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8 Sightseeing in Berlin
ОглавлениеDas Rauschen einer Dusche klang in meinen Ohren. Ich versuchte mir zu erklären, warum in meiner Wohnung die Dusche lief, obwohl ich im Bett lag und warum ich sie hören konnte, obwohl das Bad von meinem Schlafzimmer relativ weit entfernt lag.
Ich überlegte, warum ich mich so schlecht fühlte und was ich denn die Nacht gemacht hatte. Hatte ich einen fremden Mann mit nach Hause genommen? Das wäre für mich untypisch gewesen, andererseits wusste ich nicht einmal, warum ich im Bett lag und wo ich zuvor gewesen war.
Als mein Geist schließlich auch zu sich kam, erinnerte ich mich jedoch wo ich war und wer im Bad sich erfrischte. Vorsichtig öffnete ich die Augen.
Genau, Fine duschte, denn die Bettseite neben mir war leer. Ich streckte mich und schloss die Augen wieder. Ich war noch zu müde, um aufzustehen. Aber ich war mir sicher, sobald Fine aus dem Bad kam, würde sich die Situation ändern und das nicht zu meinen Gunsten.
Wenige Minuten später bestätigte sich meine Vermutung. Ich war gerade wieder leicht eingedöst, als Fine die Badezimmertür öffnete und anfing mich an den Füßen zu kitzeln.
„Aufwachen Schlafmütze. Wach werden, ich bin aufgestanden und will jetzt beschäftigt werden. Los, mach die Augen auf, rede mit mir, mir ist langweilig. Komm, du bist doch sowieso schon wach, antworte.“ Ich wusste, Fine würde nicht aufhören mich zu nerven, eh ich reagierte. Also grummelte ich etwas und schaute sie schlaftrunken an.
„In deinem Kopf ist kein Kater mitsamt Kratzbaum und Wollknäuel eingezogen oder?“, knurrte ich sie an.
„Nö und in deinem Kopf ist die Mieze auch bald weg. Unten wartet Kaffee auf dich, ganz frisch und voller Koffein“, grinste Fine.
Ich räkelte mich und brachte mich vorsichtig in eine sitzende Position.
„Du siehst aus, als hätte dir ein Indianer eine Kriegsbemalung mit Kajal verpasst“, neckte mich meine Freundin, wohlwissend, dass ich nach diesem Satz schnellstens ins Bad zum Spiegel huschen würde, um neugierig einen Blick auf mein Gesicht zu werfen. Ich strich meine langen Haare nach hinten und gähnte. Meine Neugier siegte und ich schleppte mich ins Bad.
Ja, Fine hatte recht. Dieser Anblick wäre ein Foto wert gewesen. Die ganze schwarze Schminke war quer durch das Gesicht gezogen, über die Wangen zogen sich Streifen und von den Augen über die Stirn erstreckten sich zackenartige Gebilde.
Ich musste Lachen über diese Bemalung. Ich stieg unter die Dusche und ließ das Wasser über meinem Kopf und meinen Körper laufen. Ich wusste aus Erfahrung, dass ich frisch gewaschen und mit geputzten Zähnen mich viel besser fühlen würde und auch dieses Mal verfehlte dies nicht seine Wirkung. Ein bisschen wie Neugeboren verließ ich das Bad und freute mich schon auf den Kaffee, der mich wohl wieder vollständig herstellen würde.
„Na, geht’s jetzt besser?“, fragte mich Fine. Ich nickte und zog mich an.
„Auf zum Frühstück“, murmelte ich und Fine, die meine Eigenschaft als Morgenmuffel kannte, folgte mir schmunzelnd.
Wir liefen die Treppen runter in den Frühstücksraum, der sich im Erdgeschoss befand. In dem Raum gab es nur ungefähr zehn Tische mit je vier Stühlen. An einer kleinen Tafel war das Frühstücksbuffet angerichtet. Es gab Obst, Käse, Wurst, Müsli, Brötchen und Brot, gekochtes Ei, Saft, Milch und ganz wichtig: Kaffee! Ich nahm mir eine Schüssel Schokoladen-Haferflocken-Müsli mit warmer Milch und eine große Tasse Kaffee, Fine stürzte sich auf Brötchen mit Marmelade und Honig, dazu Kaffee mit Milch, besser gesagt Milch mit Kaffee, soviel Milch, wie sie da hinein goss konnte von Kaffee kaum noch die Rede sein.
Wir gingen an einen der Tische. Gespannt verfolgte sie, wie ich den ersten Schluck Kaffee trank und meinte spöttisch: „So, jetzt bist du ansprechbar, oder?“
„Ja, jetzt geht es. Langsam kannst du mit mir Kontakt aufnehmen“, antwortete ich grinsend.
„Sehr gut. Ich will dich ja noch nicht überfordern, aber irgendetwas müssen wir ja heute noch so unternehmen. Was würdest du davon halten, wenn wir ein bisschen Kultur schnuppern und uns einer Stadtführung anschließen?“
„Klingt gut, soviel haben wir ja von Westberlin noch nicht gesehen, außer unsere Diskotheken“, stimmte ich ihr zu. Wir entschlossen uns daraufhin eine Stadtrundfahrt zu machen, die ausschließlich durch Westberlin ging, da wir den Osten von Berlin bereits gut genug kannten. Von der Pensionswirtin, einer kleinen, rundlichen Frau mit einer echten „Berliner Schnauze“, jedoch für meinen Geschmack etwas zu laut und ständig am nörgeln, erfuhren wir, von wo aus wir an solchen Stadtrundfahrten teilnehmen konnten.
„Da jibt’s aba nur olle Jebäude zu kiecken. Da is’ nix mit Feez. Dit is’ sicher nix für so junges Jemüse wie euch. Da jehn doch nur eure Kreten flöten und eure Zeit verbumfiedelt ihr och noch“, polterte die Wirtin uns an, nach ihrer kurzen Wegbeschreibung zum Startpunkt der Rundfahrt.
„Wir interessieren uns aber für Kultur und Historie. Außerdem haben wir noch kaum etwas von Westberlin gesehen und dachten, so wäre es die beste Möglichkeit möglichst viel davon kennen zu lernen“, antwortete ich leicht verdutzt.
„Wat? Dit interessiert euch? Naja, hat halt so jeder seins, wa?!“ Skeptisch und leicht beleidigt musterte uns die Wirtin von oben bis unten.
„Hört nich’ uf die olle Klafte, Mädels. Die redet nur Makulatur. Dit wird euch schon jefallen. Is ja och richtig so, hier mal wat anzukiecken, wenn ma’ schon mal hier is’“, mischte sich ein Mann, der auf einem durchgesessenen Sofa neben der Rezeption saß und eine Zeitung las, in unser Gespräch.
„Mach lieber noch was von deiner Lorke, Hilde, mein Pott is’ schon alle“, wandte sich der Mann an die Wirtin und verschwand wieder hinter seiner Zeitung.
Wortlos ging Hilde an uns vorbei in die Küche. Verwundert und achselzuckend sahen Fine und ich uns an und gingen in entgegengesetzter Richtung zur Ausgangstür.
„Die is’ nur einjeschnappt, weil’s nich nach ihrer Nase jing. Macht euch nix d’raus, Mädels“, brummelte der Mann hinter seiner Zeitung uns nach, als wir zur Tür hinaus gingen.
„Unsympathische Frau“, meinten Fine und ich gleichzeitig, als wir die drei Stufen der Pension hinunter gingen. Wir schauten uns an und lachten.
„Die Hilde meinte ja, dass die Rundfahrt beim Olympiastadion beginnt, aber ich glaube das wird zeitlich zu eng, wenn wir erst bis dorthin fahren und alle Punkte der Rundfahrt mitnehmen“, überlegte Fine.
„Ja, das glaube ich auch. Wie wäre es denn, wenn wir zum Kurfürstendamm fahren und von dort aus in die Rundfahrt einsteigen?“, fragte ich.
„Ja, genau und bis zum Flughafen Tempelhof brauchen wir ja auch nicht fahren. Da steigen wir am Check Point Charlie in Kreuzberg wieder aus.“
Ich stimmte Fine zu und wir machten uns auf den Weg zur nächsten U-Bahn.
Als wir auf dem Kurfürstendamm, oder Ku’damm, wie er auch genannt wurde, angekommen waren, bereuten wir, in der Pension gefrühstückt zu haben bei dem Anblick des Frühstücksangebots in den Cafés, die sich zwischen Läden und Hotels erstreckten. Jedoch waren wir zu satt um dennoch ihr Angebot anzunehmen und es reichte auch die Zeit nicht aus, um sich für einen Kaffee hineinzusetzen.
Auch bei den Läden musste ein Blick durch die Schaufenster reichen und so schlenderten wir mit, an den Fenstern platt gedrückten Nasen zu dem Haltepunkt der Stadtrundfahrt.
Eine Familie mit zwei Kindern, ein Rentnerehepaar und drei befreundete Rentnerinnen warteten bereits an der Haltestelle. „Gucke ma’ Erna, was sin’ das denn für kom’sche Vöschel.“
„Also ne, die seh’n ja aus als wär’n se’ aus der Geisterbahn gekrochen. Hoffentlich fahr’n die ne mit uns. Da habsch bissl Angst“, tuschelte das Rentnerehe-paar mit einem auffällig sächsischen Dialekt als wir uns neben sie stellten. Abfällig und leicht verängstigt beäugten sie uns.
Das kleine Mädchen der Familie schaute mit großen Augen auf meine Schellen an der Tasche, die bei jeder Bewegung klingelten und fragte laut
„Mami, bekomme ich auch solche Glöckchen?“ Entsetzt schaute die Mutter erst auf mich und dann auf ihre Tochter und schüttelte kaum merklich den Kopf. Ich band daraufhin eine meiner Schellen ab und gab sie dem Mädchen, welches sie freudestrahlend entgegennahm.
„Schau mal Mami, das hat mir die Tante geschenkt.“ Freudig bimmelte sie die Schelle.
„D-Danke“, stammelte die Mutter leise und schaute an mir vorbei.
Inzwischen ruhten nicht nur alle Augenpaare auf Fine und mir, sondern ein großes Schweigen setzte ein in dem nur die Schelle hörbar war, die nach wie vor von dem Mädchen geschwungen wurde. Ich war daher sehr erleichtert, als endlich der Bus kam.
Der Bus war schon ziemlich voll, aber Fine und ich erwischten zum Glück noch einen Zweier-Sitzplatz. Ich glaube auch nicht, dass einer der Fahrgäste neben einem Grufti hätte sitzen wollen, somit war dies für beide Seiten glücklich ausgegangen. Die Reiseleiterin begrüßte die zugestiegenen Gäste und erklärte die Geschichte des Kurfürstendamms während der Bus langsam anfuhr.
Nach noch einem Stopp an der Gedächtniskirche verließen wir den Kurfürstendamm. Die Rundfahrt ging vorbei an dem Europacenter, dem KaDeWe, dem Rathaus Schöneberg, durch den Tiergarten, zu den Botschaften, an der Siegessäule vorbei, welche auf mich einen besondere Eindruck hinterlassen hatte, bis zum Schloss Bellevue und letztendlich in das Regierung-sviertel. Dort schauten wir uns das Bundes-kanzleramt und den Bundestag an.
An dieser Stelle war das größte Gedränge an Menschen unterschiedlichster Nationalitäten. Besonders fiel mir eine Reisegruppe Japaner auf, die mit gezückten Fotoapparten vorbeieilten, als müssten sie noch ganz Berlin an einem Tag durchreisen.
Von dort aus ging es mit dem Bus weiter ans Brandenburger Tor zum Potsdamer Platz. Die nächste Haltestelle war Check Point Charlie und somit auch unsere Ausstiegsstelle. Wir hörten uns noch die Informationen zu diesem historisch wichtigen Ort an und trennten uns von der Reisegruppe.
„Also ich fand, die Rundfahrt hat sich gelohnt, oder was meinst du?“, fragte ich Fine.
„Ja, das finde ich auch. Die Wirtin hat wohl einfach echt kein Interesse an der Geschichte ihrer Stadt. Jetzt kennen wir wenigstens auch mal Westberlin und nicht nur eine Ecke davon. Aber nun habe ich Hunger.“ Ich stimmte Fine zu und mein gerade einsetzendes Magenknurren tat dies ebenfalls.
„Naja ist ja auch schon um sechzehn Uhr. Wahrscheinlich gab es keine Gaststätte, die historisch wertvoll war um in ihr Mittag zu essen.“
„Wollen wir heute noch einmal zu dem Italiener gehen? Es gibt da noch so einiges auf der Karte, was ich noch probieren würde?“, fragte mich Fine.
Anstatt eine Antwort zu geben zog ich sie am Arm hinter mir her in die Richtung des Italieners. „Chianti! Chianti! Chianti!“, frohlockte ich.
„Du hast recht, was war das denn für ein trockener Tag bisher. Das muss geändert werden“, lachte Fine und stimmte ein: „Lambrusco! Lambrusco! Lambrusco!“
Nachdem wir wieder ein hervorragendes Essen genossen hatten, gingen wir zurück in die Pension um uns für das Konzert fertig zu machen. Ich hoffte, dass mein bauchfreies Oberteil nach dem reichlichen Abendbrot noch tragbar wäre, aber ein prüfender Blick in den schmalen Ganzkörperspiegel an der Schranktür beruhigte mich. Der Rock und die Korsage saßen perfekt. Ich musste selbst zugeben, dass ich wirklich eine schöne Figur hatte. Zufrieden kämmte ich mein langes, blutrotes Haar und band es wegen dem Schminken zu einem Zopf zusammen.
Auch Fine sah in ihrem Kleid zum Niederknien aus. Ihre schlanke Taille kam in dem engen Kleid richtig zur Geltung und bei jeder ihrer Bewegungen wuchs die Spannung, ob der Po unter dem Kleid raus schauen würde oder nicht, da es so kurz war.
„Tara, welche Schuhe soll ich dazu anziehen?“, fragte mich Fine und stand mit zwei Paar Stiefeln vor mir, wovon eines aus Lack mit Plateausohlen war und der andere aus Leder mit einem mörderisch hohen, spitz zulaufenden Absatz.
„Nimm den aus Leder“, riet ich ihr. „Der passt besser zum Kleid und außerdem ist er höher. Du wirkst sonst wie ein Zwerg neben mir, wenn ich meine hohen Schuhe trage.“
Fine nickte und stellte die Lackstiefel zurück in den Schrank. Fine war mit ihren 1,65cm eigentlich durchschnittlich groß, jedoch überragte ich sie bei meiner Körpergröße von 1,76 cm um einen halben Kopf. Mit unterschiedlichen Absatzhöhen konnte sich das zu einem Unterschied von bis zu 20 cm gestalten, was für uns beide nicht mehr schön aussah, wenn wir neben einander standen.
Meine Freundin band ihre leicht über die Schultern reichenden und fast weiß blondierten Haare ebenfalls zu einem Pferdeschwanz zusammen und setzte sich mit ihrem Rasierspiegel vor das Bett.
Sie fing an ihre blauen Augen mit Kajal, Eyeliner und Co in Szene zu setzen. Ich nahm mir ebenfalls den zweiten Rasierspiegel und setzte mich ihr gegenüber an die andere Seite vom Bett.
Die große Kunst war es, die Wimpern durch mehrmaliges Tuschen lang genug zu bekommen, damit sie dennoch gegen den schwarzen Lidschatten auffielen. Da ich von Natur aus lange Wimpern hatte, fiel es mir weitaus einfacher als Fine.
Ein paar Pinselstriche und einem kleinen Klopa-pierhaufen in der Mitte später waren wir endlich fertig. Das Klopapier brauchten wir, um den Lidschatten, der beim Auftragen stets auf das restliche Gesicht bröselte, wieder mit Creme von der Haut zu bekommen, damit das Gesicht anschließend perfekt weiß gepudert werden konnte.
Wir räumten unsere Schminksachen beiseite, öffne-ten wieder unsere Zöpfe und kämmten unsere Haare nochmals durch. Fine setzte sich noch eine kleine Sonnenbrille mit runden Gläsern auf die Nasenspitze. Sie war der Meinung das würde ihre Zusammenstellung komplettieren, auch wenn sie über die Ränder hinweg schauen musste, da es bereits draußen stockfinster war.
Wir zogen unsere Ledermäntel an, hingen uns unsere Taschen über die Schulter und verließen die Pension in heller Aufregung auf das heutige Konzert. Heute Abend spielten neben der Hauptattraktion „Das Ich“, noch „Project Pitchfork“, „Lacrimosa“ und „Endraum“. „Das Ich“ und „Endraum“ hatte ich bereits schon einmal live gesehen, jedoch auf „Project Pitchfork“ war ich sehr gespannt, da ich sie live noch nicht kannte.