Читать книгу Hausboot Lotte, Kater Emma und ich - Nicola Eisenschink - Страница 3
PROLOG Das will ich immer sehen!
ОглавлениеIch war an einem dieser ziemlich ekligen grauen und nassen Novembertage in Hamburg unterwegs. Fahle Schneereste schmolzen matschig an den Straßenrändern. Ich hatte mich aufgemacht, ein Hausboot zu besichtigen. Meine Freundin Angela, mit der mich eine über zwanzigjährige Freundschaft verbindet, begleitete mich. Ich war froh, sie mit ihrer klugen, klaren Art an meiner Seite zu haben. Schließlich sehen vier Augen mehr als zwei. Ich war aufgeregt, nervös und unruhig, aber auch voller Erwartung und Vorfreude. Gefunden hatte ich das Schiff bei eBay Kleinanzeigen. Château d’eau hieß es und sah auf den Fotos ziemlich gut aus. Nein, eigentlich sah es großartig aus. Ich war nicht unvorbereitet, hatte mir für meine Besichtigung eine umfangreiche Frageliste erstellt: Ist das Ding winterfest? Wie ist die Wasser-, wie die Stromversorgung? Wie ist es gedämmt? Wie viel kostet der Liegeplatz? Wann war es das letzte Mal in der Werft? Gibt es ein Schwimmfähigkeitszeugnis?
Wir fuhren in die Vierlande, einen Stadtteil im Südosten Hamburgs. Man hatte mir eine ungefähre Adresse, den Namen eines Hafens genannt. Die Deichstraße war schier endlos, der Himmel spannte sich trüb über die graubraune Landschaft. Wir mussten eine Weile suchen, aber schließlich fanden wir die Straße, an der der Hafen liegen sollte. Wir schauten uns um und da sah ich das Boot auf der anderen Seite der Bucht. Da lag es, ein weißer Kasten, völlig unspektakulär. Aus der Entfernung wirkte es am langen Steg und im trüben Winterwasser eher klein.
»Hm«, machte Angela, »das ist es wohl.«
»Ja, nicht so prickelnd«, gab ich zurück.
Trotzdem blieb ich aufgeregt. Im Hafen stand ein Mann, ein anderer fegte ein wenig Schnee vom leeren Steg.
»Kommen Sie, um sich das Hausboot anzusehen? Ich bin der Verkäufer.« Er stellte seinen Besen beiseite und begleitete uns den Steg entlang. »Vorsicht, hier ist überall Gänsedreck«, warnte er uns, als wir frierend die vierhundert Meter zum Boot wanderten. Endlich standen wir vor der Eingangstür und mein Blick glitt am Bootsrumpf entlang. Auf den Fotos hatte die Château d’eau deutlich spannender ausgesehen. Unbehagen erfasste mich. Das sollte es sein? Das sollte vielleicht mein neues Zuhause werden? Schwer vorstellbar.
Wir betraten das Schiff. Drinnen war es eiskalt, beinahe kälter als draußen. Kein Wunder, wohnte doch niemand mehr darauf. Die Besitzer waren nur im Sommer dort gewesen, wie wir erfuhren, im Winter hatte es stillgelegen. Ich ging durch die einzelnen Räume – allesamt nicht eben groß, aber geschickt eingerichtet –, fand das Ganze recht nett, aber mehr auch nicht. Erst im großen Hauptraum packte es mich. Er war rundum von Fenstern umgeben, durch die ich das Wasser sehen konnte. Und dann der Moment, in dem die halbherzige Wintersonne meine Entscheidung beförderte, als sie durch die Fenster an die Decke schien und dort zitternde Lichtmuster erzeugte. Das will ich immer sehen, dachte ich unwillkürlich. Ein ganz seltsames Gefühl, ein sicheres Wissen, dass dies hier mein Boot sein würde, durchströmte mich. Plötzlich konnte ich mir vorstellen, dass mein Traum hier Wirklichkeit werden würde. Ich musste erst einmal durchatmen, denn plötzlich war ich innerlich ganz aufgewühlt. Also trat ich nach draußen auf das Vorschiff mit der geräumigen Terrasse. Von hier aus hatte man einen wunderbaren, weiten Blick über die Elbe. Irgendetwas wurde in mir angerührt, irgendetwas verliebte sich in diesem Augenblick.
Steifbeinig vor lauter Aufregung stiefelte ich auf und ab, nickte innerlich vor mich hin: Schön, schön, das Ganze. Nein, nicht schön, wunderschön! Angela beobachtete meine Reaktion sehr genau, sie schmunzelte. Sie hatte mein inneres Nicken offenbar gesehen und sofort erfasst, dass ich das Schiff großartig fand. Aber ich blieb vorsichtig: Lieber erst mal zurückhaltend bleiben, vor allem dem Verkäufer kein allzu großes Interesse zeigen. Ich hatte schließlich vor, noch über den Preis zu verhandeln, wenn ich das Schiff denn tatsächlich kaufen wollte.
Auf all meine Fragen bekam ich zufriedenstellende Antworten: Gedämmt war es, die Stahlwände waren von innen mit vier Zentimetern Steinwolle isoliert, davor hatte man Rigips-Wände gesetzt. In der Werft war es im selben Jahr gewesen, hatte dort ein neues Schwimmfähigkeitszeugnis und einen Unterwasseranstrich bekommen. Der Liegeplatz kostete nicht viel, Strom und Wasser kamen aus dem Hafen. Wir saßen eine Weile im kalten Wohnzimmer herum, ich ließ meinen Blick schweifen. In meiner Fantasie richtete ich das Schiff ganz neu ein. Ich stellte mir vor, wie es sein würde, hier zu wohnen. Überlegte, wie es wäre, im Sommer auf der Terrasse zu sitzen und immer, jeden Tag, diesen unglaublich weiten Blick zu haben. Malte mir aus, wie gemütlich es sein würde, bei Sturm und Regen vorm Kamin zu sitzen, den es zu meinem Entzücken auch gab, sein wärmendes Feuer zu genießen und dennoch den Elementen ganz nah zu sein. Es fühlte sich schlichtweg richtig an, ich hatte das Gefühl, dies sollte mein Start in ein neues Leben werden. Andererseits war es das erste Schiff, das meinen Vorstellungen entsprach. Sollte ich da tatsächlich gleich zugreifen?
»Ich melde mich«, sagte ich beim Gehen.
Im Auto waren wir zunächst schweigsam.
»Du hast dich verliebt!«, konstatierte meine Freundin.
»Mhm, na ja«, murmelte ich.
»Und – kaufst du es?«
»Nein, ich glaube nicht, ich hab Angst. Ich weiß doch gar nicht, ob ich das kann, so ganz allein auf einem Schiff«, sagte ich.
Angela wandte sich zu mir und sagte streng: »Eisenschink, nun hast du ein Schiff gefunden, das genau so ist, wie du es dir wünschst. Nun kauf das Ding. Ich will mir nicht die nächsten zwanzig Jahre dein Gejammer anhören, weil du dich nicht getraut hast!«
Es ist gut, kluge Freundinnen zu haben.
Als mich Angela zu Hause abgesetzt hatte, betrachtete ich noch einmal die Fotos und ließ meine Gedanken schweifen. In den nächsten Tagen telefonierte ich mit meiner Familie und schwärmte meinen Freunden von dem Schiff vor. »Es ist noch viel schöner als auf den Bildern«, erzählte ich allen. Und doch beschlichen mich Zweifel. Sollte ich es wirklich wagen? Hatte ich tatsächlich den Mut und genügend Kraft für eine derart große Veränderung oder sollte ich diesen Traum nicht lieber begraben? Es war eine Zeit der Umbrüche, eine Zeit der Neuausrichtung für mich, die mit einem unangenehmen Knall begonnen hatte.