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Die Gesellschaft der Lakota und Dakota
ОглавлениеBei allen kulturellen Gemeinsamkeiten kann man die Indianer der Prärien grob in zwei Gruppen unterteilen, die sich in ihren Lebensgrundlagen unterschieden: auf der einen Seite die vollnomadischen Jäger und Sammler, auf der anderen die sesshaften oder teilnomadischen Bauern. Erstere zogen hauptsächlich durch den trockenen Westen der Plains, während Letztere im Osten der großen Ebenen saßen, wo übers Jahr für landwirtschaftliche Zwecke ausreichend Regen fiel.1
Die Lakota oder Teton westlich des Missouri gehörten zur ersten Gruppe. Feldbau betrieben sie nicht mehr. In kleinen Gruppen – wenige Dutzend bis einige Hundert Menschen – zogen sie in konischen Tipis den Bison- und Gabelbock-Herden hinterher, auf denen ihr materielles Überleben basierte.2 Solche kleinen, mobilen Gruppen waren deutlich überlebensfähiger als große Verbände, weil sie die oft beschränkten Ressourcen eines bestimmten Gebiets effektiver nutzen konnten.3 Im Sommer, wenn reichlich Nahrung verfügbar war, bildeten sie größere Lager. Das war die Zeit des sozialen Austauschs und der Feste, aber auch der Kriegs- und Raubzüge. Große Gruppen blieben allerdings nie lange an einem Ort, weil die Pferde das Gras in der Umgebung bald abgefressen hatten und das Wild schnell einen Bogen um das plötzlich so dicht bevölkerte Gebiet machte.4
Politisch war jede Lakota-Familie autonom und nicht einmal an die Unterteilung in Stämme gebunden. Wenn ein Oglala Lust hatte, schloss er sich für eine Weile oder für immer den Brulé an, oder ein paar Minneconjou taten sich für einen Raubzug mit einigen Hunkpapa zusammen.5 Mehrere Familien bildeten einen Familienclan, eine tíošpaye. Dessen Mitglieder waren untereinander durch Verwandtschaft, Heirat oder Adoption verbunden. Seiner tíošpaye war ein Lakota oder Dakota unbedingt loyal. Die Anthropologin Ella Cara Deloria, eine Angehörige der Yankton, beschreibt die zentrale Rolle von Familienbanden bei den Lakota und Dakota:
„[...] Man musste ein guter Verwandter sein. […] Ohne dieses Ziel und das stetige Bemühen, es zu erreichen, wären die Leute keine echten Dakota mehr gewesen. Sie wären nicht einmal mehr menschlich gewesen.“6
Es war keineswegs so, dass Frauen immer in die Familie des Mannes kamen: Heirateten zwei Lakota aus verschiedenen tíošpaye, entschieden sie sich ge-meinsam, welcher Sippe sie angehören wollten.7 Mehrere tíošpaye – bei den Yankton gab es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts acht, bei den Oglala rund 20 – formten zusammen eine Lokalgruppe, mehrere Lokalgruppen einen der óšpaye genannten Stämme. Aus sieben sieben von ihnen setzte sich das Volk (óyate) der Lakota zusammen.8
Das Wort óyate bezeichnet in der Lakota-Sprache nicht nur eine menschliche Gruppe, sondern genauso eine Bisonherde oder einen Vogelschwarm – ein Beleg dafür, wie sehr sich die Lakota in die Natur eingebunden fühlten. Zwischen Mensch und Tier bestand für sie kein grundlegender Unterschied.9 Alles, was sich bewegte oder was etwas tat, war für sie beseelt. Mit den Geistern von Tieren oder Menschen, so glaubten sie, könne man in Kontakt treten, von ihnen Hilfe erhalten oder Schaden erleiden. Die Geisterwelt war das Jenseits, aber die Grenze zwischen der Geister- und der hiesigen Welt war nicht unpassierbar. Im Gegenteil, Geister waren in der Vorstellung der Lakota und Dakota in der realen Welt sehr präsent.10 Kontakt zu Geistern nahm man üblicherweise durch Visionen auf. In Trance und in Träumen suchten die Lakota und Dakota Hinweise auf ihre Zukunft. Sie bereiteten Visionen in der Regel gewissenhaft mit Fasten und Reinigungsprozeduren vor, bauten sich Schwitzhütten und fragten Schamanen um Rat.11
Wichtigste religiöse Feier des Jahres war der Sonnentanz im Sommer, bei dem man um Gesundheit bat und der auch ein Fruchtbarkeitsritus war, um den Fortbestand des Stammes zu sichern.12 Männer unterzogen sich dabei einer Selbstfolter, indem sie sich die Brustmuskeln mit spitzen Knochen oder Holzspänen durchbohren ließen. Daran band man sie an einen Baum, den sie stundenlang umtanzten, um Visionen flehten und an den Bändern zerrten, die sie mit dem Baum verbanden, bis die Muskulatur riss.13 Wem das noch zu lasch war, der streute sich scharfkantigen Kies auf den Tanzplatz. Den Sonnentanz kannten viele Völker, in verschiedenen Versionen. Die Eigentortur gab es jedoch nicht immer.14 Luther Standing Bear schilderte einen Sonnentanz, dem er im Jahr 1879 beiwohnte:
„Die Krieger begannen zu tanzen, sobald die Sonne aufging. Sie standen mit dem Gesicht zur Sonne, beide Hände über ihre Köpfe erhoben, die Adlerknochenpfeifen in ihren Mündern. Den ganzen Tag standen sie in dieser Position und starrten in die Sonne, bis sie sank.“15
Ihre höchste spirituelle Kategorie nannten die Lakota und Dakota wakhaŋ taŋka, was sich mit „großes Heiliges“ oder „großes Geheimnis“ übersetzen lässt.16 Damit war kein Gott im Sinne einer Person gemeint, sondern die schöpferische, schwer in Worte zu kleidende Macht, die die Welt im Innersten zusammenhielt.17 Von besonderer Bedeutung für die Teton waren die Black Hills, jene Berggruppe, die um 1800 am westlichen Rand und 50 Jahre später in der Mitte ihrer Streifgebiete lag. Hier seien die Menschen entstanden, glaubten sie, und von hier gingen in alle vier Himmelsrichtungen die Speichen jenes Rades aus, die die Welt und die sieben Völker der oceti šakówiŋ zusammenhielten. Als Symbol dieses Rads stellten die Lakota und Dakota ihre Zelte stets im Kreis auf.18 Das Rad findet seine Entsprechung im Medizinrad, das heute als eine Art Wappen der Lakota gilt. Seine vier Speichen und die vier verschiedenfarbigen Felder, in die sie es teilen, symbolisieren die Himmelsrichtungen. Das weiße Feld steht für den Norden, das schwarze für den Süden. Gelb kennzeichnet den Westen, Rot den Osten. Dieses Medizinrad stand auch für Unversehrtheit.19
Die Zahl Vier war in der Spiritualität der Lakota und Dakota wichtig und tauchte immer wieder auf. So legten sie Wert auf vier Generaltugenden: Großzügigkeit, Mut, Respekt und Weisheit.20 Tat jemand einem anderen Unrecht an, so hatte dessen Familie vier Generationen Zeit, dieses Unrecht wieder gutzumachen.21
Eine zentrale politische Führung kannten die Völker der sieben Ratsfeuer nicht, es gab keine Häuptlinge – zumindest nicht das, was wir unter einem Häuptling verstehen, also einen Mann mit einer gewissen Macht, der seine Stammesgenossen Dinge anweisen und sie sanktionieren kann, wenn sie seinen Anweisungen nicht nachkommen. Das, was westliche Gesellschaften meinen, wenn sie „Häuptling“ sagen, wäre für die Lakota und Dakota ein itáŋcaŋ, ein wicaša yataŋpi, ein blotahuŋka und ein akícita gleichzeitig gewesen.
Itáŋcaŋ bedeutet so viel wie „Älterer“. Die Meinung der Älteren hatten im sozialen Gefüge großes Gewicht. Für Jugendliche galt es als unschicklich, sich ungefragt in eine Diskussion zwischen Älteren einzumischen.22 Die Älteren bildeten Räte, deren Mitglieder man „Großbäuche“ nannte, was für die Ohren der Lakota längst nicht so despektierlich klang wie etwa das deutsche Wort „Fettwanst“.23 Dieses Gremium war nicht gewählt, Mitglied wurde man wegen der Kompetenzen, die man einem Kandidaten zubilligte, etwa im Bereich der Politik oder der Jagd.24 Der Rat gab nur Empfehlungen ab, zum Beispiel wann das Lager verlegt werden sollte oder wann die beste Zeit für einen Jagdzug war.25
Die itáŋcaŋ wählten die wicaša yataŋpi aus, die „Hemdträger“. So hießen Männer, die Vorbilder zu sein hatten. Von ihnen wurde erwartet, dass sie bei all ihrem Tun und Lassen das Allgemeinwohl im Auge hatten und ihre eigenen Interessen hintanstellten. Häufig kamen die Hemdträger aus bestimmten Familien, die man für besonders geeignet dafür hielt.26
Aber nach dem Jahr 1872 kam das Hemdtragen als Institution außer Gebrauch, zumindest bei den Oglala. Der wesentliche Grund dafür war das Fehlverhalten des Hemdträgers Crazy Horse, der mit der Ehefrau eines anderen Mannes durchgebrannt war – was zwar nicht offiziell verboten war, aber weder hatte Crazy Horse dem Gehörnten ein Pferd als Kompensation angeboten noch hatte die Frau ihm in aller Form die Scheidung erklärt. In beiden Fällen wäre der guten Sitte Genüge getan gewesen. Der geschasste Ehemann jagte Crazy Horse eine Kugel ins Gesicht. Dieser überlebte nur knapp. Der Schlamassel war angerichtet, ein Krieg zwischen den tíošpaye der beiden Kontrahenten schien denkbar. Die Großbäuche mussten ihre diplomatischen Fähigkeiten stark bemühen. Obgleich Crazy Horses Verhalten ansonsten untadelig war, konnte er danach kein Hemdträger mehr sein, und die Großbäuche wählten keinen neuen mehr.27
Ein blotahuŋka war ein Anführer im Krieg, jemand, dessen militärische Fähigkeiten allgemein anerkannt waren.28 Von ihm erwartete man vor allem, dass er umsichtig war und Verluste vermied. Er musste jemand sein, der sich ordentlich etwas zutraute, denn vor allem jüngere, ehrgeizige Krieger waren für ihn unberechenbar.29 Konkrete Befehlsgewalt trug er eher nicht, dafür umso mehr Verantwortung. Er führte durch sein persönliches Beispiel, nicht durch Anordnungen. Überhaupt wurden Entscheidungen zu und in einem Kriegszug in der Regel im Konsens getroffen. Für den Einzelnen waren diese Entscheidungen aber nicht bindend. Wer gerade keine Lust hatte, in einen Krieg zu ziehen, den die Mehrheit beschlossen hatte, blieb eben daheim.30
Alle Lakota und Dakota lebten zumindest zeitweise in kegelförmigen Zelten. Bildquelle: CC-BY-SA 2.0, Karl Bodmer, “Sioux teepee”, Gemälde von 1833
Die akícita waren Polizisten. Auch wenn bei den Lakota ein Mensch ein hohes Maß an individueller Freiheit hatte, musste ein Mindestmaß an Disziplin schon sein. Die akícita schlichteten Streit, achteten auf Nachzügler, wenn das Lager verlegt wurde, und sorgten dafür, dass auf der Jagd niemand zu früh lospreschte oder im Krieg zu früh angriff – was ihnen mal mehr, mal weniger gut gelang. In der Regel übernahmen die Angehörigen von Kriegergesellschaften die Funktionen der akícita.31
Die Dakota waren nur zu bestimmten Zeiten des Jahres monadisch unterwegs. Im Frühjahr und Herbst bezo-gen sie ihre Häuser, die bei den Östlichen Dakota aus Holz und Rinde bestanden, bei den Westlichen Dakota aus Erde. Bildquelle: CC0, Karl Bodmer, „Wahpeton house“, Gemälde von 1832
Heilkundige Männer wurden pejuta wicaša genannt, was man ziemlich exakt mit „Medizinmann“ übersetzen kann. Die weibliche Entsprechung hieß pejuta wiŋyaŋ. Diese Menschen wussten über die segensreichen Wirkungen von Kräutern und anderen Pflanzen Bescheid, ihnen oblag es, Kranke zu heilen und Verwundete zusammenzuflicken, die es nach Scharmützeln oder Jagdunfällen immer wieder gab.32
Vom Medizinmann muss man den Schamanen abgrenzen, den die Lakota wicaša wakhaŋ oder Heiliger Mann nannten. Seine Funktionen waren hauptsächlich spirituell und religiös, er sorgte für gute Beziehungen zu wakhaŋ taŋka und den sonstigen Mächten und Geistern, die wicaša wakhaŋ organisierten auch viele der rituellen Feste und Tänze.33
Die Sprecher der Krieger- und anderen Gesellschaften waren ebenfalls geachtete Personen, deren Wort viel galt. Auch der umgekehrte Fall war verbreitet: Die Gesellschaften erwählten Personen, denen man viel Achtung entgegenbrachte, zu ihren Führern. Ein Lakota oder Dakota konnte auch mehrere Funktionen innerhalb seines Familien- oder Gesellschaftsverbands ausüben, dies war sogar sehr oft der Fall. In den Krieg zog man nämlich zum Beispiel nicht gerne, ohne sich des Beistands aus der Geisterwelt zu versichern. Daher übernahmen die wicaša wakhaŋ mitunter die Rolle eines blotahuŋka. Sitting Bull ist ein gutes Beispiel dafür: Er war hochangesehen als Schamane, als Anführer im Krieg und stand der Gesellschaft der Starken Herzen vor.34
Dass die Völker der sieben Ratsfeuer keine Autokraten kannten, bedeutet nicht, dass nie jemand von ihnen einer werden wollte. Komplett egalitär war ihre Gesellschaft nicht, es gab Familien und tíošpaye, die angesehener als andere waren und deren Mitglieder leichter in verantwortungsvolle Positionen kamen.35 Von Zeit zu Zeit gab es Führer, die versuchten, die anderen unter ihre Kuratel zu bekommen. Sie stießen aber schnell an die Grenze ihrer Möglichkeiten, und das mitunter auf drastische Weise. Als 1841 der Oglala Bull Bear, der als tyrannische Person beschrieben wurde, offensichtlich betrunken in Streit mit anderen Oglala geriet, erschossen diese ihn kurzerhand.36
Der öffentliche Raum bei den Lakota war männlich dominiert – nicht überraschend in einem sozialen Gefüge, in dem die überwiegend maskulinen Tätigkeitsbereiche Krieg und Jagd dominierten.37 In der Regel konnten Frauen auf öffentliche Dinge lediglich über ihre Männer Einfluss nehmen, weil von ihnen in der Öffentlichkeit Zurückhaltung erwartet wurde. Älteren Frauen gestand man zu, sich in Ratsversammlungen zu äußern.38 Nahezu alle Arbeit im Haushalt fiel den Frauen zu, und das bedeutete oft genug körperlich harte Plackerei. Dafür gehörten ihnen die Tipis mit allem enthaltenen Hausrat. Ein Mann besaß wenig mehr als seine Pferde, seine Kleider und seine Waffen. Männliche und weibliche Sphären waren in der allgemeinen Vorstellung gleichrangig, kein Geschlecht war dem anderen über- oder unterlegen. Unpassierbar war die Linie zwischen diesen beiden Sphären ohnehin nicht.39
Männer hatten oft mehrere Ehefrauen. Häufig sorgte man so für Witwen, von denen es trotz der hoch ritualisierten Kriegsführung etliche gab. Um allzu heftige Streitereien und Statuskämpfe zwischen Ehefrauen zu vermeiden, heirateten Männer oft Schwestern.40 Eine Lakota- oder Dakota-Ehe darf man sich nicht wie eine Art Sklaverei vorstellen. Frauen und natürlich auch Männer konnten sich jederzeit scheiden lassen. Das ging ganz unkompliziert ohne jede Zeremonie. Eine Frau brauchte für eine Scheidung nichts weiter zu tun als die Sachen ihres Gatten vors Zelt zu stellen.41
An Materiellem war die Kultur der Lakota und Dakota kaum orientiert. Das lag natürlich einerseits daran, dass sie sich als Nomaden sehr genau überlegen muss-ten, was sie mit sich herumschleppen wollten. Andererseits lieferte ihnen die Natur überall reichlich Material, um alles, was sie brauchten, herzustellen.42
Armut oder Reichtum waren selten Kategorien, die lebenslang galten. Bei den Völkern der sieben Ratsfeuer betrachtete man Eigentum als in einem steten Kreislauf begriffen und erwartete voneinander, dass man miteinander teilte, vor allem innerhalb der Familie und der tíošpaye.43 Zu besonderen Anlässen wie zum Beispiel der Verleihung eines Namens verschenkten einzelne Menschen oder eine Familie ihre Habe oder einen Teil davon reihum im Dorf.44 Solche Zeremonien finden sich in indianischen Kulturen häufig – man denke dabei an den Potlatch der Bewohner der nordwestlichen Pazifikküste oder an die rituelle Freigiebigkeit eines aztekischen Königs, mit der er die Gäste seiner Krönungsfeier bedachte.45 Aber die Tatsache, dass man derlei Geringschätzung des Materiellen in vielen eingeborenen Gesellschaften Amerikas findet, bedeutet umgekehrt noch lange nicht, dass sie typisch indianisch war. Es gab auch Völker, für die persönlicher Besitz sehr wichtig war, zum Beispiel die Tolowa und die Yurok im Norden Kaliforniens, oder die Völker der nordwestlichen Pazifikküste.46
Die teilweise sesshaften Dakota unterschieden sich im Aufbau ihrer Gesellschaft wenig von den vollnomadischen Lakota. Bei ihnen war zum Beispiel der Sonnentanz weniger wichtig, und die Selbstfolter war seltener. Unterschiede lassen sich vor allem in der Art und Weise ausmachen, wie Lakota und Dakota ihren Lebensunterhalt sicherstellten. Als Tendenz gilt: Je weiter westlich eine Gruppe oder ein Stamm wohnte, desto mehr beruhte deren Existenz auf der Jagd auf Bisons. Von diesen Wildrindern hingen die Teton gänzlich ab, die Yankton und Yanktonai etwas weniger, die Sisseton und Wahpeton noch weniger. Mdewakanton und Wahpekute jagten vornehmlich Hirsche. Sie bezeichneten sich selbst als die versiertesten Jäger aller sieben Völker, weil sie mehr Aufwand treiben mussten, um Beute aufzuspüren, während man die großen Bisonherden ja wohl schlecht übersehen konnte.47
Die Östlichen Dakota oder Santee bewohnten im Frühjahr Dörfer aus Rindenhütten. Nachdem sie ihre Felder bepflanzt hatten, zogen sie im Sommer in Zelten umher, um zu jagen und zu fischen. Im Herbst kehrten sie zur Ernte in ihre Dörfer zurück, um den Winter wieder mobil auf der Jagd zu verbringen. Die Mdewakanton als östlichste Gruppe blieben am stärksten ihrer alten Lebensweise in den Wäldern um die Großen Seen verhaftet, sie hatten von allen Dakota stets die wenigsten Pferde und sammelten eifrig Wildreis.48
Auch die Westlichen Dakota, die Yankton und Yanktonai, lebten halbnomadisch, bestellten im jährlichen Rhythmus ihre Felder und zogen in Tipis zur Jagd. Ihre permanenten Dörfer bestanden jedoch nicht aus Rindenhütten wie die der Östlichen Dakota, sondern aus runden oder ovalen Erdhäusern, deren Boden manchmal bis zu einem Meter tief im Erdreich versenkt lag.49
Schon bald nachdem die Dakota europäische Handelsware erhalten hatten, nahmen sie die stählernen Klingen und metallene Kochkessel in ihre Kultur auf. Der britische Händler Peter Pond berichtete 1774 von den Yankton, dass sie ihre Kunst des Töpferns fast völlig aufgegeben hätten und fast nur noch Kessel aus Messing benutzten, und dass sie in eingehandelten europäischen Kleidungsstücken und Decken gingen.50
Dies weist auf einen Punkt hin, der grundsätzlich die Beziehungen zwischen Weißen und Indianern bestimmte: Die Ureinwohner wollten viele der Dinge haben, die die Franzosen, Briten oder US-Amerikaner herstellten. Einerseits sahen die Indianer in ihnen Statussymbole, andererseits waren Pfeilspitzen, Messer und Kochkessel aus Metall ihren Pendants aus Stein oder Ton überlegen. Daher stellten die Indianer bald ihre eigene Produktion ein und wurden von Handelsware abhängig. Völker, die jahrhundertelang Angelhaken und Nadeln aus Knochen sowie Klingen aus Stein herstellten, verlernten diese Fähigkeiten schnell, wenn europäische oder euroamerikanische Händler zu ihnen kamen.51 Diese Entwicklung erfasste zunächst die östlich und damit näher an den Weißen siedelnden Dakota. Später waren auch die westlich lebenden Lakota betroffen, die Oglala und Brule mehr als die nördlicher umherziehenden anderen Teton-Stämme. Die ersteren beiden hatten leichteren Zugang zu den Handelswaren, da sie am Platte River lebten, an dem weiße Menschen schon recht früh in höherer Zahl präsent waren. Am Missouri nördlich der Platte-Mündung hingegen gab es bis in die 1820er Jahre hinein nur vereinzelte Handelsposten. Männer wie der Hunkpapa Sitting Bull sahen den Zusammenhang zwischen der Zunahme des Handels und des Verlusts traditioneller Fertigkeiten sehr deutlich und versuchten, ihre Unabhängigkeit von Erzeugnissen der Weißen dadurch zu bewahren, indem sie mit ihren Gruppen jeden Kontakt zu ihnen so weit wie möglich vermieden und ihnen so lange nach Westen auswichen, bis sie nicht mehr ausweichen konnten.52
1 Taylor: Die Plains, in: ders. et al. (Hg.): Ureinwohner Nordamerikas, S. 62.
2 Ibid, S. 67.
3 Broadbent, Noel D.; Burenholt, Göran; Maxwell, Moreau: Warum nur einige Bauern wurden, in: Burenhult, Göran (Hg.): Menschen der Urzeit. Die Frühgeschichte der Menschheit von den Anfängen bis zur Bronzezeit, Köln 2004, S. 405.
4 Taylor: Die Plains, in: ders. et al. (Hg.): Ureinwohner Nordamerikas, S. 94.
5 McMurtry: Crazy Horse, S. 24.
6 Deloria, Ella C.: Speaking of Indians, Neuauflage, Lincoln 1998, S. 27.
7 Lutz: Who-is-Who, S. 166-168.
8 Palmer, Jessica D.: The Dakota Peoples. A History of the Dakota, Lakota and Nakota through 1863, Jefferson/London 2008, S. 46-48.
9 Krüger: Lakóta wówaglaka, S. 8.
10 Walker: Lakota Belief, hg. von DeMallie/Jahner, S. 72-73.
11 McMurtry: Crazy Horse, S. 45.
12 LaPointe: Sitting Bull, S. 46.
13 Ibid, S. 48.
14 Stammel: Legende und Wirklichkeit, S. 279-280.
15 Standing Bear: My people, S. 120.
16 Krüger: Lakóta wówaglaka, S. 15.
17 Walker: Lakota Belief, hg. von DeMallie/Jahner, S. 72-73.
18 Brown: Begrabt mein Herz, S. 121.
19 Gollner-Marin: Ikce Wicaša, S. 167.
20 Zeilinger, Ron: Lakota Life, 3. Aufl., Chamberlain 2003, S. 23-25.
21 LaPointe: Sitting Bull, S. 115.
22 Eastman: Boyhood, S. 37, als pdf-Dokument abrufbar unter: http://pinkmonkey.com/dl/library1/digi152.pdf, abgerufen am 4.06.2017.
23 Lutz: Who-is-Who, S. 166-167.
24 Ibid, S. 167.
25 McMurtry: Crazy Horse, S. 71.
26 Ibid, S. 71.
27 Ibid, S. 94-96.
28 Lutz: Who-is-Who, S. 166.
29 McMurtry: Crazy Horse, S. 44.
30 Clodfelter, Micheal: The Dakota War. The United States Army Versus the Sioux, 1862-1865, Jefferson/London 1998, S. 23.
31 Lutz: Who-is-Who, S. 166.
32 Ibid, S. 167.
33 Ibid, S. 168.
34 LaPointe: Sitting Bull, S. 70.
35 Drury/Clavin: Heart of Everything, S. 108.
36 Lutz: Who-is-Who, S. 31-32.
37 Gollner-Marin: Ikce Wicaša, S. 81.
38 Ibid, S. 147.
39 LaPointe: Sitting Bull, S. 41.
40 Ibid, S. 43.
41 McMurtry: Crazy Horse, S. 92.
42 Standing Bear: My people, S. 30.
43 Gollner-Marin: Ikce Wicaša, S. 76.
44 Ibid, S. 246-247.
45 Rinke: Conquistadoren und Azteken, S. 112-113.
46 Langellier, John: Kalifornien, in Taylor, Colin et al. (Hg.): Indianer. Die Ureinwohner Nordamerikas – Geschichte, Kulturen, Völker und Stämme, Gütersloh/Köln 1992, S. 135-136.
47 Palmer: The Dakota Peoples, S. 95.
48 Meyer: Santee Sioux, S. 20-22.
49 Maroukis, Thomas C.: Peyote and the Yankton Sioux. The Life and Times of Sam Necklace, Norman 2004, S. 27.
50 Meyer: Santee Sioux, S. 20.
51 McMurtry: Crazy Horse, S. 28-29, vgl. auch Bray: A Lakota Life, S. 18-19.
52 McMurtry: Crazy Horse, S. 29, vgl auch Bray: A Lakota Life, S. 29-30.