Читать книгу Die Zuschauer - Nathalie Azoulai - Страница 9

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Man beobachtet sie wie einen Schmetterling, der sich eben erst auf eine Blume gesetzt hat. Alles hält den Atem an, man wartet, dass sie einen Schritt macht, einen ganz kleinen, einen einzigen Schritt. Die drei stehen im Kreis um sie, verharren reglos. Sie blickt nur ihn an. Setzt einen Fuß vor den anderen, doch noch bevor die Ferse den Boden berührt, knickt ihr rechtes Bein ein. Sie versucht, es erneut zu strecken, spannt den Fuß an, aber die Kraft, die sie aufbringt, reicht nicht bis zum Oberschenkel, und das ganze Bein gibt nach. Sie plumpst auf den Po zurück. Ihre Eltern seufzen, schütteln den Kopf, wenden sich ab.

Er nicht.

Er applaudiert ihr, lächelt sie an. Er ermutigt sie, wieder aufzustehen, streckt ihr die Hand entgegen, sagt, komm, nochmal, aber sie nimmt seine Hand nicht. Sie bleibt einige Sekunden im Schneidersitz, dann schwenkt ihr rechtes Bein nach innen, trifft aufs linke und verkeilt sich mit diesem, doch ihr Oberkörper bleibt kerzengerade. Wackelig, in fragilem Gleichgewicht, ist sie drauf und dran, auf die linke Seite zu kippen. Und so geschieht es, sie kippt.

Seine Mutter ist zur Stelle, kniet sich hin, richtet sie auf, dreht das rechte Bein nach außen, doch sobald sie die Hand zurückzieht, rotiert es wieder nach innen. Sie beginnt von vorn, das Bein auch. Ein hektisches Tauziehen setzt ein zwischen der Hand seiner Mutter und dem Knie seiner Schwester. Hör auf, meine Amazone zu ärgern!, sagt er, während er sich ganz dicht an sie schmiegt, direkt über dem Boden, so nah, dass seine Worte vom dicken Teppich geschluckt werden, so wie alles, was er ausspricht, wenn er nicht wirklich – oder nur von ihr – gehört werden will. Dieser Teppich birgt ihre Geheimnisse. Würde er stark genug geschüttelt, gäbe er sie vielleicht preis. Doch zum Glück versucht das niemand.

Er weiß, dass seine Mutter allein schon bei dem Namen Amazone Kinobilder vor sich sieht, Reifröcke an Pferdeflanken. Für einen Augenblick erstrahlt ihr Gesicht, sanft und wohlwollend wie sein eigenes. Dieser Vergleich gefällt ihr besser als der andere, den er manchmal bemüht, wenn er seine Schwester ein Stehaufmännchen nennt.

Sie hat es fast geschafft, sagt er.

Der Arzt sagt, sie soll nicht mehr aufstehen, antwortet sie.

Seid still!, es fängt gleich an, sagt sein Vater.


Die Zuschauer

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