Читать книгу Suomi on kaunis (Deutschland auch) - Nadja Hummes - Страница 6

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Valtteri fährt auf einen Hinterhof, parkt dort, steigt aus und deckt den Wagen sorgfältig mit einer beschichteten Folie ab.

„Wir haben keine Garagen, hier an dieser Wohnblock“, erklärt er mir und wirkt fast ein wenig entschuldigend. „Die Wohnung ist nicht so expensive. Nach der Arbeit bin ich sowieso lieber draußen“, schiebt er beinahe rechtfertigend hinterher. „Außer in der Winter.“

„Ich weiß. Du hast mir ja von deinem Mökki geschrieben.“

„Naja. Weißt du, es ist kein richtiges Mökki.“

„Auch das hattest du mir in einer deiner vielen E-Mails geschrieben. Es ist der ehemalige Holzschuppen deines Bruders, der dort sein Boot untergestellt hatte. Ehe er es verkaufte.“

„Jo. Und verkauft hat er es, weil er ist so in Business, dass er hat keine Zeit mehr für das Boot. Aber ich komme gut zurecht mit der Holzschuppen. Für mich ist es mein Mökki. Ich habe es so hergerichtet. Und groß genug, für dass ich dort lagern kann the big project. Und die großen Leinwände.“

Er nimmt meinen Koffer vom Rücksitz, stellt ihn in Reichweite und drapiert die Folie weiter über sein Auto.

„Das muss toll sein, Valtteri. So viel Platz zu haben, dass du große Leinwände und die Skulptur dort unterbringen kannst.“

„Jo. Und nicht nur Platz. Auch Ruhe, Lenja. Und Natur. Oh, wie ich das alles brauche“, seufzt er.

„Du sagst es. Geht mir genauso.“

„Wie ist es denn in deine neue Wohnung, Lenja? Hast du dich schon eingelebt?“

„Na, du bist gut. Wie sollte ich? Ich bin doch quasi direkt nach der Schlüsselübergabe hierher gekommen. Sobald die Kartons in der Wohnung standen und die Grundausstattung angeschlossen war. Endlich mal wieder freie Zeit!“

„Aber die Strom, Wasser, Heizung und Internet ist doch freigeschaltet?“

„Ja, das habe ich vor meiner Abreise noch managen können. Die klassische Runde durch das Haus, um mich vorzustellen, habe ich auch absolviert. Es hat aber keiner geöffnet.“

„Du musst mir alles erzählen, Lenja. Und ich muss dir auch alles berichten. Und zeigen.“

„In Ruhe, Valtteri. In Ruhe. Ich bin gerade erst angekommen.“

Valtteri strahlt erfreut.

Wenige Schritte, dann schließt er die Haustür auf. Aufgeheizte Luft weht mir entgegen. Sofort beschlagen meine Brillengläser. Valtteri reicht mir ein Taschentuch an. Kurz darauf habe ich wieder freie Sicht.

„Wir müssen nach oben“, sagt er. „Upstairs. Wir haben keinen Lift in dieser Wohnblock.“

Er trägt meinen Koffer.

„No problem. Es sind doch bloß zwei Treppen“, erwidere ich.

„Wenn mein Mökki in ein Gewerbegebiet oder eine Industrielandschaft stünde, – ich könnte dort nicht arbeiten. Oder leben.“

„Das verstehe ich nur allzu gut, Valtteri. Außerdem wäre es dann kein Mökki.“

Valtteri bleibt einen Augenblick stehen, dreht sich zu mir um und nickt nur vielsagend. Dann setzen wir unseren Treppenaufstieg fort. Das Namensschild seiner Wohnungstür ist bereits in Sichtweite.

Valtteri schließt auf. Nicht eine, sondern zwei Wohnungstüren. Direkt hintereinander. Er fängt meinen fragenden Blick auf.

„Für die Wärme. Und ein bisschen auch für die Sicherheit“, kommentiert er beiläufig, während er mich mit einer Geste herein bittet.

Meine Brillengläser beschlagen erneut.

„Uff, wie viel Grad sind es denn in deiner Wohnung?“

„Irgendetwas so zwischen 26 und 28 Grad. Meistens.“

„Hey! Von minus 28 Grad Celsius auf plus 28 Grad Celsius in einer Minute.“

„Jo. Und umgekehrt.“

„Das bringt den Kreislauf in Schwung.“

„Ich habe das in Finnland der ganze Winter so“, sagt Valtteri und zeigt auf die Wohnzimmerwand.

Noch einmal zücke ich das Taschentuch und reibe damit über meine Brillengläser. Schon besser. An der Wohnzimmerwand befinden sich drei hintereinander montierte Heizkörper. Spontan berühre ich jeden einmal kurz mit meiner Hand. Tatsächlich. Alle drei sind in Betrieb.

„Oha, – verstehe.“

Valtteri bedeutet mir, Platz zu nehmen. Auf dem Wohn­zimmer­sofa liegen zwei Kopfkissen, eine Wolldecke und eine Bettdecke bereit. Ich setze mich auf das Sofa und lasse meinen Blick wandern.

Zwei Regale, in welchen sich diverse unterschiedliche Farben, Papiersorten, trockene Stoffe voll eingetrockneter Farbreste und einige Rohmaterialien stapeln. Außerdem: Eine Musikanlage, ein paar ausgesuchte Bücher.

„Du hast dein Wohnzimmer ein wenig umfunktioniert, stimmt's?“

„Das ist nur Kleinkram. Irgendwie muss ich durch der Winter kommen. Er ist lang hier. Ich muss kreativ sein after the work. Ich brauche das. Oh, Lenja, wenn du wüsstest. Die work ist manchmal so silly and stressful und gegen die Nerven. It damages your brain. Aber die Skulptur, the big project, von das ich dir geschrieben habe, isn't here. Ich kann kaum abwarten wieder zu gehen zu mein Mökki. Oh, ich darf nicht an der Job denken. Morgen geht die Arbeit schon wieder los. Das Wochenende geht so schnell 'rum.“

„Und es ist schon spät und du bist einige Stunden durch die Gegend gefahren. Du solltest dich schlafen legen, Valtteri.“

„Yes, I have to sleep. Brauchst du noch irgendetwas, Lenja? Ich habe dir eine Flasche Wasser bereit gestellt. You'll need it. Sehr trockene Luft. Und im Bad findest du frische Handtücher. And bodylotion. Weil in der Winter immer so trockene Luft ist, von die Heizung. Und weil du bist a real lady.“

„Valtteri ...“

„Shut up! Das ist keine Sache von die Schmeichelei oder von nur in meine Gedanken. You are! That's a fact! Accept it! Ich sage Sachen solcher Art nicht häufig. Ach ja: Würde es dir etwas ausmachen, nach mir in das Bad zu gehen? Wegen die Arbeitszeit.“

„Nein, Valtteri, das macht mir gar nichts aus. Geht in Ordnung“, antworte ich ihm wahrheitsgemäß.

„Super, very good. Ach ja: Wir sind hier in Syvärauma.“

Er holt ein Faltblatt hervor und drückt mir die Ortskarte in die Hand.

„Hier in Syvärauma sind nicht viele Läden. Das ist auch gut so. Wir haben hier das Meer, den kleinen Hafen und den Strand. That's enough. Very good. Besorgungen kannst du in die Altstadt machen. In Finnisch sagen wir Vanha Rauma. In Deutsch it means Alt-Rauma oder altes Rauma. Vanha Rauma hat einen Stadtkern aus das Mittelalter. Und viele kleine Gassen.“

„Ja, Vanha Rauma zählt, so ich richtig informiert bin, zu den Weltkulturerbeobjekten der UNESCO.“

„Jo, you're right. Vanha Rauma hat viele alte Holzhäuser. Sehr viele. Und viel history. Altes Rauma gibt es schon sehr lange. Da war mal ein großer Brand. A long time ago. Irgendetwas so um Sechszehnhundertundachtzig. A terrible fire. Danach haben sie alles wieder aufgebaut, der ganzen Stadtkern.“

„Dann besteht Alt-Rauma vermutlich aus einer interessanten architektonischen Mischung? Alte Häuser in Kombination zu dem verhältnismäßig neuen Baustil der nachfolgenden Jahre, – das ist häufig eine Heraus­for­derung für das Gesamtbild einer Stadt oder eines Dorfes.“

„Yes. Na, sie haben es ganz gut hinbekommen. Meistens jedenfalls. In die Nähe von der Marktplatz, man hat Gassen in Erinnerung an das Mittelalter. Und die alten Holzhäuser, wovon manche sind aus das achtzehnte Jahrhundert. Manchmal findet man auch Spuren von die neue Renaissance an die Fassaden. Aber weißt du, so schön Vanha Rauma auch ist… Sobald man kommt aus Vanha Rauma hinaus, sie haben überall diese Klötze hin­gebaut. Horrible. Sie nehmen die kleinen Holzhäuser das Licht weg. Und sie sehen aus, was sie sind: Hässliche Unterkunftboxen in geschichtete Anordnung, verpackt in hässliche Klötze. Really horrible. Und sie werfen immer Schatten auf die kleinen Holzhäuser. Als hätten wir nicht schon genug mit das zu wenige Tageslicht zu tun. Oh, sie können mir nicht erzählen, es sei eben billig und es gäbe keine Alternativen und so. Das ist nonsense! Es gibt immer Alternativen. Wir Finnen haben immer viel von die Kreativität und Erfindungsreichtum und so weiter gehabt. Und so ist es auch heute noch. Yes, indeed. Ach ja: Über die history von Raumas Schifffahrt haben sie auch viel gemacht. Oh, es gibt so viel zu sehen und zu wissen hier. Schade, dass noch kein Sommer ist. Ich könnte dir viel mehr zeigen. Aber der Winter ist auch schön. Ach, ich muss dir so viel über mein Land berichten.“

Valtteri bekommt schwärmerische Augen.

„Du kannst mir gerne davon erzählen, Valtteri. Aber nicht mehr heute Nacht. Du brauchst deinen Schlaf.“

„Yes, I have to sleep. Fucking job!“

„Ich bin eine ganze Woche da. Wir können morgen in Ruhe reden.“

Valtteri schaut mich traurig an. Er wird leise.

„Du kannst in Finnland bleiben, so lange du willst, Lenja. Not just for a week. More than a week. Viel mehr. Ich habe so ein Freude an die creative work und unterwegs zu sein mit dir. Ich weiß nicht, wann ich mal wieder in Deutschland bin.“

„Ich denke darüber nach. Okay?“

„Okay. Ach! Bevor ich es wieder vergesse: Was ist denn nun mit die Adresse von deine neue Wohnung? Wir haben während dein Umzug zwar gemailt und SMS geschickt und du hattest mir die neue Adresse auch gesagt, aber ich hatte versäumt, mir das aufzuschreiben.“

„Das ist doch kein Problem, Valtteri. Ich kann sie dir gerne noch einmal geben.“

Prompt eilt Valtteri zum Regal, reißt ein Stück eines hervor­lugenden Malblattes herunter, greift sich eine der Ölkreiden und spitzt seine Lauscher.

„Gut, also… Meinen Namen kennst du ja.“

„Ja, steht bereits auf das Blatt. Straße?“

„Am alten Acker.“

„Hausnummer?“

„Eins A. Großes A.“

„Postleitzahl?“

„Null. Acht. Eins. Fünf.“

„Ort?“

„Ödenpofen.“

„Ist notiert. Hmmm. Sagt mir gar nichts. Wie heißt denn die nächste größere Ortschaft?“

„Strunzdorf.“

„Aha? Gut. Near… Strunz… dorf. Okay, habe ich. Und natürlich in Germany. Deutschland. Good. Deine Telefonnummer und E-Mail-Adresse habe ich ja. Allright. Dann klebe ich mir das jetzt direkt an meinen Kühlschrank. So kann ich es nicht verlegen“, erklärt er freudestrahlend, während er ein Stück Teppichklebeband von einer Rolle abschneidet.

Ich sehe ihn in die Küche entschwinden, höre ein mittellautes „Wump“ und weiß, dass der Zettel mit meiner Adresse in Öl nun an seiner Kühlschranktür prangt. Kurz darauf erscheint er wieder im Türrahmen.

„Ab und zu ist mein Kopf voll von zu viele Sachen. Danke, dass du mir geduldig bist und es noch einmal genannt hast.“

„Keine Ursache, Valtteri. Aber jetzt gehe ins Bett. Du musst schlafen. Du musst morgen zur Arbeit.“

„Jo. Jo, jo, joooo. That's true. Gute Nacht. Schlafe gut, Lenja.“

Valtteri nickt mir zu. Danach verschwindet er in sein Schlafzimmer. Das Licht erlischt, die Wohnung ist dunkel. Ich tippe eine kurze Bin-gut-angekommen-SMS in mein Handy und drücke auf Senden. Dann schalte ich mein Handy aus. Ich möchte jetzt keine weiteren SMS oder Anrufe. Ich möchte fühlen, spüren, begreifen, erleben, sein. Meine erste Nacht in diesem fremden Land. Ich bin glücklich, hier zu sein. Sehr glücklich. Ich fühle mich wohl. Finnland.

Suomi on kaunis (Deutschland auch)

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