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KAPITEL 1 Neubeginn mit einem Herrn

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Mein neues Leben hatte mit einem gewaltigen Knall und einem Ende begonnen. Mein Mann und ich saßen bei einem – wie ich fand – entspannten Essen zur Feier unseres zwölfeinhalbten Hochzeitstages bei unserem Lieblingsitaliener. Bei der Nachspeise eröffnete er mir, dass er sich von mir trennen wolle. Er wollte keine Auszeit, sondern gleich die Scheidung. Ich war völlig geschockt, hatte nicht damit gerechnet. Die folgenden Wochen erschienen mir wie ein Alptraum: Ich versuchte, unsere Ehe zu retten, versuchte immer wieder, mit ihm zu sprechen, doch ich kam nicht mehr an ihn heran. Für ihn war alles klar: Er wollte nicht mehr. Im Nachhinein muss ich sagen, dass er recht gehabt hat.

Verliebt hatte er sich damals in eine lebensfrohe, bodenständige und selbstbewusste Frau.

Als wir uns kennenlernten, hatte ich einen riesigen Freundes- und Bekanntenkreis gehabt. Samstags tanzten wir in einer Rockdisco die Nächte durch. Sonntags trafen wir uns zu Radtouren und machten Picknicks. Ich trieb regelmäßig Sport, feierte mit Freunden wahre Kochorgien und freute mich meines Lebens.

Doch diese patente und fröhliche Frau war in all den gemeinsamen Jahren irgendwo verloren gegangen. Ich hatte versucht, mir seine Liebe durch Leistung zu erhalten. Und stand dabei ständig unter selbst gemachtem Stress: Ich wollte die perfekte Ehefrau sein, die geistreiche Gespräche mit ihrem Mann führt und immer gute Laune hat. Ich wollte die großartige Gastgeberin sein, die neben ihrem Job mühelos mehrgängige Menüs kocht, den Tisch liebevoll dekoriert und bis tief in die Nacht lustig und munter ist. Ich wollte eine beruflich erfolgreiche Vorzeigefrau sein, obwohl ich auch damals schon mit finanziell desaströsen Arbeitsbedingungen zu kämpfen hatte. Ich wollte eine aufregende Geliebte sein, die ihren Mann ständig überrascht und natürlich einen hinreißenden und durchtrainierten Körper hat. Ich wollte den riesigen Garten in ein Paradies verwandeln …

Ich wollte eine Frau sein, auf die er stolz sein konnte, die er immer lieben würde. All diese Ansprüche hatten mich von mir selbst entfernt, ich wusste im Grunde gar nicht mehr, wer ich wirklich war, was ich selbst wollte. Und war darüber unzufrieden geworden, nicht nur mit mir selbst. Er hatte mich nie in all diese Rollen hineingedrängt, hatte nie etwas von mir gefordert. Aber die starke Frau, die er kennengelernt hatte, war auf der Strecke geblieben und nun war er mit einem unwirschen und ewig nörgelnden Wesen zusammen. Das fiel auch mir selbst immer häufiger auf. Im Grunde mochte ich mein ganzes Leben nicht mehr, obwohl es von außen betrachtet perfekt war: Ich hatte einen liebenswerten Mann, wir wohnten in einem schönen Haus, fuhren regelmäßig in den Urlaub, es fehlte uns an nichts. Und doch hatte ich manchmal das Gefühl, dass wir uns voneinander entfernt hatten, dass sich die Liebe davongemacht hatte. Die Freude am Segeln war uns geblieben.

Nun hatte er also einen Schlussstrich gezogen, den ich akzeptieren musste, aber noch nicht konnte. Verzweifelt versuchte ich, ihn dazu zu bewegen, mit mir zu reden, einen gemeinsamen Weg zu finden. Ich wollte unsere Ehe nicht einfach so wegwerfen. So erzählte ich zunächst noch niemandem vom Entschluss meines Mannes, versuchte lieber erst einmal, ihn umzustimmen. Doch irgendwann wurde mir klar: Er meinte es bitterernst!

Mein Halt in dieser Situation waren meine Freunde. Alle halfen, wo sie konnten, sie schlossen sich wie ein warmer Mantel um meine Verzweiflung. Angela und ihr Mann Dirk quartierten mich erst einmal für ein paar Tage bei sich ein, damit ich wieder zu mir kommen konnte. »Du kannst so lange bleiben, wie du willst«, boten sie mir an, »fühl dich wie zu Hause.« Das tat ich und genoss das WG-Leben zu dritt sogar. Ich fühlte mich geborgen und hatte am Ende die Kraft, eine Scheidungsanwältin anzurufen. Edith fragte: »Was kann ich für dich tun, isst du überhaupt richtig?« Nein, das tat ich natürlich nicht. Also lud sie mich ein und bekochte mich und ich entspannte mich trotz all dem Stress zu Hause. Alex brachte mich mit ihrem schwarzen Humor tatsächlich zum Lachen und Monika nahm mich einfach in den Arm.

Irgendwann hatte ich das Unvermeidliche akzeptiert und machte mich auf die Suche nach einer neuen Wohnung. Nicht leicht in der schönsten, aber eben auch sehr teuren Stadt. Ich fand eine Zweizimmerwohnung, zog aus dem gemeinsamen Haus aus und versuchte, mein Leben neu zu ordnen. Und das fühlte sich überraschenderweise ziemlich gut an. Ich war wie befreit von der Last des Perfekt-sein-Müssens. Auch meine Familie freute sich darüber: »Die alte Nico ist wieder da.« Es schien, als würden Verkrustungen aufbrechen, die mein eigentliches Ich wieder zum Vorschein brachten. Ich fühlte die vertraute und lange verschüttete Lebensfreude zurückkehren, war beschwingt, richtig gut drauf. Und das hatte auch mit einer wichtigen Entscheidung bei dieser Rückkehr zu mir selbst zu tun. Nur zehn Tage nach meinem Umzug erfüllte ich mir einen sehr, sehr großen Wunsch: Ich holte mir eine Katze aus dem Tierheim.

Als ich meinen Mann kennengelernt hatte, hatte ich auch eine Katze besessen, Dina hieß sie und war schon damals sehr alt. Ich hing mit großer Liebe an der Katze. Als sie unheilbar krank wurde und eingeschläfert werden musste, hatten wir kein neues Haustier mehr zu uns geholt.

Eine Samtpfote aber hatte mir während meiner Ehe schmerzlich gefehlt. Nun, in meinem neuen, eigenen Zuhause konnte ich mir diesen Herzenswunsch erfüllen. Ich fuhr in ein nahegelegenes Tierheim und erzählte meine Geschichte.

»Wir haben genau die richtige Katze für Sie, drei Jahre alt vielleicht. Wir haben sie Kaya genannt«, sagte die ­Angestellte.

»Hat sie jemand abgegeben?«, wollte ich wissen.

»Angeblich hat jemand sie in einem Gewerbegebiet gefunden. Ich hab’s nicht geglaubt. Dafür war sie zu gepflegt. Vermutlich passte sie nicht mehr ins Leben des Besitzers. Wie so oft …«

»Wie verantwortungslos«, entgegnete ich schockiert.

Die Tierpflegerin zuckte nur die Schultern. Sie war an diese Haltung offenbar gewöhnt.

Mit klopfendem Herzen betrat ich den Raum, in dem Kaya untergebracht war. Sie saß ganz oben auf einem Schrank in einem Katzenkorb. Zunächst sah ich durch das Gitter nur zwei grüne Augen, die mich neugierig beobachteten. Kaum hatte ich mich auf einen Stuhl gesetzt, kam Kaya auch schon aus dem Korb. Sie ließ mich nicht aus den Augen, während sie rasch nach unten auf den Fußboden kletterte, sich auf den Rücken warf, mich weiter intensiv betrachtete und zu schnurren begann. Ich war nicht gerade begeistert: Das Tier war schwarz-weiß gefleckt wie eine Kuh, ich hatte mir eher etwas Elegantes vorgestellt. Wie die graue Dina. Doch Kaya ließ sich von meiner Zurückhaltung nicht beirren, betrachtete mich und schnurrte weiter und wartete. Schließlich beugte ich mich vor und begann vorsichtig, ihren Bauch zu kraulen. Das Schnurren wurde stärker.

»Okay«, sagte ich, »du meinst wohl, dass wir zusammengehören.«

Warum nicht?, dachte ich. Katzen sind ohnehin nicht beherrschbar, da konnte ich mein Wunschbild auch gleich über Bord werfen. Ich besorgte eine Katzentoilette, Futter und einen Kratzbaum und fuhr am nächsten Tag wieder zum Tierheim, um Kaya abzuholen. Und war bestimmt genauso aufgeregt wie sie.

In ihrem neuen Zuhause verschwand sie erst einmal unter dem Bett. Ich kannte das schon von Dina, dachte, dass ich nun wochenlang Geduld haben müsste – und täuschte mich gründlich. Bereits am selben Abend kam Kaya auf meinen Schoß, ließ sich ausführlich streicheln und kraulen. Nachts belegte sie sofort den Platz im Bett neben mir, an mir, sollte ich wohl besser sagen. Denn sie kroch unter die Bettdecke, schmiegte sich eng an meinen Körper und begann zu schnurren. In dieser Nacht konnte ich nicht schlafen, aus Angst, das Tier zu zerquetschen, wenn ich mich im Schlaf umdrehte. Doch die Sorge erwies sich als unbegründet. Fortan schlief ich jede Nacht mit einer gemütlichen, warmen, schnurrenden – und später leise schnarchenden – Wärmflasche an meiner Seite.

Nur Kaya – mit diesem Namen konnte ich mich nicht anfreunden. Ich fand, die Katze sollte einen Namen bekommen, einen, der zu ihrem Kuhmuster passte. Ich taufte sie Emma – allerdings nur, um nach einiger Zeit festzustellen, dass Emma ein Kater war. Seither heißt er Herr Emma. Er war vom ersten Tag an ein Lichtblick in meinem Single­leben und tat mir gut: Wenn ich nach Hause kam, begrüßte er mich, indem er sich schnurrend auf den Rücken warf und am Bauch gestreichelt werden wollte. Ich war nicht allein. Das gab mir Mut und Kraft in dieser Lebensphase. Und noch heute ist Herr Emma der liebenswerteste Zeitgenosse, den ich mir vorstellen kann. Nie nörgelt er, nie zerstört er etwas. Das Einzige, was er ständig einfordert, sind seine Streicheleinheiten. Jeden Abend liegt er auf dem Sofa auf meinen Beinen, lang hingestreckt, und möchte gekost werden. Sitze ich am Schreibtisch, legt er sich gern auf die Tastatur, auf meinen Arm oder die Maus. Und wenn ich nicht reagiere, baut er sich einfach direkt vor dem Bildschirm auf. Emma ist mein Herzenskater, ich liebe ihn sehr und bin dankbar, dass er mein Begleiter geworden ist.

Herr Emma und ich starteten in ein neues und, ja, auch besseres Leben. Bald spürte ich wieder die Energie in mir, die mir so lange gefehlt hatte. Ich lud Freunde ein, kochte für sie und erfreute mich an den langen, fröhlichen Abenden in meinem neuen Zuhause. Ich ging aus, ins Kino oder zu Konzerten. Und als mein Bruder mit seiner Theatergruppe eine Aufführung in der Stadt hatte, verabredete ich mich mit meinem Cousin Helge. Dieses Ereignis wollten wir uns nicht entgehen lassen.

Als ich reinkam und mir ein Getränk besorgte, verwickelte ich mich als Erstes in ein lustiges Gespräch mit denen, die vor mir in der Schlange standen. Irgendwann hielt ich nach Helge Ausschau, der mich offenbar schon beobachtet hatte.

»Wow, du siehst ja toll aus! Zehn Jahre jünger. Wie ­früher.«

»Warum?«, wollte ich wissen.

»Na ja, Lederjacke, ein Bier in der Hand und gleich mittendrin, mit wildfremden Menschen, so hab ich dich all die Jahre nicht erlebt.«

Ich strahlte und prostete ihm zu.

»Nico hat ihr verstaubtes Batman-Kostüm wieder aus dem Schrank geholt, wie schön!«

Ja, genau so fühlte ich mich: Ich stand da mitten zwischen den Theaterleuten, plauderte, lachte, fühlte mich wohl. Das Stück mit meinem Bruder war großartig und ich fragte mich, warum ich so lange nicht mehr im Theater gewesen war. Anschließend saßen wir mit allen Schauspielern bis nachts um zwei auf der abgeräumten Bühne. Ich spürte die wiedererwachte Energie in mir, die Lust auf ein neues Leben.

Hausboot Lotte, Kater Emma und ich

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