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Die Wahrheit über Drucker, Kopierer und Radiosender
ОглавлениеAuf dem Weg zum Auto ließ ich das Gespräch im Personalbüro noch mal Revue passieren. Je länger ich darüber nachdachte, desto wütender wurde ich auf mich selbst. Gut, ich hatte mir nicht die Blöße gegeben und um meinen Job gebettelt, aber richtig die Zähne zeigen sieht auch anders aus.
Die Tatsachen trotzig zu ignorieren bringt nichts („Ich halte jetzt solange die Luft an, bis Sie die Kündigung zurücknehmen!“, hätte wohl auch nicht überzeugt), aber warum hatte ich nicht ordentlich auf den Tisch gehauen und meinem Ärger Luft gemacht? Simon hatte mit seiner Kritik in der Kaffeeküche nämlich durchaus recht gehabt. Alternative Maßnahmen, etwa so exotische wie z.B. die Einführung von Kurzarbeit, waren von der amerikanischen Firmenleitung pauschal als nicht ausreichend zurückgewiesen worden. Einen Betriebsrat, der evtl. hätte Paroli bieten können, gab es nicht, also wäre es an mir gewesen, das ein oder andere kritische Wort fallen zu lassen. Aber anstatt den beiden Vertretern des Managements ordentlich die Meinung zu sagen, hatte ich noch Verständnis für die schwierige Lage der Firma gezeigt. Geht’s noch? Natürlich hätte ein Wutausbruch letztlich auch nichts geändert, aber wenn man in so einer Situation nicht den Mund aufmacht, wann dann?
In dieser gereizten Grundstimmung erreichte ich meinen Wagen. Nachdem ich den Motor angelassen hatte, schaltete ich das Radio ein und wurde sofort noch wütender.
Eine wissenschaftlich fundierte Tatsache, die zudem jeder, der einmal in einem Büro gearbeitet hat, aus eigener Erfahrung bestätigen kann, ist, dass Bürogeräte, vornehmlich Drucker, Kopierer und Faxgeräte, über die Fähigkeit verfügen, die emotionale Situation des Bedieners zu erfassen. Sobald diese Geräte spüren, dass man unter besonderem Stress, Zeitdruck oder Anspannung steht, findet immer ein Papierstau statt, oder der Toner ist leer oder es befindet sich kein Papier mehr in Papierfach 2 (Es ist immer das Fach betroffen, das das gewünschte Format enthält, die anderen sind grundsätzlich randvoll. Auch Kombinationen der geschilderten Komplikationen sind übrigens möglich.) Die Wissenschaft rätselt noch darüber, ob sich die Anspannung des Benutzers auf das Bürogerät überträgt und es dadurch fehleranfälliger wird, oder ob es sich einfach um pure Bosheit der Geräte handelt (wobei ich eindeutig der zweiten Theorie zuneige. Auch ich wäre tendenziell übellaunig, wenn die größte Abwechslung im meinem Dasein darin bestünde, einmal im Jahr während der Betriebsfeier den nackten Hintern der übergewichtigen Sekretärin zu photokopieren).
Was jedoch die Wenigsten wissen, ist, dass Radiosender über ähnliche Fähigkeiten verfügen. Sobald ich mit richtig beschissener Laune im Auto sitze, kommt unter Garantie die Sorte Musik, die selbst aus Gandhi einen durchgeknallten Kettensägenmörder gemacht hätte. Folglich wurde gerade ein aktueller Hit einer erfolgreichen Popband gespielt, der meinen Blutdruck augenblicklich bedenklich in die Höhe trieb. (Wäre dies ein Comic, so würden Sie jetzt über meinem Kopf einen schon bedrohlich aufgeblähten Kessel mit ächzenden Nieten und einem Manometer sehen, dessen Anzeigenadel sich zügig dem roten Bereich nähert.)
Kann mir mal bitte jemand erklären, warum zeitgenössische Popbands mit männlichen Sängern so klingen müssen, als wäre der Künstler kurz vor der Aufnahme mit einem Baseballschläger sterilisiert worden? Bin ich wirklich der einzige, dem dieses hochfrequente Kastratengewinsel sofort die Mordlust in den Adern pulsieren lässt?
Was ist passiert, dass der gefühlt einzige aktuelle Popkünstler mit Eiern in der Hose eine Frau namens „Pink“ ist?
Auch durch das augenblickliche Wechseln des Senders ließ sich das oben erläuterte ungeschriebene Gesetz natürlich nicht austricksen. Diesmal war es eine deutschsprachige Band, deren Texte von Verwaltungsfachangestellten und Zahnarzthelferinnen vermutlich als tiefgründig und poetisch empfunden werden sollen, die für meinen Geschmack allerdings entschieden zu häufig Begriffe wie „Sehnsucht“, „Phantasie“, „Zärtlichkeit“ und „Regenbogen“ enthielten. Wer zwischen den Zeilen lesen kann, hat vermutlich bereits erraten, dass dieses pseudoromantische Gewäsch der Marke Realschulabbrecher-Lyrik auch nicht ganz meinen Geschmack traf, daher machte ich noch einen dritten Versuch, meine inzwischen am Siedepunkt angekommene Laune (der Kessel hat in der Zwischenzeit eine rötliche Färbung angenommen, der Zeiger ist am Anschlag) wieder etwas zu normalisieren, wurde jedoch abermals enttäuscht. Dieses Mal war es Musik der Kategorie „Sekretärinnen-Hardrock“ (‚Wind of Change‘ von den Scorpions), die zwar geringfügig erträglicher als die vorangegangenen Beiträge, jedoch auch nicht wirklich geeignet war, meine Gemütslage zu stabilisieren.
Resigniert schob ich die einzige im Wagen befindliche und daher schon x-mal gehörte Selbstgebrannte in den CD-Player. Aus den Boxen erklang ‚Highway to Hell‘.
„Wahnsinnig lustig“, dachte ich, und sprach dem Zufallsgenerator des Players jedes Humorverständnis ab.
Obwohl sich meine Laune ein wenig besserte, führte die Musik in Kombination mit meiner noch miesen Grundstimmung zu einem Fahrstil, der mit „aggressiv“ noch schmeichelhaft umschrieben wäre. Oder hätte vielmehr dazu geführt, wäre ich nicht nach fünfminütiger Fahrt im nachmittäglichen Stau auf der A3 angekommen. (Der Kessel ist jetzt tiefrot, der Zeiger wickelt sich um den Anschlag und die ersten Nieten schießen, untermalt von einem lustigen metallischen „Poing“, davon.)
Nachdem ich ein wenig auf das (im Grunde unschuldige) Lenkrad meines italienischen Arme-Leute-Sportwagens eingedroschen hatte, versuchte ich abermals, mich wieder zu beruhigen. Als es dann nach nur 38 Minuten wieder weiterging, in denen ich etwa 8 Kilometer zurückgelegt hatte und ich endlich Gas geben konnte, war das eine riesige Erleichterung. Zumindest so lange, bis ich von der Autobahn wieder abgefahren war und auf der Landstraße von einem kurzen aber intensiven roten Lichtblitz darauf aufmerksam gemacht wurde, dass die Geschwindigkeitsüberwachungsanlage, die hier bereits seit vier Jahren stand, offenbar nicht über das Wochenende demontiert worden war.
Montage waren noch nie meine Lieblingstage gewesen, aber dieser entwickelte sich wirklich zu einem ganz besonderen Exemplar.