Читать книгу Der Klarträumer - Nicolai Richter - Страница 17

Оглавление

13

Eine Woche später

Salome Knauss war stinksauer, als um neun Uhr die beiden Jungs schon wieder kaputt und mit einer beissenden Alkoholfahne im Studio erschienen. Treiber hatte die ganze Woche durchgesoffen und musste sich nach dem ersten Kaffee gleich auf der Toilette übergeben. Zehnders Woche verlief ähnlich, er konnte sich nicht einmal mehr an die einzelnen Tage und Nächte erinnern. Seit sechs Uhr war er schon wach und trank Wasser mit Alka Seltzer in kleinen Schlucken. Der noch fehlende Teil des Vlogs ging dann aber reibungslos in den Kasten, als Zehnders iPhone klingelte. Es war Sebastian Bode, sein Mädchen für alles, der sich um seine Autos, die Jacht und die Technik in seinen Liegenschaften kümmerte.

„Jan. Du es ist was passiert. In deiner Jacht wurde eingebrochen.“

„Aha.“

„Es fehlt nichts, soweit ich das sehen konnte. Aber sieht nicht schön aus. Da haben wohl ein paar Jugendliche eine dolle Party gefeiert. Kaputte Flaschen und Gläser, zerrissene Kissen und so. Soll ich Anzeige erstatten?“

„Ich war erst gerade dort, das muss gestern oder vorgestern passiert sein. Ist sonst alles okay?“

„Ja, ausser dem Schloss.“

„Aufgebrochen?“

„Nein, das ist ja das Seltsame. Die Luke war offen. Entweder jemand hatte einen Schlüssel oder es war schon offen. Keine Spur, dass da ein Profi am Werk war. Am Schloss wurde nichts rumgemacht, hab‘s mir genau angesehen. Willst du die Anzeige?“

„Nein, nein. Ich bin ja versichert. Lass mal, bringt eh nichts. Kannst du das wieder in Ordnung bringen?“

„Klar, mach ich.“

„Warte!“

„Ja?“

„Ich bin hier fertig, ich komme vorbei, will es mir ansehen. Wart auf mich.“

„Okay, wenn du meinst, bis später.“

„Was ist los?“, erkundigte sich Sascha, der ihn während des Telefonats abgeschminkt hatte.

„Jemand ist in meine Jacht eingebrochen.“

Bode stand auf dem schwankenden Boot wie ein Fels in der Brandung, breitbeinig mit den Händen in den Taschen seiner dunkelgrünen Arbeitshose.

„Schaus dir an. Die Scherben habe ich schon ein bisschen weggewischt.“

Zehnder setzte sich hin und schaute dreimal hintereinander seine Hand an. Nein, das hier war definitiv kein Traum!

„Weisst du was, Bode? Das sieht genauso aus, wie ich es vor ein paar Tagen geträumt habe.“

„Du hast geträumt, dass in deiner Jacht eingebrochen wird? Gibt’s ja nicht!“

„Nein, nein. Aber es sah so aus. Die zerbrochene Whiskyflasche, als wenn sie jemand gegen die Luke geworfen hätte.“

„Gegen die Luke, sagst du?“

Bode schloss die Luken-Tür und zeigte auf die Diele: „Etwa so, meinst du?“

„Ja etwa so.“ Zehnder wurde schlecht, als die Bilder aus seinem Traum wieder in sein Bewusstsein kamen, und er wusste nicht, ob er sich gleich übergeben musste.

„Du sagtest doch, dass du erst gerade hier warst. Und da war noch alles ganz?“

„Ja sicher, da war alles noch ganz.“

Zehnder erinnerte sich, dass er sehr betrunken war. Wäre es tatsächlich möglich, dass ihm die Verwüstung im Suff gar nicht aufgefallen ist? Oder konnte er sich einfach nicht mehr erinnern? - Stand es schon so schlimm um ihn, dass er in dieser Schweinerei übernachtet hatte und am Morgen noch so benebelt war, dass er nicht einmal die Scherben auf dem Boden bemerkt hatte?

„Das war doch alles voller Scherben, als du kamst, oder?“

„Ja, ja. Da konnte man keinen Schritt machen.“

Zehnder dröhnte der Kopf.

„Okay, ich fotografier das noch und dann mach ich mich vom Acker.“

„Soll ich dich mit deinem Auto nachhause fahren?“, Bode machte einen besorgten Gesichtsausdruck.

„Nein, nein. Lass nur. Geht schon wieder.“

Dann musste sich Zehnder aber doch noch übergeben. Und da er nichts gegessen hatte, würgte er nur etwas Magenflüssigkeit hervor und röchelte nach Luft. Bode gab ihm ein Taschentuch.

„Ach, das hätte ich fast vergessen. Ich habe eure Medikamente bei Petrowski abgeholt. Und er hat mir noch etwas für eure Katzen mitgegeben. Ich leg dir den Karton in den Kofferraum.“

Petrowski kannte Zehnder noch aus seiner Schulzeit. Neben dem Kalifornischen Cocktail versorgte ihn Petrowski mit Betablocker gegen sein Lampenfieber und mit anderen legalen und halblegalen Substanzen, die das Leben auf der Überholspul leichter und schöner machten. Annette hatte zwischen ihren grossen Missionen immer wieder mit Depressionen zu kämpfen. Fleisch und Fisch konnte sie mühelos in grossen Mengen verspeisen, solange man das Tier oder Teile des Tiers nicht erkennen konnte. Doch schon das kleinste Füsschen oder Zänglein in einem Meeresfruchtsalat konnte eine heftige Gemütserregung in ihr auslösen.

Petrowski gab ihr Oxytocin, das sie sich in die Nasen sprayen konnte und das innert Sekunden wirkte. Oxytocin ist ein Hormon, das sogenannte Kuschelhormon, das wir ausschütten, wenn wir unsere Haustiere oder Kleinkinder streicheln und liebkosen. Hat eine stillende Mutter zu wenig davon, fliesst keine Milch. Diesen Frauen verschreibt man das Oxytocin-Spray. Petrowski hatte nun im Selbsttest herausgefunden, dass eine ordentliche Dosis von diesem Spray dazu führt, dass man für ein paar Stunden alle Menschen um sich herum so wahnsinnig gerne hat, dass man auch bereit ist, darüber hinwegzusehen, wenn diese Menschen vor einem Teller mit Schweinsfüssen, Froschschenkeln oder einem ganzen Hummer sitzen. Bei einer Hochzeit in Bangladesch musste sie sich mal eine ganze Dose in die Nase ziehen, als vier Kellner zwei Klammeräffchen servierten, die in kopulierender Stellung mit geöffneten Schädeldecken auf einem Silbertablett hineingetragen wurden.

Als Zehnder wieder zuhause war, tröpfelte er dem Kater Willy die Medizin in das Ohr. Danach legte er sich hin, um ein bisschen zu schlafen. Doch das Déjà-vu auf der Jacht liess ihm keine Ruhe. Immer und immer wieder ging er den Ablauf der letzten Tage durch. Und er kam zu dem einzig sinnvollen Schluss, dass zuerst der Einbruch war, dann seine Übernachtung in der Jacht, bei der er auf Grund seiner Betrunkenheit nichts von dem Chaos bemerkt oder es einfach vergessen hatte, und dann heute dieses verstörende Déjà-vu.

Dann fiel ihm ein, dass er ja einfach nur in seinem Traumtagebuch nachschauen musste.

Tatsächlich war der Klartraum für den 21. Juni, also Sonntag, notiert und heute war Freitag, also vor fünf Tagen. Und in der Jacht übernachtet hat er vom 18. Auf den 19. Juni, also von Donnerstag auf Freitag.

Also ging alles mit rechten Dingen zu und sein Gedächtnis spielte ihm einen bösen Streich. Was er nur mit den üblen Abstürzen der letzten Tage erklären konnte. Mit diesem Gedanken klappte er den Laptop zu und schlief mit den Katzen an seiner Seite ein.

Der Klarträumer

Подняться наверх