Читать книгу For that Moment - Nena Muck - Страница 7
ОглавлениеKapitel 1
Es ist 5: 10 Uhr. Gleich müsste der Wecker von Daniel klingeln.
Ich liege schon die halbe Nacht wach und zähle die Minuten, die in einer quälend langsamen Geschwindigkeit vergehen.
Der Wecker, der die Uhrzeit an die Zimmerdecke projiziert, bestätigt die Tatsache, dass die Zeit mich verhöhnt.
Ich kann mich nicht erinnern, wann ich die letzte Nacht durchgeschlafen habe. In dem vergangenen Jahr sicher nicht einmal.
Meine Gedanken haben sich zu einem undurchdringlichen Dschungel aus ›Was wäre wenn‹ und ›Wieso ich‹ entwickelt.
Sie haben schon immer Überstunden gemacht, aber nun werden sie von Angst und Kummer beherrscht.
Laut den rot leuchtenden Zahlen an der Wand ist es 5: 19 Uhr.
In einer Minute ertönt das grauenvolle Geräusch des Weckers nebenan. Und obwohl ich es weiß, nervt es mich unsäglich, als er beginnt zu klingeln.
Kurze Zeit später höre ich, wie Daniel im Bad fröhlich zu einem dieser immer gleich klingenden Popsongs aus dem Radio mitsummt, während ich die irisierenden Zahlen an der Decke anstarre.
Wie kann man, nachdem man um so eine Uhrzeit geweckt wurde, so gut gelaunt sein?
Das werde ich nie verstehen! Auch vor alledem war ich, nachdem mich das entsetzliche Geräusch des Weckers aus dem Schlaf zerrte, eher der Typ, der auf der Bettkante noch stundenlang ins Leere starrte.
Nachdem ich höre, wie die Haustür hinter ihm ins Schloss fällt, werfe ich noch einen letzten Blick zur Uhr, bevor ich mich im Zeitlupentempo aus dem Bett rolle.
Es ist 5: 50 Uhr, als ich mich ins Badezimmer schleppe und in Gedanken meine Liste mit den Dingen, die ich für heute geplant habe, durchgehe.
Die Sonne strahlt schon jetzt unerträglich hell, es scheint ein wunderschöner Sommertag zu werden.
Ich drehe die Dusche auf und lasse das warme Wasser über meinen Kopf und meinen Rücken prasseln, während ich die Stirn an die kalten Kacheln lehne.
Nach der Dusche hülle ich mich und meine Haare in ein Handtuch ein und gehe zur Küche. Wir haben eine geräumige Dreizimmerwohnung. Die Küche und das Bad sind etwas kleiner als das Wohn-und die beiden Schlafzimmer.
Bevor Daniel zu mir gezogen und wir eine WG gegründet haben, habe ich mit meinem Freund hier gelebt und Daniels jetziges Schlafzimmer war immer als Kinderzimmer vorgesehen.
Bei dem Gedanken zieht sich mein Magen schmerzhaft zusammen.
Ich verteile halbherzig etwas Marmelade auf meinem Toast und gieße das kochende Wasser in meine Tasse, in der ein Früchteteebeutel hängt.
Nach dem trostlosen Frühstück föhne ich mir mein schon fast getrocknetes Haar.
Es ist von Natur aus brünett, hat eine leichte Welle und geht mir bis zur Brust. Ich drehe es mir unachtsam zu einem lockeren Knoten, bevor ich mir halbherzig das Gesicht eincreme.
Danach greife ich zu meinem übergroßen Sweatshirt und ziehe es mir über den Kopf, was meine ohnehin schludrige Frisur noch mehr zerstört.
Aber das ist mir egal! Dazu ein paar Leggins und fertig.
Bevor ich zur Tür hinausgehe, fällt ein letzter Blick, wie von selbst, auf die Frau im Spiegel.
Eine Angewohnheit, die man nur schwer ablegen kann.
Leider erkenne ich die Frau, die mich dort anblickt, nicht.
Sie sieht mir schon lang nicht mehr ähnlich.
Sie hat aschfahle Haut und dunkle Ringe unter ihren Augen.
Ihre Augenbrauen und Haare wachsen unkontrolliert, während sie in dem überdimensionalen Pullover beinahe verschwindet.
Aber genau das ist meine Absicht.
Ich greife nach meiner Tasche und zusammen mit dem Autoschlüssel in der Hand schließe ich die Tür.
»Guten Morgen Emmi, wo willst du denn so früh hin?«, reißt mich eine Stimme aus meinen Gedanken. Es ist eine unserer Nachbarinnen, Mrs. Jones.
Sie ist eine wirklich nette Frau! Sie zeigt immer ein reges Interesse an den Menschen in ihrer Umgebung, obwohl man in ihrem Fall das Wort Interesse wohl mit dem Wort Neugier austauschen sollte.
»Ich muss ein paar Besorgungen machen!«, antworte ich knapp und der Blick von ihr ist mir sehr vertraut! Meist ist er der Vorläufer der Frage:
»Und wie geht es dir?«
Es ist eine Frage, die ich in den vergangenen Monaten so oft gehört habe, dass sie keinerlei Bedeutung mehr für mich hat. Also quittiere ich sie mit derselben bedeutungslosen Antwort!
»Mir geht es gut. Danke!«
Wenn die meisten Leute dich danach fragen, wie es dir geht, wollen sie die ehrliche Antwort gar nicht hören.
Sie lächelt selbstzufrieden.
»Das ist schön! Dann will ich dich nicht länger aufhalten! Bestell liebe Grüße!«
Den letzten Satz ruft sie schon halb im Gehen über ihre Schulter.
»Mach ich!«, antworte ich und bin mir sicher, dass sie es nicht mal mehr gehört hat.
Ich sehe ihr nach und frage mich, wie so oft, ob ich wirklich noch hierher gehöre?!
Dann atme ich tief durch und steige in mein Auto.
Als ich den Motor starte, dröhnt die Musik aus den Lautsprechern und ich fange an mich zu entspannen. Ich drehe sie noch etwas lauter, denn an manchen Tagen wird es in meinem Kopf erst still, wenn die Musik laut ist. Es ist der einzige Weg, meine nicht enden wollenden Gedanken auf stumm zu schalten.
Als ich in Bridgeport, einer Stadt nahe Providence, angekommen bin, fahre ich in das Parkhaus eines Einkaufscenters. Es ist ziemlich groß und auch sehr überlaufen. Genau diese Tatsache macht mich nervös.
Früher gab es für mich nichts Besseres als shoppen. Ich weiß nicht genau warum, aber mir gefiel es hier einfach, es fühlte sich an, als wären alle Probleme lösbar, durch das richtige Kleid oder die dazu passenden Schuhe.
Wahrscheinlich ist es auch so, wenn man keine wirklichen Probleme hat. Im Moment bin ich einfach nur überfordert. Die Leute rauschen an mir vorbei. Alle sind im Stress und in ihrer ganz eigenen Welt.
Sie versuchen, tagtäglich ihre selbstauferlegten Aufgaben abzuarbeiten, nur um am nächsten Tag wieder von vorn anzufangen und noch mehr zu schaffen als am Tag zuvor.
Sie vergessen dabei das Wichtigste! Sie vergessen zu leben! Sie schieben es auf, immer und immer wieder:
›Ich mach mein Studium noch fertig und dann …!‹,
›Wir warten, bis die Kinder aus dem Haus sind und dann …!‹,
›Wenn ich richtig hart arbeite und befördert werde, dann…!‹.
Das Problem ist, sie denken, sie hätten Zeit! Sie denken immer, dass sie doch noch ihr ganzes Leben vor sich haben.
Aber man hat kein ganzes Leben. Das hat man nie.
Am liebsten würde ich jeden von ihnen wachrütteln, doch es würde nichts bringen, also gehe ich an den bereits herbstlich geschmückten Schaufenstern vorbei und bewundere die Schaufensterpuppen.
Es ist Ende August und sie tragen bereits dicke Übergangsjacken, Stiefeletten und Mützen. Die ganze Passage ist mit Herbstblättern und Holzelementen dekoriert und ich bin auf der Suche nach einem passenden Outfit.
Einem Outfit, das wieder mehr nach der früheren Emmi aussieht und nicht nach dem Mauerblümchen, das sich in zu großen Klamotten versteckt.
Obwohl ich mit großer Gewissheit sagen kann, dass ich nie wieder der Mensch sein möchte, der ich war.
Doch, ich treffe mich heute Abend mit Hailee. Sie ist eine Freundin aus meiner Ausbildungszeit zur Erzieherin und wenn sie mich so sehen würde, würde sie mich nicht erkennen.
Sie ist vor kurzem hergezogen, um an der Uni BWL zu studieren.
Ich freue mich sehr darüber. Sie ist eindeutig eine von den Frauen, die man nicht übersieht, ganz im Gegensatz zu mir. Aber genau das versuche ich heute zu ändern.
In diesem Moment lenkt mich ein Top an einer der Schaufensterpuppen ab, das ich im Vorbeigehen nur noch in meinem peripheren Blickwinkel wahrnehme.
Ich bleibe sofort stehen und drehe mich rum, während ich Klatsch gegen eine Wand renne. Ganz toll, gar nicht peinlich!
Nein, wirklich peinlich wird es, als mir auffällt, dass es keine Wand war, sondern die Brust einer Person. Eines Mannes, um genau zu sein.
Eines Mannes, dessen Präsenz so intensiv ist, dass ich mich augenblicklich noch viel kleiner fühle.
Er trägt Skinnyjeans und ein eng anliegendes Shirt, hat breite Schultern und wirkt ungemein sportlich. Aus der leicht geöffneten Knopfleiste seines Shirts scheint ein Teil seines Tattoos heraus, das er auf der Brust trägt.
Nachdem ich eine gefühlte Stunde genau auf diesen Teil seines Körpers gestarrt habe, weil er sich genau auf meiner Augenhöhe befindet, riskiere ich einen Blick in sein Gesicht. Er ist jünger, ich würde ihn auf Anfang zwanzig schätzen.
Er sieht mich mit ausdrucksloser Miene an, seine Augen sind hellbraun, beinahe gelblich und werden zum äußeren Rand hin minfarben!
Solche Augen habe ich noch nie gesehen. Sie sehen aus wie die Augen einer Raubkatze! Gefährlich, taxierend und so durchdringend, dass ich wegsehen muss.
»Entschuldige, ich hab dich nicht gesehen!«
Meine Stimme ist nicht mehr als ein Flüstern. Er holt genervt sein Handy aus der Jeans und rollt mit den Augen, als er emotionslos an mir vorbeiläuft.
Okay?!
Was für ein arroganter Blödmann!
Ich sehe ihm wie vor den Kopf gestoßen hinterher.
Er starrt auf sein Handy und bemerkt gar nicht, wie verkrampft sämtliche Frauen um ihn herum versuchen seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Doch den Gefallen tut er ihnen nicht, er scheint es gewöhnt zu sein.
Er ist wirklich heiß und genau deswegen auch ein Arsch!