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In nebligen Gewässern

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Wellen schlugen gegen die Felsformation, die groß und prächtig vom Festland ins Meer ragte. Die kleine Bucht, in der einsam das Schiff vor Anker lag, beherbergte ein paar hundert Möwen, die hier friedlich ihr Vogeldasein fristeten. Inmitten des ganzen Hafentreibens, der Fischer, die ihren Fang unter die Leute brachten und der verträumten Hafenarbeiter, schlenderte Caspar, Kapitän der Cerpat, über den Strand, der den Hafen mit dem kleinen Fleckchen am Leuchtturm verband, zu seinem Schiff und zog genüsslich an seiner Pfeife. Mehrere Möwen begleiteten den alten Seebären, der seine weißblaue Kapitänsmütze erhobenen Hauptes trug. Die Luft wehte salzig und kühl um die Nase des Alten, während er auf eine Gestalt am Ufer zusteuerte. Es war Eldrit, der Trollenprinz, der ihn dort bereits erwartet hatte und die Möwen beobachtete. Als Caspar sich näherte, drehte er sich zu ihm um und lächelte. Caspar sah an Eldrit vorbei zu den Vögeln, die inzwischen im Sand saßen und ihr Federkleid putzten. Plötzlich bewegte sich eine von ihnen beinahe unmerklich auf Eldrit zu und öffnete leicht den Schnabel. Der Prinz tat so, als merke er es nicht. Caspar sah sich das Schauspiel an und stutzte, sagte aber kein Wort. Als die Möwe ganz dicht bei dem Prinzen stand, klappte der Schnabel unnatürlich weit auf und ihm entstieg ein bestialischer Gestank wie von tausend faulen Eiern. Der alte Kapitän hielt sich seine weißblaue Kapitänsmütze vors Gesicht, um nicht zu ersticken. Selbst dem Trollenprinz sah man an, dass ihm die Luftverpestung nicht gerade behagte. Auf einmal wurde die Möwe so groß wie Eldrit, die weißen Federn fielen reihenweise in den Sand und zum Vorschein kamen fledermausähnliche, bizarr in die Länge gezogene Schwingen mit enormer Spannweite. In der Dunkelheit des Schnabels flammten zwei gelbe Punkte auf und aus den vermeintlichen Augen wuchsen lange Hörner, die an ihrer Spitze einer Spirale glichen. Caspar sah zu Eldrit, doch dieser rührte sich keinen Millimeter vom Fleck.

Er flüsterte dem Kapitän nur leise zu: "Ich sagte doch, schenke dein Vertrauen den richtigen Wesen!"

Mit diesen Worten drehte sich der Prinz um und versetzte der Kreatur einen dermaßen harten Schlag, dass diese zu Boden stürzte und in die Möwenmenge rutschte. Das eigenartige an der Szene war, dass keine Faust des Prinzen zu sehen gewesen war, sondern diese weiterhin von seinem Mantel verhüllt wurde. Als der Prinz im nächsten Moment sah, was er da gerade geschlagen hatte, versagte ihm für einen kurzen Moment der Atem, so als hätte er mit einer anderen Erscheinung gerechnet. Mit ernstem Blick nahm Eldrit den total verwirrten Caspar mühelos auf die Schulter, so als hätte er dies schon sein gesamtes Leben über getan, und rannte zum Schiff. An Bord angekommen, setzte er Caspar wieder ab, wandte sich rasch um und sah, wie die Kreatur sich langsam wieder aufrichtete und samt dem kompletten Möwengefolge, welches ihr zu gehorchen schien, dem Schiff näherte. Sofort holte Eldrit, zu Caspars Verblüffung, den Anker ein und setzte die Segel. Günstigerweise bließ mittlerweile ein stärkerer Wind und trieb die beiden Flüchtenden vom Strand fort. Während der Trollenprinz das Steuerrad übernahm, behielt Caspar die kreischende Möwensippe samt ihrem grausigen Anführer im Auge.

Der Wind meinte es gut mit ihnen, denn sie kamen schneller voran als ihre Verfolger. Bald schon war das Festland nicht mehr in Sichtweite, und sie fuhren noch immer. Schließlich, als Caspar verlauten ließ, dass keine Gefahr mehr bestünde, holten sie das Segel ein und erholten sich von der überstürzten Flucht. Nach einiger Zeit war noch immer nichts von dem Schnabeldrachen, wie Caspar das Geschöpf nannte, zu sehen.

Caspar lehnte sich an die Reling: "Eldrit, nun erklär mir mal Punkt für Punkt, was uns da eben an den Kragen wollte. Und wer hat dich zu meinem Leibwächter ernannt? Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie lange ich noch den Unwissenden spielen will."

Der Prinz lächelte. "Ich kann dich ja verstehen. Also gut, ein wenig sollst du erfahren. Zuerst einmal zu unseren Verfolgern. Wie wir gesehen haben, waren sie alles andere als friedlich. Dein sogenannter Schnabeldrache war ein Cheberim. Cheberims sind grässliche Dämonen, die jede beliebige Gestalt annehmen können. Ihr wahres, ursprüngliches Aussehen kennen nur die wenigsten, doch es soll schrecklich sein. Generell greifen sie nicht ohne Grund an, sondern jagen hauptsächlich und schlafen außerdem tagsüber, es sei denn, man richtet sie zur Jagd ab, aber Cheberims sind so unbezähmbar wie kein anderes Lebewesen, dem ich je begegnet bin. Das Exemplar vorhin war sehr schwach, weshalb ich ihn auch so leicht abfertigen konnte. Vermutlich handelte es sich um ein Jungtier. Wir hatten Glück, dass es kein ausgewachsener Dämon war; die sind meistens stärker. Warum er es gerade auf uns abgesehen hatte, will mir nicht in den Kopf. Denn der Grund, weshalb ich auf dich Acht geben soll, ist auch mir nicht wirklich bewusst."

Caspar lächelte etwas verzerrt. "Vielleicht hatte er einfach mal Lust auf etwas Neues, oder er wurde tatsächlich abgerichtet."

Eldrit nickte.

"Ich sehe, du machst dir Gedanken darüber. Wenn du Recht hättest, dass er abgerichtet worden wäre, dann muss uns das zu denken geben, denn wer solch mächtige Wesen wie Cheberims unter seine Kontrolle bringen kann, der hat selbst eine noch viel größere Macht. Und was den abweichenden Appetit angeht, auf den du anspielst: Cheberims verspeisen lediglich Waldtiere wie Hirsche, Eulen oder gelegentlich mal einen Fuchs. An Menschen sind sie gar nicht interessiert, das Fleisch wäre zu zäh."

Caspar sprang empört auf: "Na hör mal! Mein Fleisch ist vielleicht alt, aber immer noch erstklassig!"

Eldrit lachte leise.

"Bitte, tu dir keinen Zwang an. Du kannst gern zurück und dich als Mittagessen anbieten. Das würde ich allerdings an deiner Stelle lassen. Denn du scheinst aus einem mir unbekannten Grund wenigstens bei diesem einen Cheberim ein gewisses Interesse zu wecken. Vielleicht ist ja auch das der Grund, weshalb ich dir als Leibwächter zugeteilt wurde."

"Und wie finden wir das nun raus?" fragte Caspar wissbegierig.

Eldrit stand auf. "Lass uns erst mal schlafen gehen. Wir sollten noch ein wenig Zeit verstreichen lassen, bevor wir zum Strand zurückfahren. Und später lässt sich immer noch über das Problem nachdenken.“

Und so begaben sich beide unter Deck, während am Himmel die Sonne den Nachmittag begrüßte. Und wenn man über das Rauschen der Wellen hinweg hörte, konnte man in weiter Ferne ein heiseres Kreischen vernehmen, das langsam aber sicher immer leiser wurde und schließlich ganz abebbte.

Nebel hatte sich wie eine unbequeme Decke über die Umgebung gelegt, als die beiden an Deck kamen. Mehrere Stunden waren inzwischen vergangen, und doch hing die Sonne als heller Kreis noch halbwegs sichtbar über dem Horizont. Caspar sah sich misstrauisch um, doch entdeckte er nirgends eine Spur des Cheberims und dessen Gefolgschaft. Zur Verwunderung der beiden erklang nun irgendwo im Nebel eine seltsam fremdländische Melodie. Sie schien einen eigenartigen Zauber auszuströmen, der das Gefühl von Vertrauen vermittelte. Sie sahen sich nach allen Seiten um, doch keiner konnte etwas erspähen.

"Eldrit, da!" flüsterte Caspar plötzlich und deutete auf eine bestimmte Stelle mitten im Nebel.

Der graue Schleier ließ ein großes Gebilde ans Licht. Es glich einem alten Wikingerschiff, mit Ausnahme des Segels, das ein exotisch anmutendes Wappen trug. Obwohl kein Wind sich rührte, war das Segel beinahe zum Bersten aufgeblasen. Von diesem alten Kahn schien die Melodie zu kommen und gebannt sahen die beiden zu, wie er sich der Cerpat näherte. Als er längs neben ihnen zum Stehen kam, rührten sie sich nicht.

"Na, ihr Landratten? So weit draußen? Habt ihr denn keine Angst allein auf See?"

Eine raue, beinah blecherne Stimme ertönte aus dem Inneren des Kahns. Dann vernahmen sie etwas, das wie Klopfen auf Holz klang. Ein Schnaufen kam aus dem Schiffsrumpf immer näher an die Oberfläche. Schließlich trat der vermeintliche Kapitän des Schiffs an Deck, eine recht imposante Gestalt.

Sein beleibter Körper wurde mittig von einem olivgrünen Stoffgürtel umschlungen, eine golden und silbern glitzernde Weste prangte darüber, die Hose war aus edel aussehender, violettfarbener Wolle gefertigt und hatte dort, wo der Fremde ein Holzbein besaß, eine Aussparung.

Das freundliche, gewitzte Lächeln des Mannes passte zu seinem rundlichen, strahlenden Gesicht, dessen deutlicher Blickfang neben den illuminierend gelben Augen vor allem der ausnehmend kunstvoll geformte Bart war, dessen fein gestutzte Konturen eher wie gemalt denn natürlich gewachsen anmuteten.

Erst jetzt bemerkte Eldrit, dass dieser seltsame Mann den Nebel, aus dem er kam, auf eine unerklärliche Weise mitgebracht zu haben schien. Nun also waren sie mitsamt dem anderen Schiff in dieser Nebelbank und wussten nicht, wohin. Im Nu war der füllige Kapitän auf Augenhöhe mit ihnen und grinste sie an.

"Ihr wollt doch sicher etwas kaufen, habe ich nicht recht?" kicherte die Blechstimme.

Eldrit bekam angesichts dieses seltsam harmlosen Mannes Mut und räusperte sich.

"Mein guter Mann. Wir sind Reisende und zudem auf der Flu- ... ich meinte, auf dem Weg nach Hause. Es bedarf keinerlei Kaufgeschäft, um dorthin zu kommen. Und nun geh bitte auf dein Schiff zurück und lass uns ziehen."

Der fremde Kapitän lächelte. "Aber, aber. Wie wollt ihr denn nach Hause kommen in diesem undurchdringlichen Nebel, wenn man fragen darf?"

Caspar flüsterte dem Prinzen zu: "Da hat er ja wohl recht, wenn ich mich so umsehe."

Eldrit nickte widerwillig. "Nun gut, dann sag uns mal, mit wem wir es zu tun haben."

Der fremde Kapitän verbeugte sich. "Verzeiht mir, mein Name ist Gostov und ich bin ein bescheidener Kaufmann. Dies hier ist mein tüchtiger Handelsfrachter, mit dem ich schon etliche Jahre auf See unterwegs bin. Ich verkaufe die verschiedensten Sachen aus aller Herren Länder an Leute, die sie benötigen. Und nun bitte ich euch, kommt und seht euch um, was ihr nehmen mögt." Und schon war Gostov wieder unterwegs, griff nach einem breiten Brett, positionierte es zwischen die beiden Schiffe als Überquerung für seine Kundschaft und verschwand anschließend unter Deck.

Caspar sah Eldrit misstrauisch an. "Hier wäre Vorsicht durchaus angebracht, nicht wahr?"

Eldrit aber schüttelte den Kopf. "Nein, dieser gutmütige Kaufmann meint es ehrlich mit uns. Du musst noch ein Gespür für die Ehrlichkeit der Leute bekommen." Damit folgte er Gostov unter Deck seines Frachters. Caspar zuckte die Schultern und folgte ebenfalls.

Im Laden von Kapitän Gostov gab es allerlei Krempel, aber auch durchaus wertvolle Gegenstände. Da häuften sich Goldketten über silbernem Besteck, eingelegte Heringe standen neben rot glänzenden Äpfeln, Taschenlampen hingen im Regal zusammen mit Hundeleinen, Kameras und Harpunen. Die bunt gemischte Auswahl ließ keinen Zweifel daran zu, dass Gostov tatsächlich viel herum gekommen war. Bei seinem Erscheinungsbild und dem seines Schiffes hätte Caspar nie damit gerechnet, moderne Technik in dessen Angebot zu finden.

Während beide ihre Nasen zwischen die Regale steckten, bemerkte Caspar plötzlich in einer leicht mit Staub bedeckten Holzkiste ein schwach glimmendes Licht, das ihn förmlich anlockte. Er griff hinein und zog etwas heraus, das wie ein langes Messer aussah, in dessen ledernen Griff zwei Klingen statt einer eingearbeitet waren. Es sah unglaublich scharf aus, und als Gostov sich zu ihm gesellte, legte Caspar es rasch zurück. Der Händler lachte aus tiefer Kehle.

"Ha, nun? Du magst Gefallen daran finden, habe ich nicht Recht? Dieses schmucklose Ding ist ein Dolto, eine Doppelklinge aus östlich liegenden Landen bei ... ach, der Name würde dir vermutlich eh nicht viel sagen. Aber nimm es ruhig, ich verlange auch einen höchst bescheidenen Preis dafür. Hatte ich schon erwähnt, dass ich beinahe jede Form von Bezahlung akzeptiere?“

Während Caspar sich weiter überreden ließ, hatte Eldrit in einer anderen Ecke des mehr als gut ausgestatteten Ladens einen langen Holzstab entdeckt, der seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Das Holz selbst war übersät mit ineinander verschlungenen Ornamenten, während an einem Ende des Stabs eine Speerspitze thronte. Als der Trollenprinz gerade danach greifen wollte, vibrierte der Stab, als hätte er ein Eigenleben. Eldrit wich kurz zurück, erkannte dann aber, was es mit dem Gegenstand auf sich hatte und streckte seine verhüllte Hand erneut aus, diesmal mit Konzentration. Nun erhob sich der Stab aus seiner Ecke und glitt wie von Geisterhand geführt in die Hand des Prinzen. Gostov trat herbei und hob anerkennend eine Augenbraue.

"Nun, ich sehe, du verstehst dein Handwerk. Um einen Magubo zu kontrollieren, braucht es schon mehr als Taschenspielertricks. Er kann als Nahkampfwaffe verwendet werden, dient dir aber zusätzlich als Verstärkung deiner magischen Energie. Pass also besser auf, bevor du ihn irgendeinem Säufer zwischen die Rippen stichst und er dabei abbricht. Das wäre wirklich ein Jammer, sag ich dir!“

Als Caspar schließlich noch auf ein Paar Scheinwerfer stieß, wollten sie nicht länger bleiben. Sie bezahlten den gutmütigen Händler, wobei dieser schmunzelnd den Kopf schüttelte, als er das von Caspar erhaltene Geld in seiner Hand betrachtete, und gingen anschließend mit den neuen Waren zurück auf die Cerpat. Mit den Scheinwerfern konnten sie durch den Nebel navigieren und der mittlerweile zurückgekehrte Wind lud sie zum Aufbruch ein.

Beide Schiffe nahmen wieder ihren Kurs auf. Caspar sah dem Kahn noch lange nach, bis dieser schließlich im Nebel verschwunden war. Auf der Rückfahrt diskutierten die beiden darüber, wie ein Handelsschiff, das magische Gegenstände bei sich führte, in diese Gewässer gelangen konnte, die Caspar wie seine Westentasche kannte. Doch sie kamen zu keiner schlüssigen Lösung. Stattdessen bewunderten sie ihre neuen Waffen und sprachen über mögliche Verwendungen gegen Feinde, außerdem lobte Eldrit seinen Schützling dafür, Geld bei sich geführt zu haben, was Caspar mit einem Schulterzucken der Selbstverständlichkeit abtat.

Endlich war wieder Land in Sicht, die Klippe zeichnete sich deutlich gegen den Horizont ab. Beinah in Jubelschreie ausbrechend, überhörten die beiden Heimkehrer nur knapp das furchterregende Kreischen. Caspar war sich sicher, dass das Kreischen direkt vom Leuchtturm ausgehen würde. Doch dort war nichts zu entdecken. Sie steuerten direkt darauf zu und ankerten. Die Füße wieder auf festem Boden, sahen sie sich vorsichtig um. Nirgends war etwas Verdächtiges zu erkennen. Langsam schlichen sie zum Eingang des Turms. In dem aufziehenden Mond schimmerten ihre Schatten gruselig lang und unheimlich.

"Ja ja, so sieht man sich also wieder, meine Lieben! Habt ihr mich vermisst? Das hoffe ich doch stark!" In Windeseile drehten sich beide um und sahen Pépe vor sich stehen, wie er hämisch grinste und die Arme verschränkt hielt. Seit ihrem letzten Zusammentreffen waren seine Arme komplett zu undefinierbaren Hautklumpen verwachsen. Caspar wollte gerade zu ihm gehen, als Eldrit den Kapitän zur Seite nahm.

"Warte. Irgendwas ist faul an ihm. Ich glaube ehrlich gesagt nicht einmal, dass es noch der Pépe ist, den du kennst."

Caspar sah ihn an. "Ich kenne nur diesen einen Pépe, und der wird gleich mächtig Ärger bekommen", schnaubte er wütend.

Doch bevor er etwas sagen oder tun konnte, wich Caspar erschrocken zurück, denn vor ihm stand nicht mehr der Schiffsjunge, der einst auf vielen Fischkuttern mitgearbeitet und auch Caspar tatkräftig zur Seite gestanden hatte. Stattdessen hatte sich Pépe direkt vor ihren Augen in den Schnabeldrachen verwandelt, der sie mit seiner Möwenschar verfolgt hatte. Nun kreischte er in einem derart schrillen Ton, dass sie sich die Ohren zuhalten mussten. Mit ängstlichen Augen sahen sie, wie der Cheberim sich in die Lüfte erhob und auf der Spitze des Leuchtturms landete. Weit hatte er seine Schwingen ausgebreitet und streckte den Kopf in die Luft, als wolle er die Sterne am Himmelszelt fressen. Seinen Blick nicht von dem Ungetüm abwendend, flüsterte Caspar mit Eldrit, was nun geschehen solle. Der Trollenprinz sah sich um, dann dachte er angestrengt nach. Schließlich einigten sie sich darauf, die bei Gostov gekauften Waffen zum Einsatz zu bringen, die sich noch auf der Cerpat befanden.

Als der Cheberim seinen Blick für einen Moment seinen Kopf drehte, preschten sie los, so schnell ihre Beine sie tragen konnten. Wie geplant waren sie rasch auf dem Schiff und liefen unter Deck. Kampfbereit packten sie ihre schneidigen Helfer und stürmten zurück an Land. Das heißt, so bereit war Caspar noch nicht. Ein großes Schiff durch die wildeste See zu leiten, ohne dass es sinkt, war eine Sache. Auch die zeitweise auftauchenden Reibereien der Matrosen an Deck waren kein echtes Problem für ihn gewesen. Aber mit Waffen konnte er nicht besonders gut umgehen, seine Messerkünste waren indes passabel genug. Außerdem gab es nun plötzlich üble Monster in seinem Leben, die es aus irgendeinem Grund auf ihn abgesehen hatten. Also würde er kämpfen, koste es, was es wolle.

Natürlich wurden sie bereits erwartet, als sie vom Schiff kamen. Nicht nur war der Cheberim wieder am Boden, sondern er hatte auch noch gut zwei Dutzend Möwen um sich geschart. Ohne einen Ansatz von Furcht zu zeigen, stapften die beiden Waffenträger durch den Sand, der im hellen Mondlicht golden leuchtete. Etwas erstaunt über den plötzlichen Mut des Feindes, verharrte der Cheberim kurze Zeit und gab seiner kleinen Armee keine Anweisungen. Diesen Moment nutzte Caspar, um sich auf den grässlichen Anführer zu stürzen. Doch dieser bemerkte rechtzeitig den Angriff, wich mühelos aus und das Dolto erwischte stattdessen eine Möwe. Unmittelbar darauf folgte der Gegenschlag von der restlichen Möwenschar. Ihren Genossen rächend, hieben sie mit ihren harten Schnäbeln auf den schreienden Caspar ein. Mit wilden Schlägen seines Doltos versuchte Caspar, sich seiner Haut zu erwehren. Inzwischen stellte sich Eldrit dem Cheberim. Die Spitze des Magubos auf die Bestie gerichtet, schritt der kampfeslustige Prinz auf den wild kreischenden Widersacher zu.

"Na, du schnuckeliges Tierchen? Gefällt es dir nicht mehr da, wo du herkommst? Warum bist du hier? Was hast du vor? Und die wohl wichtigste Frage ist, warum interessierst du dich so brennend für meinen Klienten?"

Der Cheberim legte den Kopf schief.

"Dein Klient? Ich verstehe nicht..." Ihm war sein Unwissen anzumerken. "Ich habe Befehl, den Menschen auszuliefern, tot oder lebendig. Und kein dahergelaufener Irgendwas wird mich davon abbringen."

Eldrit hatte indes keine große Lust, den allwissenden Lehrmeister zu spielen.

"Fein, also habe ich es wohl nicht nur mit einem schwachen Cheberim, sondern auch noch mit einem Trottel zu tun. Daraus ergibt sich, dass du noch sehr jung sein musst. Du wurdest hierher geschickt, ohne deine Aufgabe wirklich begriffen zu haben. Zudem hast du, vermutlich durch Gedankenkontrolle, einfache Vögel zu deinen Dienern gemacht. Das entehrt dich als Vertreter deiner Spezies; auch wenn eure Spezies allgemeinhin nicht sehr ehrenvoll ist. Euer Volk war einstmals kooperativ genug, mit meinem die Handelswege aufrecht zu erhalten, lange bevor ihr euch entschieden habt, wie wilde Bestien zu leben. Aber ich erspare dir und mir mein königliches Geschwafel und das Schwelgen in alten Zeiten, indem ich dich jetzt zu deinen weitaus ruhmreicheren Vorfahren schicke. Leb wohl."

Mit diesem Satz stieß Eldrit dem immer noch unwissenden Ungetüm den Magubo mitten in die Brust. Kurz stöhnte er auf, dann sank er kraftlos zu Boden. Eldrit zog seinen Stab aus dem leblosen Körper und reinigte ihn vom Blut. Dann warf er einen eher unbeteiligten Blick zu Caspar. Unmittelbar wurde ihm bewusst, dass dieser ja noch mit den Möwen zu kämpfen hatte. Sofort lief der Prinz auf den Kapitän zu, über dem die Vögel stolz kreischten. Ein paar wenige saßen noch auf ihm und hackten gelangweilt herum; der Tod ihres Anführers hatte sie irritiert. Entschlossen hieb Eldrit nach den Möwen und sie flogen kreischend in den Nachthimmel davon. Eldrit beugte sich besorgt über den zusammengekauerten Caspar, wie er so sein Dolto festhielt und zitterte. Nach einiger Zeit sah er auf und blickte Eldrit direkt in die Augen.

"Sind... sind sie weg?" wisperte er, von Angst erfüllt. Eldrit nickte nur lächelnd. Caspar hatte sich kaum Verletzungen geholt. Um ihn herum lagen ungefähr sieben Möwen verstreut und rührten sich nicht mehr.

Frisch gebadet, erzählte Eldrit dem staunenden Seebären vom merkwürdigen Gespräch mit dem Cheberim und welchen Schluss er daraus zog.

"Ich denke, dass du einen weitaus größeren Gegner als die Cheberims zu fürchten hast. Denn wer eine solche Kontrolle hat und einen Unerfahrenen zu uns schicken kann, der muss große Macht besitzen. Der Anführer der Cheberims, ein Kommandant namens Gogre Dihn, würde keinen Anfänger schicken. Ich frage mich nur, wer neben meinem Vater soviel Macht besitzen könnte."

Nachdenklich kratzte sich Caspar am Bart und ging ans Fenster. In dieser Nacht wurde nicht mehr von möglichen Feinden oder Eldrits Vater geredet.

Solid Yol

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