Читать книгу Kein Geld ist auch (k)eine Lösung - Natalie Weckwarth - Страница 11

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„Ich brauche Ihre Hilfe nicht. Ich komme nämlich sehr gut allein zurecht!“

Ich werde es schaffen!

Endlich glaube ich wieder daran. Es hätte viel schlimmer kommen können, sage ich mir. Man stelle sich vor, meine Miesen würden in die Zehntausende gehen. Dann hätte ich wirklich ein Problem gehabt. So wird sich schon irgendein Ausweg finden lassen.

Gleich nach unserem klärenden Gespräch ist Tim zum Geldautomaten gefahren und hat mir die fünfhundert für die Miete besorgt. Anschließend haben wir uns zusammengesetzt und darüber beratschlagt, wie es nun weitergehen soll. Es war ein richtig cooles, kreatives Brainstorming. Wir haben eine Mindmap gemacht und so was. Echt, es hat fast Spaß gemacht. Gut, solche Vorschläge wie „mit der Sparkasse reden“ und „sich einen genauen Überblick über die ausstehenden Rechnungen verschaffen“ fand ich jetzt nicht so brauchbar. Aber Tim hat mir versprochen, sich zu überlegen, wie wir das Geld zusammenkriegen. Das hat ausgereicht, um meine Laune fürs Erste aus dem Kellerloch zu befreien, in dem sie sich in den letzten Tagen verbarrikadiert hatte.

Sogar Simon bemerkt mein Stimmungshoch am Montag und will wissen, ob ich am Wochenende Designerschuhe im Ein-Euro-Laden erstanden hätte.

„Viel besser“, antworte ich geheimnisvoll und lasse ihn über den wahren Grund im Unklaren.

Wieder zuhause läute ich Sturm bei Herrn Schlüter, bevor er mich abfangen kann. Wenigstens einmal will ich ihm zuvorkommen.

„Entschuldigen Sie die Störung“, lächele ich ihn breit an, nachdem er mir mit mürrischem Gesicht die Tür geöffnet hat. „Ich wollte Ihnen nur schnell die Miete vorbeibringen“, flöte ich weiter und drücke ihm den Umschlag mit dem Geldbündel in die Hand.

Misstrauisch runzelt er die Stirn und wirft einen Blick in das Kuvert. Zugegeben, es hat schon was, sein verdattertes Gesicht zu sehen, als er die Scheine sieht und feststellt, dass kein einziger Cent fehlt.

„Das war's auch schon“, sage ich dann eilig, bevor er sich noch etwas anderes einfallen lassen kann, das er mir vorhalten kann, und flitze die Treppen hinauf.

„Das war aber das letzte Mal, dass ich so lange Geduld hatte“, ruft er mir hinterher.

Klar. Er muss einfach das letzte Wort haben.

Zurück oben bei mir läutet wieder einmal das Telefon. Aus Angst, die Nervensäge von der Sparkasse könne einen erneuten Versuch starten, mich zu einem Gespräch zu nötigen, nähere ich mich dem Hörer wie einem wilden Tier, um erst einmal einen vorsichtigen Blick auf die angezeigte Nummer zu werfen. Zum Glück ist es nur Tim.

„Und, wie sieht's aus?“, fragt er. „Hast du die Miete bezahlt?“

„Nein, ich habe mir von den fünfhundert Euro eine Louis-Vuitton-Tasche gekauft.“

„Was?“

Ich stöhne auf. „Das war ein Witz. Natürlich habe ich sie bezahlt! Was denkst du denn von mir?“

„Na ja, so abwegig wäre das jetzt nicht gewesen ...“

„Tim!“

Er lacht. „Nichts für ungut. Ich wollte nur sichergehen.“

„Deshalb hast du angerufen? Um zu kontrollieren, ob ich dein Geld nicht verprasst habe?“, frage ich leicht gekränkt.

„Blödsinn. Ich habe eine gute Nachricht für dich. Hast du schon mit der Sparkasse gesprochen?“

„Tja ... also ...“

„Also nein“, kontert er folgerichtig.

„Weißt du, ich werde mir sehr genau überlegen müssen, was ich denen sagen werde.“

„Und?“

„Daran arbeite ich noch.“

„Verstehe“, sagt er mit einem Grinsen in der Stimme. „Ich kann dich beruhigen, du musst vielleicht gar nicht mit ihnen reden. Jedenfalls nicht allein.“

„Du willst mitkommen?“, frage ich aufgeregt.

Mein Bruder ist ein Schatz! Ich wusste, ich kann mich auf ihn verlassen.

„Nein, nicht ich.“

Meine Begeisterung verfliegt augenblicklich. „Sondern?“

„Pass auf, ich habe gestern noch mal nachgedacht, und da ist mir was eingefallen, worauf ich vorher nicht gekommen bin. Ich weiß jetzt, wer dir helfen kann.“

„Und wer soll das sein?“

Vielleicht hat er ein Spendenkonto für mich eingerichtet und im Internet einen Aufruf gestartet. Mia braucht dich! Mit jedem Cent kannst du helfen! Hey, eine coole Idee. Vielleicht sollte ich das selbst in Angriff nehmen.

„Ein Bekannter von mir. Ich kenne ihn aus Unizeiten. Früher war er mein Tutor. Rate mal, was er jetzt beruflich macht.“

Offen gesagt, ist es mir ziemlich egal. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, was irgendein oller Professor, der mal Tutor meines Bruders war – was auch immer das sein soll –, für einen tollen Job haben soll, der mir irgendetwas nützen könnte.

„Keine Ahnung. Sag's einfach.“

„Er ist Schuldnerberater!“, platzt er triumphierend hervor.

Der Funken Hoffnung auf baldige Rettung in mir erlischt. Ein Schuldnerberater! Was soll ich denn damit? Kann der etwa Geld herzaubern? Wohl eher nicht.

„Und?“, leiere ich. „Will er mir das Geld geben?“

„Natürlich nicht! Er kann dir sagen, wie du deine Schulden loswirst. Dazu sind Leute wie er da, weißt du“, erklärt er spöttisch.

„Tim, ich brauche niemanden, der mir Finanztipps gibt, ich brauche Geld! Und zwar am besten schon gestern.“

Anscheinend hat er überhaupt nicht begriffen, worum es geht. Schuldnerberater, also echt. Wir sind doch hier nicht bei RTL!

„Das ist mir klar“, lenkt er nun etwas verständnisvoller ein. „Nur wirst du nicht an das Geld kommen, bevor du deine Miesen nicht reduziert hast. Er kann dir erklären, wie das funktioniert. Und er verhandelt mit Gläubigern. Das heißt, er könnte bei der Sparkasse ein gutes Wort für dich einlegen.“ Beim Stichwort Sparkasse werde ich wieder hellhörig.

„Das willst du doch, oder?“, hakt er nach.

„Nichts mehr als das!“

„Na also. Und hier kommt die zweite gute Nachricht: Ich habe schon mit ihm gesprochen und ihm ein bisschen von deinem Problem erzählt.“

Wie bitte?

„Hinter meinem Rücken?! Ohne es mit mir abzusprechen?“

Ich glaube, ich spinne!

„Krieg dich wieder ein. Ich spreche es jetzt mit dir ab.“

„Aber ...“

„Das ist sein Job. Er hört den ganzen Tag nichts anderes. Außerdem habe ich keine Einzelheiten erwähnt.“

„Toll“, grummele ich. „Und weiter?“

„Er würde sich mal mit dir unterhalten, wenn du einverstanden bist.“

„Nein, bin ich nicht.“

„Mia! Du solltest das Angebot wirklich annehmen. Er kennt sich aus damit. Abgesehen davon könntest du mir ruhig ein bisschen dankbar sein. Ich habe meine Kontakte für dich spielen lassen. Normalerweise ist er komplett ausgebucht. Du hast keine Ahnung, was die bei der Schuldnerberatungsstelle für lange Wartelisten haben. Er würde extra für dich eine Ausnahme machen und sich außerhalb seiner Arbeitszeiten mit dir treffen, weil ich ihm gesagt habe, wie viel mir daran liegt, dir zu helfen. Also bitte! Rede mit ihm.“

„Ich weiß nicht.“

„Mir zuliebe!“

Mann, das ist nicht fair. Das ist emotionale Erpressung!

Meine inneren Widerstände fangen an zu bröckeln. Tim hat diesen Kerl nur für mich kontaktiert. Bin ich es ihm nicht schuldig, ihm den Gefallen zu tun, mich beraten zu lassen?

„Was soll der ganze Spaß denn kosten?“, brumme ich.

Aus purer Nächstenliebe hilft einem heutzutage schließlich niemand mehr, und das Geld dafür habe ich genauso wenig wie für alles andere.

„Selbstverständlich gar nichts“, lacht Tim. „Es wäre ein bisschen absurd, für eine Schuldnerberatung Geld zu verlangen, oder?“

„Wovon lebt der Mann dann? Von Luft und Liebe?“

„Er wird von der Beratungsstelle bezahlt, in der er arbeitet. Aber das ist doch auch völlig egal. Also was ist, machst du es?“

Solange es mich nichts kostet, habe ich eigentlich nichts zu verlieren. Ich könnte mir zumindest mal anhören, ob er brauchbare Tipps auf Lager hat.

„Meinetwegen“, gebe ich nach.

„Super! Glaub mir, das wird dir echt was bringen.“

„Hoffen wir es“, seufze ich. „Dann gib mir mal seine Nummer, ich ruf ihn an. Wie heißt der Typ?“

„Die brauchst du nicht“, sagt er. „Ich hab schon alles geregelt. Du triffst ihn morgen Abend um sieben. Hier bei uns.“

Das wird ja immer besser.

„Warum bei euch zuhause?“

„Damit du nicht auf die Idee kommst, einfach nicht hinzugehen.“

„Das würde ich nie tun!“, behaupte ich.

„Nein, natürlich nicht“, höhnt er.

„Okay, wie du willst. Ich komme.“

„Gut. Siehst du, ich hab immer gewusst, du würdest eines Tages vernünftig werden“, scherzt er.

Aber als ich auflege, habe ich das ungute Gefühl, dass ich in meinem Leben schon vernünftigere Entscheidungen getroffen habe, als einen Schuldnerberater zu konsultieren.

*

Natürlich komme ich zu spät. Dabei wollte ich gerade das unbedingt vermeiden. Der erste Eindruck zählt schließlich, und zum ersten Gespräch nicht pünktlich zu erscheinen kommt bei dem Beratungsheini bestimmt nicht gut an. Schuld daran ist wie üblich die berüchtigte Kleiderfrage. Bei dem Versuch, ein passendes Outfit zu finden, das seriös, aber nicht overdressed wirkt, ist die Zeit nur so verflogen. Plötzlich war es zehn vor sieben, und ich stand noch immer bloß in Unterwäsche vor dem Spiegel. Kurzerhand bin ich in eine schwarze Jeans, eine hellblaue Bluse und beige Ballerinas geschlüpft, und nun fahre ich seit zehn Minuten vor Tims Haus auf und ab und finde keinen Parkplatz. Die Uhr zeigt zwanzig nach sieben. Falls Tims Ex-Tutor nicht eine Engelsgeduld besitzt, dürfte ich bereits jetzt unten durch bei ihm sein. Das nenne ich gute Voraussetzungen.

Endlich entdecke ich eine winzige Parklücke zehn Hausnummern weiter. In einem halsbrecherischen Manöver setze ich den Mitsubishi zwischen die beiden anderen Autos und renne die letzten Meter zum Hauseingang. Mein Puls rast, und das nicht nur wegen des Sprints. Ich bin seltsam nervös. Zum ersten Mal werde ich mit einer fremden Person über mein Geldproblem sprechen, und mir schwant, das wird kein Zuckerschlecken. In meiner Vorstellung sehe ich einen korpulenten, ältlichen Herrn mit grauem Vollbart vor mir sitzen, der mich tadelnd über den Rand seiner goldgerahmten Gleitsichtbrille ansieht. Die Szene in meinen Gedanken hat ein bisschen was von Gott am Tag des Jüngsten Gerichts. Und ich komme in die Hölle ...

Mutlos betätige ich die Klingel. Tim öffnet mir sofort. Im Gegensatz zu Samstag sieht er diesmal ausgeschlafener aus und ist vor allem deutlich besser angezogen. In dem schwarzen Hemd und der tiefblauen Jeans wirkt er regelrecht respekteinflößend. Anscheinend bin ich nicht die einzige, die sich anlässlich dieses Termins etwas zurechtgemacht hat, denke ich, was nicht unbedingt zu meiner Erleichterung beiträgt. Das Ganze hat etwas extrem Förmliches und Erwachsenes an sich, und das schüchtert mich irgendwie ein.

„Na endlich!“, zischt er. „Wo warst du denn so lange?“

„Berufsverkehr“, schwindele ich und trete in den Flur. „Ist er schon da?“, flüstere ich ein wenig ängstlich.

„Seit einer halben Stunde“, setzt er mich vorwurfsvoll in Kenntnis.

Ich schlucke schwer.

„Komm mit. Wir sind im Wohnzimmer.“

Ich folge ihm mit weichen Knien. Dann mal rein ins Vergnügen.

„So, hier ist sie endlich“, sagt Tim und zieht mich förmlich ins Wohnzimmer. „Das ist Mia.“

Bei meinem Eintreten entdecke ich zuerst Carolin, die am Couchtisch steht und gerade jemandem ein Glas Mineralwasser einschüttet. Dann erblicke ich die Person, die sich in diesem Moment vom Sofa erhebt.

Ganz gleich, wie abwegig meine Vorstellung auch gewesen sein mag, nichts hätte mich mehr überraschen können als das. Vor mir steht nicht etwa ein ergrauter, schmerbäuchiger Uniprofessor, sondern ein dunkelblonder, schlanker Typ, kaum älter als ich. Die Tatsache, dass der Mann gut dreißig Jahre jünger ist als erwartet, bringt mich völlig aus dem Konzept, sodass ich ihn nur dümmlich anstarre. Statt meiner ergreift er die Initiative, indem er auf mich zukommt und mir die Hand entgegenstreckt.

„Hallo. Jan von Nettesheim. Freut mich, Sie kennenzulernen.“

Bedauernd stelle ich fest, schon wieder einem Anhänger der Siez-Fraktion begegnet zu sein, weswegen ich die Gelegenheit verpasse, seine Hand entgegenzunehmen.

„Mia?“, reißt Tim mich aus meinen Gedanken, der mich anklagend von der Seite anblickt.

Endlich löse ich mich aus meiner Starre. „Sie sind der Schuldenberater?“

„Schuldnerberater“, korrigiert er mich und lässt seine Hand entmutigt sinken. „Und ja. Deswegen bin ich hier.“

Fragend schaue ich zu Tim. „Hast du nicht gesagt, er wäre dein Tutor gewesen?“, flüstere ich ihm zu.

„Das war er auch“, raunt er gereizt zurück. Offenbar schämt er sich meinetwegen gerade in Grund und Boden.

Okay, anscheinend habe ich eine völlig falsche Auffassung davon gehabt, was ein Tutor ist. Ich habe nicht lang genug studiert, um es herauszufinden. Zuhause werde ich Wikipedia zu Rate ziehen.

Verlegen räuspere ich mich. „Entschuldigung.“ Artig halte ich ihm nun doch meine Hand hin. „Ich war ein wenig überrascht. Ich hatte Sie mir älter vorgestellt.“

Beim zweiten Versuch bekommen wir das mit dem Handschlag hin. Er drückt kurz und kräftig zu. „Älter?“, fragt er verwirrt.

„Ja. Tim hat gesagt ...“

„Sie hat da wohl was missverstanden“, unterbricht Tim mich und schickt ein künstliches Lachen hinterher.

„Aha“, sagt er relativ desinteressiert.

Überhaupt hat er bis jetzt noch keine Miene verzogen. Dafür stelle ich bei genauerer Betrachtung fest, dass er unbestreitbar gut aussähe, würde er sich mehr Mühe geben. Womit ich nicht sagen will, dass er ungepflegt ist. Ganz im Gegenteil. Eher zu gepflegt. Er trägt ein weißes Hemd, das bis obenhin zugeknöpft ist, darüber einen grauen Anzug, der sitzt wie maßgeschneidert. Seine schwarzweiß-gestreifte Krawatte hängt so gerade herunter, als sei sie mithilfe einer Wasserwaage gebunden worden. Und die schwarzen Schuhe hat er heute entweder zum ersten Mal an, oder sie werden täglich geputzt. Ehrlich gesagt, tippe ich auf Letzteres. Zu dieser peniblen Aufmachung bilden seine Haare einen geradezu krassen Gegensatz. Sie sind gekonnt auf ungestylt gestylt und deshalb so durcheinander, als würde er sich ständig hindurchraufen. Vielleicht tut er das tatsächlich. Das wäre zumindest eine Erklärung für seinen freudlosen Gesichtsausdruck. Er sieht aus wie jemand, der sich in seinem Leben schon zu viele Sorgen gemacht hat. Alles in allem macht er einen ziemlich langweiligen Eindruck, was bei seinem Job auch nicht wirklich verwundert. Das einzig Interessante an ihm sind seine Augen. Einen solchen Grünton habe ich noch nie gesehen. Er erinnert mich an Smaragde. Doch so emotionslos, wie er mich damit ansieht, kann auch ihre ungewöhnliche Farbe nichts mehr wettmachen.

„Tja, also“, setze ich an, nachdem ich ihn etwas zu lang gemustert habe, „vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben herzukommen. Sie sind viel beschäftigt, habe ich gehört.“

„Keine Ursache. Ich hoffe, ich kann Ihnen weiterhelfen.“

„Einen Versuch ist es zumindest wert“, lache ich.

Er lacht nicht mit.

„Gut, wie wär's, wenn wir zwei euch allein lassen? Dann könnt ihr euch in Ruhe unterhalten“, schlägt Carolin vor, die unsere eher peinliche Begrüßungsszene von der Seite aus beobachtet hat.

„Meinetwegen“, sage ich, und auch mein Gegenüber nickt zustimmend.

Mein Bruder und meine Schwägerin verlassen beinahe fluchtartig den Raum und schließen die Tür hinter sich, wobei ich wetten könnte, sie bleiben dahinter stehen und lauschen. Etwas unbeholfen stehen wir voreinander.

Er deutet aufs Sofa. „Setzen wir uns?“

„Klar.“

Wir lassen uns nieder.

„Äh, hören Sie“, sage ich, „tut mir leid, dass ich gerade etwas ... seltsam reagiert habe. Ich hatte wohl so eine Art Peter Zwegat erwartet“, kichere ich.

„Die Sendung hat wenig mit der Realität zu tun“, erwidert er, ohne auch nur zu lächeln.

Wieder komme ich mir albern vor und stelle mein Giggeln ein. „Verstehe.“

„In Ordnung. Ihr Bruder hat mir schon ein wenig über Ihre Situation erzählt, aber es wäre gut, wenn Sie mir noch einmal selbst schildern könnten, worum es geht.“

Du meine Güte, der legt ja ein Tempo vor. Müssen wir gleich zum Punkt kommen? Ich hatte gehofft, wir könnten zuerst ein wenig Smalltalk betreiben.

Ich schlucke. „Sicher. Ich habe mein Konto überzogen, meine Kreditkarten wurden gesperrt, und zuhause habe ich ein paar Dutzend unbezahlter Rechnungen herumliegen.“

Einen Augenblick lang sieht er mich abwartend an.

„Im Grunde war's das auch schon“, füge ich hinzu.

Er räuspert sich, dann greift er zu seiner Aktentasche und holt einen Notizblock und einen Kugelschreiber hervor. „Könnten Sie ein wenig konkreter werden? Wie hoch sind Ihre Schulden genau?“

Himmel, geht der ran. Hat er kein Taktgefühl? Die unangenehmsten Fragen gleich zu Beginn stellen, das ist nicht gerade die feine englische Art, Mr. Schuldnerberater. Hätten wir uns nicht erst ein bisschen kennenlernen können?

„Die Sache ist die: So genau weiß ich es nicht.“

„Sie wissen es nicht?“, fragt er stirnrunzelnd.

„Na ja ... schätzungsweise belaufen sie sich auf rund achttausend Euro. Plus, minus fünfhundert.“

Er kritzelt die Zahlen auf den Block. „Nun gut, das ist immerhin ein Anhaltspunkt. Wissen Sie, wie viele Gläubiger Sie haben und wie viel Sie ihnen jeweils schulden?“

Allmählich wird mir das hier echt zu intim. Was will er als Nächstes wissen? Wie der Pin-Code für meine EC-Karte lautet?

„Ziemlich viele“, erkläre ich vage.

„Mehr als zehn?“

Ich lache auf. Dann kapiere ich, dass es gar kein Witz sein sollte.

„Äh, ja. Mehr als zehn.“

„Schätzen Sie.“

„Fünfzig vielleicht?“, murmele ich kleinlaut.

Erstaunlicherweise scheint ihn das nicht im Mindesten zu schockieren. Ungerührt schreibt er auch diese Zahl auf. „Das macht die Sache natürlich etwas unübersichtlich“, konstatiert er nüchtern.

Ich nicke schuldbewusst.

„Sie haben von Ihren Kreditkarten gesprochen. Wie lange können Sie schon nicht mehr damit bezahlen?“

Dieses Frage-Antwort-Spiel wird mir langsam zu dumm. Davon werde ich meine Schulden ganz sicher nicht los. Und überhaupt – was soll das Ganze eigentlich?

„Entschuldigen Sie“, übergehe ich seine letzte Frage, „wozu wollen Sie das alles wissen?“

„Was meinen Sie?“

„Na, ich dachte, Sie sind hier, um mir irgendwelche Finanztipps zu geben oder so. Was spielen meine Kreditkarten da für eine Rolle?“

Irritiert blinzelte er mich einen Moment an. Schließlich klickt er die Miene zurück in den Kugelschreiber und legt ihn ab. „Wissen Sie, wie eine Schuldnerberatung abläuft?“

„Sie schreiben meine Ein- und Ausgaben auf ein Flipchart, reden mit ein paar Leuten von der Bank, damit sie mir meine Schulden erlassen, Sie gehen wieder nach Hause, und alle sind glücklich und zufrieden?“, witzele ich in Anspielung auf RTL's Schulden-Doku-Soap.

Er zieht die linke Augenbraue hoch. „Es ist ein klein wenig anders, Frau Herrlich.“

Sein Tonfall lässt mir das Grinsen vergehen. Mit jemandem, der mich „Frau Herrlich“ nennt, ist vermutlich nicht zu scherzen.

„Natürlich verschaffe ich mir erst einmal einen Überblick über die Lage, da haben Sie schon recht. Aber damit ist es nicht getan. Und es geht auch nicht um Finanztipps, wie Sie es nennen. Wenn ich Ihnen helfen soll, muss ich wissen, womit ich es zu tun habe. Damit ich mir eine Vorgehensweise für Sie überlegen kann.“

„Klingt nach einer längerfristigen Angelegenheit“, bemerke ich zögerlich.

„In der Regel steht man so lange miteinander in Kontakt, bis die Schulden getilgt sind oder sich zumindest in einem tragbaren Rahmen befinden, ja.“ Er nimmt den Kugelschreiber wieder auf. „Deshalb die Fragen. Wie sieht es nun aus mit Ihren Kreditkarten?“

„Äh, Moment mal“, schreite ich noch einmal ein. „Und was ist, wenn ich das gar nicht will?“

Wieder schaut er mich fragend an. „Ich war davon ausgegangen, Sie hätten sich bereits dazu entschieden, die Beratung in Anspruch zu nehmen.“

Da ist er aber von einer ziemlich falschen Annahmen ausgegangen.

„Ich dachte, ich lerne Sie erst mal kennen, und danach entscheide ich mich“, erkläre ich ihm.

„Und?“

„Was und?“

„Haben Sie sich entschieden – jetzt, wo Sie mich kennen?“

Tz. Er hat ein seltsames Verständnis von „kennen“. Das hier kann man ja kaum eine flüchtige Begegnung nennen.

„Geben Sie mir noch fünf Minuten, dann kann ich vielleicht ein Urteil abgeben“, erwidere ich ironisch.

„Bitte, wie Sie wollen“, sagt er ungerührt und packt seinen Block wieder ein. „Angesichts Ihrer Situation würde ich Ihnen zu einer schnellen Entscheidung raten.“

Was soll das denn nun wieder heißen?

„Wollen Sie damit andeuten, ich hätte keine andere Wahl?“

„Natürlich haben Sie eine Wahl“, entgegnet er beim Aufstehen. Will wohl keine Zeit verschwenden, der gute Mann. „Ich würde Ihnen die Beratung allerdings dringend empfehlen. Es sei denn, Sie wissen selbst, wie Sie von Ihren Schulden herunterkommen. Aber ...“

„Aber was?“

„Tim hat gesagt, das wäre eher nicht der Fall.“

Fassungslos schnappe ich nach Luft. Das ist ja wohl die Höhe! Mich hinter meinem Rücken als unfähig hinzustellen – das ist echt das Letzte! Das hat mein feiner Herr Bruder sich so gedacht, dass er nach der Pfeife dieses zugeknöpften Schuldnerberaters tanze, der wahrscheinlich schon im Anzug zur Welt gekommen ist. Da hat er sich geschnitten! Dem werde ich zeigen, wie ich von meinen Schulden herunterkomme.

„Wissen Sie was“, sage ich und erhebe mich ebenfalls, „ich habe mich gerade entschieden. Danke für Ihr Angebot, aber ich brauche Ihre Hilfe nicht. Ich komme nämlich sehr gut allein zurecht!“

Er zuckt unmerklich die Schultern. „Wie Sie meinen.“ Aus der Innentasche seines Jacketts zieht er eine Visitenkarte. „Falls Sie es sich anderes überlegen, können Sie mich gerne anrufen.“

Aus Höflichkeit nehme ich sie entgegen, nicht weil ich vorhabe, wirklich davon Gebrauch zu machen. „Das wird nicht nötig sein, Herr von ...“

Verdammt, ich habe ein irre schlechtes Namensgedächtnis. Hastig schaue ich auf die Karte.

„... Nettesheim“, sagen wir beide gleichzeitig.

Flüchtig lächele ich ihm zu. Er erwidert es nicht. Himmel, ich bin noch nie einem so humorlosen Menschen begegnet.

„War nett, Sie kennenzulernen“, schwindele ich und marschiere schnurstracks zur Wohnzimmertür.

Als ich sie öffne, fallen mir Tim und Carolin beinahe entgegen. Habe ich es doch gewusst!

„Ihr seid schon fertig?“, fragt Carolin, ohne sich für ihr unangemessenes Verhalten zu entschuldigen.

„Wir haben alles geklärt“, antworte ich und werfe Tim einen eisigen Blick zu. „Ich brauche keinen Schuldnerberater.“

„Wie? Du hast doch gesagt ...“

„Da wusste ich auch noch nicht, dass du ihm erzählt hast, ich wäre zu blöd, das allein in den Griff zu kriegen.“

„Das habe ich gar nicht!“, protestiert er und sieht hilflos zu seinem Uni-Freund, der hinter mir im Türrahmen aufgetaucht ist. „Stimmt doch, oder? So was habe ich nie behauptet.“

Ehe dieser sich dazu äußern kann, winke ich ab. „Ist mir auch egal. Ich weiß, dass ihr mir das nicht zutraut, aber ich werde es schon hinkriegen. Du wirst du sehen, ich schaffe es. Auch ohne dich!“

Damit rausche ich an den dreien vorbei und verlasse das Haus, ohne mich zu verabschieden. Die werden sich noch wundern. Ich kann vielleicht nicht besonders gut mit Geld umgehen. Deswegen bin ich noch lange nicht auf fremde Hilfe angewiesen. Von den paar roten Zahlen auf meinem Konto lasse ich mich nicht einschüchtern. Ich werde es schaffen, ganz sicher!

Kein Geld ist auch (k)eine Lösung

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