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Kapitel 1

Bei Ablehnung Mord

Teil eins der Serie

Blutbücher

Nick Stein






Muss man Lektoren, die ein Werk grundlos ablehnen,

denn gleich umbringen?



Man muss nicht.

Aber man kann.

Im Café


Als die Frau am Nebentisch den Titel meines Buches aussprach, durchfuhr es mich wie ein Stromschlag. Mein Herzschlag beschleunigte sich, ich atmete tiefer. Vermutlich hatten sich auch meine Pupillen gerade aufs Doppelte ausgedehnt. War ich am Ziel meiner Wünsche?

Monatelang hatte ich nichts als Ablehnungen erhalten, wenn überhaupt eine Antwort gekommen war. Meist liefen die vom jeweiligen Verlag genannten Fristen einfach ab.

Ich saß in einem Straßencafé gegenüber vom Grauslinger Verlag in München, wie jeden Tag in den vergangenen zwei Wochen. Ich hatte mich schlau gemacht und wusste, dass die Lektorin für Krimis hier ab zwei Uhr mit ihrer Assistentin bei Kaffee und Kuchen die Einsendungen der letzten Zeit durchging. Die Fotos der beiden standen auf der Webseite von Grauslinger, und ich hatte alles über die beiden herausgefunden, was mir wichtig erschien.

Mona Meyer-Hinrichsen, eine sportliche Frau in den Dreißigern, und ihre Assistentin Lea Walter hatten bereits drei Ablehnungen hinter sich. Lea, frisch vom Studium, trug vor, was sie von den Leseproben hielt, und Mona schüttelte entweder gleich den Kopf oder ließ sich das Manuskript auf Wiedervorlage legen. Das hatte sie allerdings nur einmal in diesen zwei Wochen gemacht, bei der siebten Folge einer Krimiserie, deren ersten sechs Folgen ihr die Buchhändler aus den Händen gerissen hatten. Da war sie auf der sicheren Seite.

Würde mein »Lektorkiller«, den ich an Grauslinger geschickt hatte, das nächste Werk werden, das sie lesen wollte? Mein Herz pochte bis zum Hals, und ich versteckte mich tiefer hinter meiner Zeitung und lauschte dem Gespräch.

»Ich find’ den klasse«, sagte die Assistentin gerade. »Spannend. Da bringt so ein Autor die Lektoren, die ihn abgelehnt hatten, nicht nur einfach so um. Das ist erst der Einstieg. Er erniedrigt sie auch nach dem Tod noch weiter, und er macht das so geschickt, dass er mit seinen Morden davonkommt. Obwohl jeder weiß, dass er es war. Sowas wie ein perfektes Verbrechen. Ich konnte das gar nicht wieder aus der Hand legen.«

So etwas Positives hatte noch niemand über meinen Roman gesagt. Ich war so aufgeregt, dass sich meine Verdauung meldete, aber ich konnte hier jetzt unmöglich weg.

Die Lektorin saugte mit gespitzten Lippen den Schaum von ihrem Cappuccino und blieb stumm.

»Und? Möchtest du das lesen?«, strahlte Lea Walter ihre Chefin an.

Ja, ja, ja, sagte meine innere Stimme. Sag ja! Mach mir den Weg frei, Mona!

»Was hältst du davon?«, setzte Lea Walter nach.

Mona Meyer-Hinrichsen setzte ihre Tasse wieder ab. »Das ist doch a Schmarrn«, sagte sie. »Wieder so ein Arsch, das sich an einen Trend anhängen will. Diese Schwachköpfe gehen mir aufs Hirn, die depperten. Ich kann den Scheiß nicht mehr lesen. Schreib ihm, dass er sich zum Teufel scheren soll, und weiter in dem Stil. Aber nett wie immer, natürlich. Du weißt schon. Du formulierst das immer so schön. Oder antworte erst gar nicht, dann ersparst du dir die Rückfragen, Lea.«

Mir fiel die Kinnlade runter. Die Zeitung entglitt meinen Händen. Das durfte nicht wahr sein.

»Aber der ist wirklich gut«, verteidigte sich die Assistentin. »Ich würd’ ihn dir empfehlen.«

Ich nahm einen Schluck von meinem schon kalten Kaffee. Noch gab es Hoffnung. Aber eine böse Vorahnung schickte mir kalte Schauer über den Rücken.

»Das will doch keiner lesen«, entschied die Lektorin. »Das ist nicht im Trend. Bring mir einen Killer, der junge Mädchen im Keller foltert, das geht vielleicht noch. Mit einem knackigen Kommissar, der sie zum Schluss rettet. Die Jungfrau und ihr Held. Oder was von kaputten jungen Frauen, die es irgendwie trotzdem schaffen, ihr Ziel zu erreichen, in einer noch kaputteren Umwelt. Sowas läuft. Neben den Autoren, die sowieso laufen, die haben Vorrang. Aber lass mich mit diesem Dünnschiss in Ruhe. Solche Selbstbeweihräucherungen kannst du knicken, Lea. Total. Hast du sonst noch was?«

Ich stand auf. Ich musste dringend aufs Klo. Die letzten Worte dieser Frau hatten meinen Körper so erschüttert, dass ich nicht länger stillsitzen konnte. Das tat meiner Gesundheit nicht gut.

Und ich schwor mir, als ich bei den beiden vorbeiging, dass dieser Verriss der Gesundheit der Lektorin ebenso wenig guttun würde.

* * *

Als ich von der Toilette zurückkam, waren die beiden bereits wieder verschwunden. Ich setzte mich wieder an meinen Tisch.

Klar, ich war in den letzten Jahren aus der Übung gekommen. Mir fehlte die Praxis, und auch die Nonchalance, die mich früher so belebt und ausgezeichnet hatte. Vielleicht hatte ich einfach zu viel Zeit zum Nachdenken gehabt.

Aber das eben war zu viel gewesen. Das konnte ich mir nicht gefallen lassen. Nicht von so einer schnöseligen Lektorin, die den Job vermutlich auch nur durch Protektion erhalten hatte. Schade, dass die Assistentin nicht die Lektorin war, dachte ich.

Ich war einiges gewohnt. Aber was zu viel ist, ist zu viel. Frau Meyer-Hinrichsen hatte eine rote Linie überschritten.

Ich bezahlte meinen Kaffee am Tresen und trat aus dem Café, den Blick auf das Verlagsgebäude gerichtet. Das war meine Ablehnung Nummer einhundertsechsundvierzig gewesen, wenn ich richtig gezählt hatte. Die fieseste von allen.

Ich wanderte durch die Straßen Münchens, zu keinem klaren Gedanken fähig. Einerseits musste ich Mona bestrafen. Andererseits wollte ich endlich meine Romane veröffentlichen, bis ich endlich so bekannt war, dass ich auch meine eigene Geschichte erzählen konnte.

Ihre Bestrafung musste ich mir sorgsam überlegen. Sie musste fehlerfrei vor sich gehen.

In der Zwischenzeit konnte ich meinen Roman aber auch gleich an die nächste Lektorin senden, die ich mir als Ziel ausgespäht hatte. Frau Herzog. Wenn ich das hinter mir hatte, konnte ich mich wieder Frau Meyer-Hinrichsen zuwenden.

Ich lenkte meine Schritte zu meiner kleinen Münchner Mietwohnung. Eine Stunde später saß ich vor meinem Computer.

Bei Ablehnung Mord

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