Читать книгу Hausboot Lotte, Kater Emma und ich - Nicola Eisenschink - Страница 9

KAPITEL 6 Zähe Verhandlungen

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Ich hatte mich also in diesem unfreundlichen Monat November mit Angela aufgemacht und das erste wirklich interessante Schiff namens Château d’eau besichtigt. Ich war gleich so verliebt gewesen, dass ich mir nichts anderes mehr vorstellen konnte.

Und doch war ich mir unsicher: Zwar hatte ich mir schon einiges angesehen, aber nichts davon war wirklich infrage gekommen. Aber gleich beim ersten schönen Schiff zuschlagen? Ich muss mir doch noch Alternativen anschauen und erst dann entscheiden, dachte ich mir. Man kauft ja auch nicht gleich das erstbeste Haus, die erstbeste Wohnung, man vergleicht Preise, Wohngegenden und Ausstattung.

Ich erinnerte mich an die Zeit, als ich mit meinem Mann ein Haus gesucht hatte. Vor allem ich war es gewesen, die intensiv gesucht und allerlei Besichtigungstermine vereinbart hatte. Doch als es schließlich um das Haus ging, das wir am Ende kauften, war es mein Mann gewesen, der entschied. Ja, der Garten hatte mir gefallen, aber das Haus an sich war mir zu kleinteilig erschienen. Es besaß lauter verschachtelte Zimmerchen, wirkte eher düster auf mich. Aber meinem Mann gefiel das Haus, er wollte es unbedingt haben. Und ich hatte mich ihm bei der Entscheidung, wie so oft, angeschlossen, wie ich stets zu all seinen Entscheidungen ja gesagt hatte. Meine eigenen Gefühle spürte ich gar nicht. Meinem Mann kann ich auch im Nachhinein keinen Vorwurf machen, ich hätte damals ja sagen können, dass ich lieber nach einem anderen Haus suchen wollte. Stattdessen hatte ich das Leuchten in seinen Augen gesehen und hatte ihn einmal mehr glücklich machen wollen. Wir hatten das Haus mit viel Energie umgebaut, sodass es heller und damit auch in meinen Augen schöner wurde. Ich hatte mich dort immer wohlgefühlt, es war für viele Jahre mein Zuhause geworden. Stolz hatte ich allen Freunden Fotos vom Urzustand des Hauses gezeigt und mich an ihrer Ungläubigkeit geweidet angesichts dessen, wie das Haus nach unseren Arbeiten an Schönheit, Licht und Klarheit gewonnen hatte.

Doch als ich das Hausboot betreten und mich auf der Stelle verliebt hatte, wusste ich, was mir die ganze Zeit gefehlt hatte: Es war diese Großzügigkeit, diese Weite, das unendlich viele Licht, die ruhige Struktur der Räume, die mich so ansprachen. Und nun konnte ich mich nicht mehr hinter meinem Mann verstecken, ihn entscheiden lassen. Ich musste selbst eine Entscheidung fällen. Die Frage, die ich dafür klären musste, war: Was wollte ich wirklich?

Ich sprach mit meinen Freunden und meiner Familie. Meine österreichische Freundin Maria besah sich die Fotos und meinte nur: »Es ist das, was du gesucht hast, warum zögerst du?« Maria kennt mich außerordentlich gut. Wir haben uns über das Internet kennengelernt, als ich auf einer Gartenplattform nach einer bestimmten Pflanze, einer Distelart, suchte. Sie hatte ein Exemplar davon in ihrem Garten und schrieb mir mit dem Versprechen, mir die Pflanze zu schicken. Daraus entspann sich ein ausgesprochen seltsamer Kontakt.

Maria schrieb mir: »Klar schicke ich dir die Pflanze, aber erzähl mir doch ein bisschen was über dich. Wie lebst du, was arbeitest du?«

Oh je, hatte ich gedacht, was will die denn von mir, warum soll ich einer wildfremden Frau etwas über mich schreiben, wenn ich doch nur eine Pflanze will? Aber meine Eltern haben mich zur Höflichkeit erzogen. Also schrieb ich zurück, erzählte ein bisschen von mir und fragte nun meinerseits: »Und wie und wo lebst du, bist du verheiratet, hast du Kinder, was arbeitest du?«

Nun beantwortete auch sie mir meine Fragen. Aber das war erst der Anfang. Sie schrieb: »Du bist Journalistin, das ist ja toll, für wen schreibst du denn und worüber?«

»Für eine große Zeitschrift, allerdings als freie Journalistin. Und nebenher arbeite ich in einem Verlag, der Fernsehzeitschriften macht. Aber nur, um die laufenden Kosten zu sichern, Spaß macht das nicht!«

Selbstverständlich wollte Maria Genaueres dazu wissen. Und schrieb mir im Gegenzug, was ihr Leben prägte. So ging es immer weiter, bald waren mir die täglichen Mails sehr wichtig geworden.

Maria erzählte mir später: »Ich kenne niemanden, der so schön schreibt. Diese Frau wollte ich näher kennenlernen.«

Das also war der Grund für ihre Beharrlichkeit gewesen! Unser Mailwechsel wurde immer intensiver und vertrauter. Ein Jahr lang ging das so, dann beschlossen wir, uns zu treffen. Wir vereinbarten dafür einen Ort auf halber Strecke – Bamberg – und reisten beide mit dem Zug an. Ich war eher da und stand auf dem Bahnsteig und wartete auf eine Frau, die ich lediglich von Fotos kannte, die sie mir geschickt hatte. Da sauste eine schmale Person an mir vorbei und ich schrie: »Maria, bist du das?« Sie war es. Aber sie hatte mich nicht erkannt, hatte mich mit meinen kurzen Haaren für einen jungen Mann gehalten. Es war eine tiefe und eigentümliche Vertrautheit, die wir beide sofort spürten, als wir uns gegenüberstanden – eine Vertrautheit, die ja nur durch unsere Mails entstanden war und nun Gestalt annahm. In Bamberg hatten wir uns ein kleines Hotel gesucht, in dem wir logierten. Wir beide empfanden die gleiche Freude über die behaglichen Zimmer, freuten uns über die selbst gemachte Marmelade, die es zum Frühstück gab. Wir schlenderten durch die Stadt, besichtigten die alten Gebäude und gingen in eine kleine Kirche.

»Sieh mal, da gibt’s heute Abend ein Konzert, wollen wir uns das anhören?«, schlug Maria vor.

»Gute Idee, lass uns das machen.«

Als wir am Abend in der kleinen Kirche der Musik lauschten, wanderte mein Blick an die Decke des Gebäudes. Dort sah ich zauberhafte Fresken, lauter duftige Blüten.

»Das passt zu uns Pflanzenliebhaberinnen«, flüsterte ich Maria zu.

Bei unserer Entdeckungsreise durch Bamberg stellten wir schnell fest: Unser Gefühl, das durch die Mails entstanden war, hatte uns nicht getrogen: Wir mochten uns, wir wurden Freundinnen.

In den folgenden Jahren versuchten wir, uns mindestens einmal jährlich zu sehen, gern auch mit unseren Männern. Maria nannte mich Herzensschwester. Manchmal begegnet man im Leben einem Menschen, der seelenverwandt ist. Bei Maria und mir war es so. Auch die Entfernung stand unserer engen Bindung nicht im Wege. In unseren Mails vertrauten wir uns alles an. Und genau diese Freundin fand nun, dieses Schiff sei das richtige.

Auch meine Familie und meine Hamburger Freunde, denen ich allen die Fotos gezeigt hatte, standen hinter mir und bestärkten mich: »Kauf das Schiff!« Ich ließ mir Zeit, wog Vor- und Nachteile ab und manchmal beschlichen mich Sorgen, ob ich mir mit einem Hausboot nicht zu viel zumuten würde. Doch mein Wagemut brach sich schließlich Bahn, ich hörte auf meinen Bauch. Auch der sagte mir laut und deutlich: »Kauf dieses Schiff, etwas so Wunderbares findest du so schnell nicht wieder.«

Also nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und rief den Verkäufer an. Mein Herz klopfte wie wild.

»Ich würde die Château d’eau tatsächlich gern haben, wenn wir uns über den Preis einigen können.«

»Da lässt sich sicher noch was machen.«

Der Verkäufer war nur der Vermittler, die Besitzer waren schon nach Thailand ausgewandert. Er musste immer Rücksprache halten und das dauerte. Geduld war leider noch nie meine Stärke, ich drängte:

»Was sagen die Besitzer, akzeptieren sie meinen Preis?«

»Nein, der ist ihnen zu niedrig, da müssen Sie schon noch ein bisschen mehr drauflegen.«

»Würde ich ja gern«, sagte ich, »aber ich kann nicht, mehr Geld habe ich leider nicht.«

Ich wandte so ziemlich alle Tricks an, die ich je gelernt hatte – und zwar von meinem Vater. Vor seinen Fähigkeiten als Händler war niemand sicher. Doch irgendwann meinte er: »Jetzt ist es aber mal gut, nun musst du den Preis akzeptieren, du bist ja schlimmer als ich!« Doch ich handelte weiter, denn ich dachte, das Boot würde mir gehören, wenn es denn so sein sollte. Und wenn nicht, dann eben nicht. Es war eine Art trotziger Mut, der mich immer wieder beflügelte. Manchmal erkannte ich mich selbst kaum wieder. War das wirklich die Frau, die jahrelang entschlusslos und müde herumgedümpelt war? Nein, da war eine andere zum Vorschein gekommen. Eine, die an ihrem Traum festhielt und alles dafür tat, ihn Wirklichkeit werden zu lassen.

Zeitgleich trat ich in Verhandlungen mit meinem zukünftigen Exmann.

Über das Geld mussten wir uns zunächst einigen – ­immerhin war es ein ganz schöner Batzen. Ich erzählte ihm von dem Schiff, damit er verstand, welchen Betrag ich brauchen würde. Ich erklärte ihm: »Ich will nur dieses Schiff, sonst nichts. Dafür muss ich sofort zehntausend Euro anzahlen.«

»Die kannst du haben«, sagte er.

»Ja, das ist das eine, aber bis Ende April muss ich den Rest bezahlt haben, sonst geht das Boot wieder zurück auf den Markt und meine Anzahlung ist auch weg.«

Ich versuchte es auch bei den Banken. Aber sie wollten einen etwaigen Fehlbetrag nicht finanzieren, schließlich war das Schiff im Gegensatz zu einem Haus keine Immobilie, sondern eine Mobilie, mit der ich einfach irgendwohin hätte entschwinden können. Eine solche Finanzierung war in den Bankstatuten nicht vorgesehen.

Ich versuchte es wieder bei meinem Noch-Ehemann, sagte ihm, dass unser gemeinsames Haus eine Altersversorgung für mich gewesen sei.

Daraufhin gab er mir das Geld für den Bootskauf zum benötigten Termin.

Nun gab es auf der anderen Seite ein neues Problem. Der Verkäufer teilte mir mit: »Es gibt noch einen weiteren Interessenten. Der will sogar den aufgerufenen Preis bezahlen.«

Inzwischen hatte ich mich so darauf fixiert, dass das Schiff meins werden würde, dass ich an diesem Punkt die emotionale Schiene einschlug:

»Finden Sie nicht auch, dass das Schiff und ich zusammengehören?«

»Ja, irgendwie passen Sie dahin, ich denke, wir kriegen das hin.«

Und ich hatte Glück. Der Verkäufer verschwieg den Besitzern in der Ferne den neuen Interessenten.

Irgendwann waren alle Seiten ausverhandelt, ich hatte sie da, wo ich hinwollte. Ich bekam mein Geld – genauso viel, wie das Schiff nach meinen Verhandlungen kosten sollte. Manchmal war ich zu dieser Zeit überrascht über meinen Mut, meine Zähigkeit. Irgendwie hatte ich mir wohl gar nichts mehr zugetraut. Früher, vor meiner Ehe, war ich ähnlich beharrlich gewesen, wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt hatte. Doch dass ich nun zu meiner alten Stärke, zu meinem alten Mut zurückfand, das fühlte sich für mich an wie ein Rausch. Ich hatte nicht mehr damit gerechnet, noch so viel Kraft und Durchsetzungswillen zu haben. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich sämtliche Zweifel über Bord geworfen, ich war mir sicher: Das wird was werden!

Dann war es so weit. Das Geld war auf dem Konto. Ich vereinbarte einen Termin mit dem Verkäufer, rief bei der Bank an und bat darum, eine entsprechend große Menge Bargeld bereitzuhalten.

»Kannst du bitte als Zeugin mitkommen?«, fragte ich meine Freundin Nina.

»Klar, bei dem Moment will ich unbedingt dabei sein!«

In der Nacht vor der Übergabe konnte ich nicht schlafen, wälzte mich von einer Seite auf die andere und dachte immer wieder: »Ist das wirklich der richtige Weg?« Am Morgen sah das Ganze dann wieder anders aus, ich war zwar aufgeregt, gleichzeitig aber voller Vorfreude. Überpünktlich machte ich mich auf zu meiner Hausbank, wo Nina schon auf mich wartete.

»Ich hab hier was«, sagte sie und zog einen Piccolo aus der Tasche. »Den köpfen wir nachher, wenn du dein Schiff gekauft hast.«

Was für eine süße Idee, dachte ich, als ich auch schon den Verkäufer um die Ecke biegen sah.

Zu dritt gingen wir hinein, ein seltsamer Augenblick. Wir betraten den nüchternen Schalterraum und wurden alle drei in einen separaten Raum gebeten. Die Bankangestellte zählte das Geld auf den Tisch. Was für eine gewaltige Menge. So viel Geld hatte ich noch nie auf einem Haufen gesehen.

»Ich habe hier ein Schriftstück vorbereitet, unterschreiben Sie mir das bitte«, sagte ich steif zu dem Verkäufer. Schließlich brauchte ich einen Beweis, dass er das Geld auch erhalten hatte.

»So einen Schrieb habe ich auch dabei«, sagte er lachend und zog seinerseits einen fast identischen Zettel heraus.

Ich entspannte mich. Ich gab ihm das Geld und dann unterschrieben wir beide. Und dann war es meins. Das Schiff!

Hausboot Lotte, Kater Emma und ich

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