Читать книгу Tara - Nancy Omreg - Страница 9
7 Die Bar
ОглавлениеTatsächlich waren es nur wenige Minuten zu Fuß und wir erreichten 'Salvatores Taverne'. Das Restaurant war sehr gemütlich eingerichtet. Auf den alten Holztischen standen Chiantiflaschen, in denen Kerzen steckten, deren Wachs über die bäuchigen Flaschen bereits heruntergelaufen war. Italienische Schlager ertönten aus den Boxen und in der Luft hing ein Duft aus frischem Zigarettenqualm und Holz.
Wir setzten uns an einen Tisch für vier Mann, der in einer Ecke stand. An der Wand hingen Bilder von Olivenhainen mit italienischen Häusern. Die Stühle hatten einen abgewetzten, roten Lederbezug, aber waren total bequem. Der italienische Kellner brachte uns die Speisekarten und fragte uns nach unseren Getränke-wünschen. Ich nahm einen Chianti und Fine einen Lambrusco. Wir schauten gespannt in die Speisekarten.
Die Auswahl war reichlich. Ich wusste gar nicht, wo ich zuerst anfangen sollte. Letztendlich entschied ich mich für Cannelloni mit Rigotta-Spinat-Füllung und Fine nahm eine Calzone.
Das Essen schmeckte, ganz Fines Meinung, 'bombastisch'. Wir bestellten danach noch Ramazotti und noch je ein Glas Wein und waren erst zwei Stunden später wieder aus dem Restaurant heraus, dafür leicht beschwipst. So voll gegessen machten wir uns nun auf zum Shopping.
Der erste Laden, den wir fanden, war bereits ein voller Erfolg. Ich fand eine Korsage, die bauchfrei war und aus Satin und Baumwolle bestand. Sie war über die Brust zu schnüren. Fine ermutigte mich, sie zu kaufen, indem sie meinte, dass ich so einen schönen Bauch hätte, weil ich so schlank war und daher so was nicht nur tragen könnte, sondern müsste.
Wir fanden dazu passend noch einen Rock, der vorn zwei Hände breit über dem Knie endete und hinten jedoch bis zum Boden reichte. Meine Ausgehklamotten für das morgige Konzert hatte ich also schon gefunden. Ich brauchte nur noch ein paar schöne Schuhe dazu. Fine entschied sich für ein Kleid, dass kurz unter ihrem Po aufhörte. Es war aus Samt, hatte Fledermausärmel bis zum Ellenbogen und einen tiefen Ausschnitt. Ziernähte und Schnürungen aus Leder machten es noch raffinierter. Da ich jedoch noch Schuhe brauchte und wir noch viel Zeit hatten, setzten wir unsere Shoppingtour fort.
Der weitere Weg führte uns vorbei an einem Unterwäschegeschäft. Wie hypnotisiert blieb ich vor der Auslage im Schaufenster stehen.
„Nein Tara, nicht“, seufzte Fine, als ich sie bereits am Ellenbogen packte und in den Laden hineinzog. Im Bewusstsein, sich dagegen nicht widersetzen zu können, ließ sie sich mitschleifen.
Fine kannte meine Sucht nach Unterwäsche und sie wusste, dass sie bei der Auswahl mithelfen musste, wenn sie schnell wieder aus dem Laden heraus wollte. Also griff sie, ebenso wie ich, nach jedem Stück was meinen Geschmack traf und ich ging mit zwei neuen Unter-wäschesets, ein paar neuen Strapsen und um 50 DM leichter, aber glücklich aus dem Laden heraus.
„Oh Tara, damit wirst du dich noch eines Tages ruinieren“, meinte Fine und schüttelte den Kopf. Mir war das egal, ich liebte Unterwäsche und ich musste sie alle haben.
In dem nächsten Laden, den wir angesteuert hatten, fand ich ein paar schöne Stiefel zum Schnüren und mit richtig hohem Absatz. Zwar würden mich meine Füße den ganzen Abend quälen, wenn ich diese trug, aber sie passten perfekt zum Rest meiner Kleidung. Fine fand auch noch einen schicken Rock und ein Oberteil aus Spitze, welches teilweise mit rotem Satin unterlegt war.
Angestachelt davon, schaute ich mich in dem Laden auch noch weiter um und fand ein eng anliegendes Kleid aus blickdichter, schwarzer Spitze und einen atemberaubenden rückenfreien Ausschnitt.
Nach nur drei Läden, hatten wir alles, was wir brauchten. Unser Shoppinggeld war jeodch leider auch aufgebraucht, sodass uns nur noch ein Schaufenste-rbummel übrig blieb.
„Oh, schau mal den schönen Kerzenständer an“, rief Fine aus und hielt mich am Arm fest. Ich blickte in das große Schaufenster eines Dekoladens und sah einen wirklich schönen Kerzenständer. Er war schwarz, hatte neun Halterungen für Kerzen, wobei sich acht davon als Arme vom Ständer wegführten und von diesen hingen tropfenförmige, schwarze Glaselemente herunter.
„Der ist wirklich super. Schade, dass wir kein Geld mehr haben um ihn zu kaufen“, gähnte ich zustimmend. Überrascht schaute mich Fine an.
„Was ist denn mit dir los? Jetzt schon müde? Du musst doch heute noch lange durchhalte.“
„Ja ich weiß“, antwortete ich. „Alkohol am Tag macht mich irgendwie ein bisschen müde. Ich glaube ich brauche einen Kaffee“, meinte ich und gähnte erneut.
„Hör auf, das ist ja ansteckend. Dort vorn ist ein Café. Da sollten wir wohl schnellstens hin“, lachte Fine und zog mich mit sich.
Ich bestellte mir eine große Tasse Kaffee und Fine sich einen Cappuccino. Es war gar nicht so einfach mit unseren vielen Tüten uns in die kleine Sitzecke zu quetschen und als wir endlich saßen, sah es aus, als wäre ein Berg von Tüten über uns ausgeschüttet worden und wir würden darin versinken. Mit einem abwertenden Blick auf uns und unsere Shoppingtrophäen brachte die Kellnerin unsere Bestellung. Gierig stürzte ich mich auf das schwarze, dampfende und verlockend duftende Gebräu.
„Warum haben wir eigentlich keinen Irish Coffee bestellt? Wir müssen doch wenigstens ein bisschen unseren Pegel halten“, fragte mich Fine und zog grüblerisch ihre Augenbrauen zusammen.
„Keine Sorge, wir holen uns noch etwas, schließ-lich müssen wir ja auch was trinken wenn wir uns fertig machen“, grinste ich breit und nahm den nächsten langen Schluck.
„Etwa ein Proseccolörchen?“
„Eins? Mehrere.“
„Und Abendbrot? Wollen wir irgendwo Essen gehen oder uns etwas mitnehmen?“
„Naja, Hunger habe ich keinen. Wir können uns doch ein belegtes Brötchen mitnehmen. In dem Bäcker, an dem wir vorhin vorbei gegangen sind, sahen die echt lecker aus.“
„Gut, da gibt es Brötchen und Prossecco und was machen wir jetzt?“ Fine leerte ihre Tasse und streckte sich gemütlich aus.
„Ich wäre dafür, wir besorgen noch unsere Abendverpflegung und gehen zurück in die Pension. Mir tun schrecklich die Füße weh“, antwortete ich und versuchte meinen Nacken mit Kopfbeugen zu entspannen.
„Ja, das ist eine gute Idee. Mich quält mein Rücken auch schon.“ Wir nahmen unsere ganzen Beutel auf und machten uns auf den Rückweg.
„Ah tut das gut.“ Fine hatte sich der Länge nach mit samt den Tüten auf das Bett geworfen, als wir in unserem Zimmer angekommen waren. Sie schloss die Augen und atmete tief durch. Ich ließ meine Tüten auf den Boden fallen, schnappte mir die Flasche Sekt und kletterte über sie hinweg auf meine Seite des Bettes.
Mit einem lauten Knall schoss der Korken aus der Flasche und wild schäumender Sekt sprudelte aus der Flasche. Schnell versuchte ich noch den Schwall in meinem Mund aufzunehmen, aber das Bett und ich waren schon nass und auch Fine hatte etwas abbekommen. Diese kugelte sich auf dem Bett vor Lachen.
„Macht man so eine Dusche nicht mit Champagner und nackt?“, brachte sie mühselig hervor und hielt sich ihren Bauch.
„Na das kann ja jeder. Dies hier ist mal etwas ganz besonderes“, antwortete ich mit gespielter Arroganz. Fine kicherte immer noch und griff nach der Flasche.
„Ei ei, das kann man hier ja nur mit Alkohol ertragen.“
„Verschluck dich nicht“, antwortete ich sarkastisch, als sie beim Trinken versuchte ihren Lachkrampf zu unterdrücken.
„Au, das ging in die Nase“, lachte sie und hielt sich diese zu. Ich warf ein Kissen nach ihr und stimmte in ihr Lachen ein.
„So, in Ordnung“, meinte Fine und nahm noch einen langen Schluck.
„Ich würde mal sagen, wir genehmigen uns jetzt eine Dusche und machen uns dann zurecht. Und ich meine so richtig zurecht. Wir hübschen uns so richtig auf, so dass die Jungs Schlange stehen um uns kennen zu lernen.“ Sie streckte ihre Nase in die Höhe um ihrer Aussage noch Ausdruck zu verleihen und grinste mich an. Ich griff nach der Flasche
„Nach dir meine Schöne“, antwortete ich und genoss einen weiteren Schluck. Fine sprang auf und griff nach ihrer Kulturtasche.
„Wir sehen uns in einer Stunde“, rief ich ihr nach, als sie im Bad verschwand, wohl wissend, dass ihre Dusche sich ziehen würde.
Ich beschloss inzwischen ein bisschen Ordnung in das Zimmer zu bringen. Es war so schon eng genug, mit den herumliegenden Tüten und unseren Taschen wurde es unbewohnbar. Allerdings war es nicht so einfach alles unterzubringen, denn auch der Schrank war nicht allzu groß. Aber mit etwas quetschen und drücken ging alles zu verstauen. Natürlich entsprach dies nicht dem Ordnungssinn von Fine, wobei auch sie zugeben musste, dass es hier nicht besser zu arrangieren war.
Zufrieden schaute ich mich im Zimmer um und setzte mich mit der Flasche Sekt wieder auf das Bett. Bis jetzt verlief unser Ausflug prächtig und ich war davon überzeugt, dass es auch so weitergehen würde. Ich wettete, dass Fine positiv überrascht war, dass ich wirklich so eine gute Laune besaß, anstatt ab und an in wehleidige Gemütszustände zu verfallen, wie sie es wohl erwartet hätte. Schließlich waren wir das letzte Mal in Berlin, als ich mit Max noch zusammen gewesen war.
Ich konnte mich sogar daran noch erinnern. Wir hatten uns gerade nach einem Streit versöhnt, als ich mit Fine nach Berlin zu einem Konzert ging und ich wäre an dem Abend lieber bei ihm geblieben, aber ich hatte Fine bereits den Abend versprochen gehabt. Sie und ich hatten auf der Zugfahrt lange über meine Beziehung geredet und sie war der Ansicht, dass ich ohne ihn besser dran wäre. Trotzdem wartete sie geduldig, als ich ihn aus einer Telefonzelle anrief bevor wir ins Konzert gingen, von welchem ich ihm ein T-Shirt mitbrachte, das er aber nie angezogen hatte.
Dieser Abend lag nun auch schon fünf Monate zurück. Natürlich erinnerte mich die Telefonzelle am Berliner Hauptbahnhof an Max und auch die Kneipe, an der wir vorhin vorbei gelaufen waren, da ich dort damals meinen Schlüssel fallen ließ, an dem ein Herz hing, das mir Max einmal geschenkt hatte. So gab es schon einige Momente, in denen die Erinnerungen hoch kamen, aber kein einziges Mal dachte ich in Sehnsucht und Trauer an ihn.
Im Gegenteil, ich lachte innerlich jede dieser Erinnerungen an und dachte mir ‚Ich bin frei und es kann nur besser werden.’ Und daran glaubte ich auch.
„Na Träumerin, bin fertig, du kannst rein“, riss mich Fine aus meinen Gedanken. „Och, die Flasche ist ja schon leer. Na die nächste mache ich jetzt lieber auf, sonst können wir hier noch tapezieren“, neckte sie mich.
Ich streckte ihr die Zunge heraus und riss ihr im Vorbeigehen ihr Handtuch herunter.
„Hey, spannen ist nicht. Da musst du schon bis heute Nacht warten, wenn wir zusammen im Bett liegen“, konterte Fine und machte sich über die zweite Flasche Sekt her.
Ich legte meine Kleidung auf den Klodeckel und stieg in die Dusche. Sie war aalglatt und ich wäre fast ausgerutscht, aber da die Dusche ebenso klein war wie das Bad, konnte ich mich mit der Schulter an der Wand abbremsen. Vorsichtig zog ich das zweite Bein nach und schloss die Schiebetür. Ich drehte den kalten Wasserhahn zuerst auf und den warmen nach und nach bis mir die Wassertemperatur gefiel, die Fine wohl noch als eisig bezeichnen würde. Für meinen Geschmack war es aber schön warm und für den Alkoholgehalt, den ich bereits intus hatte, sogar etwas zu warm.
Dennoch genoss ich die Dusche. Meine Muskeln entspannten sich wieder und als ich aus der Dusche stieg fühlte ich mich wie neugeboren. Ich bürstete meine langen Haare und band sie mit einem Haarband im Nacken leicht zusammen, damit sie beim Schminken nicht störten.
Das Bad war nun vollends heiß und feucht geworden durch das Duschen, so dass ich auch nicht mehr länger im Bad bleiben wollte und ins Zimmer zurück ging.
„Der Pegel sinkt, ich brauche Alkohol“, rief ich aus. „Oh nein, das wollen wir doch nicht. Hier nimm.“
„Im Bad ist es so heiß und schwitzig, Schminken ist dort drin nicht möglich.“
„Na da ist es ja gut, dass ich meinen Rasierspiegel mitgebracht habe. Ja, für dich habe ich auch noch einen. Ich denke doch für dich mit“, meinte Fine.
„Du bist so süß“, flötete ich Fine zu und nahm einen kräftigen Schluck aus der Flasche.
„Da lass uns mal die Kriegsmalerei auflegen“, verkündete ich und legte mein gesamtes Schminkzeug auf das Bett. Fine holte ihres ebenfalls heraus und gab mir einen ihrer Rasierspiegel. Diese stellten wir auf das Bett, setzten uns davor auf den Boden und dann ging es los.
Mädels in ihrem Element. Schwarzer Lidschatten, schwarzer Lidstrich, schwarze Mascara. Weißes Puder wurde mit einem großen Pinsel auf das Gesicht aufgetragen. Fine bemalte ihre Lippen mit schwarzen Lippenstift, während ich schwarzen und roten auftrug, um ein schönes tiefrot zu erzeugen.
Nach ungefähr zwanzig Minuten waren wir fertig. Kritisch prüften wir gegenseitig, dass auch alles korrekt geschminkt und nichts ineinander verlaufen war. Danach zogen wir uns an.
Es war gar nicht so einfach sich zwischen unseren neuen Sachen zu entscheiden, welches Outfit wir heute und welches morgen zum Konzert anziehen wollten, weil beide Varianten so schön waren. Letztendlich blieben wir doch bei unserer ersten Überlegung und so zog ich das schwarze Spitzenkleid an und Fine den Rock mit ihrem Spitzenoberteil. Ich schnürte meine neuen 30-Loch-Stiefel und leerte zusammen mit Fine die Flasche Sekt.
„Oh weh, ich glaube in den Stiefeln kann man echt nur mit Alkohol unfall- und schmerzfrei laufen“, meinte ich zu Fine und schaute zweifelnd auf meine wunder-schönen Stiefel. Ich überlegte bereits, wie ich morgen in denen das ganze Konzert durchstehen sollte.
„Zähne zusammen beißen, wer schön sein will muss leiden.“ Aufmunternd, aber ohne Mitgefühl klopfte mir meine Freundin auf die Schultern. „So, komm lass uns los gehen. Ich bin schon riesig gespannt auf die Bar.“
Ich warf einen letzten Blick in den Spiegel und folgte Fine hinaus. Eine kühle Herbstluft empfing uns. Ich zog meinen Mantel fester um mich und stellte den Kragen hoch.
Ein leichter, würziger Duft von sich ankündi-gendem Schnee lag in der Luft. In der Dunkelheit wirkten die herumfliegenden Baumblätter wie kleine Seelen, welche in einem warmen, gelblichen Ton erstrahlten, wenn sie unter einer Straßenlaterne entlang huschten. Am Himmel war der Mond in seiner vollen Pracht zu sehen. Zwischen breiten Wolkenschleiern schauten vereinzelt Sterne hervor. Ein kalter Windhauch blies mir ins Gesicht und lies meine Haare wehen. Ich steckte meine Hände in die Manteltaschen und zog die Schultern so hoch ich konnte.
„Eine Kälte ist das geworden.“ Bibbernd hakte sich Fine bei mir unter und drückte sich eng an mich.
„Wir müssen einfach schnell gehen. So weit ist es ja zum Glück nicht.“ Im flotten Laufschritt eilten wir die Straßen entlang. Gegen die Kälte waren selbst die zwei Flaschen Sekt machtlos. Wir freuten uns schon auf die warme Bar und insgeheim hoffte ich, dass es dort Grog gäbe.
Nach zehn Minuten schnellsten Fußmarsches erreichten wir endlich unser Ziel und stürzten eilig hinein.
Eine warme Luft, voll gesogen mit Zigarettenqualm und einer Alkoholfahne drang uns entgegen, gefolgt von einer Brise Patchouli und Trockeneis, welche wellenartig unsere Nasen erreichte. Die Klänge von „Mindmachine“ der Band 'Deine Lakaien' drangen in unsere Ohren. Wir fühlten uns bei den Klängen sofort wohl.
Vor uns erstreckte sich die Bar, die sich vom Eingangsbereich links hinüber in den Sitzbereich und von da nach hinten zur Tanzfläche erstreckte. Sie bestand aus dunklem Holz, welches teilweise schon ziemlich abgenutzt wirkte. Die Sitzgelegenheiten bildeten ver-schiedene Zusammenstellungen von Holztischen und Holzstühlen, jedoch ohne das etwas wirklich zueinander passte. Auf jedem Tisch standen Teelichter, welche den umher wallenden Qualm beleuchteten und die Tische in ein ganz besonderes Licht rückten.
Alles in allem wirkte die Bar sehr gemütlich und es schien so, als ob die Bar nicht teil des eigenen Abends wurde, sondern als ob man selbst Teil der Bar wurde. Das Ambiente versetzte einen wie in eine andere Welt, als ob der Nebel die eigentliche Realität ausschaltete und das Leben in eine andere verschmolz.
Unter aufblitzendem Strobolicht gingen wir vorbei an den schwarz gekleideten Menschen, fanden einen Tisch, der noch nicht belegt war und ließen uns an ihm nieder.
„Hey Tara, schau mal nach links. Der Typ beo-bachtet dich schon seit wir herein gekommen waren“, flüsterte mir Fine zu und warf einen verstohlenen Blick geradeaus.
Ich folgte ihren Augen und erstarrte. Am über-nächsten Tisch, mit dem Rücken an die Wand einer hervorstehenden Ecke gelehnt, saß ein junger Mann, welcher seinen Blick fest auf mich geheftet hatte.
Seine Augen blitzten und leuchteten durch den Nebel, wie ich es noch nie erlebt hatte. Sein Gesicht war einfach perfekt. Markante Wangenknochen, verfüh-rerisch geschwungene Lippen, Augen, die wie Sterne leuchteten. Seine langen, schwarzen Haare waren zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden und seine, mit Silberringen bestückten Hände lagen ineinander verschränkt auf dem Tisch.
Obwohl er bemerkt haben musste, dass ich ihn anschaute, machte er keinerlei Anstalten seinen Blick von mir abzuwenden. Entgegen meiner Natur konnte ich es jedoch auch nicht. Normalerweise hätte ich bei so einem unverhohlenem Blick sofort scheu meine Augen abgewandt und wäre wahrscheinlich noch errötet, aber ich war so versteinert, dass ich keinerlei Regung zu-stande brachte.
Ein Stoß von Fine holte mich zurück aus meiner Trance und verwirrt wendete ich ihr langsam mein Gesicht zu.
„Na der scheint dir ja mächtig zu gefallen, bist ja ganz hin und weg. Mh, der ist aber auch Sahne. Ich glaube, du solltest dich beeilen damit, ihn anzusprechen, sonst kommt dir noch eine andere zuvor. Bei so einem Schnuckel stehen die Frauen sicher Schlange“, anzüglich grinste Fine mich an und warf noch einmal einen Blick in seine Richtung.
„Och schade, jetzt ist er weg.“ Mit einem mit-leidigen Gesichtsausdruck sah mich Fine an, dann wand sie mit einem Seufzer ihre Aufmerksamkeit wieder der Getränkekarte zu.
Ich schaute zu dem Platz, auf dem er vor zwei Minuten noch gesessen hatte und es stimmte, er war wirklich leer. Ich ließ meinen Blick durch die Bar strei-fen, aber ich konnte ihn nirgends entdecken, egal wie ich mir dabei auch den Hals verrenkte.
„Nun lass mal gut sein, der ist vielleicht nur mal eben auf Toilette gegangen. Außerdem ist er ja nicht der Einzige hier. Er war vielleicht der Hübscheste, aber die anderen sehen hier ja auch ganz gut aus. Na was trinkst du?“
Widerwillig ließ ich von meiner Suche ab und wand meinen Blick langsam auf die Karte. Doch in meinem Kopf kreisten die Gedanken.
Wer war dieser Typ? Warum starrte er mich so an? Und vor allem, wie konnte er so schnell verschwinden?
„Hey Träumerin, was trinkst du?“
„Ich… ich nehme eine Wodka-Cola“, stammelte ich noch halb geistesabwesend.
„Mh, ich glaube ich werde da bestellen gehen“, meinte Fine, die ihre Augen auf den Kellner geheftet hatte und sich mit einem eleganten, aufreizenden Gang zur Bar aufmachte. Ich beobachtete noch, wie sie ihren Kopf schief legte und mit ihrer Halskette anfing zu spielen, als sie den Kellner ansprach und dieser mit einem begeisterten Lächeln ihr antwortete.
Ich ließ bereits wieder meine Augen durch den Raum schweifen. Nirgends sah ich ihn. Wäre er auf der Toilette gewesen, hätte er bereits wieder auftauchen müssen. Aber nichts. Er war wie vom Erdboden ver-schluckt. Ich war schon kurz davor einen Blick in die Männertoilette riskieren zu wollen, als meine Freundin mit unseren Getränken und zwei Schnäpsen an unseren Tisch kam.
Sie grinste breit, als sie die Gläser abstellte. „Mit besten Grüßen von dem spitzenmäßigem Kellner. Er kommt morgen auch zum Konzert, wie bombastisch!“ Freudestrahlend ließ sie sich neben mir nieder und erhob das Schnapsglas.
„Auf einen bombastischen Abend, meine Süße!“ Ich erhob mein Glas und stieß mit ihr an.
„Auf uns und was da komme.“ Mit einem Zug leerte ich das Glas und stellte es mit einem herzhaften, genussvollen Seufzer wieder auf den Tisch.
Wieder tasteten meine Augen die Kneipe ab, während Fine noch von dem Kellner schwärmte.
„Ich wollte das Thema eigentlich nicht ansprechen, aber ich muss sagen, ich finde es toll, wie gut es dir geht und wie du das Wochenende wirklich zu genießen scheinst, ohne Max mehr hinterher zu trauern. Ich muss sagen, ich dachte schon, dass es schwierig wird, weil dich hier ja sicher einiges an ihn erinnert, aber du schlägst dich wacker und du bist ohne Max sowieso besser dran.“
„Was, wer?“, antwortete ich, zurückgeholt aus meinen Gedanken, aber nicht genau wissend, worüber meine Freundin gerade redete.
„Max? Dein Verflossener? Der, wegen dem du tagelang geheult hast? Mensch, wo bist du denn mit deinen Gedanken? Du hast mir gar nicht zugehört, wie?“ Halb schmunzelnd, halb verwirrt schaute mich Fine an.
„Oh, es tut mir leid! Nein, das habe ich wohl wirklich nicht so richtig. Aber ja, es geht mir echt besser. Du hast mich wieder zurück ins Leben geholt. Danke.“ Kopfschüttelnd und meine Freundin aufrichtig an-lächelnd, in dem Bewusstsein, eine leichte Röte im Gesicht zu haben, blickte ich sie an.
Sie hakte nicht weiter nach und fing an von einer lustigen Anekdote einer ihrer Verflossenen zu reden und ich beschloss, nicht länger über den mysteriösen Typen nachzudenken, sondern den Abend zu genießen. Ich würde ihn sowieso nie wieder sehen. Wir waren in Berlin. Wie groß sollte da schon die Wahrscheinlichkeit sein, ihm wieder über den Weg zu laufen, noch dazu, wo ich nicht einmal wusste, ob er überhaupt in Berlin wohnte oder so wie wir, nur zu Besuch hier war.
Die Gespräche mit Fine lenkten mich ab und je mehr Alkohol floss, desto lustiger wurden unsere Geschichten. Nach drei weiteren Wodka-Colas fühlte ich mich bereit, die Tanzfläche zu stürmen. Ich drängte Fine dazu, mitzukommen und dann tanzten wir im klassischen „Drei Schritte vor, vier Schritte zurück“ – Stil zu den Klängen von Welle:Erdball „Alles ist möglich“.
Ich fühlte mich schon lange nicht mehr so frei und so gut. Ich genoss es, wie die Musik meinen Körper durchströmte. Ich hielt meine Augen geschlossen und ließ die Musik meinen Körper führen.
Gegen um drei Uhr morgens machten wir uns auf den Weg zurück in unsere Pension. Eingehakt und singend kam uns die Nacht gar nicht mehr so kalt vor, wie auf dem Hinweg. Vielleicht lag es auch am Alkoholkonsum. Wir stolperten in unser Zimmer und schmissen uns auf das Bett.
„Du musst mir die Stiefel ausziehen, ich schaff es nicht mehr“, jammerte ich.
„Nur wenn du mir auch meine ausziehst“, stöhnte Fine.
Ich raffte mich auf und versuchte mich an ihrem Stiefel. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis ich einen Stiefel von ihrem Bein bekam. Eine zweite Ewigkeit später hatte ich auch den anderen ihr ausgezogen. Geschafft schmiss ich mich wieder aufs Bett und hielt ihr angestrengt mein Bein hin.
„Jetzt du.“ Seufzend kniete sich Fine vor mir hin und bemühte sich ebenfalls mich von den Stiefeln zu befreien.
„Und wer zieht uns jetzt aus?“, fragte sie, nachdem sie es geschafft hatte.
„Ich glaube, dass müssen wir leider selbst machen.“ Unter ein paar kleinen Gleichgewichtsschwankungen befreiten wir uns von unseren Kleidern und kletterten ohne uns abzuschminken ins Bett.
„Gute Nacht, träum schön“, flüsterte Fine, bereits im Halbschlaf.
„Du auch“, anwortete ich und das Gesicht des geheimnisvollen Fremden aus der Bar erschien in meinem Kopf.