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Kapitel 5
ОглавлениеDonnerstag, 23. Dezember, 15.04 Uhr
»Wo ist Bobby?«, fragte Carolyn und trat ans Fenster der Wachhabenden im Gefängnis.
»Warten Sie«, sagte Joe Powell. »Ich hole ihn.«
Veronica hatte mit den meisten Verwandten der Familie Hartfield – bis auf Mrs. Hartfields Schwester – Kontakt aufgenommen, es jedoch versäumt, den wichtigsten Teil der Ermittlung durchzuführen: die Vernehmung von Raphael Moreno. Dafür hatte Carolyn nur eine Erklärung: dass Veronica in ihrem Zustand dieses Verbrechen wegen seiner Grausamkeit nicht ertragen konnte.
Nachdem sie Brad über den Stand der Ermittlungen in Kenntnis gesetzt hatte, hatte Carolyn die Fakten aus Veronicas Notizen zusammengestellt und einen Bericht diktiert. Dieser Teil setzte sich aus Verhaftungsprotokollen, Ergebnissen der Spurensicherung und der forensischen Abteilung zusammen. Bei Verbrechen dieser Größenordnung konnte ein Bericht bis zu fünfzig Seiten umfassen. Davon hatte Veronica erst vier Seiten geschrieben. Doch da sich der Delinquent in sieben Anklagepunkten des Totschlags für schuldig erklären durfte, existierte keine vorläufige Anklageschrift. Carolyn konnte sich nur auf die Polizeiprotokolle und das Beweismaterial stützen. Und allein Raphael Moreno konnte ihnen Aufschluss über den tatsächlichen Tathergang geben.
Carolyn hatte zwar Verständnis für Veronicas Situation, fand jedoch, dass ihre Freundin und Kollegin nachlässig gehandelt hatte, weil ihr Desinteresse an der Aufklärung dieses Falls von mangelndem Respekt den Opfern gegenüber zeugte. Es wäre akzeptabel gewesen, hätte sie wenigstens versucht, Moreno zu einer Aussage zu bewegen. Gerichts- Und Bewährungshelfer, die nicht in der Lage waren, sich mit Verbrechern und den Folgen ihrer Verbrechen auseinander zu setzen, hatten ihren Beruf verfehlt.
Kurz nach Mittag hatte Carolyn mit Sergeant Bobby Kirsh gesprochen und dann beschlossen, Moreno noch ein paar Stunden schmoren zu lassen.
»Er hat sich nicht einmal gerührt?«, fragte sie, als Bobbys rasierter Schädel hinter dem Fenster auftauchte. »Während der ganzen Zeit ist nichts passiert? Er wollte nicht aufs Klo oder etwas zu essen? Er sitzt seit über fünf Stunden in diesem Kabuff.«
»Hören Sie«, entgegnete Bobby. »Ich habe Ihnen doch gesagt, dieser Kerl ist mir unheimlich. Er hat nicht einmal mit der Wimper gezuckt und sitzt noch genauso da wie vorher.«
»Hm«, sagte Carolyn und überlegte, was sie als Nächstes tun sollte. »Ich möchte mit den Männern reden, die er angegriffen hat.«
»Auf keinen Fall«, antwortete Bobby. Seine dunklen Augen funkelten vor Wut. »Die ganze Anstalt ist deswegen in Aufruhr. Ein paar Häftlinge stiften Unruhe, und wenn noch etwas passiert, fliegt mir alles um die Ohren. Ich kann Sie nicht davon abhalten, Moreno noch einmal zu befragen. Aber damit hat sich’s, Carolyn. Sie haben keine Befugnis, mit den Häftlingen zu reden, die Moreno so übel zugerichtet hat.«
»Legen Sie ihn auf Eis, Bobby.«
»Nein!«, sagte der Sergeant mit steinerner Miene. »Was ist nur los mit Ihnen, Carolyn? Sind Sie lebensmüde, oder was? Wenn Sie ihn nicht jetzt gleich noch einmal vernehmen, bringen wir ihn in seine Einzelzelle zurück.«
Carolyn berührte den Sergeant leicht am Arm. »Ich habe den ganzen Tag Autopsieberichte gelesen«, sagte sie leise. »Demnach wird Moreno nicht den Rest seines Lebens hinter Gittern verbringen. Dies ist unsere letzte Chance herauszufinden, warum er diese Taten begangen hat und wer seine Kontaktleute draußen sind. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er die Hartfield-Familie nur umgebracht hat, um sich in Sicherheit zu bringen. Nicht die Polizei hat Moreno verhaftet, sondern er hat sich von ihr verhaften lassen.«
»Warum haben die Typen von der Mordkommission das nicht gemerkt?«
»Weil sie zu nahe an dem Fall dran waren.«
»Na, wenn das keine wilden Spekulationen sind«, sagte der Sergeant und lachte nervös.
»Moreno hatte keine Angst vor den Cops, Bobby«, fuhr Carolyn unbeirrt fort. »Jemand war hinter ihm her. Wie viele Massenmörder kennen Sie, die die Polizei zu ihrem Versteck führen?«
»Ich kenne überhaupt keine Massenmörder.«
»Jetzt kennen Sie einen.«
»Ich gebe Ihnen eine Stunde.«
»Bringen Sie mich zu ihm«, sagte Carolyn und ging zu der Tür, die ins Gefängnis führte.
»Ich dachte, Sie wollten ihn jetzt nicht sehen.«
»Dass ich nicht mit ihm reden will, heißt nicht, dass ich ihn nicht sehen will«, sagte Carolyn.
Schweigend machten sich die beiden auf den Weg. Der Sergeant sah Carolyn ein paar Mal von der Seite an, als wollte er etwas sagen, hielt jedoch den Mund, als er merkte, dass sie tief in Gedanken versunken war. Vor der Tür zum Vernehmungszimmer angekommen, klopfte sie ans Fenster. Moreno blickte auf, ein Flackern in seinen Augen zeigte, dass er sie erkannt hatte. Dann schnitt er eine Grimasse. Carolyn lächelte fröhlich und winkte ihm zu. Unter dem Tisch schimmerte eine Pfütze. Er muss wohl in die Hose gepinkelt haben, dachte sie.
Bobby zerrte sie vom Fenster weg. »Sie reizen diesen Mann bis zur Weißglut«, herrschte er Carolyn an. »Lassen Sie sich hier nicht mehr sehen. Wenn es nach mir geht, kriegen Sie Moreno nicht mehr zu Gesicht. Es ist vorbei, Sullivan.«
Carolyn ging auf Bobbys Gerede nicht ein, sondern ließ den Blick über den Gang schweifen, ehe sie fragte: »Sind die drei Zellen und das Vernehmungszimmer an dasselbe Klima-und Heizsystem angeschlossen?«
»Nein«, antwortete Norm Baxter, ein junger dunkelhaariger Deputy neben ihr. »Die Temperatur im Vernehmungszimmer wird mit dem linken Thermostat geregelt. Da drin ist es immer stickig, weil der Raum so klein ist.«
»Gut«, sagte Carolyn. »Erhöhen Sie die Temperatur.«
Noch ehe Bobby darauf reagieren konnte, machte sich Carolyn auf den Rückweg. Als sie einen Blick über die Schulter warf, sah sie den Sergeant kopfschüttelnd dastehen, während der Deputy das Kästchen mit dem Temperaturregler an der Wand aufsperrte. »Danke, Bobby«, rief sie. Die Tatsache, dass sie bereit war, ihr Leben zu riskieren, um einen Mörder zu einer Aussage zu bewegen, hatte ihn schließlich beeindruckt.
Hank Sawyer saß bei einem frühen Abendessen im Denny’s und schwatzte mit Betty, der hübschen blonden Bedienung, als sein Handy klingelte und die Zentrale einen Mord am 1003 Seaport Drive meldete.
Der Detective war sechsundvierzig, knapp einsachtzig groß und hatte lichter werdendes braunes Haar und einen geröteten Teint. Seine zehn Kilo Übergewicht hatten sich hauptsächlich als Rettungsring um die Taille angesammelt.
Hank Sawyer war ein gewitzter und hoch geschätzter Ermittler. Bei der Festnahme eines Mörders vor mehreren Jahren war er durch einen Schuss in den Unterleib schwer verletzt worden, hatte jedoch schon drei Wochen später wieder seinen Dienst angetreten.
Vier Streifenwagen standen vor dem Haus, als Hank am Seaport Drive ankam. Schaulustige beobachteten vom Bürgersteig und den angrenzenden Rasenflächen das Geschehen. Trevor White und ein Officer namens Daryl Montgomery sperrten den Tatort mit gelbem Polizeiband ab.
Als Hank Detective Mary Stevens hinter einem der Küchenfenster entdeckte, ging er ins Haus. Mary war sechsunddreißig, eine sehr attraktive Frau und die einzige Beamtin bei der Mordkommission. Schwarze Locken fielen ihr bis auf die Schultern. Sie hatte einen schlanken Hals und eine wunderschöne honigfarbene Haut. Über ihren Jeans trug sie wie üblich das rote Hemd, das sie immer in ihrem Auto hatte. Mary nannte es ihr »Mordhemd«, und Hank musste zugeben, dass sie darin an einem von Beamten wimmelnden Tatort leichter zu finden war.
»Was haben Sie bisher herausgefunden?«
»Das Opfer heißt Suzanne Porter. Weiß, fünfunddreißig, einssechzig groß und zweiundfünfzig Kilo schwer. Zuletzt wurde sie von dem neunzehnjährigen Sohn ihrer Nachbarn gesehen. Der Ehemann kam von der Arbeit und fand sie nirgends im Haus.«
Mary unterbrach sich kurz und rief einem der Männer von der Spurensicherung zu: »Nehmt alles mit – Bestecke, Geschirr, Töpfe und Pfannen. Oh, und vergesst nicht, den Geschirrspüler auszuräumen.«
»Sieht sehr ordentlich aus, wie?«, sagte Hank und sah sich in der blitzsauberen Küche um.
»Zu sauber«, entgegnete Mary, streifte ein Gummiband von ihrem Handgelenk und raffte ihr Haar zum Pferdeschwanz zusammen. »Damit meine ich den Mörder, nicht das Opfer. Es gibt keine Anzeichen eines Kampfs. Keine Fingerabdrücke. Er muss Handschuhe getragen und alles abgewischt haben, um sicherzugehen, keine Spuren zu hinterlassen. Mr. Porter hat die Leiche im Garten hinter dem Haus gefunden, als er gegen vier heimkam. Keine Verletzungen, nur ein Einstich im linken Arm. Todesursache könnte eine tödliche Injektion gewesen sein. Natürlich wissen wir das erst, wenn der toxikologische Befund vorliegt. Nackt, bis auf BH und Slip.«
»Hat sich der Täter gewaltsam Zutritt verschafft?«
»Das Schloss der äußeren Garagentür wurde geknackt. Sehr schlau, wirklich. Die meisten Leute sichern ihre Garagen nicht mit einer Alarmanlage.«
»Und wie ist er ins Haus gekommen?«, fragte Hank.
»Ganz einfach. Suzanne Porter muss die innere Tür aufgemacht haben. Hier handelt es sich nicht um einen Einbruch, Sarge. Mr. Porter sagt, soweit er es überblicken könne, fehle nichts. Und hier gibt es etliche wertvolle Sachen – Fernseher, Computer, Schmuck, Silber.«
»Könnte sie an einer Überdosis Drogen gestorben sein?«
»Das halte ich nicht für wahrscheinlich«, sagte Mary und massierte ihre linke Schulter. »Wenn Sie die Leiche sehen, werden Sie verstehen, was ich meine. Nur ein Einstich im linken Arm. Kaum zu glauben, dass die Lady eines Morgens aufgewacht ist und beschlossen hat, sich Drogen zu spritzen. Ihr Mann sagt, sie joggte jeden Tag, rauchte nicht, trank nicht und achtete auf ihr Gewicht. Sehen Sie sich doch nur dieses Haus an, Hank. Sie hatte nicht einmal Kinder, die hier herumtollten. Ihr Mann sieht gut aus und ist erfolgreich. Die meisten Frauen würden wer weiß was geben, um so leben zu können.«
»Gibt es Zeugen?«, fragte Hank.
»Wir hatten noch keine Zeit, alle Nachbarn zu befragen. Die Frau im Haus gegenüber hat gegen elf in der Küche Geschirr gespült und durch das Fenster einen Motorradfahrer um den Block kreisen sehen. Es sei ein rot-schwarzes Motorrad gewesen, sagte sie. Wir haben ihr ein paar Fotos gezeigt, und sie hat auf eine Yamaha gedeutet.«
»Konnte sie den Fahrer beschreiben?«
»Er trug eine schwarze Lederkluft und einen Sturzhelm mit Visier. Kein Kennzeichen am Motorrad. Es könnte jemand aus der Nachbarschaft gewesen sein. Wir müssen die Leute erst befragen. Die meisten waren nicht zu Hause.«
»Haben Sie das Motorrad in die Fahndung gegeben?«
»Ja«, sagte Mary und geriet allmählich ins Schwitzen. »Ich habe auch dafür gesorgt, dass Charley Young benachrichtigt wird. Das Büro des Coroners sagte mir, er müsse in einer halben Stunde hier sein. Was machen wir mit der Presse?«
»So lange hinhalten wie möglich. Wo ist der Ehemann?«
»Er sitzt in Scott Underwoods Streifenwagen. Soll er zur Vernehmung aufs Revier gebracht werden?«
»Noch nicht«, sagte Hank und ging nach draußen, um sich die von mehreren Beamten abgeschirmte Leiche anzusehen. Er ging neben ihr in die Hocke und entfernte die Segeltuchplane. Suzanne Porters Gesichtsausdruck war friedlich, als sei sie gerade eingeschlafen. Sie war eine hübsche Frau, hatte dunkles Haar, fein geschnittene Gesichtszüge und eine reine Haut. Jetzt verstand er, was Mary gemeint hatte. Ihr Körper ließ auf eine ausgezeichnete physische Kondition schließen. Hank setzte seine Lesebrille auf, streifte Handschuhe über, hob ihren linken Arm hoch und musterte die Einstichstelle. Sie sieht so harmlos aus, dachte er, wie ein Moskitostich. Das letzte Mal, als mir Blut abgenommen wurde, hat mich die Arzthelferin dreimal gestochen. Wenn ihr der Mörder die tödliche Injektion verpasst hat, wie Mary vermutet, dann hat er genau gewusst, wo er die Nadel ansetzen muss. Bis auf ein paar Kratzer auf der Stirn konnte er keine weiteren Wunden oder blaue Flecken entdecken.
Der Detective ging ins Haus zurück und in den ersten Stock hinauf. Nach einem Mord verändert sich die Atmosphäre in einem Haus. Sie wird still und tot wie das Opfer, ganz gleich, wie viele Beamte darin nach Beweismaterial suchen. Im Schlafzimmer hob er einen Untersetzer vom Tisch und ließ ihn wieder fallen. Wie von einem Magneten angezogen, fiel er auf dieselbe Stelle. Eine der Kommodenschubladen war halb herausgezogen und voll gestopft mit teuren Dessous. Welche Frau läuft mitten am Tag in sexy Unterwäsche herum?, fragte sich Hank. Vielleicht hatte sie einen Liebhaber und war vom Ehemann in flagranti ertappt worden. Das wäre ein Motiv für den Mord. Ich muss Mr. Porter im Auge behalten.
Die anderen Zimmer waren spärlich möbliert. Wahrscheinlich ist das Haus mit einer hohen Hypothek belastet, dachte er. Zu hoch für ein noch so junges Paar. Es muss über eine Million wert sein. Er ging zum Fenster und schaute hinaus. Das Grundstück lag auf der falschen Seite der Straße. Es hatte keinen Ausblick aufs Meer, sondern auf andere Häuser und das Gebirge. Er senkte den geschätzten Wert auf achthunderttausend.
Als Hank ins Badezimmer ging, stieg ihm der Duft von Eau de Cologne oder einem anderen kosmetischen Artikel in die Nase. In der Dusche entdeckte er eine Flasche KMS Velocity Shampoo und roch daran. Das war der Duft. Der Mord war erst vor kurzem geschehen. Das Opfer oder der Täter hatte geduscht und sich die Haare gewaschen. Mit dem Finger fischte er ein Knäuel feuchter dunkler Haare aus dem Abfluss.
Er hob den Deckel der Toilette hoch. Das Porzellan roch nach Bleichmittel. Der Handgriff aus Chromstahl war blank poliert. Kein Schmutzfleck darauf. Irgendetwas war hier passiert, das fühlte er. Den Kopf halb in die Kloschüssel gesteckt, entdeckte er am unteren Rand etwas Grünes und einen roten Streifen. Sofort lief er auf den Flur und befahl einem der Männer von der Spurensicherung: »Gehen Sie ins Bad. Ich glaube, sie hat ins Klo gekotzt. Kratzen Sie die Reste ab und schicken Sie sie ins Labor.«
»Sieht wie Salatreste aus«, sagte der Mann nach einem Blick in die Kloschüssel und holte eine Probenschale aus seiner Tasche.
Hank ging nach unten und auf die Terrasse hinaus. Die Latten der Überdachung waren geöffnet und ließen Sonne und Regen hindurch. Auf dem Boden sah er einen Gegenstand liegen und hob ihn auf. Er sah aus wie ein kleiner Deckel.
»He«, sagte er und packte einen der Männer von der Spurensicherung am Arm. »Was könnte das sein?«
»Sieht aus wie der Schutzdeckel eines Objektivs«, sagte der Mann und streckte die Hand danach aus. »Der ist wohl jemandem aus der Tasche gefallen.«
»Geben Sie’s zum Beweismaterial«, sagte Hank. »Vielleicht hat der Mörder Fotos als Souvenir gemacht.«
Da tauchte Mary neben ihm auf. »Charley hat angerufen. In einer Viertelstunde müsste er hier sein.« Durch die Glasschiebetür ließ sie den Blick durchs Wohnzimmer schweifen. Ein Streifenpolizist stellte ein Team für die Befragung der Nachbarn zusammen.
Hank ging mit ihr ans Ende der Terrasse, damit sie nicht ständig von anderen Beamten gestört wurden. Aus seiner Jackentasche nahm er einen Zahnstocher, entfernte die Hülle und steckte ihn sich zwischen die Zähne. Vor vier Jahren hatte er mit dem Rauchen aufgehört und bis vor einem Jahr Kaugummi gekaut. Ohne etwas im Mund konnte er sich nicht konzentrieren. Total oral fixiert. Diese Fixierung hätte er gern auf Mary übertragen, aber sie war für ihn unerreichbar.
»Möchten Sie Kaffee?«, fragte Mary und hielt ihm einen Pappbecher hin. »Er schmeckt zwar abscheulich, aber es gibt eine Menge davon.«
»Nöö«, sagte Hank und legte eine Hand auf seinen Magen. »Sagen Sie Scott, er soll Mr. Porter zum Revier fahren. Sie wissen doch, dass Vernon der Dienstältere ist. Captain Holmes wird ihn als zweiten Ermittlungsbeamten einsetzen.«
Mary breitete die Arme aus und trat einen Schritt beiseite, um ihn vorbeizulassen, und folgte ihm ins Haus. »Vernon ist nicht hier«, sagte sie. »Er hat seinen Pager ausgeschaltet. Gehört sich das für einen Detective der Mordkommission? Außerdem habe ich gehört, dass er sich zum FBI versetzen lassen will. Wenn Sie Vernon die Leitung überlassen, rückt hier Morgen eine Karawane von FBI-Agenten an.«
Womit sie Recht hat, dachte Hank. Auch er mochte Vernon Edgewell nicht. Dem Mann fehlte jede Selbstmotivation, und wenn ihm nicht gesagt wurde, was er tun sollte, tat er gar nichts. Obwohl ihm als Streifenpolizist ein Dutzend Auszeichnungen verliehen worden waren, erfüllte er die an einen Detective gestellten Anforderungen nicht. Er brauchte den Direkteinsatz auf der Straße, während bei der Mordkommission Geduld unerlässlich war. Bis auf größere Fälle wie diesen arbeiteten die meisten Detectives allein und verbohrten sich in einen Fall, bis sie ihn entweder gelöst hatten oder zu den Akten legten. Doch ein Mann wie Vernon könnte einen Fall vermasseln und damit durchkommen. Der Captain wies Vernon immer wieder Fälle zu, damit er ihn endlich feuern konnte, wenn er einen in den Sand setzte.
Obwohl Vernon ein erbärmlicher Detective war, lagen dem FBI wärmste Empfehlungen vor. So funktionierte das im Staatsdienst. Ein Vorgesetzter konnte einen inkompetenten Officer innerhalb der Behörde versetzen lassen, ging dabei jedoch das Risiko ein, ein paar Jahre später unter ihm arbeiten zu müssen. Ihn deshalb zu einer anderen Behörde abzuschieben ging schneller und war weniger kompliziert.
Mary hingegen hatte Erfahrung im Streifendienst, ein beinahe fotografisches Gedächtnis und war engagiert. Sie würde an einem Fall dranbleiben, bis sie tot umfiel.
»Sie sind dabei«, sagte Hank zu ihr. »Ich sag’s dem Captain. Es wäre gut, wenn an diesem Fall eine Frau mitarbeitet.«
»Eine Frau oder ein guter Detective?«, sagte Mary und boxte ihn in die Schulter. »Eines Tages werde ich Ihnen Ihren sexistischen weißen Arsch versohlen.«
»Na klar«, sagte Hank und drängte sich an ihr vorbei nach draußen.