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»Du bist ja total Neunziger!« Warum wir ständig werten und woher unsere Urteile stammen

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Vereinfacht gesagt, beruhen unsere Änderungsansprüche auf der Vorstellung, dass wir selbst zu wissen glauben, wie es »richtig« ist. Wir bewerten die Welt um uns herum, stellen fest, dass etwas (oder jemand) nicht so ist, wie wir das erwarten, und ziehen daraus den Schluss, der andere solle sich ändern. Es ist schließlich nur zu seinem Besten! Ironisch überspitzt schildern das die Ärzte in ihrem Song »Junge«, der so beginnt:

»Junge, warum hast du nichts gelernt?

Guck dir den Dieter an, der hat sogar ein Auto.

Warum gehst du nicht zu Onkel Werner in die Werkstatt?

Der gibt dir ’ne Festanstellung, wenn du ihn darum bittest.

(Refrain) Junge – und wie du wieder aussiehst!

Löcher in der Hose und ständig dieser Lärm.

Was sollen die Nachbarn sagen?

Und dann noch deine Haare, da fehlen mir die Worte.

Musst du die denn färben?

Was sollen die Nachbarn sagen?

Nie kommst du nach Hause, wir wissen nicht mehr weiter.«

Das klingt, als ob die Mitglieder der Punk-Band zu Hause einiges zu hören bekommen haben. Aber auch umgekehrt, von Jung zu Alt (oder zumindest Älter), funktioniert die Bewertungskeule. »Das ist ja total Neunziger«, sagte meine damals sechzehnjährige Schwester zu mir, weil ich lieber einmal telefonieren wollte, als WhatsApp-Pingpong zu spielen und Dutzende Nachrichten auszutauschen, um einen simplen Sachverhalt zu klären. Als ich sie nach dem Warum fragte, meinte sie: »Wenn wir schreiben, können wir beide doch erst mal in Ruhe nachdenken, bevor wir antworten.« Kein schlechtes Argument, oder? (Was auch schon wieder eine Wertung ist …) Ob wir wollen oder nicht, wir alle bewerten im Alltag ständig. Wie oft etwa ertappen Sie sich bei Sätzen oder auch Gedanken wie den folgenden:

•»So ein Idiot (Dummkopf, Blödmann, karrieregeiler Mistkerl, Biest, Miststück …)!«

•»Wie kann man nur?!«

•»Also, ich an deiner Stelle würde …«

•»Du solltest besser … «

•»Warum machst du nicht einfach …?!«

•»Du warst ja schon immer … (zögerlich, unvorsichtig, viel zu emotional, viel zu kopfgesteuert usw.)!«

•»Der oder die sollte sich mal ein Beispiel an … nehmen!«

•»Das gehört sich nicht!« (»Das macht man nicht!«)

•»Das ist wieder mal typisch!« oder »… typisch Frau / Mann (Einzelkind / Lehrer / Beamter / Handwerker / Politiker usw.)!«

•»Alle anderen haben aber …«

•»Frau Müller meint auch, dass …« »Die Leute reden schon …« (Das ist die beliebte Variante für Konfliktscheue: sich verstecken hinter anderen.)

•»Du wirst schon sehen, was du davon hast!« »Das wirst du später bereuen.« (= Droh-Variante)

•»Ich hätte nie gedacht, dass du mir / dir das antust!« (= Variante moralische Erpressung)

Warum es Bullshit ist, andere ändern zu wollen

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