Читать книгу Die Zuschauer - Nathalie Azoulai - Страница 14
ОглавлениеAls die Lieferanten ins Haus kommen, steht sein Vater in der Tür, hat es eilig, muss in die Klinik, wo seine Mutter kurz vor der Entbindung steht. Sie stellen den großen Karton mitten im Wohnzimmer ab. Maria ist nach oben gekommen. Normalerweise wäre er nach unten gegangen, um nicht allein zu bleiben, doch an diesem Tag muss auf das Paket aufgepasst, die Installation überwacht werden. Sein Vater gesellt sich zu ihnen, würde lieber dableiben, als plötzlich im Zimmer eines Entbindungsheims gefangen zu sein, zwischen einer Frau und einem Säugling, verlässt aber schließlich die Wohnung. Maria merkt an, dass sie daheim noch keinen haben, er müsse sehr glücklich sein. Aber wenn man näht, kann man sowieso nicht aufsehen. Es sei schon ein merkwürdiger Zufall, fügt sie hinzu, dass die Lieferung am selben Tag stattfindet wie die Geburt des Kindes, doch sie will ihn nicht fragen, worüber er sich am meisten freut. Die Lieferanten gehen ihr Werkzeug unten aus dem Lastwagen holen. Ständig sagt sie »dein Papa« und »deine Mama«, manchmal auch nur »Papa«, »Mama«, als wären es genauso ihre Eltern, als würde diese Geburt über alle Welt ihre elterlichen Fittiche breiten. Bei seinen Freunden in der Schule beschränkt er sich auf »meine Mutter« oder »mein Vater«, und wenn er jemanden mit nach Hause bringt, ruft er erst gar nicht nach ihnen, hütet sich davor, die einzigen Wörter zu gebrauchen, die ihm annähernd – und wirklich nur annähernd – passend erscheinen, importierte Bastardwörter, jeglicher Vermischung, jeglicher Unbeständigkeit der Sprachen entrissen, mangels Besserem in unaufhebbarer Willkür belassen; Wörter, die er nicht einmal sicher buchstabieren kann: Mummy. Papy. Wörter, die er seinerseits verwandelt, indem er sie amputiert, auf fast nichts reduziert, auf Töne von vager Bedeutung, vokale Anspielungen, an Lautmalerei grenzend, und die er nicht mag: Ma. Pa. Widerspenstige Wörter, kalte Einsilbler, gezückten Messern ähnlich.
Nein, es ist kein Zufall, antwortet er Maria und äfft sie gekünstelt, betont freudig nach, Mama und Papa wollten das Ereignis ja gerade feiern. Ist das nicht ein bisschen viel, gleich doppelter Zuwachs in der Familie?, fragt sie. Hier weiß er keine Antwort mehr, schweigt lieber, richtet seine Augen starr auf den großen Karton und sperrt Maria gedanklich hinein, mitsamt ihren Bemerkungen, ihren unangebrachten Worten, ihren indiskreten Fragen.
Wäre nur Pepito da, Marias Sohn, sie wären beide schon in sein Zimmer gegangen, wo sein Schatz verborgen liegt. Nur Pepito kann sich mit ihm auf den Bauch legen und unter sein Bett kriechen, um den Papierhaufen zu berühren, der, vor Blicken geschützt, seit drei Jahren unter den Sprungfedern des Bettgestells anwächst. Jedes Mal streckt Pepito seine Hand wie nach einem Haufen zarter Federn aus, in der Erwartung, seinem Blick zu begegnen und ihn sagen zu hören, er hat Frankreich gerettet, und dann noch die rasche Hinzufügung, dass auch er Frankreich retten wolle, womit er endlich seine Hand darauf ablegen kann. Und wovor soll es gerettet werden?, fragt Pepito manchmal vorsichtig. Er überlegt, will sich erklären, mögliche Gefahren ausfindig machen, doch mit der Zeit begreift er, dass dies keine Rolle spielt: Wenn die Formulierung wiederkehrt, dann weil sie für sich steht, ganz ohne Begleitumstände. So, wie man Nägel kaut, will man auch Frankreich retten, sagt er einmal, so ist das eben.
Die Installateure klingeln erneut. Er rennt zur Tür, um ihnen zu öffnen. Eine Weile lang – er weiß nicht, ob es Minuten oder Stunden sind – laufen sie im Wohnzimmer hin und her, umrunden den Karton, schließlich den Apparat. Maria bringt kein Wort mehr heraus. Man hört nur den Atem der Männer, die Namen der Werkzeuge, die sie verlangen und einander wie Chirurgen reichen. Er genießt diesen Moment der Stille und Konzentration, diese Verschmelzung von Mensch und Maschine, von Eingeweiden mit Metall, meint den Kern des Fortschritts zu erkennen. Endlich treten sie vor den Apparat und schalten ihn ein. Im selben Augenblick, in dem das Bild aufflackert, klingelt das Telefon. Komödien, Dramen, Melodramen, alles, was das Herz begehrt, zählen die Techniker munter auf.
Maria nimmt den Hörer ab und verkündet ihm, dass er eine kleine Schwester hat.