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Kapitel 8 Leseprobe für Frau Herzog

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Lektorkiller

»Einer von euch beiden macht mal mit einer Rasterfahndung weiter«, erklärte die Oberkommissarin ihren beiden jüngeren Kollegen. »Unser Killer macht das nicht zum ersten Mal, das sah sehr professionell aus. - Du, Emma?« Die Angesprochene nickte. »Und du, Flori, trägst mal alles zusammen, was wir über die Frau Segers haben, Okay?« Wedemeyer nickte.

»Und ich meine alles, wirklich alles. Nicht nur über die Arbeit und Familie und Freunde. Wo sie einkauft, wen sie noch kennt, ob sie Sport treibt, wo und was, ob sie Briefmarken sammelt oder wen sie auf Lesungen trifft. Wir brauchen eine Datenbank, damit wir alle Querverweise einordnen können.« Sie stockte. Bein wäre sicher noch das eine oder andere mehr eingefallen.

»Ich fange aber trotzdem mit der normalen Arbeit an, denke ich, wenn es dir recht ist«, erwiderte der junge Kommissar. »Ich werde in den Verlag fahren und mir die Kollegen und die Chefs vornehmen. Und alle anderen, mit denen sie zu tun hatte.«

»Und sichere bitte alle Arbeiten von ihr, soviel das auch sein mag, Flori. Und ihren Computer, Laptop, Handys, Notepads, was immer sie da benutzt hat. Besorg dir notfalls einen Beschluss, Richter Leonhardt oder Richter Walterscheid wird dir einen geben, denke ich. Einer von den beiden sollte zuständig sein. Besprich das aber vorher auf jeden Fall mit der Staatsanwältin.«

Sie stand auf. »Ich selbst muss in die Rechtsmedizin, zur Besichtigung der Leiche von Frau Segers. Mal sehen, was das bringt. Und vermutlich muss ich dann auch noch ins LKA, falls die DNA-Spuren was ergeben. Also bis später. Wir treffen uns anschließend wieder hier. Gegen sieben. Okay?«

Dann konnte sie vermutlich gegen acht zu ihrem Date, dachte Elena Denizoglu. Alex war wirklich eine Entdeckung gewesen. Nicht, dass er mehr draufhatte als andere Männer oder so viel besser ausgestattet war; aber er war mutig und stieß mit ihr in Regionen vor, die sie bestenfalls literarisch erforscht hatte.

Und nach einer Weile endete das, was ganz normal angefangen hatte, in einem völligen Kontrollverlust und weckte eine Wildheit in ihr, die sie vorher noch nicht gekannt hatte. Es war, als ob sie von einem Zug überfahren würde, als ob sie plötzlich mitten im Akt von einer Klippe stürzte und nie unten ankäme.

Außerdem verstand Alex etwas von Wein und von guter Küche. Letztes Mal hatte er nachts um vier für sie gekocht, und sie hätte nie gedacht, dass sich aus den Resten in ihrem Kühlschrank so etwas Leckeres zaubern ließe. Am nächsten Wochenende wollte er sie zu seinem Stammsitz im Bergischen Land mitnehmen, hatte er angekündigt. Sie vermutete irgendeine alte Burg dahinter. Aber sie war gespannt wie ein Flitzebogen, was sie da wohl alles unternehmen würden. Und wie sie dort die Nächte verbringen würden.

»Sieben passt«, sagte Emma Epstein.

Die Rechtsmedizin an der Uniklinik war vorübergehend in der Ruhrlandklinik untergebracht, was Elena ganz recht war. Die Tüschener Straße lag im Grünen zwischen zwei Essener Golfplätzen, und sie wusste, dass Alex vermutlich gerade in Heidhausen eine Runde spielte. Sie war in seiner Nähe.

In der Rechtsmedizin führte sie der Präparator, ein älterer, verhärmter Herr Lange, in den Kühlraum. Er rollte einen Wagen an die Wand mit den Kühlfächern und zog eine Bahre heraus, die mit hörbarem Klick auf dem Wagen einrastete. »Ist sie das?«, frage er müde und schlug die grünen Tücher über der Leiche zurück.

Auf der Bahre lag der Torso aus dem Park, daneben, in der richtigen Position, der Kopf, der linke Arm und die beiden Beine. Elena nickte. Bisher war das nicht so schockierend, wie sie gedacht hatte; ihre erste Leichenöffnung.

Im Sezierraum wartete Georg Richter auf sie, der Chef persönlich. Er nickte, als er sie sah. »Schreiten wir gleich zur Tat«, schlug er vor. »Wir können von einem nicht-natürlichen Tod ausgehen. Wie Sie wissen, bin ich ausgebildeter Thanatologe und forensischer Molekularbiologe. Sie haben also einen ausgewiesenen Experten vor sich, Frau Denizoglu. Wo ist Ihr Kollege, Herr Bein? Sollte er nicht auch hier sein?«

»Herr Bein ist leider verhindert«, erklärte sie. »Ich werde ihn aber umfassend informieren. Außerdem bekommen wir ja sicher Ihren Bericht, Herr Doktor, nehme ich an.«

Der Angesprochene wandte sich leicht angewidert ab. An Berichte erinnert zu werden entsprach offenbar nicht gerade seinem Status. Er nahm sein Diktiergerät zur Hand und nickte Lange zu. »Wir beginnen, Herr Kollege.«

»Wir fangen mit der äußeren Besichtigung der Leiche an«, sagte Richter.

Elena hörte ihm zu, wie er von Teil zu Teil ging und die Leiche beschrieb. Bisher fand sie die Obduktion alles andere als schlimm, ganz anders, als es die Kollegen ihr immer beschrieben hatten.

»Das ist jetzt relevant für Sie«, erklärte Richter. »Hier, sehen Sie mal, diese Spuren an den Armen. Die Frau ist mit Gewalt gehalten worden.« Er zeigte auf Druckmale an den Oberarmen. »Hier sehen Sie Abdrücke, die vermutlich von Fingern stammen.« Sie sah nur bläuliche Druckstellen. »Und hier, sehen Sie sich das an. Auf beiden Oberarmen und an der Stirn. Hier sind Haare abgerissen worden, die feinen Härchen auf der Epidermis. So etwas kommt zustande, wenn Pflaster oder Klebebänder abgerissen werden. Genau werden wir das nach der mikrobiologischen Untersuchung wissen. Ich kann nicht ausschließen, dass die Frau mit Klebebändern fixiert worden ist.«

Er formulierte weiteres Medizinchinesisch in sein Diktaphon. Dann übersetzte er es für die Oberkommissarin, wobei er sein Gerät wieder ausschaltete.

»Sehen Sie den Einschnitt hier am Hals? Hier ist die Arteria carotis längs aufgetrennt worden, in einem sehr sauberen Schnitt. Aufgrund der Blutleere im Körper könnte dies darauf hindeuten, dass die Frau durch diesen Schnitt verblutet ist. Genau kann ich das erst nach der Organuntersuchung feststellen.«

Sie sah ihn fragend an.

»Der Schädel und die abgetrennten Extremitäten waren viel zu leicht, wie mein junger Kollege Di Angelo schon festgestellt hatte«, erläuterte Richter. »Das Mindergewicht entspricht ziemlich genau einem kompletten Blutverlust.«

Elena wurde langsam doch mulmig.

»Wir haben aber noch genug Blut für eine Untersuchung gefunden«, sagte Richter. »Dazu komme ich noch.« Er fuhr in der Betrachtung des Leichnams fort. »An den Beinen haben wir ähnliche Haut- und Haar-Abrissspuren wie am linken Oberarm«, erklärte er etwas später. »Auch hier könnte das auf eine Fixierung hindeuten. Nach der genauen Untersuchung kann ich Ihnen auch noch sagen, ob die Frau dabei gelegen oder gesessen hat. Aber jetzt beginnen wir mit der inneren Besichtigung. Beginnen Sie mit der Öffnung, Herr Kollege.«

Als der Präparator mit seiner elektrischen Knochensäge begann, den Schädel aufzutrennen, konnte er trotz großer Erfahrung und Sorgfalt nicht verhindern, dass Blut, Haare, Gewebe, Knochensplitter und Teile des Gehirns durch die Gegend spritzen und auch auf der Schutzbrille landeten, die Elena angelegt hatte. Ein anderer Spritzer traf sie auf den Mundschutz. Leichengewebe.

Als sie von der Toilette zurückkam, balancierte Richter das Gehirn auf seiner behandschuhten Rechten und sprach einen Kommentar in das Gerät in seiner Linken. Sie verstand kaum ein Wort von dem, was er sagte. Dann wandte er sich ihr zu.

»Normal bis gut entwickeltes Gehirn, keine Schädigungen durch Drogen oder Gewalteinwirkung, sehr schön ausgebildeter Frontallappen.« Er hielt ihr das Gehirn vor die Brille. »Nehmen Sie’s mal in die Hand, so was sieht man nicht alle Tage«, riet er ihr.

Elena musste sich schon wieder krümmen, konnte ihren Magen aber gerade noch beherrschen. Richter legte das rosa Gehirn mit einem Achselzucken in eine bereitliegende Schale und stellte es auf einem Beistelltisch ab.

Der Arzt trat einen Schritt vor und besah sich die leere Schädelhöhle. Seinen Befund diktierte er wieder in sein Gerät.

»Jetzt müsste ich eigentlich die Brust- und Bauchhöhlen öffnen«, erklärte er ihr. »Aber das wird nicht ganz so einfach werden. Mit unserem normalen Werkzeug kommen wir da nicht weiter.«

Er nahm einen Spatel in die Hand und versuchte, etwas von der marmorartigen Schicht auf dem Torso abzuheben. Das Resultat legte er auf einen Objektträger auf einem anderen Tisch. Dann wiederholte er diese Übung an zwei weiteren Stellen des Torsos. »So, Herr Lange! Ich denke, Sie können diese Schicht jetzt abtragen.«

Elena trat aus Vorsicht ein paar Schritte zurück. Der ältere Präparator hatte eine Art Trennschleifer in der Hand, auf den er eine Scheibe mit flexiblen Fasern am Rand aufgesetzt hatte. In der anderen Hand hatte er das Saugrohr eines normalen Haushalts-Staubsaugers, den er jetzt einschaltete. »Wir sind hier nicht so gut ausgerüstet«, entschuldigte er sich. »Wir sind hier ja nur provisorisch untergebracht.«

Es staubte dennoch durch den ganzen Raum, als er die Deck- oder Farbschicht über dem Torso abschliff. Das dauerte fast eine halbe Stunde, und die Kommissarin begann sich bereits um ihr Date zu sorgen. Nicht auszudenken, wenn sie das verpasste. Schließlich hatte der alte Mann den Körper einigermaßen freigelegt und den Staub aufgesaugt. Elena atmete trotzdem nur noch durch die Nase. Ihr Magen rumorte.

»So!« Dr. Richter nahm ein Skalpell zur Hand. »Jetzt wollen wir mal sehen, was die Dame so hartgemacht hat.« Er säbelte an der Trennkante des linken Oberschenkels herum, bis er zwei größere Stücke abgetrennt hatte. An dem einen schnüffelte er mit geschlossenen Augen und hielt es dann Denizoglu unter die Nase. »Was ist das, was meinen Sie?«

Sie schloss ebenfalls die Augen, um besser riechen zu können. »Eine Art Kunststoff, würde ich sagen? Irgendwas in meinem Auto riecht so.« Sie öffnete die Augen und sah sich das Stück an. Das waren mal Haut und Muskeln von einem Bein gewesen. Aber jetzt war es nur eine Probe. »Und etwas Stechendes, aber nur sehr undeutlich.«

»Gut gerochen, Frau Kommissarin«, lobte sie Richter. »Das ist vermutlich Azeton. Bei dem Kunststoff bin ich mir nicht sicher. Entweder ein Harz, oder eine Mischung mit einem Gießharz, vielleicht mit Silikon. Silikon ist geruchlos.« Er nahm das andere Stück und gab es Lange. »Legen Sie das mal in den Spektrographen.«

Lange marschierte mit dem Stück aus dem Raum. Richter ging mit seinem Stück zu einem Gerät, das auf einem Tisch an der Wand stand. »Ich werde mal die Härte messen, das hilft uns auch weiter.«

Elena nutzte die Zeit und sah sich den Torso an. Der sah zwar nach dem Schleifvorgang leicht gestreift aus, aber sonst wie ein gesunder weiblicher Körper, in der richtigen, rosig-hellen Farbe. Und er wirkte elastisch und sportlich. Schlank war die Frau gewesen, und gepflegt. Kein Pickel, keine Falten, keine Narben, nicht mal am Blinddarm. Fast wie ein Kunstwerk, fand sie. Wenn ihre klaffenden Geschlechtsteile nicht gewesen wären. Die hatten ihre Botschaft noch nicht preisgegeben.

»Einhundertzwanzig Megapascal«, rief Richter ihr zu. »Das spricht für eine Gießharzkomponente, zusammen mit weicheren Verbundstoffen. Vielleicht wirklich Silikon. Interessant.« Er trat von seiner Versuchsanordnung zurück und auf sie zu. »Kennen Sie den Plastinator? Gunter von Hagens? Der hat solche Sachen gemacht. Leichen gehärtet, aufgeschnitten und dann ausgestellt. Körperwelten, so hieß das damals. Das hier sieht mir fast nach seiner Schule aus.«

Elena kannte den Namen nicht. Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Tut mir leid.«

»Sollten Sie aber. Seine Spezimina stehen heute in jeder anatomischen Lehranstalt. Sie können damit sogar non-invasiv operieren üben.« Sie schüttelte noch mal den Kopf. »Na ja, Sie sind ja auch nur Polizistin,« tröstete er sie. »Und vielleicht noch zu jung, den Trubel damals haben Sie noch nicht miterlebt.«

Die Kommissarin wusste nicht, wovon Richter sprach. Aber sie würde sich das ansehen, nahm sie sich vor.

Lange kam mit einem Ausdruck zurück. Darauf stand eine Liste von chemischen Bezeichnungen, die ihr nicht viel sagten. Aber Richter pfiff durch die Zähne. »Sieh mal einer an! Silikon S 10 und Epoxidharz! Hab’ ich’s nicht gesagt!«

»Das gibt uns etwas zum Todeszeitpunkt«, wandte er sich ihr zu. »Die Materialien passen. So ein Plastinierungsprozess dauert drei bis vier Wochen. So lange muss die Frau schon tot sein. Dazu passen auch die Kälteschrumpfungen an den eingefrorenen Teilen und an der Made. Passt, passt! Sie bekommen dazu natürlich einen ausführlichen Report.«

Er wandte sich dem Präparator zu. »Herr Lange. Auftrennen, bitte. Einmal längs, und je einmal in Höhe des Brustmuskelansatzes und des Zwerchfells quer, bitte”, forderte er den Präparator auf. »Unorthodox, aber was bleibt uns übrig.« Lange verließ den Raum und kam mit einer dünnen elektrischen Kettensäge zurück, die er einstöpselte und anwarf.

Elena wurde es unwohl in ihrer Haut. Sie wusste nicht, ob sie das noch sehen wollte, außerdem war es schon nach sechs Uhr. Sie musste los, wenn sie das Treffen mit den Kollegen und vor allem ihr Date nicht verpassen wollte. »Ich muss da ja nicht unbedingt mehr dabei sein, oder?«, fragte sie Richter.

»Wie? Natürlich müssen Sie! Wir müssen noch histologische und Blutuntersuchungen durchführen, ganz zu schweigen von der Besichtigung der Organe!«

»Lassen Sie mir einfach den Bericht zusenden«, sagte sie matt und zog sich in Richtung Tür zurück. »Sie sind die Koryphäe, ich kann dazu sowieso nicht viel beitragen, außer mir das Ganze anzusehen und schlecht zu werden.« Sie schloss die Tür hinter sich. Sie hatte etwas Besseres zu tun als sich fremde Frauen von innen anzusehen.



Bei Ablehnung Mord

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