Читать книгу Sullivans Rache - Nancy Taylor Rosenberg - Страница 8
Kapitel 6
ОглавлениеDonnerstag, 23. Dezember, 16.15 Uhr
Brad Preston fing Carolyn im Flur ab.
»Da rein«, sagte er und deutete auf die Tür zu seinem Büro. »Verdammt noch mal, was geht hier vor? Du lässt dich seit Stunden nicht mehr bei mir blicken. Ich will deinen Bericht über den Fall Moreno morgen Früh um acht in den Akten.«
Carolyn setzte sich auf den Stuhl vor Brads Schreibtisch und kam sich vor, als wäre sie als Schülerin vor den Direktor zitiert worden.
»Das meiste habe ich bereits diktiert, und wenn es sein muss, tippe ich den Bericht selbst zu Hause.«
Brad zog seine Jacke aus und hängte sie über die Stuhllehne. »Jemand aus dem Gefängnis hat mir erzählt, dass du Moreno dazu gebracht hast, mit dir zu reden«, sagte er und riss sich die Krawatte vom Hals. »Stimmt das?«
»Ja und nein«, antwortete sie. »Er hat zwar geredet, ist aber nicht zusammengebrochen. Gib mir noch eine Stunde, dann habe ich ihn in der Hand.«
»Herrgott noch mal, Weib«, sagte er. »Uns bleibt keine Stunde mehr. Versuch die Schwester des Opfers aufzutreiben. Ich rede mit Moreno.«
»Brad, bitte«, sagte Carolyn. »Ich bin so nah dran. Wenn du zu ihm gehst, ist alles, was ich heute erreicht habe, wertlos. Ich frage nach, ob sie die Schwester ausfindig gemacht haben. Wenn nicht, bleibt mir nur Morenos Aussage. Ich habe dem Sergeant im Gefängnis gesagt, dass ich vor halb sechs zurückkomme. Ich vernehme Moreno noch einmal und diktiere dann den Bericht.«
»Gib mir die Akte«, sagte Brad und rollte seine Hemdsärmel hoch. »Ich erledige das. Du hättest dir ja eine Grippe oder sonst was einfangen können. Ronald Cummings und Patty Trenton haben sich heute schon krank gemeldet. Ich will nicht, dass du als Nächste ausfällst.«
Carolyn hatte es satt, gegen jeden ankämpfen zu müssen, nur damit sie ihre Arbeit erledigen konnte. Aber wenn sich Brad erst einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, war er nicht mehr aufzuhalten.
»Bitte sehr«, sagte Carolyn und holte Morenos Akte aus ihrem Koffer. Sie nahm die Informationen, die sie brauchte, heraus und klatschte die Akte auf den Schreibtisch. »Moreno ist gewalttätig. Er hat sich mein Handy geschnappt und es zerstört. Ich habe ihn die Teile aufsammeln lassen. Er könnte ein Teil davon versteckt haben und es als Waffe benutzen. Geh nicht allein zu ihm rein.«
»Warum nicht?«, fragte Brad und hob sein Kinn. »Du hast es doch auch getan, oder?«
»Das war heute Morgen«, sagte Carolyn und seufzte. »Er sitzt seit halb zehn in diesem Kabuff und schmort vor sich hin. Darüber wird er nicht begeistert sein.«
»Er ist ein kleiner mieser Kerl, ein Stück Hundescheiße«, entgegnete Brad. »Wenn er mir Ärger macht, wische ich den Boden mit ihm auf.«
Brad ging neben Bobby Kirsh durch den Gefängnistrakt. Seiner Meinung nach hatte es Raphael Moreno nicht verdient weiterzuleben. Richter sollten mit Schrotflinten bewaffnet sein und Mörder direkt im Gerichtssaal erschießen dürfen. Oder sie auf dem Parkplatz von Ralph’s Supermarkt aufhängen. Dann würden es sich Gewaltverbrecher wie Moreno vielleicht zweimal überlegen, ehe sie Menschen ausraubten oder umbrachten. Zurzeit wurden Kriminelle vom staatlichen Rechtssystem geradezu verhätschelt. Alle hatten Rechte, nur die Opfer nicht. Welche Rechte hatte das sechs Monate alte Baby, das Moreno getötet hatte?
Durch das Fenster des Vernehmungszimmers sah er einen schmächtigen Latino am Tisch sitzen.
»Was ist das auf dem Boden?«, fragte er.
»Urin«, sagte Bobby und hob eine Braue. »Sullivan hat angeordnet, dass er da drin schmort. Soll ich den Raum säubern lassen, ehe Sie reingehen?«
»Nein«, sagte Brad, da er lieber den Gestank ertragen wollte, als noch mehr Zeit zu vergeuden.
Im Strafvollzug war Carolyn berühmt für ihr Geschick im Umgang mit Straftätern. Irgendwie brachte sie die Gefangenen immer zum Reden. Ein Delinquent war wegen eines bewaffneten Raubüberfalls verurteilt worden, und sie hatte ihm das zusätzliche Geständnis entlockt, dass er in Alabama seine Frau getötet hatte. Niemand wusste, wie sie das schaffte.
Brad holte tief Luft, als müsste er eine hundert Kilo schwere Hantel stemmen und befahl: »Machen Sie diese verdammte Tür auf.«
Der Gestank von menschlichen Exkrementen war Übelkeit erregend. Ehe Brad sich setzte, prüfte er, ob Moreno nicht auf den Stuhl geschissen hatte. Dann nahm er den silberfarbenen Mikrorekorder aus seiner Tasche, legte ihn mitten auf den Tisch und drückte die Aufnahmetaste. »Officer Brad Preston, Ventura County CSA«, sagte er. »Angeklagter ist Raphael Moreno, Fall-Nummer A856392.«
Er starrte Moreno an und wartete, ob der Kerl von sich aus reden würde. Da er schwieg, fing Brad mit der Vernehmung an.
»Möchten Sie mir sagen, warum Sie diese Menschen getötet haben?«
Morenos Augen verengten sich zu Schlitzen. Schweiß strömte ihm übers Gesicht. Sein Hemd war klatschnass. Hier drin sind mindestens vierzig Grad, dachte Brad und wischte sich über die Stirn.
»Sie müssen nicht reden, wenn Sie nicht wollen«, fuhr Brad fort. »Wahrscheinlich glauben Sie, es gebe keinen Grund, mit uns zu kooperieren, weil Ihr Strafmaß bereits feststeht. Das könnte ein Irrtum sein. Wenn Sie keine Reue wegen der Taten zeigen, die Sie begangen haben, ist es zweifelhaft, ob Sie je wieder aus dem Gefängnis entlassen werden. Sie sind noch jung. Und es besteht die Chance, dass Sie nach Verbüßung einer angemessenen Strafe auf Bewährung freikommen.«
Brad merkte, dass er Carolyns Verhörstil imitierte – wickle den Delinquenten mit Versprechungen ein, um ihn aus der Reserve zu locken. Aber er teilte nicht ihre Meinung, dass der Bewährungsausschuss jede rechtliche Möglichkeit ausschöpfte, damit Strafgefangene so früh wie möglich entlassen werden konnten. Sie hatte allerdings Recht, was das Strafmaß betraf. Als der Richter für Moreno eine Strafe von vierundachtzig Jahren Gefängnis ansetzte, hatte er es unterlassen, ihn darauf hinzuweisen, dass er nach der Hälfte der Zeit einen Antrag auf Freilassung auf Bewährung stellen konnte. Würde der Richter den gleichzeitigen anstatt den aufeinander folgenden Vollzug aller Straftaten anordnen, könnte Moreno durchaus schon nach sechs Jahren entlassen werden. Und den Opfern sollte immer der Termin einer frühestmöglichen Entlassung des Täters mitgeteilt werden. Aber die Gerichte hielten sich nicht daran.
Was Moreno betraf, war es zweifelhaft, dass der Bewährungsausschuss ihm – auch bei vorbildlicher Führung – einen Erlass seiner vollen Strafe gewähren würde. Hätte er eine Gangsterbande umgelegt, stünden seine Chancen besser. Die Schwere eines Verbrechens wurde nicht nur danach beurteilt, wie jemand getötet, sondern auch wer getötet worden war. Morenos Mutter und Schwester fielen dabei nicht besonders ins Gewicht. Seine nächsten Verwandten, ein paar Cousins, lebten in einem Dorf in Mexiko. Die Hartfields hingegen waren eine Familie aus der Mittelschicht gewesen. Ihre Verwandten und Freunde würden bei jeder Anhörung vor dem Bewährungsausschuss anwesend sein.
Brad warf frustriert einen Blick auf seine Armbanduhr. Es war fast halb fünf, und Moreno hatte sich weder bewegt noch ein Wort von sich gegeben. Carolyn hatte in dieser Hinsicht mehr Geduld als er.
»Hör mir gut zu, du Mistkerl!«, sagte er und beugte sich vor, damit er Moreno in die Augen sehen konnte. »Mit dir vergeude ich nur meine Zeit. Außerdem stinkst du. Was ist los mit dir? Hast du in die Hose geschissen, wie ein Baby? Deine Mutter kann dir ja den Arsch nicht mehr abwischen, weil du ihr den Kopf abgeschnitten hast.«
Als Moreno wieder nicht reagierte, stand Brad auf, schleuderte den Plastikstuhl an die Wand und drückte den Summer neben der Tür.
Es passierte blitzschnell.
Moreno sprang auf, hob den Arm, schwang seine Fußfessel mit ungeheurer Kraft und knallte sie dem Bewährungshelfer in den Rücken.
Brad brach zusammen. Sein Körper blockierte die Tür. Er konnte nur mühsam atmen. »Hilfe«, keuchte er und hob schützend die Arme über den Kopf. »Holt mich hier raus! Herrgott, holt mich hier raus.«
Er spürte einen Druck an seiner Seite. Die Wächter versuchten, die Tür zu öffnen. Da war Moreno mit einem Satz bei ihm und setzte sich rittlings auf ihn.
»Niemand redet über meine Mutter, comprende?«, zischte er. Sein Körper zitterte vor Wut. Er griff Brad zwischen die Beine und drückte fest zu. »Hätte ich ein Messer, würde ich dir deine verdammten Eier abschneiden und sie fressen. Aber du hast keine Eier. Du hast nur ein großes Maul.«
Da packte Bobby Moreno am Arm, und Norm Baxter verpasste ihm eine Ladung aus der Gaspistole. Morenos Körper zuckte krampfartig und wurde dann schlaff. Die beiden Vollzugsbeamten zerrten Moreno aus dem Raum. Der Sergeant befahl ihnen, den Häftling zurück in seine Einzelzelle zu bringen.
Brad kroch auf allen vieren in eine Ecke. Bobby kniete sich neben ihn und sagte keuchend: »Die Ambulanz ist schon unterwegs. Wo hat er Sie getroffen?«
»Im Rücken«, sagte Brad und bewegte seine Zehen. Es tat verdammt weh, aber er war nicht gelähmt. »Wie konnte er sich von den Fesseln befreien?«
»Dieser Scheißkerl ist so gelenkig wie ein Schlangenmensch«, sagte der Sergeant und blickte zu Baxter hoch. Dann hob er die Handschellen und die Fußfesseln auf und zeigte sie Brad und dem Deputy. »Die Metallringe konnte er nicht sprengen und die Fesseln saßen nicht zu locker. Seht nur, wie klein die Ringe für Arme und Beine sind. Er hat seine Hände zusammengepresst und die Fesseln einfach abgestreift.«
»Ich habe so was mal im Fernsehen gesehen«, warf einer der Deputys sichtlich fasziniert ein. »Diese Typen können sogar ihre Knochen zusammenklappen.«
Brad fand das gar nicht komisch und fuhr den Sergeant an: »Warum habt ihr mir nicht gesagt, dass dieser Kerl ein Schlangenmensch ist?«
»Weil wir es nicht gewusst haben«, sagte Bobby. »Bisher hat das noch kein Gefangener geschafft. Scheiße, womit sollen wir den Kerl denn fesseln? Er befreit sich doch aus allen Stricken und Eisen. Wir können ihn nicht ständig in seiner Zelle einsperren. Er muss zum Gericht, in den Krankentrakt oder ins Besucherzimmer gebracht werden.« Er schwieg kurz und gab Baxter die Fesseln, ehe er fortfuhr: »Ich glaube, Carolyn hat Recht mit ihrer Methode. Ich hatte schon die Nase voll von ihren Tricks, aber dieser hat gewirkt. Sie hat sich nicht davon abbringen lassen, dass wir mehr über diesen Kerl erfahren müssen. Würde sie ihm hart genug zusetzen, würde er garantiert die Beherrschung verlieren. Sie hat ihn den ganzen Tag hier drin schmoren lassen, und wir mussten sogar die Temperatur in dem Raum erhöhen. Ihr haben wir es zu verdanken, dass dieser Mistkerl nicht fliehen konnte und wieder rumrennt und Menschen umbringt. Wahrscheinlich hatte er einen Fluchtversuch während des Transports im Bus zum Gefängnis geplant. Und wir wissen doch, wen er als Erstes aufgesucht hätte, nicht wahr?«
»Wen denn?«, sagte Brad und fragte sich, wie lange er wohl noch hier auf dem Boden liegen und höllische Schmerzen ertragen musste.
»Carolyn Sullivan.«