Читать книгу For that Moment - Nena Muck - Страница 15

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Kapitel 9

Ich stelle mein Auto in der Nähe des Krankenhauses ab und spaziere durch den Besucherpark.

Nach einer Weile entdecke ich den kleinen Trampelpfad, der zu der Bank führt. Als ich unbewusst nach links und rechts schaue, komme ich mir vor wie Mary Lennox, die unauffällig ihren geheimen Garten betritt. Was blödsinnig ist, da diese Bank nun ganz und gar nicht geheim ist, aber manchmal finde ich es schön, mir einfach vorzustellen, dass solche besonderen Orte nur für mich bestimmt sind.

Sie sieht noch genauso aus wie in meiner Erinnerung.

Ab und zu kommen ein paar Besucher mit Patienten vorbei, die sich nicht akkurat an den vorgegebenen Pfad halten, was sie mir auf Anhieb sympathisch macht.

Ich breite meine schlammfarbene Decke auf der Bank aus und mache es mir gemütlich. Über mir rascheln die Blätter des Ahornbaums im Sommerwind und der Geruch der Glockenblumengewächse und der Kamille am Rand des Pfads steigt mir in die Nase.

Es duftet nach Sommer.

Ich atme einmal tief durch und entspanne mich, bevor ich mich den Abenteuern von Dorothy und ihren Freunden widme.

Da hätten wir die Vogelscheuche ohne Verstand, den Löwen ohne Mut und den Blechmann ohne Herz.

Ich bin völlig vertieft und merke deshalb leider erst zu spät, dass mein Nacken sich versteift hat. Ich schließe die Augen und wiege meinen Kopf hin und her. Als ich die Augen wieder öffne, zucke ich vor Schreck zusammen. Schräg gegenüber lehnt jemand an einem Baum und als ich sehe, wer es ist, setzt mein Herz einen Schlag lang aus.

Vince!

Ich starre ihn fassungslos an, während er sich von dem Baum abstößt und mit seinem typischen verschmitzten Lächeln einen Meter vor mir zum Stehen kommt.

»Ich weiß nicht, was ich trauriger finde!«, fängt er an. »Die Tatsache, dass du freiwillig in einem Krankenhauspark sitzt oder dass du ein Kinderbuch liest!« Er gibt ein Geräusch von sich, das kurz wie ein Kichern klingt, während ich versuche das Gefühlschaos, das in diesem Moment über mich hereinbricht, zu ordnen.

»Ich finde, diese Art der Begegnung sollte aufhören!«, wiederhole ich seine Bemerkung von Freitagabend und er nickt amüsiert.

Er hat die Hände in seiner tiefsitzenden Jogginghose vergraben.

Als er die Schultern hebt, rutscht sein weißes Shirt nach oben und seine Boxershorts blitzt hervor. Die und dieser Muskel.

Dieser verdammte Muskel, der aus klugen Frauen dumme Frauen macht. Ich schaue einen Moment zu lang auf diesen Bereich seines Körpers, denn als ich ihm wieder in sein Gesicht sehe, hat er dieses schmutzige, vor Arroganz triefende Lächeln aufgesetzt.

»Es sieht fast so aus, als hättest du gar nichts gegen eine Begegnung!«

Als er diese Worte ausspricht, dehnt er sich übertrieben dramatisch nach hinten. Ich versuche wegzusehen, schaffe es aber nicht.

Attraktiv ist nur der Vorname dieses Mannes und das weiß er ganz genau. Ich reiße mich los und sehe ihm ins Gesicht, was nicht weniger schön anzusehen ist. Doch diesmal ist da etwas in seinen Augen, das ich noch nicht kenne, etwas, das ein Kribbeln von meinem kleinen Zeh bis zu meiner Kopfhaut jagt.

Er kommt einen Schritt auf mich zu und seine Augen brennen sich geradezu in meine, während er seinen Oberkörper in einer quälend langsamen Geschwindigkeit zu mir nach unten lehnt.

Sein Blick ist wie der einer Schlange und ich bin das hypnotisierte Kaninchen, das sich nicht rühren kann. Sein Gesicht ist so nah, dass ich seinen Atem spüre, als er sagt:

»Wenn du eine Privatshow willst, musst du nur fragen.«

Er meint es sarkastisch, das weiß ich, aber seine Stimme ist nicht so überheblich wie sonst. Sie ist rau und unglaublich sinnlich.

Ich habe das Gefühl, mein Körper schmilzt unter seinem Blick und ich kann ihn nicht lösen.

Hast du den Verstand verloren?, brüllt mich meine innere Stimme an und ich schaffe es zu blinzeln.

Gott, ich hasse es, dass er diese Macht über mich hat.

Ich versuche, das Schiff rumzureißen, indem ich so emotionslos wie nur möglich sage: »Danke! Kein Bedarf!«

»Du bist ne beschissene Lügnerin!«, stellt er grinsend fest, während ich mich ein Stück zurücklehne und die Augenbrauen hebe.

»Bist du fertig?«

Mit einem selbstgefälligen Lächeln löst er den Blick von meinem Gesicht und richtet ihn auf meinen Rucksack. »Ist ja herzallerliebst.«

Ehe ich reagieren kann, hat er ihn ergriffen und lehnt sich wieder auf.

Ich überlege, ob ich aufstehen und ihm meinen Rucksack aus den Armen reißen soll, aber ich entscheide mich dagegen.

Denn genau das will er!

Er grapscht hinein und holt zwei Kekse heraus, bevor er sich einen davon in den Mund steckt.

Selbst das macht mich an. Was ist nur los mit mir?

»Wir stehen wohl sehr auf Wörter?«, fragt er, als er die Schönen und Verdammten aus meinem Rucksack zieht.

»Ja! Ganz genau so, wie es sich für eine Jungfrau Maria gehört!«, antworte ich schnippisch und stehe auf. »Gib mir den Rucksack!«

Ich mache einen Schritt auf ihn zu und er streckt den Arm mit meinem Rucksack nach oben. Im Ernst?

»Wie alt bist du, acht?«, frage ich genervt.

»Im Innern, ja!«, lacht er und jetzt wirkt es wirklich kindlich.

Ich stöhne erschöpft. »Wie du willst! Behalt ihn! Ist mir doch egal!«

Ich kehre ihm den Rücken.

»Verdammt! Kannst du nur einmal nicht so ne scheiß Spaßbremse sein?« Augenrollend drehe ich mich rum und er legt die Hände zusammen, als wolle er beten. »Mach dich doch mal locker!«

»Wie soll ich in deiner Gegenwart locker sein? Du findest immer wieder neue Wege, mich zu nerven!«, fauche ich.

Er zieht die Augenbrauen zusammen und zuckt mit den Schultern.

»Dabei möchte ich das gar nicht!«

Ich schnaube. »Na, herzlichen Glückwunsch! Du bist ein Naturtalent!« Und reiße ihm den Rucksack aus der Hand.

»Du gibst mir doch überhaupt keine Chance!«, erwidert er.

»Wozu?«

»Neu anzufangen!« Er zuckt mit den Schultern und sein Blick ist ernst.

»Also du musst mir echt erklären, was der Witz dabei ist?!«, sage ich verwirrt.

»Du hast ein ernsthaftes Vertrauensproblem, das ist dir doch klar, oder?«, neckt er.

»Wieso willst du das denn?«

Darauf schüttelt er entgeistert den Kopf. »Wieso nicht?«

Ich bin völlig durcheinander und weiß nicht, was ich davon halten soll. Neu anfangen? Und dann? Freunde werden? Wohl kaum!

Wieso will er das?

Was hat er vor?

Meine Gedanken überschlagen sich, als er ganz entspannt auf mich zuschlendert und ohne Vorwarnung den Arm nach mir ausstreckt!

Ich versteife mich auf der Stelle, als er seinen Daumen auf die Falte zwischen meinen Augenbrauen legt, die sich seit Freitagabend wirklich erstaunlich weiterentwickelt hat. »Du musst echt damit aufhören!«

Er streicht liebevoll mit dem Daumen darüber.

Ich sollte seine Hand wegschlagen und ihm begreiflich machen, dass ich darauf sicher nicht reinfalle, dass ich weiß, dass er irgendetwas im Schilde führt. Doch ich bleibe wie erstarrt unter seiner Berührung und wünschte, sie würde niemals enden.

»Also!« Er nimmt seine Hand von meiner Stirn und ich muss meine Enttäuschung darüber ernsthaft verbergen. »Wieso zum Teufel hockst du an so nem schönen Sonntagnachmittag in einem Krankenhauspark?«

»Ich könnte dich dasselbe fragen?«, erwidere ich, als wir langsam anfangen durch den Park zugehen und er grinst mich an. »Touché!«

Der Fußweg ist angelegt wie ein Labyrinth und ringsherum mit Rosen in sämtlichen Farben umsäumt. Die Farben reichen von einem saftigen Gelb bis hin zu einem tiefdunklen Rot. Es ist alles dabei.

In die Mitte des Irrgartens ist ein großer Springbrunnen aus Sandstein eingebettet, aus dem an der Stelle, an der die Sonne auf das Wasser trifft, ein kleiner Regenbogen entspringt.

Mein Blick schweift über den Park und ich atme hörbar aus.

»Es ist wirklich ein schöner Anblick!«

Woraufhin er überheblich lächelt. »Danke, das wurde mir schon öfter gesagt!«

Ich wusste, dass er das sagen würde und stoße ihm spielerisch den Ellenbogen in die Seite, woraufhin er mich ungläubig ansieht.

»Es ist ein beschissener Springbrunnen in einem kitschigen Rosengarten! Was ist daran bitte so faszinierend?!«

»Oh verstehe!«, antworte ich gespielt verständnisvoll. »Du bist also blind, das wusste ich nicht! Tut mir leid?«

Er sieht mich amüsiert an. »Na, wer stänkert jetzt?«

Ich lächle und er verdreht erschöpft die Augen.

»Okay, ich beiße an! Ich bin also blind? Was genau sehe ich denn deiner Meinung nach nicht? Diesen scheiß Regenbogen da oder was?«

Er lacht.

»Ja zum Beispiel diesen scheiß Regenbogen da!«, äffe ich ihn nach.

»Das ist ein kleines Wunder, das für die meisten Menschen zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist, was sie meiner Meinung nach ziemlich blind macht, ja!«, schnaube ich, während er sich belustigt auf die Lippe beißt, um nicht sofort loszulachen.

»Ich will dir ja nicht zu nahe treten Mäuschen, aber das ist kein Wunder! Das ist Physik!«

»Ich weiß, dass es Physik ist, Einstein!«, schnauze ich ihn an.

»Aber es ist auch… ein bewundernswertes Phänomen und… ich finde es wichtig, diesen kleinen Dingen Beachtung zu schenken und ich finde es traurig, dass sie in dieser unruhigen Welt keine Bewunderer mehr haben!« Ich schaue genervt zu ihm rüber, aber komischerweise wirkt er für einen kurzen Moment gar nicht so belustigt, doch das schüttelt er schnell wieder ab und fragt mit seinem höhnischen Grinsen. »Für dich sind das also…«, er deutet auf die Rosen, »auch keine einfachen Rosen, sondern viel mehr… Wunderblumen?«

Sein Tonfall ist spöttisch und ich schüttle den Kopf. »Vergiss es!«

»Nein im Ernst! Soll ich jetzt daran reiben und mir was wünschen, oder?« Er macht sich über mich lustig und ich sehe ihn völlig entgeistert an. »Wieso rede ich überhaupt mit dir?«

Ich drehe mich rum und er schnaubt genervt. »Gott, bist du eine ZICKE!« Er greift sich an die Nasenwurzel, bevor er deutlich ausatmet. »Es tut mir leid, Emilia!«, sagt er übertrieben und breitet die Arme aus. »Ich liebe Rosen! Rosen sind toll, sie sind geradezu magisch! Jetzt komm wieder her, verflucht!«

Er macht eine winkende Handbewegung und ich weiß nicht genau wieso, aber ich tue, was er sagt. Wahrscheinlich will ich es mir nicht eingestehen, aber auf irgendeine kranke und verdrehte Art genieße ich diese Kabbelein zwischen uns. Vielleicht liegt es daran, dass mich seit Ewigkeiten jeder nur noch in Watte packt, aber das hier ist irgendwie aufregend.

Deswegen kann ich mir ein Schmunzeln nicht verkneifen, als ich neben ihm weitergehe und sage: »Findest du?«

Er sieht mich verwirrt an und ich deute selbstsicher auf mich.

»Also ich kann Rosen nicht ausstehen!«

Er bleibt stehen und ich drehe mich belustigt zu ihm um.

»Verarscht du mich?«, fragt er ungläubig.

Ich zucke mit den Schultern und schüttle amüsiert den Kopf.

»Ich würde es nicht wagen!«

Er zieht wissend die Augenbrauen hoch.

»Alle Weiber stehen auf Rosen!«

»Ja genau! Kennste eine, kennste alle wa?!«

Ich ziehe eine Grimasse und verstelle die Stimme, um zu unterstreichen, was ich von seiner chauvinistischen Bemerkung halte und er lacht.

»Dann eben Sonnenblumen, es ist immer eins von beiden!«

»Nope!«

»Orchideen?!«, fragt er übertrieben ungläubig und ich schüttle den Kopf.

»Mmhh! Ziemlich untypisch für jemanden, der unbedingt in der Masse untergehen will, findest du nicht?!« In seiner Stimme liegt nichts Boshaftes so wie sonst, er wirkt eher vergnügt.

»Ich habe nie behauptet, dass ich das möchte!«

»Möchtest du nicht?« Er sieht mich zweifelnd an.

»Nein, ich glaube nicht. Ich möchte auch nicht mit Absicht anders sein. Ich will einfach nur…ich selbst sein. Nur ist es gar nicht so einfach herauszufinden, wer man wirklich ist. Schon gar nicht in einer Gesellschaft, die versucht jede Art von Individualität sofort im Keim zu ersticken.«

Er bleibt stehen, lässt mich aber nicht eine Sekunde aus den Augen.

Er sieht mich an, als würde er irgendetwas in meinem Gesicht suchen und dann entspannt sich sein Blick.

»Also?!« Er atmet aus und neigt den Kopf.

»Was sind dann deine Wunderblumen?!«

»Mohnblumen!«, gebe ich schließlich schulterzuckend zu.

»Klatschmohn?«, fragt er naserümpfend und ich sehe ihn selbstsicher an, während ein Schmunzeln seine Lippen umspielt.

»Die sind doch nicht viel besser als Unkraut!«

»Ich finde, sie werden unterschätzt!«, sage ich bestimmend, während ich weiterlaufe und die Finger in den Trägern meines Rucksacks verhake. Sein Blick ruht ununterbrochen auf mir, was mich anfängt, nervös zu machen.

»Du willst mir also weismachen, dass dir ein Strauß Unkraut besser gefallen würde als ein Strauß Rosen?«

»Wenn du mit Unkraut einen Strauß aus Mohn oder Wildblumen meinst, dann JA! Zumal man so einen Strauß auch persönlich pflücken muss und nicht irgendwo kaufen kann. So ist die Geste am Ende noch viel mehr wert!«

»Mmmhh!«, knurrt er nachdenklich.

»Was ist?«

»Ich versuche mir die ganze Zeit einen Strauß Mohnblumen vorzustellen! Es geht nicht, ohne dass es armselig aussieht!«

Er schüttelt den Kopf. »Die verwelken doch sofort, wenn man die irgendwo abreißt!« Ich lache ihn an. »Ganz genau!«

Und er sieht mich an, als wäre ich verrückt.

»Genau das ist es, was sie so besonders macht! Sie sind nur dann hübsch, wenn man sie so sein lässt, wie sie sind!«

Ich ziehe gedankenverloren die Schultern nach oben.

»Man kann sie nicht besitzen! Genau wie alle Dinge und Momente, die es wert sind!«

Kurz darauf blicke ich zu ihm auf und lächle.

»Kleine Wunder eben!«

Er sieht mich auf eine Weise an, auf die er mich bisher noch nie angesehen hat, als jemand nach ihm ruft.

Mir ist gar nicht aufgefallen, dass wir schon fast vor dem Haupteingang des Krankenhauses stehen.

Eine wütend aussehende Frau kommt auf uns zu. Sie ist im mittleren Alter und trägt einen Schwesternkittel.

Vince sieht mich unsicher an und dann wendet er sich zu ihr, bevor er die Hände hebt. »Schon gut, ich komme ja!«, sagt er höhnisch.

»In welcher Zeitzone lebst du denn?« Sie deutet auf ihre Uhr, bevor sie mit dem Daumen über ihre Schulter zeigt.

»Mach dich jetzt sofort in die Spur!«

Doch Vince schenkt ihr ein zuckersüßes Lächeln, was wahrscheinlich jede Frau entwaffnen würde.

»Autorität!«, dann pfeift er anerkennend, »find ich scharf.«

Bei dem Wort ›scharf‹ zieht er bewundernd die Augenbrauen hoch und ihr wütender Gesichtsausdruck verflüchtigt sich.

Wie macht er das nur?

»Du hast fünf Minuten!« Dann dreht sie sich um.

»Ja, Schatzi!«, ruft er ihr lachend hinterher, doch sie sieht nur flüchtig über ihre Schulter. »Tick, Tack!«

»Wer war das?«, frage ich, aber er sieht ihr nur schweigend hinterher.

Sein Lächeln ist weg und er wirkt nachdenklich.

»Das erzähle ich dir morgen!«

Dann geht er einfach.

»Wie morgen?«, rufe ich und er dreht sich noch mal rum, läuft jedoch rückwärts weiter, währender mir ein Lächeln der Extraklasse schenkt.

»Man sieht sich …Emmi!«

Wie von selbst breitet sich ein Lächeln in meinem Gesicht aus und er dreht sich wieder um, bevor er zum Haupteingang des Krankenhauses verschwindet.

For that Moment

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