Читать книгу Solid Yol - Nick Finkler - Страница 14
Die Erzählungen der Seherin
ОглавлениеEldrit und die anderen waren nach der Begegnung mit Gheratij wieder in Bewegung. Sie hatten sich von dem Schrecken erholt, den ihnen das grausige Geschöpf beschert hatte, und gingen auf dem Pfad weiter, der augenscheinlich zu dem gigantischen Schloss führte, welches dort immer noch weit vor ihnen im Nebel lag. Keiner von ihnen wagte auszusprechen, was sie machen sollten, falls Caspar nicht im Schloss zu finden sei, denn keiner von ihnen wollte die Hoffnung in den Herzen der anderen senken. Und dennoch dachten alle daran, dass ihre Suche im Schloss erfolglos enden könnte. In den langen Stunden, seit denen sie durch den Baum in Caspars Vorgarten in diese Welt gekommen waren, waren sie sich rasch einig geworden, dass niemand von ihnen je auch nur einen Fuß in diese Welt gesetzt hatte. Schon oft, seit sie unterwegs waren, hatten sie des Nachts ihre Lage besprochen und waren immer zum selben Schluss gekommen. Wenn sie Caspar wirklich wiedergefunden hatten, was angesichts dieser großen und unbekannten Welt sehr zeitaufwendig zu werden schien, wollten sie sich direkt auf dem schnellsten Wege nach Hause aufmachen, um die angekündigte Ankunft des Schützlings zu erwarten.
Soeben hatte Eldrit noch darüber nachgedacht, wie es Caspar wohl ergehen mochte, als ein Stück weit vor der wandernden Gemeinschaft plötzlich ein Schatten im Nebel sichtbar wurde. Eine undeutliche Gestalt zeichnete sich dort ab, die nur langsam an Kontur gewann. Eldrit und Yhildrat hielten wieder ihre Waffen bereit und gingen vor Gumbol, dem Stillen und dem bisher namenlosen Räuber.
"Welch seltene Gäste. Schau einer an, schau einer an. Überrascht bin ich dennoch nicht, da ich mir so etwas dachte, seit sie diesen alten Brummbären hier vorbeibrachten. Gegrüßt seid ihr, werte Fremde. Gewiss seid ihr weit gereist.“
Die fünf Gefährten sahen sich verblüfft an. Woher wusste dieses Wesen mit der sanften Stimme von Caspar? Womöglich hatte sie sogar gesehen, wohin Caspar gebracht wurde. Sofort ging Eldrit auf die Schattengestalt zu. Wie er schnell bemerkte, befand sich dort im lichter werdenden Nebel ein etwas größerer Felsen, auf dem zum Erstaunen des Edelprinzen ein Rehkitz saß, doch es sah nicht gewöhnlich aus. Vielmehr bestand es zu einem gewissen Teil aus menschlichen Gliedmaßen, was es dazu befähigte, leicht aufrecht auf dem Felsen zu sitzen und sich mit einem Arm aufzustützen. Eldrit betrachtete das Wesen genau. Vieles hatte er schon gesehen auf seinen Reisen, aber solche Mischwesen, halb Mensch, halb Tier, hatte er nur sehr selten erblickt. Der Kopf des Rehkitzes war beinahe menschlich; tiefschwarze Augen blickten den Trollenprinz sehnsüchtig an, gerade so, als hätte dieses Geschöpf sein Leben lang nur auf ihn, Eldrit, gewartet; die Ohren waren denen eines jungen Kitzes ähnlich; der Oberkörper war hauptsächlich menschlich, und die jungen Brüste wurden lediglich von einer seichten Schicht hellbraunen Fells verhüllt; die Arme waren zierlich und mit braunem Fell bedeckt, endeten aber wieder in Menschenhänden. Der Unterkörper war hauptsächlich von tierischer Gestalt; statt Füßen besaß die junge Schönheit Hufe, die lässig vom Felsen herabhingen. Eldrit konnte seine Blicke kaum von ihr nehmen, so anmutig und wunderbar war sie anzusehen. Doch schnell kamen seine Erinnerungen wieder, denn er war nicht durch einen Baum gestiegen, um hier in einer fremden Welt auf ein Rehmädchen zu stoßen, das ihn betörte. Er war ein Trollenprinz und immer noch auf der Suche nach Caspar, der hier verschollen war. Und so stellte Eldrit denn auch rasch die Frage, weswegen er vor dem Rehmädchen stand.
"Du sagtest, du hättest einen alten Mann gesehen, der hier vorbeigebracht wurde?“
Das Rehmädchen nickte eifrig. "Ja, das habe ich. Er war ganz wütend, aber ich konnte nicht verstehen, was er sagte. Die von den Kadensepiras haben ihn weggebracht. Jawohl, mein Herr, das habe ich gesehen. Es waren Kadensepiras, ganz bestimmt. Nur sie bringen das fertig.“
"Und wer oder was sind die Kadensepiras? Kannst du mir etwas mehr von ihnen erzählen?“
Das Rehmädchen nickte erneut und begann zu erzählen, während Gumbol und die anderen langsam näher kamen und sich vor den Felsen setzten, um zu lauschen.
Sie erfuhren, dass diese Welt Bunyarba hieß und dass sie auf das Schloss von Keptem Linodarmas zusteuerten. Keptem war ein Abschnittsmagier, seine Magie wirkte nur innerhalb des Abschnitts von Bunyarba, in dem er lebte. Bunyarba besaß, soweit das Rehmädchen wusste, ungefähr achthundertdreiundvierzig Abschnitte, in jedem lebten mehr oder weniger als tausend Abschnittsmagier und ungefähr doppelt so viele Eingänge gab es, die nach Bunyarba führten. Als Eldrit die Zwischenfrage stellte, wie man denn wieder hinauskönne, bekam er als Antwort, er solle das für sich entscheiden. Keptem also, der in dem Schloss lebte, war mächtig unter den Magiern. Er war bei weitem nicht der mächtigste, aber dennoch konnte sich seine Magie mit denen der Besten messen. Das Schloss war wie ein Labyrinth, denn es gab viele Türen, Gänge und Treppen. Manche Boten hatten sich schon auf dem Weg zu Keptem verlaufen und waren in den endlosen Hallen jämmerlich verhungert, da sie nicht mehr hinaus gefunden hatten. Man könne den Magier jedoch trotz dieser Ereignisse nicht als herzlos bezeichnen, meinte sie. Im Gegenteil, wenn jemand bis zu ihm vordrang, so beschenkte Keptem diesen mit Geld, Proviant und vor allem gab er ihm eine Karte, die sicher wieder aus dem Schloss hinausführte. Nun kam das Rehmädchen zu den Kadensepiras. Es gab in Bunyarba viele Clans, die sich alle einen Namen gemacht hatten. Manche mit guten Taten, die anderen mit weniger guten. Zu letzteren zählten die Kadensepiras. Dieser Clan war hier einer der einflussreichsten und verstand sich darauf, Waffen aller Art herzustellen. Sie konnten selbst aus dem toten Körper einer Fliege noch eine wirksame Waffe machen. Der Clan wurde allem Anschein nach angeführt von einer dunkelhäutigen Elfe. Unter ihren Mitläufern und Getreuen befanden sich andere Elfen, Feen, kleine Trolle, junge Zwerge und missgestaltete Einhörner. Dieser Clan hatte nur Unfug im Sinn und setzte alles daran, die fein gegliederten Gesetze von Bunyarba schnellstmöglich aufzuheben. Und genau dieser Clan hatte nun Caspar entführt. Das Rehmädchen hatte gesehen, wie der alte Mann an ihr vorbei gerannt war und die Angst sich in seinen Augen abgezeichnet hatte. Ihm waren mehrere Trolle und missratene Einhörner gefolgt, die ihn schließlich einfangen und in einen großen Sack sperren konnten. Dann brachen plötzlich mehrere Kadensepiras aus dem Boden auf, um gemeinsam mit den anderen zum Schloss von Keptem zu marschieren. Doch der alte Mann hatte sich mit einem seltsamen Messer aus seiner misslichen Lage befreien können. Diesmal allerdings war es das mutmaßliche Oberhaupt des Clans gewesen, die dunkelhäutige Elfe, die den Flüchtling unvermutet aus der Luft angegriffen und mit einem kräftigen Schlag ihrer Hand betäubt hatte.
Als das Rehmädchen mit seiner Erzählung fertig war, sah sie in erschrockene Gesichter mit offenstehenden Mündern. Yhildrat fand seine Stimme als Erster wieder.
"Wie kommt es, dass Ihr von diesen garstigen Burschen nicht entdeckt worden seid?“
"Nun, sie sahen mich nicht, weil sie es nicht durften. Es hätte sie ihr Leben gekostet, mich näher zu betrachten. Ich wirke recht anziehend auf viele Fremde, die den Weg bis hierher finden und außerdem noch Gheratij überlebt haben. Doch vielmehr noch wirke ich unheilvoll auf all jene, die diese Welt schon ihr Leben lang kennen und dem Nebel zu lange ausgesetzt sind. Ich bin nicht umsonst Limnola, die gefürchtete Seherin. Meine Augen reichen weit über lange Tagesmärsche hinweg. Und jeder, der mich länger betrachtet, erliegt meinem Zauber, mit dem ich zu töten vermag. Und genau diese Tatsache werden diese einfältigen Missgeburten wohl gewusst haben. Einer von ihnen sah mich kurz hier sitzen und hat es voller Panik sofort den anderen erzählt. Danach haben sie immer alles getan, um ja nicht in meine Richtung zu blicken. Ich fand es amüsant. Aber keine Angst,“ sagte Limnola sanft, denn sie sah die aufsteigende Furcht ihrer Zuhörer, "ich kann selbst entscheiden, wen mein Zauber tötet und wen nicht. Da mein Hass denen gilt, die Böses im Schilde führen, wären die Kadensepiras sofort ihrer Existenz entledigt worden. Aber euch sah ich an und wusste sofort, dass ihr gut seid. Ihr sucht euren verloren gegangenen Freund. Ich kann nur mit Bestimmtheit sagen, dass er bei Keptem ist. Was er dort aber genau soll, ist auch mir nicht bekannt. Ich kann euch nur raten, schleunigst zum Schloss zu gehen. Denn die Absichten von Keptem sind nicht jedem geläufig. Doch passt auf eurem Weg auf Gheratij auf. Dieses Wesen ist ziemlich stark und wird sich seine Beute nach einiger Zeit auf jeden Fall holen, wenn sie ihm nicht überlegen ist. Und auch andere Wesen sind unterwegs in diesen Tagen, die ich nur von alten Geschichten her kenne und plötzlich in meinem Lebensraum vorfinde. Lebt wohl und achtet auf eure Gesundheit.“
Eldrit und die anderen hatten verstanden, dass Limnola nichts mehr sagen würde. So standen sie also auf und zogen weiter, um Caspar aus dem labyrinthartigen Schloss von Keptem, dem Abschnittsmagier, zu befreien.