ziehen, dort ein Studium beginnen und für Wacker München spielen! In der Bayern-Auswahl hatten wir einige Spielerinnen von Wacker kennengelernt und uns mit ihnen super verstanden, warum also nicht dort anfragen, ob sie noch zwei Spielerinnen gebrauchen können? Wir fühlten uns großartig mit unserem Plan.

Der Lehrgang war vormittags zu Ende gegangen, mittags war ich zu Hause in Gemünden, und schon am Nachmittag verkündete ich meiner Mutter, was Staubi und ich uns da vorgenommen hatten: »Mama, ich zieh nach München!« Ich wollte vorher noch das Schuljahr zu Ende bringen und die mittlere Reife ablegen, danach, fand ich, stand mir die Welt offen. Am gleichen Abend eröffnete auch Staubi ihren Eltern: »Ich zieh mit der Natze nach München!« Wir waren von der Idee einfach nicht mehr abzubringen, für uns schien sie ja auch absolut schlüssig und das Beste überhaupt.

Am Tag darauf rief ich bei Inge Mayerhofer an, der damaligen Trainerin von Wacker München. »Braucht ihr noch eine Torfrau und eine Abwehrspielerin?«, fragte ich ganz naiv. »Gute Spielerinnen können wir immer gebrauchen«, kam die Antwort und mein Puls beschleunigte sich. Es gab jetzt nichts mehr, was unserem Plan im Weg stand. Na ja, organisieren mussten wir das Ganze schon noch. Das Tolle aber war, dass wir mit dem Wechsel zu Wacker damals auch quasi unser erstes Geld verdient haben. Es war nicht mehr als ein Taschengeld, aber um die Miete etwa mussten wir uns keine Sorgen machen: Wacker hatte sich darum gekümmert, uns in eine Wohnung aus dem Freundeskreis des Vereins einzuquartieren, so sparten wir uns schon mal dafür die Kosten. Und da ich zu der Zeit in die Nationalmannschaft aufgerückt war und meinen ersten Ausrüstervertrag mit Adidas abschloss, sparte ich mir von da an auch das Geld für die Fußballausrüstung. So kam es genau so, wie ich es mir erträumt hatte: Ich schloss meine mittlere Reife ab, packte meine Sachen aus meinem Zimmer in zwei Taschen – und zog mit 17 aus dem kleinen Gemünden ins große München.

Nadine Angerer - Im richtigen Moment

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