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Kapitel 8

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Freitag, 24. Dezember, 00.30 Uhr

Als Carolyn vor Neils Haus ankam, wimmelte es dort von Polizisten und Sanitätern. Bei Nieselregen war sie losgefahren und hatte in der Eile vergessen, einen Regenschirm mitzunehmen. Jetzt goss es wieder in Strömen, und noch ehe sie die Absperrung erreicht hatte, war sie völlig durchnässt. Ein junger dunkelhaariger Officer hielt sie zurück. DANIEL CUTTER stand auf seinem Namensschild.

»Der Zutritt zum Tatort ist verboten, Lady«, sagte er.

Carolyn hielt ihm ihren Dienstausweis unter die Nase.

»Sind Sie die Bewährungshelferin des Hausbesitzers?«, fragte der Officer.

»Nein«, sagte sie kurz angebunden. Es passte ihr nicht, dass ihr das kraft ihres Amtes zustehende Recht verweigert wurde. »Er ist mein Bruder.«

»Da muss ich erst den Sergeant fragen.«

Eine Frau mittleren Alters in einem weißen Flanellmorgenmantel drängte sich durch die Schaulustigen und stellte sich neben Carolyn.

»Wissen Sie, was hier passiert ist?«, fragte sie und spähte unter ihrem Schirm hervor. »Es heißt, ein Mädchen sei vergewaltigt worden.«

Carolyn drehte sich der Magen um. »Wer hat das gesagt?«, fragte sie.

»Ein Mann da drüben hat es mir erzählt«, sagte die Frau und machte eine vage Handbewegung. »Ich habe so was kommen sehen. Der Mann, der hier lebt, ist mir unheimlich. Er ist die ganze Nacht auf und schläft tagsüber. Meine Tochter hält ihn für einen Vampir. Einmal ist sie zu seinem Haus gegangen und wollte Pfadfinderinnen-Plätzchen verkaufen. Er hätte ihr beinahe den Kopf abgerissen, weil sie ihn geweckt hatte. Dabei war es drei Uhr nachmittags. Ist das nicht unglaublich? Eins steht fest: Ich lasse sie da nie wieder hingehen.« Dann streckte sie die Hand aus und fügte hinzu: »Ich bin Joyce Elliot und wohne im Haus an der Ecke.«

»Entschuldigen Sie bitte, ich muss schnell mal was überprüfen«, sagte Carolyn und ging ein paar Schritte weiter. Gewöhn dich lieber an diese Art Gespräche, dachte sie. Neil steht eine harte Zeit bevor. Die Menschen lieben Sensationen, und wenn das tatsächliche Geschehen nicht interessant genug ist, dichten sie zu den Fakten etwas hinzu.

Ihre Gedanken kehrten zu Neil zurück. Er ist völlig hysterisch und hat Dinge gesagt, die er nicht gemeint hat, redete sie sich ein. Nie würde er Laurel etwas antun. Heute war ein langer Tag, und ich habe überreagiert. Meine Fantasie ist mit mir durchgegangen. Laurels Tod ist eine Tragödie, aber mein Bruder hat damit nichts zu tun. Vielleicht war Laurel betrunken und ist versehentlich in den Pool gefallen. Vielleicht konnte sie nicht schwimmen. Jeden Tag ertrinken Menschen. Einen Swimmingpool im Garten fand ich schon immer gefährlich.

Obwohl Laurel Goodwin sechs Jahre jünger als Carolyn gewesen war, hatte Carolyn sie während der Highschool-Zeit ziemlich gut gekannt. Denn damals waren Laurel und Neil eng befreundet gewesen. Und auch als scheinbar glückliche Ehefrau war sie ihr öfter in der Stadt begegnet. Laurels Tod ging ihr zwar sehr nahe, aber ihre Sorge galt Neil. Er machte einen selbstsicheren Eindruck, war aber psychisch labil. Da er in den vergangenen sechs Monaten kaum Bilder verkauft und sich sein Einkommen drastisch verringert hatte, war er fest entschlossen gewesen, sein Leben zu ändern. Erst vor kurzem hatte er wieder angefangen sich mit Laurel zu treffen. Carolyn hatte ihm gesagt, es sei töricht, ihr einen Heiratsantrag zu machen. Aber Neil war auch sehr starrköpfig. Er hatte nicht auf sie gehört. Ich hätte nicht vom Gefängnis aus mit ihm telefonieren dürfen, dachte Carolyn. Als ich ihn gegen Mittag wieder anrufen wollte, war er schon auf dem Weg zu Laurel.

Carolyn zuckte zusammen, als ihr Hank Sawyer plötzlich die Hand auf die Schulter legte.

»Wie gut, dass ich auf der Party keinen Alkohol getrunken habe«, sagte er. »Wie geht’s Brad Preston? Ich habe gehört, Ihr Kumpel Raphael Moreno hat ihn flachgelegt.«

»Er hat ein paar angeknackste Rückenwirbel«, sagte Carolyn. »Ich habe ihn vor Moreno gewarnt. Dieser Kerl ist unberechenbar. Brad kann sich glücklich schätzen, dass er noch lebt.«

Carolyn und Detective Hank Sawyer hatten nicht nur beruflich oft miteinander zu tun, sie waren auch befreundet.

»Was haben Sie überhaupt hier zu suchen, Hank?«, fragte sie mit gespielter Nonchalance. »Die arme Frau ist ertrunken. Ich muss mit meinem Bruder reden. Er war völlig durcheinander, als er mich anrief.«

»Es sieht ganz so aus, als hätten wir es hier mit einem Mord zu tun«, sagte Hank und kaute auf einem Zahnstocher herum.

Carolyn fühlte, wie ihr das Blut in den Kopf schoss. Jetzt muss ich den Mund halten, dachte sie. Hank ist in offizieller Funktion hier.

Carolyn drängte sich an ihm vorbei und ging ins Haus. Neil saß in der Küche am Tisch. Sein dunkles Haar war nass, seine Augen waren gerötet und geschwollen. Über seinen Schultern lag eine Decke, die ein Sanitäter ihm umgehängt hatte. Carolyn zog einen Stuhl neben ihn und setzte sich.

»Was hast du damit gemeint, als du mir am Telefon sagtest, du wolltest nicht, dass Laurel was Schlimmes passiert?«

»Ich weiß nicht, wovon du redest«, sagte Neil. »Ich bin nach Hause gekommen und dann habe ich sie gefunden … Sie … sie lag im Pool.« Er wischte sich die Tränen aus den Augen. »Ich habe sie herausgeholt …, ich habe versucht, sie wiederzubeleben. Aber sie … sie war tot. Warum sollte sie bei diesem Regen im Pool schwimmen? Das ergibt doch keinen Sinn. Und sie hatte nur Unterwäsche an. Den Rest ihrer Kleidung konnte ich nirgends finden.«

»Warst du allein, als du sie im Pool entdeckt hast?«

»Ja«, sagte Neil. »Es war schon spät… nach elf. Ich hatte schon mein Schlafmittel genommen und lag im Bett, als ich sah …«

Carolyn blickte auf. Hank unterhielt sich mit einer Farbigen, Detective Mary Stevens.

Sie beugte sich vor und flüsterte ihrem Bruder ins Ohr: »Sag jetzt nichts mehr. Die Polizei geht von Mord aus. Du könntest der Tat verdächtigt werden.«

In Neils Augen flackerte Angst auf. Er umklammerte Carolyns Arm.

»Das ist völlig absurd«, sagte er. »Ich habe Laurel nicht getötet. Außerdem bin ich mir sicher, dass sie schon länger tot ist. Ihr Körper war steif und kalt… so kalt.« Er schlug die Hände vors Gesicht und hämmerte dann auf den Tisch. »Ich war fast den ganzen Tag in L. A. Und abends war ich nicht zu Hause. Wie kann mich die Polizei des Mordes verdächtigen?«

»Beruhige dich«, sagte Carolyn. »Wir finden schon heraus, was hier passiert ist. Du musst aber genau das tun, was ich dir sage. Beantworte keine Fragen, mach überhaupt keine Aussage.«

Die beiden sahen sich kurz in die Augen, dann ging Carolyn zu Hank. Mary war jetzt draußen im Garten bei Coroner Charley Young, der die Leiche untersuchte.

»Was haben Sie bisher gefunden, Hank?«, fragte sie.

Der Detective hielt einen Plastikbeutel der Spurensicherung hoch und sagte: »Diese Spritze lag im Waschbecken des Bads neben dem Schlafzimmer Ihres Bruders. Ist er Diabetiker?«

»Nein«, antwortete Carolyn und verschränkte die Arme vor ihrer Brust. »Ist da noch was drin?«

»Sieht ganz so aus«, sagte Hank und deutete auf einen Rest gelblicher Flüssigkeit. »Natürlich wissen wir erst, worum es sich handelt, wenn das Zeug analysiert worden ist.«

»Wie steht’s mit der Todeszeit?«

»Charley ist sich ziemlich sicher, dass die Frau mindestens vier Stunden im Wasser gelegen hat. Ihr Bruder behauptet, er habe Laurel Goodwin geliebt. Stimmt das?«

Carolyn fühlte sich ganz elend. Neil hatte sie in den vergangenen Wochen oft angerufen, aber sie hatte nie Zeit für ihn gehabt. Als sie gestern Abend gegen acht nach Hause gekommen war, hatten ihr John und Rebecca gesagt, dass sie ihn weder gesehen noch von ihm gehört hätten. Er hatte versprochen, sich Rebeccas Zeichnungen anzusehen. Ihr Bruder war zwar manchmal verrückt, aber ein Versprechen brach er selten.

»Die beiden haben sich erst in letzter Zeit wieder öfter gesehen. Aber Laurel hat ihm viel bedeutet. Haben Sie ihre Familie benachrichtigt?«

Hank überging ihre Frage und sagte stattdessen: »Charley hat nur einen Einstich im linken Arm entdeckt. Nach der Autopsie wissen wir mehr. Verwertbare Spuren werden wir im Garten wohl kaum finden. Der Regen hat alles weggewaschen.«

»Gibt es Anzeichen dafür, dass sich jemand gewaltsam Zutritt zum Haus verschafft hat?«

»Bisher nicht«, sagte Hank und sah Carolyn besorgt an. »Sind Sie etwa krank? Sie sehen so blass aus.«

Typisch Mann, dachte Carolyn. Kein Verständnis dafür, dass es mir unter den gegebenen Umständen schlecht geht.

»Ich hatte keine Zeit, mich zu schminken«, entgegnete sie spitz. »Möchten Sie über mein Aussehen oder das Verbrechen reden? Waren an der Tür oder an den Fenstern Fingerabdrücke?«

»Nein«, sagte Hank. »Täter achten meistens darauf, möglichst keine Spuren zu hinterlassen. Die Fingerabdrücke, die wir gefunden haben, dürften wohl vom Opfer oder von Ihrem Bruder stammen. Hat er eine Haushälterin?«

»Ja«, sagte Carolyn. »Aber ich weiß nicht, an welchen Tagen sie kommt. Darf ich ein paar Minuten mit Neil allein reden?«

Hank runzelte die Stirn und trat verlegen von einem Fuß auf den anderen. »Der Vater des Opfers, Stanley Caplin, hält Ihren Bruder für einen Drogendealer«, sagte er schließlich. »Er behauptet, selbst gesehen zu haben, wie Neil Drogen nimmt. Die Kollegen vom Rauschgiftdezernat sagen, zurzeit sei starker Stoff auf dem Markt. Zwei Junkies starben letzte Woche an einer Überdosis. Vielleicht hat er seiner Freundin einen tödlichen Schuss Heroin verpasst.«

Hank sieht aus, als würde er jeden Augenblick zusammenbrechen, dachte Carolyn. Er ist wohl überarbeitet, sonst hätte er diese scheußliche Bemerkung über meinen Bruder nicht gemacht. Oder er hat es scherzhaft gemeint. Menschen, die viel mit dem Tod zu tun haben, können das Entsetzen oft nur mit schwarzem Humor bewältigen. Oder er wollte sehen, wie ich darauf reagiere.

Natürlich kannte Carolyn Laurels Eltern. Ventura war nur eine Kleinstadt, und sie alle hatten dieselben Schulen besucht.

»Der Mann lügt«, fauchte sie Hank an. »Neil nimmt keine Drogen und schon gar nicht dealt er damit. Er ist ein erfolgreicher Künstler.« Carolyn deutete auf die Gemälde an den Wänden. Sie konnte verstehen, dass manche Menschen keinen Gefallen an zeitgenössischer Kunst fanden. Ihr Bruder malte im Stil alter Meister und genoss ein hohes Ansehen bei Kunstliebhabern. »Er bekommt für seine Bilder zwischen zehn- und zwanzigtausend Dollar. Vor ein paar Jahren hat er ein Gemälde für fünfzigtausend verkauft.«

»Ich habe die Bilder für Drucke gehalten, die in Museen verkauft werden«, sagte Hank und betrachtete jetzt die naturgetreu gemalten Gesichtszüge näher, die fein herausgearbeiteten Stofffalten, den bis in alle Einzelheiten dargestellten Hintergrund.

»Wann hat Caplin gesehen, dass Neil Drogen nimmt?«

»Das habe ich ihn nicht gefragt«, sagte der Detective. »Immerhin hat er Mann eben erst erfahren, dass seine Tochter tot ist.« Hank holte tief Luft, ehe er fortfuhr: »Ich gebe Ihnen zehn Minuten, Carolyn. Dann muss ich Ihren Bruder vernehmen – entweder hier oder auf dem Revier. Ein Streifenwagen ist unterwegs und holt die Eltern ab, damit sie die Leiche identifizieren.«

»Warum muten Sie ihnen das zu?«, fragte Carolyn und fuhr sich mit der Hand durch ihr nasses Haar. »Neil hat Laurel identifiziert. Und ich kannte sie auch, falls Sie eine zweite Bestätigung brauchen. Außerdem befinden wir uns hier am Tatort.«

»Können Sie die Caplins denn nicht verstehen?«

»Natürlich tun sie mir Leid«, sagte Carolyn mit gequälter Miene. »Ich rede mit Neil in der Garage.« Nach ein paar Schritten blieb sie stehen und fügte hinzu: »Was auch immer passiert, versuchen Sie daran zu denken, dass er mein Bruder ist.«

»Wenn er unschuldig ist, hat er nichts zu befürchten.«

»Reden Sie keinen Stuss, okay?«, fauchte Carolyn den Detective an. »Wir wissen doch, wie das System funktioniert. Neil war zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort. Er ist kein Mörder.«

Sullivans Rache

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