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Ein Meister und eine Entführung

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Es war einer dieser Tage, die Caspar schon öfter während seiner Zeit auf See hatte. Er wurde wach und direkt stieg ihm dieser spezifische Duft in die Nase. Es war der Duft von Fleisch, das man nicht würde essen können. Und an so einem Tag stand der alte Seebär auf, ging runter in die Küche und da stand Eldrit mit einem verkokelten Gesichtsausdruck.

"Guten Morgen, mein Bester. Wie du siehst, ist mir wohl der Braten etwas verbrannt."

Caspar kratzte sich am Bart und beschloss, nichts zu dem Vorfall zu sagen. Ohne weiter nachzufragen, ob es Sitte von Eldrits Volk war, am frühen Morgen Braten zu essen oder ob man dort überhaupt wusste, wie ein Braten gemacht wird, säuberte Caspar in aller Ruhe die Küche. Eldrit wischte sich das Gesicht ab und stellte sich beschämt in den Kücheneingang. Nebenbei wanderte sein Blick durch den unteren Teil der Wohnung seines Schützlings, Freundes und Gastgebers.

Direkt links von der Eingangstür stand ein großer Eichenschrank, in dem hinter einer Glastür viele verschiedene Fotos von Schiffen, Matrosen und Häfen aufbewahrt und regelmäßig abgestaubt wurden. Der Schrank befand sich im Wohnzimmer, das man sofort betrat, wenn man ins Haus kam. Das große Sofa mit dem graubunten Muster, auf dem Caspar hin und wieder einschlief, stand direkt in der Mitte, davor ein langer Marmortisch. An der weißen Raufasertapete hingen viele Abzeichen, die Caspar auf seinen langen Reisen über Jahre hinweg erhalten hatte. Bis auf eine kleine Kommode in einer Ecke neben der Treppe stand sonst nichts weiter in dem großen Raum mit der vergoldeten Lampe an der Decke. Vom Wohnzimmer aus ging es in die Küche und die Treppe hinauf zu Schlafzimmer und Bad.

Caspar lebte sehr einfach und benötigte keinerlei modischen Kram. Er war ein Verehrer des Mittelalters und des Wilden Westens. Viele Jahre lang war er der Kapitän verschiedener Schiffe gewesen. Er führte seine Mannschaften über alle Seewege und litt an vielen ausländischen Krankheiten. Alles hatte er schon überstanden und sich darum einen Ruhestand sogar mehr als verdient. Doch nun waren nacheinander dieser Trollenprinz und dann auch noch der Cheberim aufgetaucht. Vorbei war es mit der Ruhe, dem Frieden und stillen Angeltagen am Strand. Vorbei die Zeit, als er und der aufgeweckte Pépe die Unterwasserwelt erkundet hatten. Caspar war jedoch regelrecht begeistert davon, endlich mal wieder echte Abenteuer zu bestehen. Die letzten Jahre auf See waren eher schleichend dahin gegangen und hatten keine wahre Herausforderung mehr für den rauflustigen Kapitän geboten. Da kamen Kämpfe mit bösen Kreaturen und Bekanntschaften mit mysteriösen Leuten gerade recht.

"So, das wäre geschafft. Jetzt kann sich meine Küche wieder sehen lassen", schnaufte Caspar und legte den Putzlappen aus der Hand.

In der Tat konnte Eldrit keine Spur mehr von seinem Chaos entdecken. Alles blitzte und strahlte.

"Man sieht, dass du nicht nur ein ausgezeichneter Kapitän bist. An dir ist ein Hausmann verloren gegangen", lachte der Prinz.

Caspar nickte lächelnd. "Da magst du recht haben. Und nun mach ich uns ein richtiges ..."

Es klopfte an der Haustür. Sie sahen sich an. Eldrit packte seinen Magubo und schlich an die Tür. Caspar öffnete sie einen Spalt und sah hinaus. Da stand eine junge Dame von vielleicht sechzehn Jahren und sah etwas unsicher durch den Spalt. "Entschuldigung, aber ich soll zu Ihnen", sagte sie mit einer merkwürdig klaren Stimme.

Caspar lächelte und öffnete die Tür. "Komm nur herein, wir haben dich erwartet. Hab keine Angst."

Eldrit stellte den Magubo wieder weg und sah sich das Mädchen an. Sie trug einfache Lederpantoffeln, die schon einiges mitgemacht haben mussten, und war eingehüllt in simple, braun gemusterte Leinenstoffe; zudem trug sie drei kleine Stoffbeutel bei sich, die ebenso braun waren wie ihre Kleidung. Nachdem sie sich nach dem Badezimmer erkundigt hatte und die Treppen hochgestiegen war, griff Eldrit sofort wieder nach seinem Stab. Dann flüsterte er zu seinem Freund:

"Sei wachsam, Caspar. Sie ist mir nicht geheuer. Etwas an ihr ist seltsam. Sie scheint wohl unser Schützling zu sein und doch mag ich sie nicht als freundlich gesinnt einstufen."

Caspar nickte und setzte sich auf die obersten Stufen der Treppe, sein Dolto griffbereit.

Vom Bad hörten sie nur ein wenig Wasser rauschen, dann war es wieder still. Eldrit sah neugierig, aber auch mit ein wenig Unmut zur Treppe hinauf. Caspar lauschte, merkte aber nichts Ungewöhnliches. Er sah zu Eldrit und zuckte die Schultern. Der Prinz schloss derweil seine Augen und horchte nach leisesten Geräuschen in der unmittelbaren Umgebung.

Mit einem plötzlichen Satz sprang er weit nach rechts. Als hätte er es geahnt, landete direkt an seinem vorherigen Standort ein großer Hammer und ließ die Erde erbeben. Caspar sah ungläubig auf die Waffe und den darunter zerborstenen Boden seines Wohnzimmers und stand sofort auf, sein Dolto fest umklammert.

Kurz darauf war wildes Geschrei zu hören, aber die Verursacher dieses Lärms konnten sie nirgends ausmachen. Stattdessen rannte Eldrit so schnell er konnte zum Bad hinauf an Caspar vorbei, um nach dem Mädchen zu sehen. Doch seine Sorge war unbegründet, wie er nur Sekunden später feststellen musste.

Das Mädchen kam auf ihn zu, ihr im Rücken nicht weniger als zwanzig Männer in verdreckter, altertümlicher Kleidung, gerade so, als wären sie von einer Schlammschlacht im Mittelalter gekommen, mit dem einzigen Unterschied, dass sie alle soeben aus Caspars Badezimmer zu stürmen schienen.

Eldrit hob seinen Magubo und ließ ihn in der Hand kreisen. So einigermaßen gesichert, ging er der ihm deutlich überlegenen Gegnerschar entgegen. Gerade als ein stämmiger Kerl mit wildem Rauschebart auf ihn zusprang, schossen zwei lange, silbern schimmernde Klingen wie Blitze an Eldrit vorbei und trafen den Angreifer mitten in den keulenschwingenden Arm. Caspar hielt das Dolto zitternd in seiner Hand und nickte dem Prinzen nur mühsam lächelnd zu, um sich direkt danach wie ein Berserker in die Menge zu stürzen.

Währenddessen steuerte das Mädchen kontinuierlich auf Eldrit zu. Dieser fühlte sich in seiner Vorahnung mehr als bestätigt und richtete den Stab direkt auf seine vermeintliche Feindin. Doch das Mädchen blieb einfach stehen und lächelte ihn an. Eldrit begriff in diesem Moment gar nichts mehr. Wollte sie ihn denn nicht angreifen? Und was hatte sie mit diesen rauen Burschen zu schaffen? Waren die etwa gar keine Angreifer? Hatten er und Caspar nur etwas falsch verstanden?

"Caspar, zügle dich! Stopp, Caspar! Mein Freund, lass gut sein!"

Der wild um sich schlagende Seebär sah seinen Leibwächter entgeistert an und steckte beinahe widerwillig seine treue Zweiklinge weg. Dann richtete er sich auf und sah auf den gerade verletzten Burschen. Dieser winselte vor Schmerzen und sah sich nach dem Mädchen um. Sie lief auf ihn zu und verarztete die Wunde, so gut es möglich war. Dann drehte sie sich um und sah die beiden Kämpfer an. Zu deren Verwunderung sprach sie nun mit einer sehr männlichen Stimme:

"So was macht man doch nicht mit seinen Gästen. Sie wollten euch nur begrüßen. Ihr solltet euch wirklich was schämen. Das war nicht nett. Allerdings zeigt mir das, wie vorsichtig ihr beiden sein könnt. Kompliment!"

Sie machte eine kurze Handbewegung, worauf einer der größten Kerle vortrat und mit einer Reibeisenstimme sagte:

"Ich bin Hauptmann Yhildrat, und dies sind meine Männer. Wir sind Räuber aus einem euch wahrscheinlich unbekannten Land und beschützen unseren Meister und alle seine Freunde."

Caspar, der sich für kontaktfreudiger hielt als Eldrit, ging auf Yhildrat zu und reichte ihm die Hand, welche der Räuberhauptmann annahm. Caspar konnte seine Neugier unter Kontrolle halten und fragte lediglich:

"Wer ist euer Meister? Und im Übrigen verzeiht mir meine zügellose Tatkraft, ich hielt euch für Feinde."

Yhildrat zeigte auf das Mädchen.

"Er ist unser Meister. Und wie er schon sagte, ihr wolltet lediglich vorsichtig sein, also sei es euch verziehen."

Eldrit und Caspar sahen gleichermaßen verwirrt aus. Sie starrten das Mädchen entgeistert an, bis ihnen dann doch die Sprache wiederkam. Wie aus einem Munde kam ihnen derselbe Gedanke.

"Das Mädchen ist euer Meister? Aber ..."

Die Räuber grinsten, und auch das vermeintliche Mädchen konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Dann sprach sie mit ihrer Männerstimme weiter:

"Ihr wisst längst nicht alles und außerdem darf ich ja darauf hinweisen, dass euch der Umstand, dass ihr Unterstützung bei der Betreuung des Schützlings bekommt, mitgeteilt wurde. Also hört gefälligst auf, so entgeistert zu schauen." Mit diesen Worten rannte der Meister die Treppe hinunter aus dem Haus.

Die beiden Freunde standen noch immer da und fanden keine Worte für das eben Gehörte. Derweil hatten sich die Räuber selbstständig gemacht und erkundeten das Haus. Als sich Eldrit wieder einigermaßen gefasst hatte, ging er zu Yhildrat.

"Hör mal, wie ist das nun mit eurem Meister? Und wo ist der Schützling eigentlich?"

Der Hauptmann sah ihn nur schmunzelnd an.

"Pass gut auf, du Mantelmann“, begann Yhildrat, denn ihm war aufgefallen, dass Eldrits Mantel bei keiner seiner Bewegungen viel mehr als nötig zeigte. "Ich kann nur wenige Auskünfte machen, und nur die wenigsten davon sage ich dir, da sie nicht für deine Ohren bestimmt sind. Unser Meister ist viele und auch keiner. Er ist und gleichzeitig ist er nicht. Er kann Herr über Himmel und Erde sein, über Wasser und Feuer, über Tier und Mensch. Doch eines wird er nie sein - durchschaubar oder logisch. Du wirst lernen, ihn zu kennen und mit ihm auszukommen. Beachte alles, was er tut, jedoch starre ihn nicht an oder belästige ihn. Du wirst schon sehen, was ich meine. Und was unseren gemeinsamen Schützling angeht - sie wird gewiss bald zu uns kommen, da der Meister jetzt für ihre Sicherheit bürgen kann. Habe Geduld, Mantelmann. Hab nur Geduld."

Eldrit nickte und wandte sich ab. Er konnte nicht ahnen, dass der Räuberhauptmann nicht viel mehr wusste als er selber, und dass seine Worte nur kryptisches Gerede waren, die der Meister ihm zu sagen befohlen hatte.

Als Eldrit zur Tür kam, drehte er sich noch einmal zu Yhildrat um.

"Ich heiße übrigens Eldrit."

Der Hauptmann lächelte und sagte: "Gut für dich, Mantelmann."

Eine Woche verging, und die Räuberbande war noch immer im Haus von Caspar einquartiert. Und noch immer hatten weder der neugierige Caspar noch der wachsame Eldrit ihren Schützling entdecken können. Die Räuber als auch der Meister, wie er anscheinend wirklich nur genannt wurde, waren keine große Informationsquelle, denn auf jede spezifisch gestellte Frage antworteten sie jedes Mal: "Ihr werdet sehen. Wartet ab", abwechselnd in mehreren Variationen. In Wahrheit machten auch sie sich Sorgen, wieso der Schützling nichts längst zu ihnen gebracht worden war. Zudem ließ sich der Meister kaum blicken. Immer mal wieder zog er sich aus dem Haus zurück. Sobald Caspar oder Eldrit ihm zu folgen versuchten, war er jedes Mal schon spurlos aus ihrem Blickfeld verschwunden. Sie sahen vor dem Haus nur den sich nicht verändernden Vorgarten und den merkwürdigen Baum auf dem Rasen.

Doch eines war beinahe noch seltsamer als das Verhalten des Meisters. Der Baum, so unglaublich es auch war, schien jeden Tag ein wenig näher ans Haus zu rücken.

Caspar hatte sich inzwischen damit abgefunden, sein Frühstück mit einer Schar schmatzender, sabbernder, grunzender und rülpsender Räuber zu verbringen. Und das, obwohl sie sich wirklich alle nur erdenkliche Mühe gaben, wenigstens etwas gesittet zu erscheinen.

Nachdem er sein Mahl beendet hatte, stand Caspar auf und ging wie jeden Morgen an die Tür, um nach der Post zu sehen. Doch diesmal kam es etwas anders als sonst.

Als der alte Seebär die Tür öffnete, standen dort drei dick gekleidete Gestalten mit verhüllten Gesichtern. Sie machten keine großen Anstalten, sich vorzustellen, was ihm schon merkwürdig genug erschien. Doch dann packten ihn in Windeseile mächtige Tatzen, wie sie normalerweise Raubkatzen besitzen, knebelten ihm den Mund und zerrten ihn ohne große Anstrengung in eine edel aussehende Pferdekutsche. Diese fuhr sofort los und verschwand kurze Zeit später um eine Straßenecke.

Niemand hatte zu diesem Zeitpunkt etwas von der Entführung gemerkt. Die Räuber saßen immer noch allesamt am Frühstückstisch und futterten, was der Kühlschrank her gab. Und Eldrit schlief noch tief und fest in seinem Bett.

Als etwa eine halbe Stunde verstrichen war, kam Yhildrat nach oben, um den Prinzen zu wecken. Eldrit merkte sofort an der freundlichen, ja geradezu höflichen Ausdrucksweise des Hauptmannes, dass etwas passiert sein musste.

"Verzeih, ehrwürdiger Prinz, dass ich dich wecken muss. Aber ich denke, dass es wichtig sein dürfte."

"Was hast du zu vermelden, sprich!", sagte Eldrit und stand auf. Yhildrat stutzte kurz, bevor er sprach: Es hatte ganz den Anschein, als schliefe der Edeltroll sogar in seinem Mantel.

"Nun, Prinz, ich war ziemlich rasch mit dem Essen fertig. Deshalb ging ich ins Wohnzimmer, um ein wenig mit Caspar zu reden. Doch er ist weg."

Das Gesicht des Prinzen wurde mit einem Mal kreidebleich.

"Was sagst du da? Er ist weg? Wie kann das passieren? Einfach so weg? Was heckst du aus, Räubergeselle? Oder steckt euer Meister dahinter? Ich will sofort wissen, was ..."

In diesem Moment kam einer der Räuber ins Zimmer. Er hielt einen funkelnden blauen Stein in der Hand.

"Woher hast du den?“ wollte der Hauptmann wissen.

"Wir haben wie befohlen nach Spuren gesucht. Und dann fiel er vom Himmel.“

"Wie, er fiel vom Himmel? Einfach so?“ Yhildrat sah ihn etwas skeptisch an.

"Naja, nicht so ganz. Dreto und mir ist dieses Leuchten in der Baumkrone aufgefallen, und mit einem Mal fiel der Stein auf die Erde, und das Leuchten im Baum war weg.“

"Seltsam. Naja, egal. Gut gemacht, Hanur. Gib mal her.“

Yhildrat nahm den Stein an sich und beäugte ihn. Es war ohne Zweifel ein echter Saphir von der Größe eines Wackersteins, halbrund, und auf der abgeflachten Seite stand in grüner, krakeliger Schrift:

Verlorener fern der Heimat, doch sucht nah.Was noch unauffindbar, soll ungesucht bleiben.Nah und fern sind eins für den Blinden.

Er zeigte Eldrit die Sätze.

"Was heißt das, Prinz?"

Eldrit dachte nach, dann nickte er und ging aus dem Zimmer nach unten. Der leicht verwirrte Yhildrat kam samt seinem Gefolgsmann hinterher.

"Entschuldige, oh Prinz. Aber was sagt dir diese Inschrift? Wo befindet sich Caspar?"

Eldrit drehte sich kurz um, seine Augen blickten ernst und ruhig.

"Zumindest weiß ich, wenn diese Sätze uns wirklich helfen sollen ... und von nichts anderem sollten wir ausgehen ... dass wir nicht ganz planlos nach Caspar suchen müssen. Allerdings ist Eile geboten, denn wenn ich nicht fehl gehe, befindet er sich in Gefangenschaft. Yhildrat, du nimmst jetzt drei deiner stärksten und fähigsten Männer und kommst mit mir. Beeile dich!"

Während er noch redete, packte der Trollenprinz seinen Magubo und suchte dann einiges für eine längere Reise zusammen, inklusive Proviant, wobei er an den Hunger der Räuber dachte, und packte alles – soweit dies möglich war – in einen Seesack von Caspar, der in einer Ecke stand.

Yhildrat tat sofort, wie ihm geheißen, da auch er die Dringlichkeit des Moments erkannt hatte. Er trommelte alle neunzehn Männer zusammen und wählte sorgfältig die drei stärksten aus.

Zwei von ihnen maßen an die zwei Meter; der erste hatte Oberarme so dick wie junge Baumstämme und eine Holzkeule mit einer silbern glänzenden Spitze, dem zweiten stand ein Eckzahn aus dem Unterkiefer und in seinem an sich sympathisch wirkenden Gesicht saßen schmale Augen, die zudem böse funkelten.

Der dritte allerdings schien etwas kümmerlich geraten zu sein. Er war ein mageres Kerlchen, noch dazu mit einem traurigen Hundeblick.

Eldrit, fertig mit den Vorbereitungen, besah sich die Auswahl, winkte den Hauptmann zu sich und fragte:

"Hast du dich nicht etwas verschätzt? Ich sagte, starke Männer. Was soll der Grashalm da? Wir haben keine Zeit für Witze."

Yhildrat aber beschwichtigte ihn.

"Sei unbesorgt, Prinz. Ich habe die richtige Wahl getroffen. Ich kenne die Stärken aller meiner Männer. Und glaub mir, das Aussehen des Stillen täuscht nicht bloß Freunde."

Eldrit sah zu dem Mann, den der Hauptmann den Stillen nannte. Sich noch fragend, was jemand könne, der Gefahr lief, beim kleinsten Windstoß umgestoßen zu werden, machte sich der Prinz mit seinen vier Räubern auf den Weg. Zuvor hatte Yhildrat dem Rest seiner Bande Anweisungen gegeben, was sie in seiner Abwesenheit zu tun hatten, und Hanur das Kommando übertragen.

Im Vorgarten hielten die fünf bereits wieder an. Eldrit lächelte und zeigte auf den Baum, der nun schon bis zur Mitte des Gartens gerückt war. Das blaue Leuchten in der Krone war wieder heller denn je und die Blätter raschelten in einem für die Kämpfer unspürbaren Wind.

"Dies ist scheinbar unser Ziel, wenn ich den Text des Steines richtig deute.

Verlorener fern der Heimat, doch sucht nah, das deutet für mich klar auf Caspar hin. Er scheint uns weit weg zu sein, und doch ist der Punkt, von dem aus wir uns auf die Suche machen sollen, nur knapp mehr als einen Katzensprung entfernt.

Was noch unauffindbar, soll ungesucht bleiben. Ganz klar ist mir dieser Teil noch nicht, aber es mag damit unser Schützling gemeint sein, die wir immer noch nicht zu Gesicht bekamen. Spekulativ will uns dieser Satz sagen, dass wir quasi ganz von selbst auf sie stoßen werden. Das allerdings macht sie, wenn ihr mich fragt, sehr angreifbar. Doch nun gut, vielleicht mag uns unser unbekannter Helfer auch in dieser Sache zur Seite stehen, wenn es soweit ist. Der letzte Satz ist der einzige, mit dem ich momentan nichts anzufangen weiß: Nah und fern sind eins für den Blinden. Unter Umständen könnte auch dies mit Caspar oder mit dem Schützling zu tun haben. Doch sicher bin ich mir nicht, übrigens bei keiner meiner Vermutungen. Doch in einem bin ich mir relativ sicher, nämlich dass wir einen Verbündeten haben. Insofern können wir darauf vertrauen, dass seine Informationen, auch wenn sie sehr unglücklich formuliert sind, doch der Richtigkeit entsprechen."

Yhildrat begriff die Sachlage und nickte, die drei anderen taten es ihm gleich.

"Und wie gehen wir jetzt vor, wenn die Frage erlaubt ist?" wollte der Hauptmann wissen.

Eldrit packte seinen Magubo mit beiden Händen.

"Geht ein wenig zurück, das hier könnte Funken schlagen."

Sofort brachten sich die Räuber außer Reichweite und beobachteten den Prinzen. Eldrit seinerseits hatte sich schon seit einiger Zeit mit der wahren Bedeutung des Baumes beschäftigt. Zwar war ihm noch immer nicht in den Sinn gekommen, was es damit wirklich auf sich hatte. Doch wenigstens die Tatsache, dass der informative Stein aus ihm gefallen war, brachte den Trollenprinzen auf die Idee, dass der Baum auch als Beginn ihrer Suche zu sehen war. Und als er nun vor ihm stand, sah er seine Annahme als bestätigt, denn an einer Stelle mitten in der Rinde war ein breiter Spalt.

Kurzerhand steckte Eldrit die Speerspitze des Magubo hinein und schloss die Augen, um sich auf die magische Energie seiner Waffe zu konzentrieren. Nach kurzer Zeit fing der Stab zu glühen an, bis sein Leuchten den Prinzen vollständig einhüllte. Dort, wo der Magubo im Baum steckte, riss nach oben und nach unten die Rinde auf und es entstand eine Spalte, die so breit war, dass bequem zwei Männer nebeneinander hindurch gehen konnten.

"Los, folgt mir!" rief Eldrit und stieg in den Stamm.

Die Räuber, immer noch fasziniert von dem magischen Schauspiel, eilten hinterher. Etwas ängstlich durch die leuchtende Spalte gehend, waren alle fünf plötzlich in einem weißen Raum, oder zumindest schien er weiß zu sein. Denn als sie sich umsahen, war da keine Spalte mehr, durch die sie gekommen waren. Nirgends sahen sie eine Kante oder auch nur den Ansatz einer Tür oder eines Fensters. Es war unglaublich hell, und doch fühlte sich keiner geblendet.

"Es ist besser, wir bleiben dicht zusammen. Es könnte sonst passieren, dass wir ..."

Die Helligkeit wechselte zu einer weiten Ebene. Grünes, kniehohes Gras wehte in einem leicht erfrischenden Wind. Gelblich schimmernde Schmetterlinge flogen umher, und nirgendwo konnte man ein Ende dieser Landschaft wie zum Beispiel Bäume oder eine Stadt sehen. Die Luft war angenehm warm, aber nicht zu drückend. Trotz dieses Klimas war in weiter Ferne Nebel zu erkennen. Da sie keine andere Möglichkeit sahen, marschierten die fünf Krieger einfach geradeaus. Mal raschelte es im Gras, wenn ein Hase ihren Weg kreuzte, ein anderes Mal machten sich die gelben Schmetterlinge über sie lustig und setzten sich frech auf ihre Nasen oder ins Haar.

So vergingen gut drei Stunden. Zwischendurch machten sie Rast, wenn die Füße weh taten, dann aßen sie ein wenig vom Proviant, den Eldrit eingepackt hatte. Nach einer weiteren Stunde des Laufens blieb Yhildrat stehen. Die anderen blickten ihn fragend an, ohne einen Ton zu sagen. Er sah direkt nach vorne und kratzte sich am Kopf. Sie folgten seinem Blick und konnten zuerst nichts feststellen. Doch dann sahen auch sie es.

Die Ebene war zu Ende. Die Graslandschaft hörte einfach plötzlich auf und verlor sich im Himmel. Mit einem Mal stellten sie fest, dass sich der Nebel, den sie vorhin wahrgenommen hatten, nun bereits um sie geschlossen hatte und sie schon eine ganze Weile in ihm wanderten, ohne es wirklich wahrgenommen zu haben. Inzwischen war er sehr dicht geworden, und eben genau dieser Nebel umhüllte auch den Anblick, der sich nur wenige Schritte vor den fünf verwunderten Kämpfern befand.

Der Räuberhauptmann schickte den Stillen vor, um das Ende zu erkunden. Der Stille lief vor und hockte sich auf die Knie. Dann sah er nach links und er sah nach rechts. Er schnupperte in den Nebel und bedeckte seine Augen, als würde Sonne darauf scheinen. Schließlich kam er zurück gelaufen und fuchtelte mit den Armen. So sah es zuerst wenigstens aus. In Wahrheit benutzte der Stille die Zeichensprache und zu des Prinzen noch größerer Verwunderung verstand sie der Hauptmann auch und antwortete auf die selbe Weise. Eldrit war gespannt darauf, was der Stille gesehen hatte.

Letztendlich klopfte Yhildrat seinem Späher auf die Schulter und wandte sich an den Prinzen.

"Du wirst es kaum glauben, Prinz. Wir befinden uns auf einer Hochebene. Unter dem Nebel da vorne befindet sich meilenweit in der Tiefe wieder Gras und ganz weit hinten steht so was wie ein Schloss. Zu dem führt ein langer Wanderpfad, der sich bis zur linken Seite dieser Hochebene, auf der wir stehen, windet. Wir müssen nur ein paar Meter laufen, dann müssten wir schon auf den Weg stoßen. Etwas links vom Weg mitten in der Tiefebene befindet sich ein Sumpf oder etwas ähnliches, ansonsten war nichts Wichtiges zu entdecken."

Eldrit nickte zufrieden. Der Umstand, dass der Stille die Fähigkeit besaß, meilenweit durch Nebel sehen zu können, beeindruckte ihn.

"Gute Arbeit, ihr zwei. Das ist zumindest ein Anhaltspunkt. Und auch, wenn ich beim besten Willen nicht zu sagen vermag, wo wir uns hier befinden, so habe ich doch das Gefühl, dass wir in dem Schloss Antworten finden werden. Dann machen wir uns am besten direkt auf den Weg. Los, kommt!"

Mit diesen Worten gingen sie los. Inzwischen war der Nebel derart dicht geworden, dass sie nicht mehr als einen Steinwurf weit sehen konnten. Ansatzweise konnte man hier und da Konturen von Tieren erkennen, doch der größte Teil war vom Nebel eingehüllt. Zusätzlich zog eine abkühlende Frische auf.

Nach wenigen Minuten schon gelangten sie fünf zum Anfang des Weges, von dem Yhildrat gesprochen hatte. Sie atmeten noch einmal tief durch und wagten sich dann auf den Pfad hinunter in die neblige Tiefebene.

Solid Yol

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