Читать книгу Die Zuschauer - Nathalie Azoulai - Страница 13

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Sie haben gerade Gilda geschaut, sagt sie zu ihm. Der Bürgersteig am Kinoausgang ist überfüllt mit Menschen, sodass sie nicht sieht, wohin sie tritt. Inmitten der Menge stolpert sie, und stürzt. Er läuft weiter, ohne sich umzudrehen, entfernt sich mit großen Schritten. Sie ruft ihm nach, massiert ihren Knöchel, er aber kommt nicht zurück. Sie steht allein auf, hinkt, holt ihn humpelnd ein. Ohne sie anzublicken, erklärt er, dass Glenn Ford den Launen dieser teuflischen Gilda zu Recht nicht nachgibt und seiner Wege geht. Behandelt man so etwa seine zukünftige Frau, lässt man sie einfach auf den Bürgersteig fallen?, fragt sie, da in wenigen Wochen ihre Heirat bevorsteht. Er blickt sie genauso unerbittlich an, wie er Gilda anblicken würde, wäre sie da, und beschleunigt seinen Schritt. Als sie nach Hause kommt, weint sie nicht, bläst keine Trübsal, hat keine Angst, erzählt sie weiter, drei Monate später einen Tyrannen zu ehelichen. Sie denkt nur an Gildas Kleid, kann nicht aufhören, es vor dem Einschlafen auf den Seiten ihrer Zeitschrift zu betrachten. Ein Kleid ist, was mir von einem Film bleibt, sonst geht man mit leeren Händen hinaus, in dem Gefühl, nur Zeit gekauft zu haben, fügt sie hinzu, höchstens zwei Stunden, bevor das richtige Leben wieder einsetzt. Auf einem der Zeitschriftenfotos hebt sich vom feinen schwarzen Satin ein Etikett aus dickem, weißem Stoff ab: Rita Hayworth, Columbia. Ihre Augen können sich nicht mehr davon lösen; sie weiß nicht, ob es am groben Stoff liegt oder an der wunderbaren Verbindung, die diese drei Namen miteinander eingehen, Rita, Hayworth, Columbia. Und dann entdeckt sie Jean Louis’ Namen. In Amerika, sagt sie, haben die Kostümbildner oft nur Vornamen, Jean Louis, Adrian, Irene, als wären sie Kinder ein und derselben Familie. Ein so aufreizendes Kleid gestatten ihre Eltern dem sechzehnjährigen Mädchen nicht. Sie ist einverstanden, dass man es ihr ohne Schlitz anfertigt und in einem dezenteren Stoff als schwarzem Satin, sie schlägt Krepp vor, Baumwolle, Jersey, eine dickere Schleife, irgendetwas anderes, aber die Schneiderin der Familie blickt ihren Vater an und antwortet, das Problem liege beim Schnitt, nicht beim Stoff. Sofort macht sie die großen Falten geltend, die sich an Ritas Taille bilden, dieser Schnitt sitze gar nicht so gut, wie man glaubt, schauen Sie, sagt sie, hält der Schneiderin ihre Zeitschrift hin und deutet mit dem Zeigefinger darauf, es steht ab und könnte noch mehr abstehen, doch die Schneiderin hat das letzte Wort: Dann wäre es kein Etuikleid mehr. Sie gibt auf und wünscht sich insgeheim, eines Tages ihre eigene Schneiderin zu finden, eine ihr treu ergebene Komplizin, da anscheinend alle großen Schauspielerinnen eine solche haben. Sie blättert um, und als könnte er mit nur einem Wort einen längst erhörten Wunsch erfüllen, spricht er den Vornamen Maria aus.


Die Zuschauer

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