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Kapitel 5 Frau Meyer-Hinrichsen

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Viel Schlaf habe ich noch nie gebraucht.

Schon in den Jesuiten-Schulen, auf die mein strenger Vater mich als Kind verbannt hatte, hatte ich nachts immer wachsam sein müssen. Ich habe auch nach meinem Abi als Hacker und während des Studiums immer nachts gearbeitet, während die anderen feierten. Genau wie später in meiner Informatik-Firma, und dann beim Bund und im Sondereinsatz bei den amerikanischen Kollegen von der DIA. Die wichtigsten Dinge passieren immer nachts. Tagsüber bin ich ein braver Mann, der keiner Fliege etwas zuleide tut. Die Nacht macht einen anderen Menschen aus mir.

Jetzt saß ich im Schneidersitz in einem leeren Raum des maroden Schlachthofes und bearbeitete meinen Laptop. Sehen konnte mich hier niemand. Wenn jemand zufällig vorbeigekommen wäre, was in dieser Einöde praktisch nie der Fall war, hätte er nur eine dunkle Ruine gesehen. Das einzige Fenster ging zum Innenhof.

Wenn mich trotzdem einer gesehen hätte, hätte er wohl lachen müssen. Ein Bär, der sich über einen Spielzeugcomputer beugt und mit seinen Pranken versucht, die richtigen Tasten zu treffen. Dabei flogen meine zugegeben kräftigen Finger schneller über die Tastatur als bei fast hundert Prozent der Bevölkerung.

Ich formulierte gerade wieder ein Anschreiben an eine weitere Lektorin. Wie immer hatte ich vorher recherchiert, was die Empfängerin mochte. Sie war nach Mona Meyer-Hinrichsen eine weitere gute Chance, endlich etwas zu veröffentlichen. Vielleicht meine letzte Chance.

Alle anderen Versuche, nach dem Krieg wieder ins normale Leben zurückzufinden, hatten nicht so richtig funktioniert. Ich musste es einfach schaffen. Schriftsteller, und sei es für Krimis, war das Einzige, was ich vielleicht noch werden konnte. Ich musste das loswerden, was mir das Leben zur Hölle machte. Ich musste das aufschreiben. Krimis waren lediglich eine Übung dafür. Ich musste meine Geschichte aufschreiben – und alle, alle sollten das lesen.

Auch wenn ich dabei über Leichen gehen musste.

Der Grauslinger Verlag hätte ein schöner Meilenstein für meine Schreiber-Karriere werden können. Er brachte genau solche Krimis, wie ich sie inzwischen schrieb. Meine Erzählungen aus Afghanistan, mit denen ich zu schreiben angefangen hatte, vor vielen Jahren, voller Sprengstoff und Blut, Betrug und Tränen, hatte niemand drucken wollen.

Fangen Sie doch mit was Leichterem an, hatte mir ein Agent geraten, Krimis gehen immer, das kriegen Sie hin. Militärgeschichten will doch in Deutschland kein Schwein mehr lesen. Das Landser-Genre ist doch mega-out. Das hatte ich beherzigt.

Meine Recherchen hatten mich zu diesem Verlag geführt. Ich hatte meinen ursprünglichen Krimi so umgeschrieben, dass er denen ähnelte, die bei Grauslinger herausgekommen waren.

Die meisten Krimileser sind Frauen, und sehr viele Krimis handeln von Frauen, die in Kellern gefoltert, vergewaltigt und abgeschlachtet werden. Frauen, die im Dunkeln sitzen und Angst haben. Von denen ein paar als Platzhalter sterben, bevor die Protagonistin die gleichen Torturen erlebt, aber zum Schluss gerettet wird, womöglich von einem starken und schönen Mann, mit dem dann auch noch was läuft. Das Fräulein und der Ritter, auf moderne Zeiten übertragen.

Und wenn die Krimi-Verlage genau so etwas haben wollten: Auch das konnte ich liefern. Ich hatte meinen Roman extra dahingehend umgeschrieben. Das mache ich jedes Mal, wenn ich einen neuen Verlag anschreibe.

Ich ging wieder runter zu der Lektorin im Keller. Zeit für ihr karges Frühstück, einen Becher H-Milch und zwei Scheiben Schwarzbrot mit Käse. Und ein Blatt Salat unter dem Käse. Sie brauchte ja ihre Vitamine.

Sie war wach, sah aber nach einer schlaflosen Nacht aus. Kein Wunder, wenn man sich nicht drehen kann, sondern im Hellen mit ausgestreckten Armen und Beinen immer auf dem Rücken liegen muss, angestrahlt von hellen Lichtern. Sie funkelte mich wütend an. Prima. Sie hatte noch Kampfgeist. Es würde nicht langweilig werden.

Ich ging auf sie zu und sah sie prüfend an. Sie atmete tief durch, schluckte und sah aus, als ob sie etwas sagen wollte.

»Wir reden gleich«, sagte ich zu ihr. »Du hattest eine schlechte Nacht. Wir sorgen als Erstes für dein leibliches Wohl.« Während sie mich stirnrunzelnd ansah und sich ein Hoffnungsschimmer in ihre Miene stahl, riss ich ihr die Decke herunter. Die hatte sie tatsächlich in die Finger bekommen und sich damit zugedeckt. Mit der anderen Hand zog ich ihr mit einem Ruck die Windel herunter. »Au!«, schrie sie. Aber ich wurde enttäuscht. Die Windel war sauber und trocken. Sie hatte sich die ganze Nacht gegen den Drang zur Wehr gesetzt. Andererseits hatte sie auch nichts gegessen und nur wenig getrunken. Ich mag Selbstdisziplin. Sie hatte eine kleine Belohnung verdient.

»Hier ist dein Essen.« Ich stellte das Tablett neben ihr ab. Dann zog ich den Ersatzschlüssel aus der Tasche und öffnete ihr die Hand- und Fußfesseln. »Da hinten hinter der Trennwand steht ein Eimer«, erklärte ich ihr. »Daneben ist ein Waschbecken, Papier ist auch da. Mehr Komfort gibt es nicht.«

Aber sie war bewegungsunfähig und steif von der Nacht. Ich massierte ihr Arme und Beine. Obwohl sie meine Gefangene war, stöhnte sie wohlig auf. Das erregte mich. Aber das war jetzt nicht der richtige Moment, außerdem war ich an einer Vergewaltigung nicht wirklich interessiert.

»Anschließend geht es weiter mit unserer kleinen Aufführung, Mona.« Sie blieb liegen. Anscheinend war ihr etwas anderes wichtiger.

»Was ist?«

»Hören Sie zu«, sagte sie. »Ich habe Geld. Nicht viel, aber damit können Sie ein anderes Leben anfangen. Sie müssen nicht Schriftsteller werden. Die Chancen dafür stehen für niemanden gut, glauben Sie mir. Nehmen Sie mein Geld. Lassen Sie mich frei. Ich erzähle niemandem etwas. Großes Ehrenwort.« Sie hob die Hand so weit, wie ihre Lähmung es zuließ, und streckte die Finger wie zum Schwur aus. Sie hatte wohl die ganze Nacht über einen Ausweg nachgedacht.

»Dein Geld habe ich schon«, sagte ich ihr. »Dein Fingerabdruck auf dem Handy reichte dafür völlig aus, als du hier lagst. Alles. Die ganzen Zweihunderttausend. Die habe ich per Termin an die Hans-Werner-Richter-Stiftung überwiesen. Die werden sich freuen.«

Sie riss die Augen auf und fing wieder an zu würgen. Um nicht auf ihre Beine zu kotzen, richtete sie sich auf und schleppte sich um die Ecke zum Eimer.

»Deine Wohnung biete ich über Airbnb auch gerade zur Vermietung an«, fuhr ich fort, während sie in den Eimer spuckte. Es klang erbärmlich. Es kam wohl nichts, aber würgen musste sie trotzdem. »Und deinen Freunden habe ich Nachrichten geschickt, dass du einen tollen Typen kennengelernt und mit ihm auf und davon bist. Nach Thailand.«

Sie hatte aufgehört, ihren leeren Magen auszuquetschen. Stattdessen hörte ich es unter ihrem enttäuschten Stöhnen nun munter plätschern.

»Stimmt ja irgendwie auch. Du hast ja mich kennengelernt. Nur Thailand ist nicht ganz richtig.« Sie stöhnte weiter auf ihrem Eimer. »Ach ja, du hast drei Wochen Urlaub genommen. Ist sogar schon bewilligt.«

Ihr Handy war kaum gesichert gewesen. Nur durch den Fingerabdruck und ihr Geburtsdatum. Das hatte ich alles bereits geändert. Aus ihrer Wohnung hatte ich nur ihren Laptop und eine Reisetasche mit den üblichen Klamotten mitgenommen, nachts um drei. Und ihre Handschellen, mit denen ich sie gefesselt hatte.

Ich hatte mit ihrem Handy noch ein paar Fotos gemacht, die ich von ihrem Laptop aus auf Airbnb eingestellt hatte. Wegen Urlaub zu vermieten. Schlüsselübergabe nach Zahlungseingang über PayPal, hatte ich dazugeschrieben. Bei ihrem Laptop hatte ich mich auch nicht anstrengen müssen, ihre Passwörter zu knacken. Die hatte sie alle auf dem gleichen Handy gespeichert, in einer simpel verschlüsselten Word-Datei.

Von ihr kamen immer noch unschöne Verdauungsgeräusche rüber. Sie hatte lange ausgehalten, und das mit schlimmem Durchfall, so wie es klang. Aber irgendwann verlangt die Natur ihr Recht.

Sie abzufischen war ein Kinderspiel gewesen. Sie ging nach Feierabend immer durch den Englischen Garten und nahm danach ein Taxi, wenn eines da war. Sonst nahm sie den Bus. Ich hatte mir in der Nacht davor ein ausgemustertes Taxi vom Parkplatz eines Taxi-Unternehmers und falsche Nummernschilder besorgt, und ich war zur rechten Zeit am rechten Ort gewesen.

Mit der gleichen Hand, mit der ich ihre Tür im Taxi zugezogen hatte, hatte ich ihr den Wattebausch mit Chloroform auf Mund und Nase gedrückt. Dann hatte ich sie hierhergebracht und ihr etwas Stärkeres gespritzt. Angesehen hatte sie mich beim Einsteigen nicht. Taxifahrer sind für die meisten Nobodys, und für eitle Lektorinnen allemal.

Während sie bewusstlos im Keller lag, hatte ich das gestohlene Taxi zurückgebracht und alles so wiederhergestellt, wie es vorher gewesen war. Und ihre Wohnung betreten und das mitgenommen, was mir brauchbar erschienen war, nebst den Fotos für die Vermietung.

Die sonstigen Vorbereitungen für ihren Abgang hatte ich auch von dort aus erledigt.

Sie war fertig mit ihrem Geschäft und stand wieder vor mir, halbnackt und erbärmlich zusammengekrümmt, vor Scham und Erniedrigung, den Eimer noch in der Hand. Sie wirkte hilflos.

Aber dieser Eindruck täuschte, und genau das musste sie beabsichtigt haben.

Sie war alles andere als hilflos. Mit einem heiseren Schrei stürzte sie auf mich zu, riss den Eimer hoch und schüttete das Gemisch aus Erbrochenem, Durchfall und Urin in meine Richtung.

Es war zu spät, um ganz auszuweichen, und den Eimer, den sie hinterhergeworfen hatte, bekam ich auch noch an den Kopf. Jetzt war ich es, der würgen musste, während ich zur Seite stolperte. Sie hatte die Überraschung auf ihrer Seite, und sie nutzte den Schwung, um an meiner Skimütze zu zerren.

Sie riss sie mir vom Kopf, wobei ich halb froh war, weil sie stank, und zur anderen Hälfte aufgebracht, denn jetzt konnte sie mein Gesicht sehen. Aber bevor sie mich ansah, zog sie die rotlackierten Fingernägel ihrer anderen Hand durch mein Antlitz, wohl um mir die Augen zu beschädigen.

Das war gar nicht nach Plan gegangen. Das hatte ich von meiner Güte, dachte ich, während ich mich fing und sie gleich darauf im Nacken packte, umdrehte und wie eine zappelnde Katze von mir weg in die Luft hielt.

Überall klebten jetzt ihr widerlich süßes Mädchenpipi und ihr Dünnpfiff auf meiner Kleidung. Das hatte ich so nicht geplant, Sachen zum Wechseln hatte ich nicht mit. Ich musste das waschen, und die einzige noch funktionierende Wasserquelle war das Waschbecken hier unten.

Ich war mir nicht sicher, wieviel sie von meinem Gesicht gesehen hatte. Es war nur ein ganz kurzer Moment gewesen, bevor ich mir sie geschnappt hatte. Sie strampelte und keifte, aber ich musste überlegen, was ich jetzt weiter mit ihr machen sollte.

Als erstes nahm ich mit der anderen Hand meine besudelte Mütze wieder auf und zog sie mir übers Gesicht. Sie stank erbärmlich, aber mir war wichtiger, meine Identität zu schützen.

Ich drückte die Frau wieder auf ihr Lager und kniete mich auf ihren Rücken, so dass ich ihr die Hand- und Fußfesseln wieder anlegen konnte. Ich griff zur einer Rolle Isolierband, riss ihr den Kopf nach hinten und verschloss ihr den keifenden Mund und ihre Augen mit zwei dicken Streifen. Ich musste mich jetzt erst mal um mich selbst kümmern.

Ich zog mir am Waschbecken die stinkenden Sachen aus und wusch sie mit der Flüssigseife aus dem alten Industriespender an der Wand. Das musste reichen. Aber in meiner Unterwäsche wollte ich mich ihr nicht zeigen. Die war noch von der Bundeswehr, ein weiteres Erkennungsmerkmal. Ich würde oben den alten Holzofen anmachen und die Sachen darüber trocknen.

Bevor ich wieder nach oben ging, stülpte ich ihr den Eimer über ihren Kopf. »Damit du auch in den Genuss deiner süßen Säfte kommst, mein Honigbrötchen«, sagte ich ihr und ging.

Ich musste jetzt warten, bis meine Sachen wieder trocken waren. Ich wollte nicht, dass sie mehr von mir sah als den flüchtigen Anblick aus der Bewegung heraus. Ich brauchte meine Sachen dazu. Außerdem wollte ich diesen widerlich süßlichen Geruch loswerden.

Das gab mir ausreichend Zeit, mich um den nächsten Textteil zu kümmern, den ich als weitere Leseprobe an Frau Herzog senden wollte.

Bei Ablehnung Mord

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