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Unerwartetes Wiedersehen

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"Verzeih mir, oh Prinz. Aber wann gedenkst du, dass wir eine Rast einlegen können? Meine Füße sind schon ganz geschwollen."

Yhildrat lehnte an einem verdorrten Baum, dessen Krone lediglich aus zwei oder drei Ästen bestand, auf denen kein Blatt mehr Halt finden konnte. Auf dem sichersten Ast hockte der Stille und sah sich um. Die zwei anderen Räuber liefen langsam und hinkend um den Baum herum, bereit, jeder drohenden Gefahr sofort an den Hals zu springen. Eldrit stand still da und sah geradeaus in die Ferne, wo schwach die Konturen des Schlosses zu erkennen waren, zu dem sie wollten. Den langen Pfad von der Hochebene herunter hatten sie ohne große Mühen beschreiten können. Wie ein großer Schatten, bedrohlich und gewaltig, lag die große Steilwand samt Pfad nun in ihrem Rücken hinter dem Nebel verborgen. In dem Staub aufwirbelnden Wind wehte sein goldschwarzer Mantel und Yhildrat hatte sich schon öfter gefragt, was der Prinz wohl darunter tragen mochte. Doch im Moment kümmerte ihn das herzlich wenig, denn sie waren schon knapp zehn Stunden gelaufen, ohne wirklich lange Pausen zu machen. Der Trollenprinz war allerdings nicht der einzige, dem das viele Laufen nichts ausmachte. Auch der Stille war immer noch gut drauf, lief mal hierhin und mal dorthin. Ja, es kam ihnen beinahe so vor, als würde er immer lebendiger, je näher sie dem Schloss kamen. Doch konnte sich keiner darauf einen Reim machen. Sie nahmen es einfach hin und kümmerten sich nicht weiter darum. Eldrit hatte die Frage des Hauptmannes verstanden, antwortete jedoch nicht. Er war es leid, immer diese zeitraubenden Pausen einzulegen. Caspar wurde vielleicht schon lange gefoltert oder sonst etwas schlimmes geschah ihm gerade und dieser wehleidige Räuber hatte allen Ernstes nur seine schmerzenden Füße im Kopf.

Gerade als Yhildrat seine Frage wiederholen wollte, sprang der Stille vom Baum, auf den er gestiegen war, um die Umgebung zu erkunden. Auf die bekannte Weise gestikulierte er mit seinen Händen, um seine Beobachtungen zu schildern. Yhildrat nickte oft, langsam bildete sich ein bitteres Lächeln auf seinem breiten Mund. Schließlich ging er zu Eldrit und erzählte ihm, was der Stille gesehen hatte.

"Ein paar hundert Meter links von hier nähert sich uns eine Karawane oder so was. Es scheinen um die dreißig Personen zu sein, sie alle tragen irgendwas auf ihrem Rücken. Am Kopf der Karawane schleppen vier Leute ein großes Brett neben sich her, etwa so breit wie ein Mensch groß ist und so lang wie die Höhe dieses Baumes hier. Sie haben wohl keine Waffen bei sich."

Der Prinz nickte. "Seid dennoch wachsam. Wir wollen sie uns ansehen. Vielleicht sind es Händler, die uns ihre Waren anbieten wollen, das käme sehr gelegen."

Yhildrat nickte und informierte die anderen. Sie setzten sich an den Baum und warteten ab. Der Hauptmann schmunzelte insgeheim, da er so doch noch zu seiner Rast gekommen war. Nach einiger Zeit schon hörten sie im Nebel viele marschierende Füße, die sich auf sie zu bewegten. Langsam standen sie auf und sahen in den Nebel hinein. Gerade als sie dachten, die Karawane käme gleich zum Vorschein, hörte das Laufen plötzlich auf und es war ruhig. Sie sahen sich verwirrt an, und der Stille kletterte auf den Baum, um nachzusehen. Schnell war er wieder unten und Yhildrat übersetzte, dass die Leute all ihre Sachen auf dem großen Brett ausgebreitet hätten und nun da ständen, als würden sie warten. Eldrit machte keine großen Reden und deshalb gingen sie sofort in die Richtung, wo das Laufen zuletzt gehört wurde. Als sie durch den Nebel auf die Karawane stießen, konnte sich Yhildrat nicht zurück halten.

"Aber das ist ja ein ganzer Marktplatz!"

Er übertrieb nicht, im Gegenteil. Direkt vor ihren Augen war das Brett, nun allerdings um einige Quadratmeter größer als der Stille beschrieben hatte. Auf dem Brett standen sie alle: Obsthändler, Waffenschmiede, Fischverkäufer, Lederanbieter, Farmzüchter mit ihrem Vieh, selbst Geschirr wurde angeboten. Jeder Händler hatte seinen eigenen Stand und bot rufend seine Waren feil. Es war in der Tat ein vollständiger Marktplatz und alle schienen nur auf die fünf Kämpfer gewartet zu haben. Doch der Schein trog. Im Handumdrehen waren die meisten Verkäufer beschäftigt, denn nun kamen aus dem Nebel viele Leute auf den Platz und kauften ein. Soweit es schien, waren in dieser Welt ebenfalls Menschen die Bewohner, denn obwohl die Händler und manche Kunden etwas bizarr gekleidet waren, in sich gedrehte Kopfbedeckungen und dementsprechend passende Kleidung mit vielen Kreisen, verschlungenen Ornamenten und Rechtecken auf dem seidenartigen Stoff trugen, sahen sie sonst aus, als kämen sie aus Caspars Hafenstädtchen.

Eldrit sah sich das Geschehen an und lächelte sogar. "Na, wie finde ich denn das? Reisende Händler, die überall sind und den Kunden ihre Waren anbieten. So kann jeder einkaufen und muss nicht weit gehen. Praktisch. Und doch kommt es mir bekannt vor. Wäre dieser Gostov kein Händler auf See, dann würde ich ihn hier sicher antreffen. Los, lasst uns einkaufen! Der Weg ist noch lang und kostet Kraft, die wir mit gutem Essen aufwiegen müssen! Auf geht’s!"

Sofort waren die Räuber zwischen den einzelnen Reihen verschwunden.

"Mein guter Mann! Hat irgendjemand gesagt, dass ich nicht zur Abwechslung mal als Landratte meine Waren verkaufe?" Eldrit drehte sich zu einem Stand, der etwas abseits von den anderen aufgebaut worden war und hinter dem ein freundlich lächelndes Gesicht den Prinzen anblickte. "Na, da hol mich der Klabautermann! Der selbe Blick wie neulich auf meinem Schiff. Erkennst du mich etwa nicht mehr? Hast wohl ein schwaches Gedächtnis, wie? Oder wunderst dich, dass du mich doch hier triffst. Na, du bist mir ja ein ganz feiner! Willst du nun was kaufen oder nicht?"

Eldrit ging langsam auf den Stand zu und bekam mit jedem Schritt eines breiteres Lächeln. "Ja, gibt es denn so was? Aber wie kommst du denn hierher?"

Der Käpt´n grinste. "Mein Schiff kann durch Nebel fahren, schon vergessen? Und ich komme dabei durch alle Herren Länder, weißt du das wenigstens noch? Bei allen Meeresfrüchten, und ich dachte, ich sei vergesslich."

Der Prinz nickte nur und sah sich die Waren an, die Gostov anzubieten hatte.

"Nebenbei gefragt, wo ist dein bärtiger Kumpel? Ich hab ihn eben bei deinen Freunden nicht sehen können."

Eldrit sah auf und bekam ein betroffenes Gesicht. "Wir suchen ihn gerade. Er wurde entführt."

Gostov hatte plötzlich einen traurigen Blick und schwieg. Yhildrat war unterdessen Proviant einkaufen, der Stille hatte sich mit einem tauben Farmer angefreundet und die beiden Kolosse waren bei einem Waffenhändler hängen geblieben. Allen fünf kam diese Szenerie so idyllisch vor, dass sie ganz vergaßen, sich in einer möglicherweise feindlichen Welt aufzuhalten. Und diese Idylle bestand weiter, als sich die fünf Wanderer auf den weiteren Weg machten und dem freundlichen Völkchen der Reisenden Händler Lebewohl sagten. Ausgeruht, erfrischt und durch kräftige Mahlzeiten gestärkt waren sie jetzt so gut drauf wie der Stille und freuten sich auf den nächsten Abschnitt ihrer Wanderung. Eldrit und der Hauptmann hatten probiert, sich über diese Welt zu erkundigen, doch man hatte ihnen geraten, sich baldmöglichst an einen Einwohner zu wenden. Die Reisenden Händler verstanden sich nicht auf Völkerkunde, vielmehr waren sie nur darauf bedacht, den Leuten das Einkaufen zu erleichtern. Von den Orten, durch die sie wanderten, wussten sie nur wenig. Deshalb waren die fünf Gefährten nach ihrem Einkauf genauso schlau wie zuvor, als sie weitergingen. Der Nebel um sie zog sich zusammen, so dass der Marktplatz bald aus ihrem Sichtfeld verschwunden war. Sie hatten erfahren, dass dieses Volk öfter den Schlossweg, wie er nämlich hieß, kreuzten und dass sie möglicherweise bald wieder aufeinander treffen könnten. Die Räuber hatten bei dem Waffenschmied ihre Klingen und Keulen verstärken lassen, Eldrits Magubo war auf Schäden überprüft und von Gostov noch effektiver gemacht worden. Nun liefen sie wieder auf dem Schlossweg und sahen weit vor sich in der Ferne ansatzweise das große Schloss, welches im Nebel zu versinken schien.

Nach einer Weile tauchte links vom Weg der Sumpf auf, den der Stille von der Hochebene aus gesehen hatte. Nun allerdings war er viel größer und außerdem unheimlicher, der Stille zitterte vor Angst. Von da oben hatte er so klein und harmlos ausgesehen, doch nun schien er riesengroß und vor allem sehr tief zu sein. Die Gefahr wurde zusätzlich größer, da der Sumpf ziemlich nah am Weg entlang führte. Rechts vom Weg war ein in den Nebel hineinführendes Meer von kniehohem Gras.

"Ich denke, es ist nicht weiter schlimm, wenn wir etwas rechts des Weges laufen, solange wir ihn im Auge behalten", meinte Eldrit und sah dabei zwinkernd zum Stillen.

Dieser lächelte erfreut, denn er hatte verstanden, was gemeint war. Sie gingen also vom Weg ab und befanden sich unmittelbar im Gras. Es raschelte, als Eldrit mit seinem weiten Mantel und die Räuber mit ihren plumpen Füßen durch das grüne Meer liefen. Drüben im Sumpf plätscherte Wasser, es brodelte leise vor sich hin und sie hörten vereinzelt Frösche quaken.

"So ein Sumpf ist doppelt unheimlich, wenn dieser undurchdringliche Nebel darüber hängt." Eldrit und Yhildrat, die an der Spitze gingen, drehten sich um. Eine leichte, sanfte Stimme mit einem vollen Klang hatte gesprochen. Einer der Kolosse sah zu ihnen. "Findet ihr nicht auch?" beendete er den Satz.

Der Hauptmann sah verblüfft den Prinzen an und konnte keine Worte finden. Eldrit allerdings lächelte ruhig und fragte: "Wie heißt du, mein starker Freund? Und warum hast du bisher nie etwas gesagt?"

Der muskelbepackte Räuber mit der großen Keule verbeugte sich, ohne in dem hohen Gras zu verschwinden. "Verzeih, dass ich erst jetzt rede, Prinz. Doch dieser Anblick da drüben hat mein Herz bewegt, weshalb ich es für angebracht hielt, etwas zu sagen. Und, um deine Frage zu beantworten, mein Name lautet Gumbol."

Der Prinz nickte. "Ich freue mich, deine Bekanntschaft zu machen, Gumbol", schmunzelte er. "Und ja, ich pflichte deiner Meinung bei. Der Nebel macht den Sumpf noch unheimlicher, aber das soll uns nicht weiter aufhalten, denke ich."

Und weiter liefen sie durch das Gras. Ganz vorne Eldrit und der Hauptmann, danach kamen Gumbol und der Koloss mit dem fiesen Aussehen und das Schlusslicht bildete der Stille. Während der vielen Stunden, die sie noch laufen mussten, drehten sich Eldrits Gedanken immer wieder um ein Thema. Warum war alles so friedlich? Warum hatten sie noch keinen Kontakt mit irgendwelchen Feinden? Es kam ihm zu harmlos vor. Aber darüber sprach er nicht, sondern lenkte seine Sinne wieder auf Caspar und wer ihn wohl entführt haben mochte.

Solid Yol

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