Читать книгу Kein Geld ist auch (k)eine Lösung - Natalie Weckwarth - Страница 9

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„Es ist wirklich dringend! Anderenfalls müssen wir gewisse Maßnahmen ergreifen.“

Ich brauche Geld, und zwar schnell!

Wenn mein Vermieter schon damit droht, mir das warme Wasser abzustellen, ist die Lage möglicherweise ernster als gedacht. Zum Glück habe ich den Lottoschein.

Aufgeregt wie ein kleines Mädchen, das an Heiligabend darauf wartet, von seinen Eltern ins Wohnzimmer gerufen zu werden, um all die Geschenke unter dem Christbaum auspacken zu dürfen, schaue ich am Mittwochabend die Tagesschau und warte auf die Verkündung der aktuellen Ziehung.

„Und hier die Lottozahlen für Mittwoch, den elften Mai“, sagt die Sprecherin. „Eins, zwanzig, vierundzwanzig, sechsundzwanzig, siebenundzwanzig, vierzig. Zusatzzahl achtzehn. Die Superzahl ist vier.“

Wie bitte?! Was sind denn das für Zahlen? Welcher vernünftige Mensch auf Erden würde vier Zahlen im Zwanziger-Bereich tippen? Das gibt es nicht!! Verstört greife ich zu meinem Schein, obgleich ich mich ziemlich genau zu erinnern glaube, nicht diese absurde Kombination angekreuzt zu haben. Und meine Ahnung bestätigt sich. Ich habe keine einzige Zahl richtig getippt! Ist das zu glauben?! Das kann nicht mit rechten Dingen zugehen. Wieder und wieder vergleiche ich meinen Schein mit den Nummern auf dem Bildschirm. Das Ergebnis bleibt dasselbe. Ich gehe leer aus. Komplett leer. Ohne einen einzelnen Cent. Das lässt mich fast eine Verschwörung vermuten. Erst Georg, der mich um meine wohlverdiente Gehaltserhöhung bringt, und jetzt das. Da bemühe ich mich, meine finanzielle Krise in den Griff zu bekommen, und dann werden mir nur Steine in den Weg gelegt. Gerechtigkeit ist etwas anderes!

Wütend schalte ich den Fernseher aus. Entweder tippe ich am Samstag noch einmal und hoffe auf ein Wunder, oder ich lasse mir etwas einfallen, das nicht vom Schicksal abhängig ist ...

*

Der Geistesblitz lässt auf sich warten. Am Donnerstag nach der Arbeit bin ich genauso ratlos wie all die Tage zuvor. Deprimiert hänge ich meine Tasche an die Garderobe und erhasche dabei einen kurzen Blick auf mein Spiegelbild. Meine Sorgen sind mir förmlich ins Gesicht geschrieben. Ich erkenne mich kaum wieder. Bisher war ich stolz auf mein geordnetes, unabhängiges Leben. Ich habe es genossen, tun zu können, worauf ich Lust habe, und mir all das kaufen zu können, wonach mir dir Sinn steht, weil ich jung bin und auf niemanden außer mich selbst Rücksicht nehmen muss. Wenn mich je jemand gefragt hätte, was ich gerne ändern würde, hätte ich ihm geantwortet: gar nichts. Ich war rundum zufrieden mit dem Leben, das ich führte.

Und jetzt?

Jetzt ist mein ach so tolles Leben dabei, den Bach runterzugehen, und alles nur wegen ein paar Anschaffungen, die ich mir in Wahrheit nicht leisten konnte. Allmählich sickern die Fakten in meinen Verstand: Diesmal kann ich die Angelegenheit nicht verdrängen, so wie ich es gerne mit allen Unannehmlichkeiten tue, die das Leben zu bieten hat. Einfach vergessen, nicht drüber nachdenken, unter den Teppich kehren (oder in der Schublade verstecken) – darin bin ich gut. In den meisten Fällen klappt das auch ziemlich gut. Lästige Stolpersteine, die einem in den Weg gelegt werden, zu ignorieren erspart einem jede Menge Stress und Ärger. Das Heimtückische daran ist nur, dass sie sich mit der Zeit ansammeln, größer werden und eine ganze Mauer bilden, die unübersehbar ist. Verschließt man dann vor ihr die Augen, läuft man früher oder später mit voller Wucht dagegen, und das wird dann in jedem Fall sehr, sehr schmerzhaft.

Die gesperrten Kreditkarten, die ungeöffneten Rechnungen, der Brief von der Sparkasse – das alles war so ein schmerzhafter Zusammenstoß. Und ich fürchte, es war trotz allem nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was mir blüht, wenn die Mauer erst einmal komplett über mir einstürzt. Niedergeschlagen schaue ich mich selbst an und warte auf eine Erleuchtung. Nachdem ich mich einige Minuten lang angestarrt habe, weiß ich auch nicht mehr, außer, dass ich dringend meine Strähnchen nachfärben lassen müsste.

Mit hängenden Schultern wende ich mich ab und überlege, ob ich in die Stadt fahren und ein paar Klamottenläden durchstöbern soll. Bloß so zur Aufheiterung. Ein bisschen anprobieren. Ich muss ja nicht gleich etwas kaufen. Oder nur eine Klitzekleinigkeit. Was Reduziertes zum Beispiel. Ja, das klingt gut. Meine Laune hebt sich sofort enorm. Ich will gerade wieder zu meiner Tasche greifen, als das Telefon klingelt. Widerwillig gehe ich ran.

Es ist Svenja.

„Du hast dich gar nicht mehr gemeldet. Da wollte ich mal hören, wie es bei der Bank war. Hast du etwas erreichen können?“, erkundigt sie sich.

Schluck.

In dem ganzen Tohuwabohu der letzten Tage habe ich Svenja völlig vergessen. Dabei wollte sie unbedingt auf den neusten Stand gebracht werden.

„Ach, stimmt. Ich wollte dich anrufen“, schinde ich erst einmal Zeit.

„Kein Problem. Also, wie ist es gelaufen?“

„Na ja, also ... die Bank hatte am Samstag schon geschlossen.“

„Dann warst du am Montag da?“

„Da hatte ich keine Zeit.“

„Und am Dienstag?“

„Weißt du ...“ Ich stocke.

Am anderen Ende höre ich ein leises Seufzen. „Warst du überhaupt dort?“

Nach einer kurzen Bedenkpause, ob ich ihr die Wahrheit sagen soll, entscheide ich mich für ein ehrliches: „Noch nicht.“

„Warum nicht?“

„Wie gesagt, ich hatte diese Woche wahnsinnig viel zu tun, und ...“

„Am Samstag warst du ganz aus dem Häuschen deswegen und plötzlich sind dir andere Dinge wichtiger?“

„Nicht direkt wichtiger. Es ist nur so ... Ich habe mir überlegt, ich könnte auch einfach so schnell wie möglich mein Konto wieder ausgleichen, dann erübrigt sich das Problem ohnehin, oder nicht?“

„Dann musst du trotzdem mit der Bank sprechen. Sie müssen dir die Karten wieder freischalten. Außerdem musst du für das überzogene Limit Zinsen zahlen.“

Großartig. Noch mehr Geld, das ich nicht habe.

„Ja, mag sein. Aber das mache ich lieber, wenn ich wieder flüssig bin.“

„Und wann wird das sein?“

Sie kann ziemlich hartnäckig sein, fällt mir gerade wieder ein. Ihr die Wahrheit zu sagen war vielleicht keine so glanzvoll Idee.

„Das kommt ganz drauf an.“

„Worauf?“

Oh Mann, sie hätte besser Anwältin werden sollen. Ich komme mir vor wie bei einem Verhör.

„Tja ... hast du zufällig gerade fünftausend Euro parat, die du mir leihen kannst?“

Entsetzt beiße ich mir auf die Lippen, sobald der Satz meinen Mund verlassen hat. Mist! Ich wollte sie doch nicht fragen!

„Du hast dein Konto um fünftausend Euro überzogen?“, fragt sie leicht schockiert.

„Fast.“

Die unbezahlten Rechnungen und Mahnungen, die dazukommen, erwähne ich jetzt besser nicht. Zu viel der Wahrheit verkraftet sie womöglich nicht.

„Und du willst deswegen nichts unternehmen?!“

„Selbstverständlich will ich das. Ich muss nur irgendwie versuchen, an das Geld zu kommen, dann ...“

„'Nur' ist gut“, unterbricht sie mich. „Das sind nicht gerade Peanuts.“

„Schon. Deswegen dachte ich ...“ Was soll's? Ich habe sowieso schon zu viel gesagt. „... du könntest mir eventuell ... etwas unter die Arme greifen.“

Wieder seufzt sie kurz. „Mia, das würde ich gerne, aber um ehrlich zu sein, bin ich selbst zurzeit knapp bei Kasse. Wegen der Kanzlei, weißt du? Ich habe zwar noch das Sparkonto, aber das Geld würde ich lieber behalten, bis ich sicher sein kann, dass die Kanzlei gut läuft.“

Natürlich. Ich habe es gewusst. Hätte ich nur meinen Mund gehalten!

„Klar!“, sage ich eilig. „Vergiss es einfach.“

„Du weißt, ich würde dir jederzeit helfen. Nur im Moment ...“

„Ist schon okay, wirklich!“, beteuere ich. „Es wäre mir sowieso unangenehm gewesen, etwas von dir anzunehmen. Mir fällt schon etwas anderes ein.“

Obwohl ich mir da mittlerweile nicht mehr so sicher bin.

„Du bist also nicht sauer?“

„Auf keinen Fall!“

„Hör zu, geh zur Bank und rede mit denen. Ich bin mir sicher, sie finden eine Lösung für dich. Vielleicht kannst du einen Kredit aufnehmen und dein Konto damit ausgleichen.“

Bevor ich Svenja meine Ansichten über die Verhandlungsbereitschaft von Menschen, die in einer Bank arbeiten, mitteilen kann, höre ich ein Anklopfen in der Leitung.

„Du, Svenja, ich muss Schluss machen. Da versucht jemand, mich zu erreichen.“

„Ach so, okay. Dann geh schnell dran. Wir telefonieren die Tage noch mal, ja?“

„Klar, bis dann.“

Ich drücke sie weg und nehme den zweiten Anruf an.

„Herrlich?“, melde ich mich.

„Stadtsparkasse Altenkirchen. Stefan Grothe, guten Tag.“

Ich schwöre, mir bleibt das Herz stehen. Sie haben mich. Ich bin geliefert!

„Gu-guten Tag“, bringe ich nach einer gefühlten Ewigkeit krächzend hervor.

„Frau Herrlich, es geht um Ihren Dispokredit. Wir hatten Sie diesbezüglich vor Kurzem angeschrieben, aber leider keine Rückmeldung erhalten.“

Während er spricht, höre ich gar nicht richtig hin. Meine Gedanken rasen. Was soll ich tun? Spontan fällt mir nur eins ein.

„Verwählt“, sage ich kurzatmig und lege auf.

Das Blut rauscht in meinen Ohren, und ich höre das dumpfe Pochen meines Herzschlags. So einen Schrecken habe ich nicht mehr bekommen, seit ich dachte, mir sei mein Valentino-Mantel gestohlen worden. Er hing dann aber zum Glück nur unter einer anderen Jacke an der Garderobe des Restaurants versteckt. Ich habe mich noch nicht wieder erholt, da klingelt das Telefon erneut. Als würde ich noch einmal drangehen. Für wie blöd hält der mich? Leider ist Stefan Grothe beharrlich. Er lässt es mindestens zwanzigmal schellen, bevor er aufgibt, nur um eine Minute später mit dem Telefonterror von vorne zu beginnen. Diesmal erscheint eine andere Nummer im Display. Ich werde stutzig. Ein Trick? Oder tatsächlich jemand anders? Meine Neugier ist zu stark.

„Hallo?“, melde ich mich mit verstellter Stimme. Nur für den Fall.

„noch mal Grothe hier.“

Argh!!

„Sie haben sich eben mit Herrlich gemeldet, Frau Herrlich. Ich kann mich also gar nicht verwählt haben.“

Shit! Der Kerl ist clever.

„Ich meinte: bei Herrlich“, piepse ich. „Hier ist die Schwester. Kann ich Frau Herrlich etwas ausrichten?“

„Ähm ... ja, also ...“ Grothe ist merklich irritiert.

Ha! Zahlt sich meine Arbeit beim Radio endlich mal aus. Ich kann eben mit meiner Stimme umgehen.

„Sagen Sie ihr bitte, sie soll sich sobald wie möglich mit uns in Verbindung setzen. Am besten, indem sie herkommt.“

„Ich werde es ihr sagen.“

„Es ist wirklich dringend! Anderenfalls müssen wir gewisse Maßnahmen ergreifen“, sagt er unheilschwanger.

Mir wird schwindelig. „Sicher. Ich leite es weiter.“

„Danke. Auf Wiederhören.“

Zitternd lasse ich den Hörer sinken. So viel zum Abwarten. Sie machen ernst! Die kündigen mir das Konto! Und dann? Dann habe ich gar nichts mehr. Nicht mal einen überzogenen Dispo. Der Schweiß tritt mir auf die Stirn. Und dann wird mir endlich klar, dass es keinen anderen Ausweg mehr gibt: Ich brauche Hilfe.

Kein Geld ist auch (k)eine Lösung

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