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Pardenfese

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Felina ging schon seit einer ganzen Weile hinter Fegat und Narbenkralle her. Nachdem sie am Tor zu Pardenfese angekommen und losgegangen waren, hatte Felina den respekteinflößenden Narbenkralle mehrmals gemustert und dabei aufgepasst, dass dieser nichts merkte. Jedes Mal, wenn sie sich sein Fell, seine zerfetzte Hose und seinen eigentümlichen Gang ansah, schien es ihr, als existierten zwischen diesem Narbenkralle und jenem, welcher sie in der Bar angegriffen hatte, ganze Dimensionen. Der Narbenkralle in der Bar hatte ihr Angst gemacht. Dieser hier wirkte auf sie, als wäre er ihr Vater oder ein entfernter Onkel. Dabei fiel ihr zum ersten Mal, seit sie in dieser fremden Welt war, auf, dass sie bisher keinen Gedanken daran verschwendet hatte, wie es ihren Eltern daheim gehen könnte und ob sie sich Sorgen machten. Nun aber verspürte Felina dringende Sehnsucht nach ihren Eltern. Doch vorerst sagte sie Fegat und Narbenkralle nichts davon. Vielmehr war sie nun gespannt auf Pardenfese, diese neue Welt, von der Narbenkralle während ihrer Wanderung durch die Regenbogenröhre schon ein paar Brocken erzählt hatte. Es handelte sich dabei um allgemeine Informationen, die nur Vermutungen zuließen. Doch diese genügten schon, um Felina neugierig zu machen. Narbenkralle hatte erzählt, dass es in Pardenfese viele wie ihn gäbe, und alle hätten zwei oder mehr unterschiedliche Erscheinungsformen. Er selbst habe nur drei, von denen wenige die dritte gesehen hätten, weil er sie nur sehr selten zeigen würde. Sonst hatte Narbenkralle nichts erzählt, was Felina noch neugieriger machte.

Pardenfese war weitaus mehr als das, was der Werwolf preisgab. Vor allem war es die Heimat der Uredan, zu denen auch Narbenkralle gehörte. Die Uredan konnten sich in verschiedene Tiere verwandeln, was in der Regel von ihrer emotionalen Verfassung abhing. So konnte ein Adler, wenn er wütend wurde, schnell zu einem Bären mutieren und ein ängstlicher Elefant schrumpfte in Sekunden zu einem piepsenden Küken. Viele der Uredan, so auch Narbenkralle, hatten aber nur zwei oder drei Tiergestalten, in die sie sich verwandeln konnten, was erblich bedingt war. So war die Gestalt eines Werwolfs nicht unbedingt ein Anzeichen für Wut. Im Fall von Narbenkralle war es sogar seine alltägliche Gestalt, mit der er sich fortbewegte. Es gab allerdings auch Vertreter der Uredan mit mehr als drei Verwandlungsformen. Diese waren dann entweder von Anfang an als Auserwählte vorgesehen und hoch angesehen oder es handelte sich einfach um eine Laune der Natur. Weil die Uredan für ihre Verwandlungen bekannt, aber auch gefürchtet waren, nannte man sie häufig nur die Vielgestaltigen. Viele Uredan lebten die ersten Jahre ohne Namen, bis sich ein bestimmter Umstand oder ein bestimmtes Gefühl geprägt hatte. Narbenkralle hatte in frühester Kindheit Streifzüge durch die Wildnis unternommen, wobei er viele wilde Tiere mit seinen messerscharfen Krallen erlegte. Meist hatte seine Mutter einen ganzen Nachmittag damit verbracht, seine Wunden zu versorgen. Viele ließen sich nicht heilen, weshalb bald manche Körperstellen mit Narben übersät waren. Erst zu diesem Zeitpunkt hatte er seinen Namen erhalten. Pardenfese war aber nicht nur die Heimat der Vielgestaltigen, sondern auch Zufluchtsort für Träumer, geflohene Häftlinge und allerlei Tagediebe. Doch auch Reisende kamen gerne hierher, angelockt von der Fülle der Natur. Die Wildnis war wie eine Stadtmauer und man konnte sich auf vielen Hügeln und Bergen austoben. Verschiedenste Bäume standen kreuz und quer in der Landschaft, viele Häuser waren meist nur durch einen Busch getrennt. Auf einem der höchsten Hügel am Rand von Pardenfese befand sich eine Höhle, die von der Stadt aus sichtbar war. Dort befand sich der Eingang zur Stadt, aus dem auch Felina, Fegat und Narbenkralle kamen, als sie aus der Regenbogenröhre kletterten, die sich hinter ihnen schloss. Felina fühlte sich für einen Augenblick in die unendliche Finsternis zurückversetzt, in der sie auf Nigma und seinen haarigen Freund gestoßen war. Doch schon nach wenigen Schritten tat sich vor ihr die gewaltige Pracht von Pardenfese auf. Sie staunte nicht schlecht, als sie von ihrem Standpunkt aus den ganzen Wald überblicken konnte, welcher sich in einem Talkessel befand. Und als sie hinter dem hintersten Berg noch mal einen anderen Urwald sah, der wiederum in einem Talkessel lag, staunte sie umso mehr. Genau genommen sah Felina unglaublich viele Wälder in unglaublich vielen Talkesseln und der ganze Anblick erstreckte sich bis zum Horizont. Und von der Höhle, aus der sie nun kamen, führte ein gepflasterter Weg in den Wald hinein, der am nächsten lag. Die Luft war beruhigend, warm und feucht zugleich. Und dort, zwischen all den Bäumen, Ranken, Büschen und anderen Gewächsen, konnte sie nun auch die Häuser erkennen. Sie waren stämmig gebaut, manche größer als die Bäume, manche waren winzig wie eine Erbse und aus der Entfernung kaum erkennbar; lediglich ein Rauchstreifen hier und da ließ vermuten, dass sich dort Häuser mit Schornsteinen befanden. Plötzlich wäre Felina beinahe den Abhang hinunter gefallen, der ins Tal führte, wenn Narbenkralle sie nicht festgehalten hätte. Der Grund für ihre Unachtsamkeit war die Entdeckung der Uredan, der Vielgestaltigen. Überall tummelten sich kleine und große Tiere, Fabelwesen und vollkommen skurrile Lebensformen. Da gab es Einhörner, die zwei goldene Hörner auf ihrer Stirn trugen. Fegat erklärte, dass diese Wesen Zweihörner genannt wurden. Es gab Elefanten, Werwölfe mit unterschiedlichen Fellfarben, Schlangen, Lindwürmer, Drachen in den unterschiedlichsten Formen, Wespen, Giraffen, Büffel und einfach alles, was an tierischen Lebensformen nur denkbar gewesen wäre. Doch egal, wie verschieden sie aussahen, in einem glichen sich alle: Sie gingen auf zwei Beinen. Selbst einige Schlangen hatten so etwas wie Beine, die beinahe den Tentakeln eines Tintenfischs glichen. Nur die flugfähigen Tiere liefen nicht immer. Während Felina noch am Eingang der Höhle stand und ihre Begleiter neben ihr, kam plötzlich ein Schildkröterich langsamen Schrittes auf sie zu; er schien keine Mühe zu haben, den Abhang zu besteigen. Geduldig warteten die drei, bis er schließlich oben ankam. Sein dunkelgrüner Panzer war von einigen Mustern und Symbolen überzogen und seine wie aus grauer Vorzeit übrig gebliebenen Augen sahen jeden von ihnen weise an. Mit rauer, heller Stimme begann er zu sprechen.

"Seid willkommen in Pardenfese. Fegat, Narbenkralle, ich hoffe, ihr hattet eine gute Reise. Und einen Gast habt ihr auch mitgebracht. Ich grüße dich. Mein Name ist Kudwan Melinar und ich habe die Aufsicht über den ersten Wald. Fühl dich wie zuhause und leiste uns Gesellschaft.“

Narbenkralle und Fegat verneigten sich tief vor dem Aufseher, deshalb wollte Felina nicht unhöflich erscheinen und tat es ihnen gleich. Dann folgten sie Kudwan auf dem Weg hinunter ins Tal.

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