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Berlin, sechs Monate vor der Wahrheit
Kurz vor Weihnachten hatte Johnny schon einmal den Alarm ausgelöst. Nicht in der Psychiatrie, sondern in einem Parkhaus.
Dort traf er sich um zwei Uhr in der Nacht mit einem Freier in seinem BMW Van 220i. Ein Familienvater, wie er sehen konnte, als der Mann mit Wohlstandsbauch und Goldrandbrille den Hunderter aus seiner Brieftasche zupfte. Auf dem Foto in der Brieftasche sah man ihn mit seiner Frau und zwei kleinen Mädchen, wie sie im Garten an einem Tisch mit einer grossen Geburtstagstorte sassen. Es sah so aus, als würden sie alle Happy Birthday singen. Das grössere Mädchen hatte einen weissen Labrador-Welpen mit einer roten Schleife am Halsband auf dem Schoss. Im Hintergrund konnte man einen Baum erkennen, auf dem zwei Krähen sassen. Mit offenen Schnäbeln und ausgestreckten Fittichen, als würden sie mitsingen.
Mit dem verdienten Hunderter bezahlte er als Erstes den Dealer, der im Treppenhaus auf ihn wartete. Dann setzte er sich auf der Herrentoilette durch die Vene des linken Fusses einen Schuss Heroin und rauchte aus Alufolie ein Gemisch aus Crystal Meth und Kokain. Kurz darauf ist er neben der Toilette für ein paar Stunden eingeschlafen. Er träumte von weissen Wölfen, die ihn auf einem Schlitten durch die Milchstrasse zogen. Neben ihm sass eine Prinzessin in einem silbernen Mantel. Auf den Mantel waren alle Sterne des Universums genäht. Ihre goldenen Haare waren das Licht der Welt und ihre Augen die grossen blauen Weltmeere.
Als er dann aufwachte, wusste er weder, wo er war, noch konnte er sich erinnern, wie er in dieses Parkhaus gekommen war. Dann setzte die Paranoia ein. Er rannte panisch durch das Parkhaus, rannte in Kreisen, rannte das Treppenhaus hinauf und wieder hinunter. Kurz darauf setzte der Juckreiz des Crystal Meths ein und er fing an, sich an den Armen und Unterschenkeln zu kratzen. Dann hämmerte er mit geballten Fäusten und schlug mit dem Kopf gegen die Wände, die sich ihm plötzlich in den Weg stellten. Unter seiner Haut sah er kleine Käfer und Würmer. Und hinter jeder Ecke, in jedem fahrenden Auto sah er CIA-Agenten, die ihn töten wollten. Er fing an, Zahlen der Parkplätze mit Zahlen der Etagen zu multiplizieren und addierte sie mit den ungeraden Zahlen auf den Nummernschildern von schwarzen Autos. Dann tippte er die Zahlen in die Parkscheinautomaten.
Nach sieben Stunden brach Johnny erschöpft und dehydriert drei Meter vor dem Ausgang zusammen. Nachdem er mit letzter Kraft noch die Scheibe des Feuermelders eingeschlagen hatte.
Die Feuerwehre lieferte ihn dann im Krankenhaus ab, wo man ihn nach einer Woche soweit aufgepäppelt hatte, dass er in die geschlossene Abteilung der Psychiatrie verlegt wurde.