Читать книгу For that Moment - Nena Muck - Страница 14
ОглавлениеKapitel 8
Es sind die funkelnden Augen eines kauernden Tigers, die mir den Atem rauben. Voller Angst und einem rätselhaften Verlangen in mir starre ich zurück, während er mich taxiert.
Aus dem Dunkel hinter mir ertönt ein quietschendes Geräusch.
Es sieht aus wie ein verrostetes Eisentor, das in einem schwarzen Hintergrund verschwimmt.
Als es sich öffnet, erfüllt ein dumpfes Pochen die Dunkelheit, und ein leuchtend schlagendes Herz kommt zum Vorschein.
Ich schrecke auf und brauche einen Moment, um mich zu sammeln.
Es war nur ein Traum! Doch auch wenn er eine willkommene Abwechslung zu meinen sonstigen Albträumen war, war er doch verdammt skurril.
Als ich heute Morgen zu Hause angekommen bin, bin ich, so wie ich war, ins Bett gefallen. Und im Moment gibt es eigentlich genau wie jeden Morgen keinen vernünftigen Grund für mich, um überhaupt wieder aufzustehen. Doch nachdem ich, genau wie jeden Morgen, eine Stunde lang an die Decke gestarrt und mich gefragt habe, was aus meinen Leben geworden ist, tue ich es trotzdem.
Daniel hat mir eine kleine Nachricht auf ein Post-it geschrieben, welches er mithilfe eines Fußballmagneten an unserem Kühlschrank befestigt hat.
›Bin beim Spiel.
Wollte dich nicht wecken. Meld dich!‹
Als ich in den Spiegel sehe, stelle ich fest, dass ich genauso aussehe, wie ich mich fühle. Meine Augen sind geschwollen und die Ränder darunter reichen fast bis zu meinem Kinn. Mein Schädel fühlt sich an wie ein Ballon und ich hab solchen Hunger, dass mir davon schon ganz übel ist. Doch ganz egal wie chaotisch und anstrengend der gestrige Tag auch war. Ich hab mich seit so langer Zeit zum ersten Mal wieder wie ein ganz normaler Mensch gefühlt.
Was für die meisten Menschen selbstverständlich ist, doch für mich ist es zu etwas Unerreichbarem geworden. Es ist unmöglich für mich, mich normal zu fühlen und es gibt Augenblicke, in denen ich mich so elend fühle, dass es unmöglich für mich ist, mit normalen Menschen zusammen zu sein.
Heute ist definitiv einer dieser Tage, also ziehe ich mir den größten Pullover an, den ich finden kann, lege mich auf die Couch und verstecke mich vor der Welt.
Als ich durch die verschiedenen Sender zappe, verkrampft sich meine Hand und eine bittere Erinnerung durchfährt mich wie ein Blitz.
Es ist die Erinnerung an den ersten schweren Krampfanfall.
Es ist die Erinnerung an den dunkelsten Tag meines Lebens.
Ich erinnere mich daran, als wäre es gestern gewesen.
Ich schätze, das wird sich auch niemals ändern.
Denn es ist die Erinnerung an den Tag, an dem ich mich verlor.
In dem Moment, als das Wort Tumor zum allerersten Mal fiel, war auch in meinem Kopf zum allerersten Mal vollkommene Stille.
Es fühlte sich an, als hätte jemand den Stecker gezogen und ich würde plötzlich in Zeitlupe leben.
Ich sah, dass der Arzt weiterredete, doch alles was ich hörte, war der monotone Piepton in meinen Ohren. Es war der einsamste Moment in meinem Leben. Meine ganze Welt zerbrach innerhalb von Sekunden und alles, was ich tun konnte, war regungslos dabei zuzusehen.
Genau das bin ich seitdem. Ein Zuschauer!
Ein Zuschauer mit einem Tumor im Hirn, dessen Gefäßwände von Sekunde zu Sekunde poröser werden und es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis sie dem Druck des Bluts darin nicht mehr standhalten können. Es ist eine tickende Zeitbombe.
Eine tickende Zeitbombe, die in dem vergangenen Jahr auf keine Behandlung reagiert hat, sei es nun Bestrahlung oder die diversen chemischen Mittel, die sie in mich reinpumpen.
Man muss kein Arzt sein, um zu wissen, was das bedeutet und ich habe sehr lange gebraucht, um zu begreifen, dass es keine weitere Möglichkeit gibt, mich vor dem zu bewahren, was auf mich zukommen wird.
Es ist 17: 00 Uhr, als Daniel mit einer Pizza in das Wohnzimmer trudelt. Er ist wirklich einer von den wenigen Menschen, dessen Gegenwart mir niemals lästig wird! Bei ihm kann ich sein, wie ich bin!
Er erträgt alle meine Launen und weiß, wann ich meine Ruhe haben will oder was er tun muss, wenn ich einen schlechten Tag hab.
Ich bin wirklich froh, ihn um mich zu haben, und weiß auch, dass es nicht selbstverständlich ist.
Als ich damals nach einem Mitbewohner gesucht hab, habe ich von Anfang an mit offenen Karten gespielt.
Ich habe ihnen meinen Gesundheitszustand geschildert und ihnen erklärt, warum ich nicht allein wohnen kann. Die meisten von ihnen hat das abgeschreckt, doch Daniel hat sofort zugestimmt.
Seitdem hat er mir nicht ein einziges Mal das Gefühl gegeben, eine Belastung für ihn zu sein.
Er ist wirklich das Beste, was mir passieren konnte.
***
Nach einem schnellen Frühstück, inklusive der sechs verschreibungspflichtigen Medikamente, die ich zweimal täglich in mich reinwerfe, beschließe ich, heute anders in den Tag zu starten.
Ich föhne mir die Haare mit einer Rundbürste und verstecke diese dunklen Pandaaugen unter einem Make-up, bevor ich zu meinem Schrank gehe und mir eines meiner Lieblingskleider raussuche.
Es ist cremefarben und mit kleinen bunten Blumen bestickt.
Das eingearbeitete Bustier und der Neckholderverschluss lässt es wie ein Kleid aus den Fünfzigern erscheinen.
Danach wende ich mich meinem Bücherregal zu. Es ist wild gemischt und beherbergt sowohl Klassiker wie Moby Dick als auch neuere Werke von Jojo Moyes und Nicholas Sparks, doch meine Hand greift, wie üblich, zu meinem Lieblingsbuch.
Die Schönen und Verdammten von F. Scott Fitzgerald.
Als ich gedankenverloren über das Buch streiche, fällt mein Blick auf den Zauberer von OZ. Ich sehe es zwei Sekunden unentschlossen an, bevor ich es gemeinsam mit F. Scott Fitzgerald in meinen Rucksack packe.
Es ist ein wunderschöner Tag, deshalb beschließe ich, mich meiner Lieblingsbeschäftigung an der frischen Luft zu widmen.
Ich packe noch ein paar Kekse und eine Decke in meinen Rucksack, wobei mir auffällt, dass die Decke viel zu groß für diesen kleinen Rucksack ist. Er ist rosa und hat an seinem Reißverschluss einen dieser Fellanhänger, die aussehen wie eine Hasenpfote, er ist eher schön als praktisch.
Er war ein Geschenk. Ich persönlich hätte mich sicher für ein anderes Modell entschieden, doch einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul.
Ich klemme mir die Decke also kurzerhand unter den Arm und werfe noch einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel.
Ich sehe bei Weitem besser aus als noch vor ein paar Stunden!
Oder gestern! Oder aber das gesamte letzte Jahr!
Ich überlege, welcher Ort wohl am geeignetsten wäre, und mir kommt die Stelle hinter dem Wohnheim in den Sinn, woran ich jedoch sofort einen virtuellen Haken mache.
Doch dann denke ich an den Weg, den ich damals ging, dort stand eine alte aber wunderschöne Holzbank, die an einigen Stellen schon Moos angesetzt hatte. Sie war zwischen zwei Bäumen versteckt, wodurch die Sonne auf die Wildblumen am Fuße der Bank schien.
An diese Stelle hab ich schon so oft gedacht.
Sie ist perfekt!