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Geheimnisvolle Hunde

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Ab etwa 1760 kamen britische Forscher und Händler der Hudson‘s Bay Company aus Kanada zu den Lakota und Dakota. Zu ihnen waren deren Beziehungen noch besser als zu den Franzosen, schon bald übertraf der Umfang des Handels mit den Briten den mit den Franzosen um ein Vierfaches.1 Vor allem die Yanktonai entsandten Handelsdelegationen zu den Forts der Hudson‘s Bay Company im Red-River-Gebiet des heutigen Manitoba und schlüpften bald in die Rolle einer Drehscheibe für den Umschlag britischer Waren wie Messer, Pfeilspitzen und Kochgeräte sowie Feuerwaffen. Sie veranstalteten jährlich in ihren Dörfern Handelsmessen.2

Diese Geschäfte endeten allerdings 1821. In diesem Jahr stellte die Hudson‘s Bay Company den Handel mit den Dakota ein. Die Ojibwa nämlich, auch sie mit den Briten gut im Geschäft, hatten zunehmend darauf gedrängt, weil die Dakota immer mächtiger wurden, und diese Macht hatte sie nervös gemacht. Mehrfach waren Handelsdelegationen der Konkurrenten aneinandergeraten, als sie gleichzeitig an Forts aufgetaucht waren.3 Nachdem das Geschäft mit den Briten für die Dakota zu Ende war, handelten sie verstärkt mit den Métis. Das waren Nachfahren weißer Fallensteller und indianischer Frauen in Kanada. Sie spielten eine große Rolle als Zwischenhändler, wobei ihr Geschäftsmodell zu einem gewissen Teil aus Schmuggel beschränkter oder verbotener Waren über die Grenze bestand. Bei den Métis tauschten die Dakota, Lakota und andere Völker Felle gegen Feuerwaffen, Munition und Schnaps ein.4

Die zunehmende Macht der Dakota und besonders der Lakota lag vor allem an einem Wesen, dessen Bekanntschaft sie erstmals um das Jahr 1750 gemacht hatten. Das Pferd sollte ihre ganze Lebensweise oder zumindest die Lebensweise der Lakota von Grund auf ändern. Bekanntlich hatten die Spanier dieses Tier in die Neue Welt eingeführt. Ganze 16 Pferde waren es zunächst, mit denen Hernán Cortés 1519 zur Eroberung des Aztekenreichs in Mexiko ansetzte. Berittene Krieger in gleißenden Brustharnischen versetzten die indigenen Mexikaner zwar nicht in helle Panik, wie man oft liest, aber Respekt hatten sie schon.5 Bei spanischen Vorstößen von Mexiko aus lernten später auch die Ureinwohner im Norden des Doppelkontinents dieses Tier kennen. 1541 machte sich Francisco Vasquez de Coronado auf nach Nordosten, das sagenhafte Goldland Quivira vor Augen, das er zu finden hoffte. Seine 250 Reiter führten mehr als 1.000 Reservepferde und Maultiere mit. Obwohl er recht früh während seiner Expedition von einem Hagelsturm überrascht wurde, bei dem ihm der größte Teil der Reit- und Packtiere durchging, zog er bis ins heutige Kansas hinein, wo er mangels Goldländern schließlich umkehrte.6

Bis zur Wende zum 17. Jahrhundert hatten sich die nunmehr wildlebenden Pferde Coronados auf stattliche Herden vermehrt. Indianer gelangten in den Besitz einiger Tiere, lernten sie zu reiten, sie zu züchten.7 Viele Pferde gelangten außerdem in die Hand der Ureinwohner, als im Jahr 1680 die Pueblo-Indianer im heutigen Südwesten der USA revoltierten und den Spaniern dabei so hart zusetzten, dass diese sich fürs Erste wieder nach Süden zurückzogen.8

Die ersten richtigen Reitervölker in Nordamerika waren die Shoshone und die sich von ihnen abspaltenden Comanche. Ursprünglich in den Rocky Mountains von Idaho, Wyoming und Colorado beheimatet, erschloss sich ihnen nun ein ganz neuer Lebensraum: die Prärien, die Great Plains des Mittleren Westens der USA. Um 1700 waren die nämlich im Großen und Ganzen höchstens entlang der großen Flussläufe besiedelt, weite Gebiete waren menschenleer. Ein extremer Lebensraum: wasserarm, windgepeitscht, und übers Jahr Temperaturunterschiede von 70 Grad Celsius.9 Erst das Pferd machte ihn bewohnbar. Hoch zu Ross jagten die Shoshone und Comanche den Bison erfolgreicher. Aus den Häuten der Wildrinder fertigten sie große, kegelförmige Zelte, die im heißen Sommer kühl und im eisigen Winter warm blieben. Beritten konnten sie mehr Nahrung transportieren als zu Fuß. Ihre Kopfzahl nahm zu, und sie weiteten ihr Territorium gewaltig aus. Während die Comanche sich nach Süden zu den Prärien des heutigen Texas und Oklahoma orientierten, durchstreiften die Shoshone um 1750 ein riesiges Gebiet vom Arkansas bis in die heutigen kanadischen Bundesstaaten Saskatchewan und Alberta hinein und dominierten ihre unberittenen Nachbarn militärisch nach Belieben.10

Aber diese Nachbarn blieben ihrerseits nicht lange unberitten. Sie stahlen den Shoshone Pferde oder handelten sie bei ihnen ein, denn die Shoshone tauschten Waren gegen diese Tiere. Ihre Nachbarn wiederum handelten weiter östlich bei den bäuerlichen Völkern die Pferde gegen Agrarprodukte und andere Güter ein. Drehscheiben des Handels waren die mit Palisaden und Erdwällen befestigten Hüttendörfer der Arikara sowie der benachbarten Mandan und Hidatsa, dreier damals mächtiger Völker am Missouri beidseits der heutigen Grenze von North und South Dakota. Der Pelzhändler Charles Mackenzie erlebte 1805 in einem Dorf der Hidatsa, wie dort eine große Handelsdelegation der Crow mit einer Kaufkraft von 250 Pferden eintraf. Sie bekamen dafür Mais, Metallwerkzeuge und metallene Kochkessel – und 200 Gewehre mit je 100 Schuss Munition.11 Letzteres war besonders bedeutsam.

Franzosen, Engländer und später US-Amerikaner gaben zwar nie wirklich viel und selten wirklich gute Feuerwaffen an Indianer weiter, aber das war immer noch mehr als das, was die Spanier bereit waren zu geben. „Keine Gewehre an Indianer“ war deren strikte Politik. Pech für die mit den Spaniern handelnden Shoshone. Zuerst hatten deren Nachbarn durch den Erwerb von Pferden militärisch mit den Shoshone gleichgezogen, nun machten die Feuerwaffen sie deutlich überlegen.12 Ein alter Blackfeet-Indianer namens Saukamappee erzählte dem Forscher David Thompson von einem Kampf von Blackfeet und Assiniboine gegen einen großen Shoshone-Kriegstrupp um 1740, wahrscheinlich in Saskatchewan. Die beiden verbündeten Völker boten dabei zusammen zehn Gewehrschützen gegen die Shoshone auf und erzielten damit ein durchschlagendes Ergebnis, wie Saukamappee berichtete:

„Als die Schlangenindianer so viele der ihren tot und verwundet sahen, rührten sie sich hinter ihren Schilden nicht mehr von der Stelle. […] Unsere Schüsse riefen Bestürzung und Mutlosigkeit in der gegnerischen Reihe hervor. Gegen Mittag hatte der Kampf begonnen und die Sonne war noch nicht einmal halbwegs untergegangen, als wir sahen, dass einige ihre Schilde zurückgelassen und die Flucht ergriffen hatten.“13

Mit der Herrlichkeit der Shoshone war es vorbei. Von Nordosten drängten die Blackfeet und die Assiniboine auf die Prärien. Aus dem Osten kamen die Cheyenne und Arapaho.14 Zum militärischen Druck kamen die Pocken hinzu. Eine Epidemie um 1780 traf die Shoshone besonders hart.15

Welches Staunen das Pferd anfangs auch bei den Lakota ausgelöst haben muss, sieht man an dem Namen, dem sie diesem Tier gegeben haben. Šuŋka wakhaŋ bedeutet übersetzt „Geheimnisvoller Hund“. Hunde waren die einzigen Haustiere, die Indianer zuvor kannten. Mit wakhaŋ – übersetzen kann man es sowohl mit „heilig, mysteriös“ als auch mit „rätselhaft, geheimnisvoll“ – bezeichneten Lakota und Dakota so ziemlich alles, was ihnen bislang nie untergekommen war, aber einen Namen brauchte.16 Feuerwaffen hießen bei ihnen zum Beispiel maza wakhaŋ, „geheimnisvolles Metall“17, Alkohol nannten sie mni wakhaŋ, „geheimnisvolles Wasser“. Bei den Östlichen Dakota hießen die Pferde etwas weniger mystifizierend šuŋka taŋka – „große Hunde“. 18

Vermutlich bekamen sie ihre ersten Tiere von den Arikara, die mit rund 20.000 Seelen etwa so viele Menschen zählten wie die Lakota und Dakota zusammen.19 Die ersten Kontakte zwischen beiden Nationen waren wohl Handelstreffen, wobei die Teton auch oft als Bettler auftraten, die um Mais und Bohnen baten. Schon bald aber unterstrichen sie ihre Bitten mithilfe ihrer britischen Feuerwaffen, von denen die Arikara kaum welche hatten. Aus Handelszügen wurden so allmählich Raubzüge. Die Lakota und Dakota erwiesen sich also wieder als Nachbarn, die man lieber von hinten sah. Zur bevorzugten Beute ihrer Unternehmungen gegen die Arikara gehörten natürlich Pferde.20

Handelsnetzwerke und Beutezüge sorgten dafür, dass sich im 18. Jahrhundert Pferde schnell Richtung Norden und Osten verbreiteten, während die Verfügbarkeitsgrenze von Gewehren sich langsam nach Süden und Westen schob. Den Lakota und Dakota öffneten beide Dinge nun denselben Lebensraum, den zuvor die Shoshone eingenommen hatten: die Great Plains.21 Und diese Herausforderung nahmen vor allem die Lakota an. Sie stellten ihr Leben komplett um und auf šuŋka wakhaŋ ein. Aber noch stießen sie nicht in die Ebenen westlich des Missouri vor. An diesem Fluss nämlich saßen die Arikara wie ein Sperrriegel – jedenfalls bis 1780. In diesem Jahr ließ die Pockenepidemie, die bereits die Shoshone so hart getroffen hatte, auch vier Fünftel der Arikara sterben. Die Zahl ihrer Köpfe sank von 20.000 auf 4.000, die ihrer Dörfer von 32 auf zwei.22

Jetzt war der Weg für die Teton frei, die von der Seuche kaum berührt worden waren. Zwischen 1780 und 1800 überquerten die Lakota in kleinen Gruppen den Missouri nach Westen. Ihre bäuerlich-halbsesshafte Lebensweise gaben sie auf und wurden reine Pferdenomaden.23 Ihr Name „Teton“ leitet sich vom Begriff Thítħuŋwaŋ ab, was sich mit „sie suchen einen Lagerplatz“ übersetzen lässt, und womit sie ihre Lebensweise bezeichneten.24

Um 1800 war die Völkerwanderung auf die und auf den Prärien so einigermaßen zum Stillstand gekommen. Die Shoshone hatten sich wieder in den Schutz der Rocky Mountains zurückgezogen. Die Lakota kontrollierten nun das Gebiet zwischen dem Missouri, dem Little Missouri, dem Platte River und den Black Hills. Diese Berge hatten zuvor die Kiowa bewohnt, die vor den Lakota ins heutige Texas und Oklahoma ausgewichen waren. Die Teton hatten auch die Cheyenne nach Westen und die Pawnee nach Süden gedrängt.25 Sie hatten sich mittlerweile in drei Stämme aufgespalten: die Oglala im Südwesten, die Brulé im Südosten, die Saone im Norden. Die Saone teilten sich kurz darauf noch einmal, so dass die Teton in sieben Stämmen auftraten:

 Oglala,

 Sicangu (Brulé),

 Minneconjou,

 Ohenunpa (Two Kettle),

 Itazipco (Sans Arc),

 Hunkpapa und

 Sihasapa (Blackfoot Sioux, nicht zu verwechseln mit den Blackfeet).26

Die Dakota hatten ebenso wie die Lakota das Pferd übernommen, aber gleichzeitig ihren Feldern die Treue gehalten. Sie waren östlich des Missouri geblieben und hielten an ihrem halb sesshaften, halb nomadischen Leben fest.27 Die Östlichen Dakota, also die Santee-Völker Mdewakanton, Wahpekute, Wahpeton und Sisseton, bewohnten das südwestliche Minnesota. Zwischen den Santee und den Teton hatten sich die Westlichen Dakota niedergelassen, die Yankton und die Yanktonai. Die Yankton erfüllten dabei die besondere spirituelle Funktion der Hüter der Pfeifentongruben. In ihrem Wohngebiet nämlich befanden sich jene Gruben, aus denen die Lakota und Dakota den Ton gewannen, aus dem sie die Köpfe ihrer als heilig angesehenen Tabakpfeifen schnitten.28

Für die Indianer der Plains-Kultur war es der Normalzustand, von Feinden umgeben zu sein. Die Lakota und Dakota verstanden sich mit ihren roten Nachbarn fast durchweg schlecht. Nördlich von ihnen saß die Cree-Konföderation, der neben den Cree vor allem die Ojibwa und Assiniboine angehörten. Im Nordwesten des Lakota-Gebiets, heute Montana und Alberta, lebten die Blackfeet und die mit ihnen verbündeten Gros Ventre. Im Süden, im heutigen Nebraska, saßen die Pawnee, im Westen die Crow und die Shoshone. Sie alle waren ebenso das Ziel von Kriegs- und Raubzügen der Lakota und Dakota wie die sesshaften Völker am Missouri, die Arikara, Mandan, Hidatsa, Ponca und Omaha.29 Die Cheyenne und Arapaho im Südwesten zählten zunächst ebenso zu den Feinden der Teton. Nach etwa 1850 allerdings bildeten sie mit Teilen dieser Völker eine Allianz.30

1 Meyer: Santee Sioux, S. 15-20.

2 Hyde: Red Cloud's Folk, S. 8.

3 McCrady, David G.: Living with Strangers. The Nineteenth-Century Sioux and the Canadian-American Borderlands, Toronto/Buffalo/London, S. 10.

4 Ibid, S. 45-46.

5 Rinke, Stefan: Conquistadoren und Azteken. Cortés und die Eroberung Mexikos, München 2019, S. 327.

6 Stammel: Legende und Wirklichkeit, S. 59.

7 Ibid, S. 59-60.

8 Drury, Bob/Clavin, Tom: The Heart of Everything That Is. The Untold Story of Red Cloud, An American Legend, New York 2013, S. 53-54.

9 Taylor, Colin: Die Plains, in: ders. et al: Indianer. Die Ureinwohner Nordamerikas – Geschichte, Kulturen, Völker und Stämme, Gütersloh/München 1992, S. 62.

10 Ibid, S. 63-64.

11 Ibid, S. 68.

12 Ibid, S. 66.

13 Ibid, S. 65.

14 Ibid, S. 66.

15 Oeser, Rudolf: Epidemien. Das Sterben der Indianer, Norderstedt 2003, S. 116.

16 Krüger: Lakóta wówaglaka, S. 15.

17 Walker, James R.: Lakota Belief and Religion (1849), hg. von DeMallie, Raymond J. und Jahner, Elaine A, Lincoln 1991, S. 73.

18 Gollner-Marin: Ikce Wicaša, S. 104.

19 Stammel: Legende und Wirklichkeit, S. 276.

20 Hyde: Red Cloud's Folk, S. 18.

21 Taylor: Die Plains, in: ders. et al. (Hg.): Ureinwohner Nordamerikas, S. 69.

22 Hyde: Red Cloud's Folk, S. 17.

23 Stammel: Legende und Wirklichkeit, S. 276.

24 LaPointe, Ernie: Sitting Bull. Sein Leben und Vermächtnis, Hohenthann 2011, S. 21.

25 Stammel: Legende und Wirklichkeit, S. 276.

26 Lutz: Who-is-Who, S. 9.

27 Stammel: Legende und Wirklichkeit, S. 276.

28 Taylor: Die Plains, in: ders. et al. (Hg.): Ureinwohner Nordamerikas, S. 62.

29 Ibid, S. 62.

30 Chief Dull Knife College (Hg.): We, the Northern Cheyenne People. Our Land, Our History, Our Culture, Lame Deer 2008, S. 14.

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