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Einkauf

Nina kann es kaum abwarten, die Fotos zu sehen, die ich mitgebracht habe.

»Ich habe noch etwas für dich«, sage ich. »Breite deine Hände aus.« Ich hole die Wasserflasche hervor, die ich auf der Insel halb mit Sand gefüllt habe, öffne sie und lasse Nina den Sand auf die Handflächen rieseln. »Na, wie findest du den Feinheitsgrad?«

»Er ist genauso, wie ich ihn mir vorgestellt habe«, sagt sie und fällt mir vor Freude um den Hals. »Aber ich war auch nicht untätig.« Sie führt mich in unser vorübergehendes Wohnzimmer und zeigt auf einen hohen Turm aus Kartons und Kisten, die sie bis an die Ränder voll mit haltbaren Lebensmitteln gefüllt hat; der Großteil dessen, was wir für die ersten sechs Inselmonate brauchen werden. Eine Kiste mit Nudeln findet sich darunter, ein riesiger Sack Reis, ein Sack Kartoffeln, Mehl, Zucker, etliche Dosen mit Tomatensoße, Mais, Bohnen, Rote Bete, Dosen mit Pfirsichen, Birnen und Ananas. Neben der Box mit der Aufschrift »Medizin«, um die wir uns schon in Deutschland gekümmert haben, steht eine Kiste mit Gewürzen, Salz, Pfeffer, Sojasoßen und Wasabipasten für Inselsushi. Zwei Kisten enthalten lang haltbares Frühstück: Marmelade, Müsli aus Neuseeland – genannt Weet-Bix –, Kaffeepulver, Teebeutel und Milchpulver in Megadosen. Und ganz wichtig: Kekse namens Breakfast-­Cracker, die in der Südsee das Frühstücksbrot ersetzen. Auch ein wenig Geschirr und einen Teekessel hat Nina gekauft.

»Wahnsinn, das ist so viel«, sage ich, während ich den riesigen Stapel bestaune.

»Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie viel Stress das war, alles hierher zu bringen«, meint Nina, und ich denke an unseren Mietwagen: ein kleines grünes Schrottauto, bei dem die Scheibenwischer nur funktionieren, wenn das Radio an ist und es durch die Seitenfenster hereinregnet, und das erstaunlicherweise noch immer fahrbereit ist. Um damit herumfahren zu dürfen, musste sich Nina wie in Tonga üblich erst einmal einen Führerschein kaufen. Dann klapperte sie jeden der schätzungsweise fünfzig Minishops ab, die in Nuku’alofa zu finden sind. So etwas wie einen Supermarkt gibt es auf Tongatapu nicht, weshalb Nina die Bestände mehrerer Shops leer kaufen musste, bevor sie alles beisammenhatte.

Die Verkäuferinnen starrten Nina mit ungläubigen Augen an, und irgendwann traute sich eine zu fragen, wofür sie denn die Vorräte brauche. Nina erzählte ihr die ganze Geschichte und spätestens dann musste die Verkäuferin angenommen haben, es mit einer Verrückten zu tun zu haben. Nina versuchte, ihr zu erklären, dass sie auf der einsamen Insel leider nicht mal eben Nachschub kaufen könne, weil uns kein Boot zur Verfügung stehe und wir sowieso viel zu weit weg seien von der Zivilisation, um überhaupt über Nachschub nachdenken zu können. Doch egal, was Nina der Angestellten im Shop zu erklären versuchte – an deren Blick erkannte sie, dass diese es nicht verstand.

»Ihr Mann hat aber Glück, dass Sie ihn auf eine einsame Insel begleiten«, sagte die Verkäuferin schlussendlich mit einem Achselzucken. Vermutlich fügte sie in Gedanken hinzu: anstatt daheim zu bleiben und ein luxuriöses Leben zu führen.

Natürlich wird das Leben auf der Insel spärlich werden, und auf vieles müssen wir verzichten. Doch das nehmen wir gern in Kauf und freuen uns sogar auf die Herausforderung, aus dem, was wir haben, das Beste machen zu müssen. Not macht bekanntlich erfinderisch, auch wenn sie selbst gewählt ist.

Auf ein Luxusgut, das sich viele Tongaer wegen des hohen Preises nie leisten würden, wollen wir jedoch auf keinen Fall verzichten: Käse. Es gibt da diesen gut verschweißten und in butterstückgroßen gelben Kartons eingepackten Cheddar, der nicht gekühlt werden muss, und von dem Nina dreißig Stück mitnehmen will. Das ist eine komplizierte Besorgung, zumal dieser Käse sich nicht nur in wenigen Shops finden lässt, sondern auch weil vielerorts das Verfallsdatum abgelaufen ist. Nach einem Tag ausgiebigen Hin- und Herfahrens mit dem Mietwagen ist aber auch dieser Punkt auf der Liste abgehakt. Dreißig Stück!

Ich hasse es, einkaufen zu gehen, und für mich sind die letzten Tage in Nuku’alofa sehr hektisch, obwohl Nina vieles auf unserer Liste bereits erledigt hat. Die Sache ist: Wenn man die Frage, was man auf eine einsame Insel mitnehmen würde, ernsthaft beantworten muss, kommen am Ende mehr als drei Romane und ein iPod heraus.

»Oh Mann, ich hab echt keinen Bock mehr. Es reicht«, sage ich irgendwann launisch.

»Auf der Insel bereust du es dann«, prophezeit Nina. »Vorschlag: Ich kaufe weiter ein, du gehst schon mal an den Hafen und fragst Sione, wann das nächste Boot fährt.«

»Okay«, antworte ich, »aber denk dran: Ich will auf jeden Fall zwei Gläser Nutella. Koste es, was es wolle.« Noch so ein unverzichtbarer Luxus … Vermutlich sind die Summen, die wir für unsere Lebensmittel ausgeben, der Grund für die schockierten Reaktionen der Verkäufer. Wir kaufen für tongaische Verhältnisse mal eben mit Monatslöhnen ein. Weit weniger, als wir zu Hause verdienen, aber auch für uns kein Pappenstiel. Jeden einzelnen Cent haben wir zu Hause gespart, um uns unseren Traum zu ermöglichen. Ihn jetzt zu verderben, weil wir beim Anlegen der Vorräte knauserig sind, wäre blödsinnig. Sonst stehen wir später fernab allein auf unserer Insel und erleben womöglich eine böse Überraschung, weil die Wurzeln, die dort wachsen, nicht ausreichen und wir mehr oder weniger hungern müssen. Wir wünschen uns eine gute, gesunde Zeit und wollen uns keinem Survivalexperiment aussetzen.

Am Hafen erfahre ich, dass die nächste Fähre kommenden Montag ablegt, sofern das Wetter so bleibt. Bis dahin brauchen wir auf jeden Fall noch einen Gaskocher, weil wir nicht wissen, was wir in der Küche auf der Insel vorfinden werden und wie funktionstüchtig die Geräte sind. Nina ergattert einen in einem indischen Krämerladen im Zentrum der Stadt. Eine Kochgasflasche kauft sie in der Nähe des Hafens bei einer Abfüllstation.

Als Nächstes brauchen wir Werkzeug. Um einen Durchblick zu bekommen im Inseldickicht, benötigen wir mehrere Macheten, die es in einem kleinen Baumarkt am Rande der Stadt in größerer Auswahl gibt.

»Lass uns gleich noch andere Sachen mitnehmen, wenn wir schon da sind«, sagt Nina und stapelt Spaten, Hammer, Zange, Klebeband, Schnur, Nägel, Schraubenzieher, Handschuhe, eine Plastikplane und Moskitoschutzgitter in unseren Einkaufswagen.

In unserem Mietwagen rumpeln wir über Schotterstraßen, und nach einem weiteren Schlagloch haben wir einen Platten.

»Verdammt, das darf nicht wahr sein«, fluche ich.

»Das musste doch irgendwann passieren«, meint Nina entspannt. »Sei froh, dass die Kiste überhaupt noch fährt.«

Irgendwie kriegen wir unseren Wagen in eine Hinterhofwerkstatt gerollt, wo der Mechaniker nur fünf Dollar fürs Reifenflicken will. Durch Zufall treffen wir dort auf den mürrischen Franz, dem wir den entscheidenden Hinweis auf unsere Insel verdanken und der uns nach dem Stand unserer Vorbereitungen befragt.

»Wir kommen gut voran«, sage ich. »Allerdings fehlen uns noch eine Autobatterie und ein Solarmodul, damit wir unser Satellitentelefon, die Kamera und den Laptop aufladen können. Die Batterie ist leicht, aber ich habe keine Ahnung, wo wir ein Solarmodul herkriegen sollen.« Ich seufze.

Franz klopft mir auf die Schulter und seine mürrische Miene hellt sich auf. »Kein Problem«, meint er. »Ich kenne da jemanden, der euch helfen kann.«

Nina und ich tauschen einen ungläubigen Blick. Sollte sich mal wieder etwas einfach so ergeben?

Genauso ist es, ein feiner Zug des Schicksals. Franz ist mit einem deutschen Ingenieur befreundet, der sich gerade für wenige Monate in der Südsee aufhält, um das Resort von Generatorenstrom auf Solarenergie umzurüsten.

»Der weiß bestimmt, wo ihr so ein Modul herkriegt.« Zum zweiten Mal reicht uns Franz einen Zettel mit einem wichtigen Namen.

»Siehst du, wie gut, dass wir die Reifenpanne hatten.« Grinsend hakt Nina sich bei mir unter. »Also weg jetzt endlich mit deiner schlechten Laune.«

Franz’ Freund heißt Georg, ist Mitte fünfzig und ein lockerer Typ, der am liebsten gleich mit auf die einsame Insel gehen würde, wenn er nicht arbeiten müsste. Er zeigt mir die Solaranlage, die er im Resort aufbaut, und erklärt mir die Details, die ich absolut nicht kapiere. Dann holt er unter einem Tisch einen orangefarbenen Hartschalenkoffer hervor.

»Ich glaube, ich habe genau das Richtige für euch«, sagt er. »Das ist ein Solarkoffer.« Er öffnet den Deckel.

»Wow«, stoße ich hervor. Der Wunderkasten beherbergt alles, was Robinson im 21. Jahrhundert auf der Insel braucht: zwei kleine leistungsstarke Batterien, verbunden mit Laderegler und Inverter; die Energie ist nutzbar mittels zweier Autoadapter. Ein faltbares Solarmodul, vierzig Watt, macht das Set komplett. Zwar ist der Koffer furchtbar schwer, aber ideal. Und das Beste: Ich bekomme ihn als Leihgabe. Einfach so.

»Hey, tausend Dank, das vergesse ich dir nie. Saucool.«

»Kein Problem. Viel Spaß«, sagt Georg.

Ich lade den Koffer in unseren überfüllten Mietwagen, und wir winken zum Abschied. Endlich wird unsere Liste übersichtlicher. Ein paar Dutzend Kerzen fehlen noch, denn trotz Solarkoffer werden wir kein elektrisches Licht haben. Außerdem Saftkonzentrat, Moskitoräucherspiralen, einen Karton Kingfisher-Bier vom Inder, das wir uns zu besonderen Anlässen gönnen wollen. Fertig. Samen für den Garten haben wir in den letzten Tagen selbst getrocknet – gewonnen aus Gemüse vom Markt.

Das Wochenende heißt für uns Durchatmen vor dem Start, und mit jeder Stunde, die vergeht, wächst unsere Aufregung. Haben wir alles? Wird alles gut gehen? Hält das Wetter?

Am Samstagmorgen schauen wir noch mal bei Sione auf seinem Wohnboot vorbei und bereiten ihn darauf vor, dass wir einiges an Ladung mitbringen werden.

»Geht das?«, fragt Nina.

»Io.« Sione winkt lässig. »Klar geht das. Das Wetter ist gut.«

Er gehört zu den wenigen Menschen, die sofort Verständnis für unser Vorhaben aufbringen, weil er selbst lange Zeit auf einer abgeschiedenen Insel gelebt hat; auf Tofua, einer fünfhundert Meter hohen Vulkaninsel, jenem Eiland, auf dem 1789 Kapitän William Bligh nach der Meuterei auf der Bounty mit 18 Besatzungsmitgliedern ausgesetzt wurde.

Zum Abschied von Nuku’alofa gehen wir abends in die Hafenbar Billfish, die samstags zur Disco wird. Zum letzten Mal für lange Zeit lassen wir uns in einer Menschenmenge treiben. Es läuft Karibik-Reggae. Ich ziehe Nina an mich.

»Guck mal, die sind hier total prüde«, schreie ich ihr ins Ohr, um die Musik zu übertönen. »Niemand tanzt eng.«

»Bald sind wir ja auf der Insel«, erwidert Nina und lächelt. Ich grinse.

Um Punkt Mitternacht ist die Party vorbei. Sonntags gilt Tanzverbot in Tonga, und wir ziehen heim, ausgelassen zwar, aber irgendwie auch erleichtert, denn wir haben nur noch sie im Kopf.

Eine Insel nur für uns

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